Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.H. <L. Andersen der in einem Schwanenei gelegen hat, nichts ausmacht, daß er in einem Enten¬ Und so thronte er in seinen letzten Jahren als der "gute, alte Dichter," Es gingen Sagen von ihm, noch während er lebte, ganze Sagenkreise Als er da oben im Rathaussaal stand, sagte er, es sei dies das drittemal, H. <L. Andersen der in einem Schwanenei gelegen hat, nichts ausmacht, daß er in einem Enten¬ Und so thronte er in seinen letzten Jahren als der „gute, alte Dichter," Es gingen Sagen von ihm, noch während er lebte, ganze Sagenkreise Als er da oben im Rathaussaal stand, sagte er, es sei dies das drittemal, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296104"/> <fw type="header" place="top"> H. <L. Andersen</fw><lb/> <p xml:id="ID_479" prev="#ID_478"> der in einem Schwanenei gelegen hat, nichts ausmacht, daß er in einem Enten¬<lb/> hofe zur Welt gekommen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_480"> Und so thronte er in seinen letzten Jahren als der „gute, alte Dichter,"<lb/> als der geweihte Dichterpatriarch, dem alle Welt huldigte. Flog er „mit dem<lb/> Storch" in die fremden Lander, wurde er als Fürst empfangen, und saß er in<lb/> Dünemark in seiner Wohnung am Nyhcwn, so war sein Heim eine Wallfahrts¬<lb/> stätte; die Könige des Landes ehren ihn dort durch ihre Besuche, alles, was<lb/> in der Welt des Geistes einen Namen hatte, kam zu ihm, und junge, un¬<lb/> bekannte Münner pochten verlegen an seine Tür, so wie der arme Johannes<lb/> im „Reisekamerad" an die Tür des Königs pochte. Und der gute Märchcn-<lb/> könig, die unsichtbare, goldne Krone der Dichtung auf dem Haupt und das<lb/> Zepter der Poesie unterm Arm, öffnete selbst und führte den Fremden in die<lb/> traulichen Stuben, wo die Hyazinthen im Fenster blühten, und wo der wunder¬<lb/> bare Wandschirm, den jeder sehen mußte, einen Ehrenplatz einnahm; er war<lb/> sanft und natürlich, so ermunternd und geradezu, daß manch ein armer Johannes<lb/> die Erinnerung an seinen ersten Besuch bei dem Mürchentvnig wie ein Heilig¬<lb/> tum bewahrt, das er nicht missen möchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_481"> Es gingen Sagen von ihm, noch während er lebte, ganze Sagenkreise<lb/> dichtete das Ausland über ihn. Und doch übertraf die Wirklichkeit eigentlich<lb/> die Sagenbildung. Baggesen hatte ja prophezeit, daß aus dem Jungen, der<lb/> in der Sibonischen Gesellschaft auftrat, etwas werden würde, und das war ein¬<lb/> getroffen. Aber die alte Frau, die noch früher geweissagt hatte, daß die Stadt<lb/> Odense einstmals zu Ehren für Schusters Marie ihren Hans Christian illu¬<lb/> miniert werden würde, die sollte auch Recht haben: er wurde zum Ehrenbürger<lb/> seiner Stadt ernannt, und Odense wurde ihm zu Ehren illuminiert.</p><lb/> <p xml:id="ID_482" next="#ID_483"> Als er da oben im Rathaussaal stand, sagte er, es sei dies das drittemal,<lb/> daß er hier sei; zum erstenmal war er als Knabe hier oben, um ein Wachs¬<lb/> figurenkabinett zu sehen, das zweitemal hatte ein alter Stadtmusikant ihn mit¬<lb/> genommen, damit er vom Orchester aus die Bürgerschaft betrachten könne, die<lb/> an Königs Geburtstag tanzte, und das drittemal, das ist jetzt, wo er selbst der<lb/> Mittelpunkt der Feier ist. Auf ähnliche Weise äußerte sich der berühmte deutsche<lb/> General von Goeben über seine drei Besuche in Darmstadt: das erstemal, als<lb/> er da war, mußte er sich betteluderweise ein paar Groschen von einem Handwerks¬<lb/> burschen für das Nachtlager leihen, das zweitemal war er im Gefolge des<lb/> Prinzen von Preußen, und zum drittenmal kam er 1866 als Chef einer sieg¬<lb/> reichen Armee, die ihm Länder zu Füßen gelegt hatte, nach Darmstadt. Das<lb/> hatte H. C. Andersen auch erreicht; ihm lagen noch mehr Länder zu Füßen<lb/> als dein deutschen General. Und als er dann das Ehrenbürgerdiplom in<lb/> Empfang genommen hatte, sagte er in seiner Dankesrede, daß er an Aladdin<lb/> denken müsse, der, als er mit der Wunderlampe das herrliche Schloß errichtet<lb/> hatte, an das Fenster trat und sagte: „Da unten ging ich einst als armer<lb/> Junge." Der Vergleich mit Aladdin paßt insofern, als Gott auch ihm eine<lb/> solche Aladdinslampe, die Poesie, vergönnt hatte, aber eine Aladdinnatur ist<lb/> Andersen niemals gewesen. Es fielen keine Apfelsinen in seinen armseligen<lb/> Kinderturban, und er stand nicht wie der Dichter Aladdin „mit einem Sprung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
H. <L. Andersen
der in einem Schwanenei gelegen hat, nichts ausmacht, daß er in einem Enten¬
hofe zur Welt gekommen ist.
Und so thronte er in seinen letzten Jahren als der „gute, alte Dichter,"
als der geweihte Dichterpatriarch, dem alle Welt huldigte. Flog er „mit dem
Storch" in die fremden Lander, wurde er als Fürst empfangen, und saß er in
Dünemark in seiner Wohnung am Nyhcwn, so war sein Heim eine Wallfahrts¬
stätte; die Könige des Landes ehren ihn dort durch ihre Besuche, alles, was
in der Welt des Geistes einen Namen hatte, kam zu ihm, und junge, un¬
bekannte Münner pochten verlegen an seine Tür, so wie der arme Johannes
im „Reisekamerad" an die Tür des Königs pochte. Und der gute Märchcn-
könig, die unsichtbare, goldne Krone der Dichtung auf dem Haupt und das
Zepter der Poesie unterm Arm, öffnete selbst und führte den Fremden in die
traulichen Stuben, wo die Hyazinthen im Fenster blühten, und wo der wunder¬
bare Wandschirm, den jeder sehen mußte, einen Ehrenplatz einnahm; er war
sanft und natürlich, so ermunternd und geradezu, daß manch ein armer Johannes
die Erinnerung an seinen ersten Besuch bei dem Mürchentvnig wie ein Heilig¬
tum bewahrt, das er nicht missen möchte.
Es gingen Sagen von ihm, noch während er lebte, ganze Sagenkreise
dichtete das Ausland über ihn. Und doch übertraf die Wirklichkeit eigentlich
die Sagenbildung. Baggesen hatte ja prophezeit, daß aus dem Jungen, der
in der Sibonischen Gesellschaft auftrat, etwas werden würde, und das war ein¬
getroffen. Aber die alte Frau, die noch früher geweissagt hatte, daß die Stadt
Odense einstmals zu Ehren für Schusters Marie ihren Hans Christian illu¬
miniert werden würde, die sollte auch Recht haben: er wurde zum Ehrenbürger
seiner Stadt ernannt, und Odense wurde ihm zu Ehren illuminiert.
Als er da oben im Rathaussaal stand, sagte er, es sei dies das drittemal,
daß er hier sei; zum erstenmal war er als Knabe hier oben, um ein Wachs¬
figurenkabinett zu sehen, das zweitemal hatte ein alter Stadtmusikant ihn mit¬
genommen, damit er vom Orchester aus die Bürgerschaft betrachten könne, die
an Königs Geburtstag tanzte, und das drittemal, das ist jetzt, wo er selbst der
Mittelpunkt der Feier ist. Auf ähnliche Weise äußerte sich der berühmte deutsche
General von Goeben über seine drei Besuche in Darmstadt: das erstemal, als
er da war, mußte er sich betteluderweise ein paar Groschen von einem Handwerks¬
burschen für das Nachtlager leihen, das zweitemal war er im Gefolge des
Prinzen von Preußen, und zum drittenmal kam er 1866 als Chef einer sieg¬
reichen Armee, die ihm Länder zu Füßen gelegt hatte, nach Darmstadt. Das
hatte H. C. Andersen auch erreicht; ihm lagen noch mehr Länder zu Füßen
als dein deutschen General. Und als er dann das Ehrenbürgerdiplom in
Empfang genommen hatte, sagte er in seiner Dankesrede, daß er an Aladdin
denken müsse, der, als er mit der Wunderlampe das herrliche Schloß errichtet
hatte, an das Fenster trat und sagte: „Da unten ging ich einst als armer
Junge." Der Vergleich mit Aladdin paßt insofern, als Gott auch ihm eine
solche Aladdinslampe, die Poesie, vergönnt hatte, aber eine Aladdinnatur ist
Andersen niemals gewesen. Es fielen keine Apfelsinen in seinen armseligen
Kinderturban, und er stand nicht wie der Dichter Aladdin „mit einem Sprung
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