Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen Da kam Wolf mit leisen Schritten vom Fenster her und sagte: Dort kommt Tauenden erschrak. Um Gottes willen, sagte sie, er darf nicht herein, er darf Wolf nahm seine zerbrochne Peitsche, ging auf deu Hof und empfing seinen Schön, mein Sohn, sagte Rainborn und ließ sich geduldig in das merkwürdige Onkel Heinz, sagte er, kannst dn die Peitsche wieder ganz machen? Nein, Wolf, erwiderte Ramborn, aber ich will dir eine neue kaufen. Ja, tu das, sagte Wolf, Mama braucht sie notwendig. Mama? fragte Namborn. Ja, Mama muß dem Kerl über die Backe hauen. Wolf, Wolf, rief Onkel Heinz, du redest wieder dummes Zeug! Mama wird O ja, sagte Wolf, wenn sie Mama böse machen, dann haut sie. Immer feste Namborn sah verwundert den Knaben an, der so ernst sprach wie ein Mann, Wolf, sagte Onkel Heinz, kleine Jungen müssen nicht so böse Sachen reden Wolf antwortete nicht. Nach einer Weile aber fragte er unvermittelt: Onkel Ja, Wolf, erwiderte der Doktor, der liebe Gott hat alles geschaffen. Der Das glaube ich nicht, sagte Wolf; die schlechten Menschen hat der liebe Gott Herrenmenschen Da kam Wolf mit leisen Schritten vom Fenster her und sagte: Dort kommt Tauenden erschrak. Um Gottes willen, sagte sie, er darf nicht herein, er darf Wolf nahm seine zerbrochne Peitsche, ging auf deu Hof und empfing seinen Schön, mein Sohn, sagte Rainborn und ließ sich geduldig in das merkwürdige Onkel Heinz, sagte er, kannst dn die Peitsche wieder ganz machen? Nein, Wolf, erwiderte Ramborn, aber ich will dir eine neue kaufen. Ja, tu das, sagte Wolf, Mama braucht sie notwendig. Mama? fragte Namborn. Ja, Mama muß dem Kerl über die Backe hauen. Wolf, Wolf, rief Onkel Heinz, du redest wieder dummes Zeug! Mama wird O ja, sagte Wolf, wenn sie Mama böse machen, dann haut sie. Immer feste Namborn sah verwundert den Knaben an, der so ernst sprach wie ein Mann, Wolf, sagte Onkel Heinz, kleine Jungen müssen nicht so böse Sachen reden Wolf antwortete nicht. Nach einer Weile aber fragte er unvermittelt: Onkel Ja, Wolf, erwiderte der Doktor, der liebe Gott hat alles geschaffen. Der Das glaube ich nicht, sagte Wolf; die schlechten Menschen hat der liebe Gott <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297298"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_657"> Da kam Wolf mit leisen Schritten vom Fenster her und sagte: Dort kommt<lb/> Onkel Heinz vom Felde.</p><lb/> <p xml:id="ID_658"> Tauenden erschrak. Um Gottes willen, sagte sie, er darf nicht herein, er darf<lb/> auch nicht wissen, was hier geschehen ist. Geh hinaus, Wolf, und begrüße den<lb/> Onkel.</p><lb/> <p xml:id="ID_659"> Wolf nahm seine zerbrochne Peitsche, ging auf deu Hof und empfing seinen<lb/> Onkel. Onkel Heinz, sagte er, weißt du was? Du sollst nicht in die Stube zu<lb/> Mama kommen, du sollst in meine Bohuenlaube kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_660"> Schön, mein Sohn, sagte Rainborn und ließ sich geduldig in das merkwürdige<lb/> Bauwerk führen, das hinter dem Giebel des Hauses neben der Kiele, einem<lb/> hölzernen Borratshause, erbaut war. Es war aus krummen Stangen, wie sie der<lb/> Wald lieferte, errichtet und mit rvtblühendeu Bohnen überwachsen. Man hatte<lb/> von hier aus einen Überblick über die ganze polnische Wirtschaft, die auf dem Hofe<lb/> herrschte, auf aufgeschichtetes Holz, umgefallne Klafter, Geräte und zum Trocknen<lb/> hingestellte Gefäße. Drinnen in der Laube stand eine Bank, auf der mau, wenn<lb/> man den nötigen Mut und die gehörige Vorsicht hatte, zu zweien sitzen konnte.<lb/> Ramborn hatte diesen Mut, und so nahm er Platz, und neben ihm Wolf, der die<lb/> Stücke seiner Peitsche aneinanderpaßte.</p><lb/> <p xml:id="ID_661"> Onkel Heinz, sagte er, kannst dn die Peitsche wieder ganz machen?</p><lb/> <p xml:id="ID_662"> Nein, Wolf, erwiderte Ramborn, aber ich will dir eine neue kaufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_663"> Ja, tu das, sagte Wolf, Mama braucht sie notwendig.</p><lb/> <p xml:id="ID_664"> Mama? fragte Namborn.</p><lb/> <p xml:id="ID_665"> Ja, Mama muß dem Kerl über die Backe hauen.</p><lb/> <p xml:id="ID_666"> Wolf, Wolf, rief Onkel Heinz, du redest wieder dummes Zeug! Mama wird<lb/> doch nicht mit der Peitsche schlagen?</p><lb/> <p xml:id="ID_667"> O ja, sagte Wolf, wenn sie Mama böse machen, dann haut sie. Immer feste<lb/> ins Gesicht hinein. Aber jetzt kann sie nicht mehr. 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Wolf schmiegte sich an seinen Onkel Heinz an und saß, von Zeit zu Zeit<lb/> erzitternd, ganz still.</p><lb/> <p xml:id="ID_669"> Wolf, sagte Onkel Heinz, kleine Jungen müssen nicht so böse Sachen reden<lb/> wie du vorhin, sie müssen sie nicht einmal denken. Wenn große Leute etwas<lb/> Wider einander haben, so ist das schlimm genug. Da müssen sich kleine Leute nicht<lb/> hineinmischen. Mache du deine Schularbeiten, und fahre du mit deinem Ziegenbock.</p><lb/> <p xml:id="ID_670"> Wolf antwortete nicht. Nach einer Weile aber fragte er unvermittelt: Onkel<lb/> Heinz, du weißt doch alles; ist es wahr, daß der liebe Gott alle Menschen ge¬<lb/> schaffen hat?</p><lb/> <p xml:id="ID_671"> Ja, Wolf, erwiderte der Doktor, der liebe Gott hat alles geschaffen. 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Herrenmenschen
Da kam Wolf mit leisen Schritten vom Fenster her und sagte: Dort kommt
Onkel Heinz vom Felde.
Tauenden erschrak. Um Gottes willen, sagte sie, er darf nicht herein, er darf
auch nicht wissen, was hier geschehen ist. Geh hinaus, Wolf, und begrüße den
Onkel.
Wolf nahm seine zerbrochne Peitsche, ging auf deu Hof und empfing seinen
Onkel. Onkel Heinz, sagte er, weißt du was? Du sollst nicht in die Stube zu
Mama kommen, du sollst in meine Bohuenlaube kommen.
Schön, mein Sohn, sagte Rainborn und ließ sich geduldig in das merkwürdige
Bauwerk führen, das hinter dem Giebel des Hauses neben der Kiele, einem
hölzernen Borratshause, erbaut war. Es war aus krummen Stangen, wie sie der
Wald lieferte, errichtet und mit rvtblühendeu Bohnen überwachsen. Man hatte
von hier aus einen Überblick über die ganze polnische Wirtschaft, die auf dem Hofe
herrschte, auf aufgeschichtetes Holz, umgefallne Klafter, Geräte und zum Trocknen
hingestellte Gefäße. Drinnen in der Laube stand eine Bank, auf der mau, wenn
man den nötigen Mut und die gehörige Vorsicht hatte, zu zweien sitzen konnte.
Ramborn hatte diesen Mut, und so nahm er Platz, und neben ihm Wolf, der die
Stücke seiner Peitsche aneinanderpaßte.
Onkel Heinz, sagte er, kannst dn die Peitsche wieder ganz machen?
Nein, Wolf, erwiderte Ramborn, aber ich will dir eine neue kaufen.
Ja, tu das, sagte Wolf, Mama braucht sie notwendig.
Mama? fragte Namborn.
Ja, Mama muß dem Kerl über die Backe hauen.
Wolf, Wolf, rief Onkel Heinz, du redest wieder dummes Zeug! Mama wird
doch nicht mit der Peitsche schlagen?
O ja, sagte Wolf, wenn sie Mama böse machen, dann haut sie. Immer feste
ins Gesicht hinein. Aber jetzt kann sie nicht mehr. Sie ist umgefallen und zittert.
Aber das soll ich nicht sagen.
Namborn sah verwundert den Knaben an, der so ernst sprach wie ein Mann,
der ganz still an seiner Seite saß, dessen Wangen aber brannten, und durch dessen
kleinen Körper von Zeit zu Zeit ein Zucken wie ein unterdrücktes Schluchzen ging.
Es war gewiß, daß dem Knaben jetzt oder früher etwas begegnet war, was ihn
bis tief in die Seele erschüttert hatte. Kindheit ist wie ein Schlaf, ein glücklicher
Traum. Das Kind lebt in seiner eignen goldnen Well, was geht es die rauhe
Wirklichkeit an! Aber dieses Kind war durch eine harte Hand aus seinem schönen
Kindertraume geweckt worden, und nun konnte es den gesunden Schlaf nicht mehr
finden. Ein kleiner Hamlet in Knabenhöschen, und doch auch ein kleines tragisches
Geschick. Der Doktor legte den Arm niitleidig um den Knaben und zog ihn an
sich. Wolf schmiegte sich an seinen Onkel Heinz an und saß, von Zeit zu Zeit
erzitternd, ganz still.
Wolf, sagte Onkel Heinz, kleine Jungen müssen nicht so böse Sachen reden
wie du vorhin, sie müssen sie nicht einmal denken. Wenn große Leute etwas
Wider einander haben, so ist das schlimm genug. Da müssen sich kleine Leute nicht
hineinmischen. Mache du deine Schularbeiten, und fahre du mit deinem Ziegenbock.
Wolf antwortete nicht. Nach einer Weile aber fragte er unvermittelt: Onkel
Heinz, du weißt doch alles; ist es wahr, daß der liebe Gott alle Menschen ge¬
schaffen hat?
Ja, Wolf, erwiderte der Doktor, der liebe Gott hat alles geschaffen. Der
Doktor war nun zwar seinerseits nicht davon überzeugt, daß es einen Gott und
Schöpfer aller Dinge gebe, aber es war nicht möglich, einem Kind eine andre
Antwort zu geben.
Das glaube ich nicht, sagte Wolf; die schlechten Menschen hat der liebe Gott
nicht geschaffen. Weißt du, Onkel Heinz, den Kerl, der Mama schlagen wollte,
den hat der Teufel geschaffen.
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