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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Ein Besuch auf dar !>> bi'echerinsel Sachalin

einen höchst eigentümlichen Anblick. Bis weit hinaus war das Wasser weiß-
lich gefärbt von den Absonderungen der Fische, die hierher kommen, um zu
laichen. Zu Millionen drängten sie dem Ufer zu, die hintern immer die
vordem weiterschiebend, sodaß bald der ganze Strand mit lebenden und toten
Heringen bedeckt war. Die ganze Bevölkerung, Soldaten und Sträflinge, zog
an den Strand, sammelte dort einfach mit den Händen die zappelnden Fische
und warf sie in bereitgehaltne Karren und Wagen. Nach Herzenslust konnte
sich nun jeder Vorräte für eine lange Zeit sammeln.

Die japanischen Fischer aber arbeiteten weit draußen mit ihren Netzen
und beförderten ungeheure Massen von Heringen an die Oberfläche.

Wir fuhren mit unserm Freunde in einer Troika trotz dem entsetzlich
holprigen Wege in sausendem Galopp am Strande entlang zu der nächsten
Fangstation. Hier wurden wir zunächst mit der wenig erfreulichen Nachricht
empfangen, daß kurz vorher, als es noch dunkel war, der russische Aufseher
ermordet worden wäre. Man zeigte uns noch die frischen Blutspuren an der
Stelle, wo ihn die Banditen meuchlings überfallen und totgeschlagen hatten.
So erhielten wir selbst bei unserm kurzen Aufenthalt auf der Verbrecherinsel
einen Beweis dafür, daß die Erzählungen von den häufigen Morden -- vier
bis fünf im Monat soll der Durchschnitt sein -- und Raubanfällen keine
Fabeln waren.

In einem gebrechlichen alten Kahn fuhren wir dann hinaus zu den
Fischern, die das Hochzieh" der Netze mit lautem, eintönigem Gesang beglei¬
teten, wobei ein "Solofänger" immer eine Strophe vorsang, die dann vom
Chor wiederholt wurde.

Es wird den Leser vielleicht interessieren, über die Art dieses Fischfangs
etwas näheres zu erfahren. Ich will deshalb versuchen, einige Aufklärung
darüber zu geben. In einem Abstände etwa von fünfzig bis sechzig Metern
sind zwei große Leichter verankert, die an dem dem Meere zugewandten Ende
durch ein Netz verbunden sind. Auch zwischen den andern Enden ist ein Netz
befestigt, doch ist dieses an einer Stelle durch eine Art Tür unterbrochen, die
durch Ziehen an einem Stricke von einem Boote aus geschlossen werden kann.
Senkrecht auf diese Tür stoßend ist ein Netz verankert, dessen andres Ende
bis in die Nähe der Küste geführt ist. Die Fische drängen nun vom Meere
aus dem Ufer zu, versuchen daun, wenn es nicht weiter vorwärts geht, sich
gegenseitig treibend und stoßend rückwärts wieder in tieferes Wasser zu ge¬
langen und drängen sich dabei durch die noch offne Pforte. Sobald die
Fischer sehen, daß genügend Heringe in den: durch die Netze eingezäunten
Raum sind, wird die Tür geschlossen, und nun wird das eine Boot durch
seine Mannschaft allmählich an das andre herangezogen, indem die schweren
Netze nach und nach aus dem Wasser gehoben werden. Diese Arbeit begleiten
die Japaner mit dem erwähnten Gesang. Unter dem noch verankerten Leichter
liegt nun ein tiefes Netz, und in dieses wird die ganze Beute hineingeschüttet.
Ist auch dieses Netz, nachdem sich solche Fischzüge mehrmals wiederholt haben,
gefüllt, dann wird es aufgewunden und an den Landungssteg gebracht. Dort
werden die Heringe mit Schippen aufs Trockne geworfen, in kleine, ans


Ein Besuch auf dar !>> bi'echerinsel Sachalin

einen höchst eigentümlichen Anblick. Bis weit hinaus war das Wasser weiß-
lich gefärbt von den Absonderungen der Fische, die hierher kommen, um zu
laichen. Zu Millionen drängten sie dem Ufer zu, die hintern immer die
vordem weiterschiebend, sodaß bald der ganze Strand mit lebenden und toten
Heringen bedeckt war. Die ganze Bevölkerung, Soldaten und Sträflinge, zog
an den Strand, sammelte dort einfach mit den Händen die zappelnden Fische
und warf sie in bereitgehaltne Karren und Wagen. Nach Herzenslust konnte
sich nun jeder Vorräte für eine lange Zeit sammeln.

Die japanischen Fischer aber arbeiteten weit draußen mit ihren Netzen
und beförderten ungeheure Massen von Heringen an die Oberfläche.

Wir fuhren mit unserm Freunde in einer Troika trotz dem entsetzlich
holprigen Wege in sausendem Galopp am Strande entlang zu der nächsten
Fangstation. Hier wurden wir zunächst mit der wenig erfreulichen Nachricht
empfangen, daß kurz vorher, als es noch dunkel war, der russische Aufseher
ermordet worden wäre. Man zeigte uns noch die frischen Blutspuren an der
Stelle, wo ihn die Banditen meuchlings überfallen und totgeschlagen hatten.
So erhielten wir selbst bei unserm kurzen Aufenthalt auf der Verbrecherinsel
einen Beweis dafür, daß die Erzählungen von den häufigen Morden — vier
bis fünf im Monat soll der Durchschnitt sein — und Raubanfällen keine
Fabeln waren.

In einem gebrechlichen alten Kahn fuhren wir dann hinaus zu den
Fischern, die das Hochzieh» der Netze mit lautem, eintönigem Gesang beglei¬
teten, wobei ein „Solofänger" immer eine Strophe vorsang, die dann vom
Chor wiederholt wurde.

Es wird den Leser vielleicht interessieren, über die Art dieses Fischfangs
etwas näheres zu erfahren. Ich will deshalb versuchen, einige Aufklärung
darüber zu geben. In einem Abstände etwa von fünfzig bis sechzig Metern
sind zwei große Leichter verankert, die an dem dem Meere zugewandten Ende
durch ein Netz verbunden sind. Auch zwischen den andern Enden ist ein Netz
befestigt, doch ist dieses an einer Stelle durch eine Art Tür unterbrochen, die
durch Ziehen an einem Stricke von einem Boote aus geschlossen werden kann.
Senkrecht auf diese Tür stoßend ist ein Netz verankert, dessen andres Ende
bis in die Nähe der Küste geführt ist. Die Fische drängen nun vom Meere
aus dem Ufer zu, versuchen daun, wenn es nicht weiter vorwärts geht, sich
gegenseitig treibend und stoßend rückwärts wieder in tieferes Wasser zu ge¬
langen und drängen sich dabei durch die noch offne Pforte. Sobald die
Fischer sehen, daß genügend Heringe in den: durch die Netze eingezäunten
Raum sind, wird die Tür geschlossen, und nun wird das eine Boot durch
seine Mannschaft allmählich an das andre herangezogen, indem die schweren
Netze nach und nach aus dem Wasser gehoben werden. Diese Arbeit begleiten
die Japaner mit dem erwähnten Gesang. Unter dem noch verankerten Leichter
liegt nun ein tiefes Netz, und in dieses wird die ganze Beute hineingeschüttet.
Ist auch dieses Netz, nachdem sich solche Fischzüge mehrmals wiederholt haben,
gefüllt, dann wird es aufgewunden und an den Landungssteg gebracht. Dort
werden die Heringe mit Schippen aufs Trockne geworfen, in kleine, ans


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[0106] Ein Besuch auf dar !>> bi'echerinsel Sachalin einen höchst eigentümlichen Anblick. Bis weit hinaus war das Wasser weiß- lich gefärbt von den Absonderungen der Fische, die hierher kommen, um zu laichen. Zu Millionen drängten sie dem Ufer zu, die hintern immer die vordem weiterschiebend, sodaß bald der ganze Strand mit lebenden und toten Heringen bedeckt war. Die ganze Bevölkerung, Soldaten und Sträflinge, zog an den Strand, sammelte dort einfach mit den Händen die zappelnden Fische und warf sie in bereitgehaltne Karren und Wagen. Nach Herzenslust konnte sich nun jeder Vorräte für eine lange Zeit sammeln. Die japanischen Fischer aber arbeiteten weit draußen mit ihren Netzen und beförderten ungeheure Massen von Heringen an die Oberfläche. Wir fuhren mit unserm Freunde in einer Troika trotz dem entsetzlich holprigen Wege in sausendem Galopp am Strande entlang zu der nächsten Fangstation. Hier wurden wir zunächst mit der wenig erfreulichen Nachricht empfangen, daß kurz vorher, als es noch dunkel war, der russische Aufseher ermordet worden wäre. Man zeigte uns noch die frischen Blutspuren an der Stelle, wo ihn die Banditen meuchlings überfallen und totgeschlagen hatten. So erhielten wir selbst bei unserm kurzen Aufenthalt auf der Verbrecherinsel einen Beweis dafür, daß die Erzählungen von den häufigen Morden — vier bis fünf im Monat soll der Durchschnitt sein — und Raubanfällen keine Fabeln waren. In einem gebrechlichen alten Kahn fuhren wir dann hinaus zu den Fischern, die das Hochzieh» der Netze mit lautem, eintönigem Gesang beglei¬ teten, wobei ein „Solofänger" immer eine Strophe vorsang, die dann vom Chor wiederholt wurde. Es wird den Leser vielleicht interessieren, über die Art dieses Fischfangs etwas näheres zu erfahren. Ich will deshalb versuchen, einige Aufklärung darüber zu geben. In einem Abstände etwa von fünfzig bis sechzig Metern sind zwei große Leichter verankert, die an dem dem Meere zugewandten Ende durch ein Netz verbunden sind. Auch zwischen den andern Enden ist ein Netz befestigt, doch ist dieses an einer Stelle durch eine Art Tür unterbrochen, die durch Ziehen an einem Stricke von einem Boote aus geschlossen werden kann. Senkrecht auf diese Tür stoßend ist ein Netz verankert, dessen andres Ende bis in die Nähe der Küste geführt ist. Die Fische drängen nun vom Meere aus dem Ufer zu, versuchen daun, wenn es nicht weiter vorwärts geht, sich gegenseitig treibend und stoßend rückwärts wieder in tieferes Wasser zu ge¬ langen und drängen sich dabei durch die noch offne Pforte. Sobald die Fischer sehen, daß genügend Heringe in den: durch die Netze eingezäunten Raum sind, wird die Tür geschlossen, und nun wird das eine Boot durch seine Mannschaft allmählich an das andre herangezogen, indem die schweren Netze nach und nach aus dem Wasser gehoben werden. Diese Arbeit begleiten die Japaner mit dem erwähnten Gesang. Unter dem noch verankerten Leichter liegt nun ein tiefes Netz, und in dieses wird die ganze Beute hineingeschüttet. Ist auch dieses Netz, nachdem sich solche Fischzüge mehrmals wiederholt haben, gefüllt, dann wird es aufgewunden und an den Landungssteg gebracht. Dort werden die Heringe mit Schippen aufs Trockne geworfen, in kleine, ans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/106>, abgerufen am 11.02.2025.