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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sei das Land "heute noch liebenswert, aber wie kann man Heimatliebe von dem
erwarten, dessen stilles Waldtal durch qualmende Fabrikschornsteine entstellt wird,
oder der die bunten Auen seiner Kindheit in ein paar Riesenfelder abgeteilt sieht,
die unter Dampfpflugkultur stehn. Welches Eingeständnis liegt doch darin, daß
man jetzt Heimatliebe und Vaterlandsliebe als Tugend und Pflicht hinstellt und
sie in der Schule den Kindern anzuerziehen sucht! Das müßten doch natürliche
Empfindungen sein und sich wie die Mutterliebe oder die Freundschaft ganz von
selber einstellen. Man kann eben mir eine liebenswerte Heimat lieben, und auch
die Treue gegen das Vaterland hat natürliche Voraussetzungen. Einem großen
Teile der Deutschen fehlt sie mitten in dem seit einem Menschenalter lärmenden
Fest- und Kneipenpatriotismns. Die Verunstaltung der Heimat, die Ausbreitung
des Charakterlosen, Fremden, Internationalen sind nicht für sich allein, aber sie
sind mitschuldig daran, daß wir heutigen Menschen so wenig seßhaft sind, so wenig
Heimat haben und auch an Deutschtum hinter unsern Vorfahren weit zurückstehn."
Der Grundsatz, von dem aus Bode alle Volkswirtschaft und alle sozialen Verhält¬
nisse beurteilt, und auf den er seine Verurteilung des Luxus gründet, lautet: Kein
Mensch hat das Recht, von seinen Mitmenschen mehr an Leistungen zu fordern,
als er selbst ihnen leistet. Zu seinen pädagogischen Bestrebungen gehört auch, daß
er sich um die Verbreitung der Weisheit Goethes bemüht. Nachdem er einige
Monographien (Goethes Ästhetik, Goethes Lebenskunst, Goethes bester Rat, über
seine Religion und seinen politischen Glauben) veröffentlicht hat, gibt er jetzt (bei
Ernst Siegfried Mittler und Sohn in Berlin) die Monatschrift Stunden mit
Goethe heraus.


Eine rätselhafte Schrift.

Der helle Glanz des gleißenden Goldes, das
dnrch Schliemanns rastlosen Spürsinn in dem "golddurchblinkten Mykenä," dein
Herrschersitz des Völkerfürsten Agamemnon, aus der Tiefe der Schachtgräber an
das Sonnenlicht gefördert worden ist, hat eine Zeit lang fast ausschließlich aller
Augen auf sich gezogen. Da entdeckte der Engländer Arthur I. Evans auf un¬
scheinbaren Vasenscherben und auf "geschulteren Steinen" allerlei seltsame Zeichen,
von denen einige Formen regelmäßig wiederkehrten. Deshalb stellte dieser Gelehrte
schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Behauptung auf,
diese scheinbaren Ornamente seien keine bedeutungslosen Schnörkel, sondern gehörten
einer vorgeschichtlichen Schrift an. Jedoch er erntete bei seinen Fachgenossen mehr
Spott als Glauben. Um neues Material zu sammeln, reiste er nach der Insel
Kreta: auf einer Trümmerstätte uicht weit von der antiken Stadt Knosos, eine
Stunde landeinwärts von dem Hafenorte Kandia, fand er an sorgfältig behauenen
Blöcken dieselben Signaturen wieder. Diese geheimnisvollen Zeichen hatten es ihm
angetan. Doch erst als nach den kretischen Wirren im Jahre 1897 die neue,
von griechischem Geiste beseelte Regierung dem Forscher tatkräftig ihren Schutz lieh,
konnte der Spaten ohne Gefährdung des Lebens angesetzt werden.

Es war Evans vergönnt, bei Knosos an der Stätte, die von der uralten
Fürstenherrlichkeit des mächtigen Königs Minos umstrahlt Wird, einen stolzen Palast
zu entdecke" und von tausendjährigem Schütte zu befreien. Mit beispielloser Frei¬
gebigkeit hat das Glück auch an andern Orten Kretas den Meistern des Spateus
ungeahnte Schätze beschert, meist aus der Kulturperiode, die man seit den Gold¬
funden in Mykenä die "mykeuische" zu nennen sich gewöhnt hat. Durch diese
Grabungen ist die vor einem Jahrzehnt von Evans aufgestellte Behauptung glänzend
bestätigt worden. Auf zahllosen Bruchstücken von Tongefäßen, die sich bisweilen
zu kleine" Scherbelbergen anstürmen, am Mauerwerk und wo sonst Raum für
Arabesken war, haben sich dieselben Zeichen nachweisen lassen. Mit Siegelzylindern
sind solche Typen auch in die Tonklümpchen eingedrückt worden, die wie moderne
Bleiplomben einen die Öffnung eines Behälters verschließenden Faden unihüllt
haben, um das Gefäß gegen unbefugte Eingriffe zu sicherm.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sei das Land „heute noch liebenswert, aber wie kann man Heimatliebe von dem
erwarten, dessen stilles Waldtal durch qualmende Fabrikschornsteine entstellt wird,
oder der die bunten Auen seiner Kindheit in ein paar Riesenfelder abgeteilt sieht,
die unter Dampfpflugkultur stehn. Welches Eingeständnis liegt doch darin, daß
man jetzt Heimatliebe und Vaterlandsliebe als Tugend und Pflicht hinstellt und
sie in der Schule den Kindern anzuerziehen sucht! Das müßten doch natürliche
Empfindungen sein und sich wie die Mutterliebe oder die Freundschaft ganz von
selber einstellen. Man kann eben mir eine liebenswerte Heimat lieben, und auch
die Treue gegen das Vaterland hat natürliche Voraussetzungen. Einem großen
Teile der Deutschen fehlt sie mitten in dem seit einem Menschenalter lärmenden
Fest- und Kneipenpatriotismns. Die Verunstaltung der Heimat, die Ausbreitung
des Charakterlosen, Fremden, Internationalen sind nicht für sich allein, aber sie
sind mitschuldig daran, daß wir heutigen Menschen so wenig seßhaft sind, so wenig
Heimat haben und auch an Deutschtum hinter unsern Vorfahren weit zurückstehn."
Der Grundsatz, von dem aus Bode alle Volkswirtschaft und alle sozialen Verhält¬
nisse beurteilt, und auf den er seine Verurteilung des Luxus gründet, lautet: Kein
Mensch hat das Recht, von seinen Mitmenschen mehr an Leistungen zu fordern,
als er selbst ihnen leistet. Zu seinen pädagogischen Bestrebungen gehört auch, daß
er sich um die Verbreitung der Weisheit Goethes bemüht. Nachdem er einige
Monographien (Goethes Ästhetik, Goethes Lebenskunst, Goethes bester Rat, über
seine Religion und seinen politischen Glauben) veröffentlicht hat, gibt er jetzt (bei
Ernst Siegfried Mittler und Sohn in Berlin) die Monatschrift Stunden mit
Goethe heraus.


Eine rätselhafte Schrift.

Der helle Glanz des gleißenden Goldes, das
dnrch Schliemanns rastlosen Spürsinn in dem „golddurchblinkten Mykenä," dein
Herrschersitz des Völkerfürsten Agamemnon, aus der Tiefe der Schachtgräber an
das Sonnenlicht gefördert worden ist, hat eine Zeit lang fast ausschließlich aller
Augen auf sich gezogen. Da entdeckte der Engländer Arthur I. Evans auf un¬
scheinbaren Vasenscherben und auf „geschulteren Steinen" allerlei seltsame Zeichen,
von denen einige Formen regelmäßig wiederkehrten. Deshalb stellte dieser Gelehrte
schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Behauptung auf,
diese scheinbaren Ornamente seien keine bedeutungslosen Schnörkel, sondern gehörten
einer vorgeschichtlichen Schrift an. Jedoch er erntete bei seinen Fachgenossen mehr
Spott als Glauben. Um neues Material zu sammeln, reiste er nach der Insel
Kreta: auf einer Trümmerstätte uicht weit von der antiken Stadt Knosos, eine
Stunde landeinwärts von dem Hafenorte Kandia, fand er an sorgfältig behauenen
Blöcken dieselben Signaturen wieder. Diese geheimnisvollen Zeichen hatten es ihm
angetan. Doch erst als nach den kretischen Wirren im Jahre 1897 die neue,
von griechischem Geiste beseelte Regierung dem Forscher tatkräftig ihren Schutz lieh,
konnte der Spaten ohne Gefährdung des Lebens angesetzt werden.

Es war Evans vergönnt, bei Knosos an der Stätte, die von der uralten
Fürstenherrlichkeit des mächtigen Königs Minos umstrahlt Wird, einen stolzen Palast
zu entdecke« und von tausendjährigem Schütte zu befreien. Mit beispielloser Frei¬
gebigkeit hat das Glück auch an andern Orten Kretas den Meistern des Spateus
ungeahnte Schätze beschert, meist aus der Kulturperiode, die man seit den Gold¬
funden in Mykenä die „mykeuische" zu nennen sich gewöhnt hat. Durch diese
Grabungen ist die vor einem Jahrzehnt von Evans aufgestellte Behauptung glänzend
bestätigt worden. Auf zahllosen Bruchstücken von Tongefäßen, die sich bisweilen
zu kleine» Scherbelbergen anstürmen, am Mauerwerk und wo sonst Raum für
Arabesken war, haben sich dieselben Zeichen nachweisen lassen. Mit Siegelzylindern
sind solche Typen auch in die Tonklümpchen eingedrückt worden, die wie moderne
Bleiplomben einen die Öffnung eines Behälters verschließenden Faden unihüllt
haben, um das Gefäß gegen unbefugte Eingriffe zu sicherm.


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[0122] Maßgebliches und Unmaßgebliches sei das Land „heute noch liebenswert, aber wie kann man Heimatliebe von dem erwarten, dessen stilles Waldtal durch qualmende Fabrikschornsteine entstellt wird, oder der die bunten Auen seiner Kindheit in ein paar Riesenfelder abgeteilt sieht, die unter Dampfpflugkultur stehn. Welches Eingeständnis liegt doch darin, daß man jetzt Heimatliebe und Vaterlandsliebe als Tugend und Pflicht hinstellt und sie in der Schule den Kindern anzuerziehen sucht! Das müßten doch natürliche Empfindungen sein und sich wie die Mutterliebe oder die Freundschaft ganz von selber einstellen. Man kann eben mir eine liebenswerte Heimat lieben, und auch die Treue gegen das Vaterland hat natürliche Voraussetzungen. Einem großen Teile der Deutschen fehlt sie mitten in dem seit einem Menschenalter lärmenden Fest- und Kneipenpatriotismns. Die Verunstaltung der Heimat, die Ausbreitung des Charakterlosen, Fremden, Internationalen sind nicht für sich allein, aber sie sind mitschuldig daran, daß wir heutigen Menschen so wenig seßhaft sind, so wenig Heimat haben und auch an Deutschtum hinter unsern Vorfahren weit zurückstehn." Der Grundsatz, von dem aus Bode alle Volkswirtschaft und alle sozialen Verhält¬ nisse beurteilt, und auf den er seine Verurteilung des Luxus gründet, lautet: Kein Mensch hat das Recht, von seinen Mitmenschen mehr an Leistungen zu fordern, als er selbst ihnen leistet. Zu seinen pädagogischen Bestrebungen gehört auch, daß er sich um die Verbreitung der Weisheit Goethes bemüht. Nachdem er einige Monographien (Goethes Ästhetik, Goethes Lebenskunst, Goethes bester Rat, über seine Religion und seinen politischen Glauben) veröffentlicht hat, gibt er jetzt (bei Ernst Siegfried Mittler und Sohn in Berlin) die Monatschrift Stunden mit Goethe heraus. Eine rätselhafte Schrift. Der helle Glanz des gleißenden Goldes, das dnrch Schliemanns rastlosen Spürsinn in dem „golddurchblinkten Mykenä," dein Herrschersitz des Völkerfürsten Agamemnon, aus der Tiefe der Schachtgräber an das Sonnenlicht gefördert worden ist, hat eine Zeit lang fast ausschließlich aller Augen auf sich gezogen. Da entdeckte der Engländer Arthur I. Evans auf un¬ scheinbaren Vasenscherben und auf „geschulteren Steinen" allerlei seltsame Zeichen, von denen einige Formen regelmäßig wiederkehrten. Deshalb stellte dieser Gelehrte schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Behauptung auf, diese scheinbaren Ornamente seien keine bedeutungslosen Schnörkel, sondern gehörten einer vorgeschichtlichen Schrift an. Jedoch er erntete bei seinen Fachgenossen mehr Spott als Glauben. Um neues Material zu sammeln, reiste er nach der Insel Kreta: auf einer Trümmerstätte uicht weit von der antiken Stadt Knosos, eine Stunde landeinwärts von dem Hafenorte Kandia, fand er an sorgfältig behauenen Blöcken dieselben Signaturen wieder. Diese geheimnisvollen Zeichen hatten es ihm angetan. Doch erst als nach den kretischen Wirren im Jahre 1897 die neue, von griechischem Geiste beseelte Regierung dem Forscher tatkräftig ihren Schutz lieh, konnte der Spaten ohne Gefährdung des Lebens angesetzt werden. Es war Evans vergönnt, bei Knosos an der Stätte, die von der uralten Fürstenherrlichkeit des mächtigen Königs Minos umstrahlt Wird, einen stolzen Palast zu entdecke« und von tausendjährigem Schütte zu befreien. Mit beispielloser Frei¬ gebigkeit hat das Glück auch an andern Orten Kretas den Meistern des Spateus ungeahnte Schätze beschert, meist aus der Kulturperiode, die man seit den Gold¬ funden in Mykenä die „mykeuische" zu nennen sich gewöhnt hat. Durch diese Grabungen ist die vor einem Jahrzehnt von Evans aufgestellte Behauptung glänzend bestätigt worden. Auf zahllosen Bruchstücken von Tongefäßen, die sich bisweilen zu kleine» Scherbelbergen anstürmen, am Mauerwerk und wo sonst Raum für Arabesken war, haben sich dieselben Zeichen nachweisen lassen. Mit Siegelzylindern sind solche Typen auch in die Tonklümpchen eingedrückt worden, die wie moderne Bleiplomben einen die Öffnung eines Behälters verschließenden Faden unihüllt haben, um das Gefäß gegen unbefugte Eingriffe zu sicherm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/122>, abgerufen am 05.02.2025.