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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Während des Oktoberfestes hatten wir viermal Besuch vom Prinzregenten,
der in Begleitung einiger Hoskavalicre kam und ganz ungeniert den Vorstellungen
beiwohnte. Trotzdem gab es in der Menagerie bei seinem Erscheinen eine kleine
Aufregung, da in aller Eile eine Anzahl Stühle vor dem Zentralkäfig in Halb-
bogenform aufgestellt werden mußte.

Als das Oktoberfest zu Ende war, brachen wir ab und verluden nach
Se. Gallen. Am vorletzten Tage unsers dortigen Aufenthalts bekam ich Meinungs¬
verschiedenheiten mit dem Direktor, weil ein andrer Angestellter Gegenstande in die
Fleischkammer hineingestellt hatte, die nicht hinein gehörten, worüber ich aufgebracht
worden war. Ich trat deshalb sofort ans und machte an demselben Nachmittag
in einer Wirtschaft die Bekanntschaft von mehreren zweifelhaften Subjekten, die mir
ihren Reden und ihrem Gebaren nach schon gleich nicht recht gefielen. Am
nächsten Tage erwirkte ich mir von den Leuten vom Theater Weissenbach die Er¬
laubnis, meinen Koffer zur Weiterbeförderung nach Rorschach ans ihren Holzwagen
stellen zu dürfen. Als sich die Wagen in Bewegung setzten, ging ich zu Fuß mit
und langte gegen Abend in Rorschach an. Dort sah ich mich auf dem Marktplatze
um, der unmittelbar am Bodensee liegt, und wurde vou einem Schnellphotographen
gefragt, ob ich Lust zu arbeiten hätte, er könne mir Arbeit geben. Ich erklärte
mich bereit, bei ihm einzutreten, half auch sogleich beim Aufbauen seiner Bude und
machte am nächsten Sonntag bei ihm den Rekommandeur. Das Geschäft ging
anfangs ganz gut, und ich erhielt an diesem Sonntag acht Franken. Am Donners¬
tag, Freitag und Sonnabend mußte die Bude jedoch geschloffen bleiben. Um aber
an diesen Tagen nicht untätig zu sein, öffnete ich an einer Seite ein wenig die Lein¬
wand, setzte mich auf einem Stuhle davor und lockte die Vorübergehenden heimlich
hinein, wo sie dann ebenso heimlich photographiert wurden. Als ich dort saß, erschien
plötzlich einer von den Kerlen, mit denen ich in Se. Gallen zusammen gewesen war,
er kam auf mich zu, begrüßte mich und renommierte mit seinem Gelde, dabei griff
er in die Tasche und brachte eine Handvoll Fünffrankenstnckc zum Vorschein. Er lud
mich ein, mit ihm zusammen einen Liter "sufer" zu trinken. Obgleich mir der
Mensch unangenehm war, ging ich doch mit und traf in der Wirtschaft, wohin er
mich führte, seiue Kameraden. Wir tranken eine Weile zusammen, dann machte ich
aber, daß ich wieder zu meinem Photographen kam, da mir die Gesellschaft immer
verdächtiger erschien. Ein paar Stunden darauf verbreitete sich deun auch das
Gerücht, daß die Gesellschaft am Tage vorher auf der Straße zwischen Se. Gallen
und Gossau einen Bauern, der ein paar Kühe verkauft hatte, erschlagen und seiner
Barschaft beraubt habe. Ob die Nttnber ergriffen worden sind, habe ich nicht in
Erfahrung bringen können, jedenfalls aber habe ich mich darüber geärgert, daß ich
nicht in die Lage gekommen war, sie dingfest machen zu lassen.

Am nächsten Tage, als ich wieder vor der Bude saß, kam eine festlich ge¬
schmückte Banerngesellschaft mit zwei Brautpaare". Ich redete diese Doppelhochzeits-
gescllschaft an, und es gelang mir auch, sie mit Hilfe meines täuschend imitierten
Schweizer Dialekts in die Bude zu locke". Dort ergab sich nun eine große
Schwierigkeit, die Gesellschaft so zu placieren, daß sie vollzählig auf die sehr kleine
Platte ging. Wir setzten das älteste Brautpaar auf unsre beiden einzigen Stühle,
stellten das zweite dahinter, ließen auf jeder Seite je einen der Hochzeitsgäste auf
einem Plattenkistchen Platz nehmen und gruppierten die übrigen im Halbkreise
darum. Zu diesem Arrangement war ein großer Aufwand von Worten nötig.
Als zwei Bilder fertig waren, zeigte der Photograph sie den Bauern, die sich
aber nicht zu seiner Ansicht bekennen konnten, daß die Aufnahme vorzüglich ge¬
lungen sei. Sie fingen vielmehr an zu schimpfen, bedienten sich sogar des in der
Schweiz sehr beliebten Schimpfwortes "du Kalb" und weigerten sich, die Bilder
zu bezahlen. Darüber wurde mein Prinzipal fuchswild, und ich hatte große Mühe,
ihn zu beruhigen, weil ich fürchtete, daß die Polizei von unserm unerlaubten
Geschäftsbetriebe Kenntnis erhalten könnte.


Grenzboten IV 1905 13
Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Während des Oktoberfestes hatten wir viermal Besuch vom Prinzregenten,
der in Begleitung einiger Hoskavalicre kam und ganz ungeniert den Vorstellungen
beiwohnte. Trotzdem gab es in der Menagerie bei seinem Erscheinen eine kleine
Aufregung, da in aller Eile eine Anzahl Stühle vor dem Zentralkäfig in Halb-
bogenform aufgestellt werden mußte.

Als das Oktoberfest zu Ende war, brachen wir ab und verluden nach
Se. Gallen. Am vorletzten Tage unsers dortigen Aufenthalts bekam ich Meinungs¬
verschiedenheiten mit dem Direktor, weil ein andrer Angestellter Gegenstande in die
Fleischkammer hineingestellt hatte, die nicht hinein gehörten, worüber ich aufgebracht
worden war. Ich trat deshalb sofort ans und machte an demselben Nachmittag
in einer Wirtschaft die Bekanntschaft von mehreren zweifelhaften Subjekten, die mir
ihren Reden und ihrem Gebaren nach schon gleich nicht recht gefielen. Am
nächsten Tage erwirkte ich mir von den Leuten vom Theater Weissenbach die Er¬
laubnis, meinen Koffer zur Weiterbeförderung nach Rorschach ans ihren Holzwagen
stellen zu dürfen. Als sich die Wagen in Bewegung setzten, ging ich zu Fuß mit
und langte gegen Abend in Rorschach an. Dort sah ich mich auf dem Marktplatze
um, der unmittelbar am Bodensee liegt, und wurde vou einem Schnellphotographen
gefragt, ob ich Lust zu arbeiten hätte, er könne mir Arbeit geben. Ich erklärte
mich bereit, bei ihm einzutreten, half auch sogleich beim Aufbauen seiner Bude und
machte am nächsten Sonntag bei ihm den Rekommandeur. Das Geschäft ging
anfangs ganz gut, und ich erhielt an diesem Sonntag acht Franken. Am Donners¬
tag, Freitag und Sonnabend mußte die Bude jedoch geschloffen bleiben. Um aber
an diesen Tagen nicht untätig zu sein, öffnete ich an einer Seite ein wenig die Lein¬
wand, setzte mich auf einem Stuhle davor und lockte die Vorübergehenden heimlich
hinein, wo sie dann ebenso heimlich photographiert wurden. Als ich dort saß, erschien
plötzlich einer von den Kerlen, mit denen ich in Se. Gallen zusammen gewesen war,
er kam auf mich zu, begrüßte mich und renommierte mit seinem Gelde, dabei griff
er in die Tasche und brachte eine Handvoll Fünffrankenstnckc zum Vorschein. Er lud
mich ein, mit ihm zusammen einen Liter „sufer" zu trinken. Obgleich mir der
Mensch unangenehm war, ging ich doch mit und traf in der Wirtschaft, wohin er
mich führte, seiue Kameraden. Wir tranken eine Weile zusammen, dann machte ich
aber, daß ich wieder zu meinem Photographen kam, da mir die Gesellschaft immer
verdächtiger erschien. Ein paar Stunden darauf verbreitete sich deun auch das
Gerücht, daß die Gesellschaft am Tage vorher auf der Straße zwischen Se. Gallen
und Gossau einen Bauern, der ein paar Kühe verkauft hatte, erschlagen und seiner
Barschaft beraubt habe. Ob die Nttnber ergriffen worden sind, habe ich nicht in
Erfahrung bringen können, jedenfalls aber habe ich mich darüber geärgert, daß ich
nicht in die Lage gekommen war, sie dingfest machen zu lassen.

Am nächsten Tage, als ich wieder vor der Bude saß, kam eine festlich ge¬
schmückte Banerngesellschaft mit zwei Brautpaare«. Ich redete diese Doppelhochzeits-
gescllschaft an, und es gelang mir auch, sie mit Hilfe meines täuschend imitierten
Schweizer Dialekts in die Bude zu locke». Dort ergab sich nun eine große
Schwierigkeit, die Gesellschaft so zu placieren, daß sie vollzählig auf die sehr kleine
Platte ging. Wir setzten das älteste Brautpaar auf unsre beiden einzigen Stühle,
stellten das zweite dahinter, ließen auf jeder Seite je einen der Hochzeitsgäste auf
einem Plattenkistchen Platz nehmen und gruppierten die übrigen im Halbkreise
darum. Zu diesem Arrangement war ein großer Aufwand von Worten nötig.
Als zwei Bilder fertig waren, zeigte der Photograph sie den Bauern, die sich
aber nicht zu seiner Ansicht bekennen konnten, daß die Aufnahme vorzüglich ge¬
lungen sei. Sie fingen vielmehr an zu schimpfen, bedienten sich sogar des in der
Schweiz sehr beliebten Schimpfwortes „du Kalb" und weigerten sich, die Bilder
zu bezahlen. Darüber wurde mein Prinzipal fuchswild, und ich hatte große Mühe,
ihn zu beruhigen, weil ich fürchtete, daß die Polizei von unserm unerlaubten
Geschäftsbetriebe Kenntnis erhalten könnte.


Grenzboten IV 1905 13
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[0099] Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Während des Oktoberfestes hatten wir viermal Besuch vom Prinzregenten, der in Begleitung einiger Hoskavalicre kam und ganz ungeniert den Vorstellungen beiwohnte. Trotzdem gab es in der Menagerie bei seinem Erscheinen eine kleine Aufregung, da in aller Eile eine Anzahl Stühle vor dem Zentralkäfig in Halb- bogenform aufgestellt werden mußte. Als das Oktoberfest zu Ende war, brachen wir ab und verluden nach Se. Gallen. Am vorletzten Tage unsers dortigen Aufenthalts bekam ich Meinungs¬ verschiedenheiten mit dem Direktor, weil ein andrer Angestellter Gegenstande in die Fleischkammer hineingestellt hatte, die nicht hinein gehörten, worüber ich aufgebracht worden war. Ich trat deshalb sofort ans und machte an demselben Nachmittag in einer Wirtschaft die Bekanntschaft von mehreren zweifelhaften Subjekten, die mir ihren Reden und ihrem Gebaren nach schon gleich nicht recht gefielen. Am nächsten Tage erwirkte ich mir von den Leuten vom Theater Weissenbach die Er¬ laubnis, meinen Koffer zur Weiterbeförderung nach Rorschach ans ihren Holzwagen stellen zu dürfen. Als sich die Wagen in Bewegung setzten, ging ich zu Fuß mit und langte gegen Abend in Rorschach an. Dort sah ich mich auf dem Marktplatze um, der unmittelbar am Bodensee liegt, und wurde vou einem Schnellphotographen gefragt, ob ich Lust zu arbeiten hätte, er könne mir Arbeit geben. Ich erklärte mich bereit, bei ihm einzutreten, half auch sogleich beim Aufbauen seiner Bude und machte am nächsten Sonntag bei ihm den Rekommandeur. Das Geschäft ging anfangs ganz gut, und ich erhielt an diesem Sonntag acht Franken. Am Donners¬ tag, Freitag und Sonnabend mußte die Bude jedoch geschloffen bleiben. Um aber an diesen Tagen nicht untätig zu sein, öffnete ich an einer Seite ein wenig die Lein¬ wand, setzte mich auf einem Stuhle davor und lockte die Vorübergehenden heimlich hinein, wo sie dann ebenso heimlich photographiert wurden. Als ich dort saß, erschien plötzlich einer von den Kerlen, mit denen ich in Se. Gallen zusammen gewesen war, er kam auf mich zu, begrüßte mich und renommierte mit seinem Gelde, dabei griff er in die Tasche und brachte eine Handvoll Fünffrankenstnckc zum Vorschein. Er lud mich ein, mit ihm zusammen einen Liter „sufer" zu trinken. Obgleich mir der Mensch unangenehm war, ging ich doch mit und traf in der Wirtschaft, wohin er mich führte, seiue Kameraden. Wir tranken eine Weile zusammen, dann machte ich aber, daß ich wieder zu meinem Photographen kam, da mir die Gesellschaft immer verdächtiger erschien. Ein paar Stunden darauf verbreitete sich deun auch das Gerücht, daß die Gesellschaft am Tage vorher auf der Straße zwischen Se. Gallen und Gossau einen Bauern, der ein paar Kühe verkauft hatte, erschlagen und seiner Barschaft beraubt habe. Ob die Nttnber ergriffen worden sind, habe ich nicht in Erfahrung bringen können, jedenfalls aber habe ich mich darüber geärgert, daß ich nicht in die Lage gekommen war, sie dingfest machen zu lassen. Am nächsten Tage, als ich wieder vor der Bude saß, kam eine festlich ge¬ schmückte Banerngesellschaft mit zwei Brautpaare«. Ich redete diese Doppelhochzeits- gescllschaft an, und es gelang mir auch, sie mit Hilfe meines täuschend imitierten Schweizer Dialekts in die Bude zu locke». Dort ergab sich nun eine große Schwierigkeit, die Gesellschaft so zu placieren, daß sie vollzählig auf die sehr kleine Platte ging. Wir setzten das älteste Brautpaar auf unsre beiden einzigen Stühle, stellten das zweite dahinter, ließen auf jeder Seite je einen der Hochzeitsgäste auf einem Plattenkistchen Platz nehmen und gruppierten die übrigen im Halbkreise darum. Zu diesem Arrangement war ein großer Aufwand von Worten nötig. Als zwei Bilder fertig waren, zeigte der Photograph sie den Bauern, die sich aber nicht zu seiner Ansicht bekennen konnten, daß die Aufnahme vorzüglich ge¬ lungen sei. Sie fingen vielmehr an zu schimpfen, bedienten sich sogar des in der Schweiz sehr beliebten Schimpfwortes „du Kalb" und weigerten sich, die Bilder zu bezahlen. Darüber wurde mein Prinzipal fuchswild, und ich hatte große Mühe, ihn zu beruhigen, weil ich fürchtete, daß die Polizei von unserm unerlaubten Geschäftsbetriebe Kenntnis erhalten könnte. Grenzboten IV 1905 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/99>, abgerufen am 15.01.2025.