Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.<L. Andersen überhaupt gelesen wird, so ist er doch in Gefühl und Humor, in der Wahl Und die Geschichten: "Unterm Weiterbauen" und "Des Pförtners Sohn," Viele, viele Jahre war es H. C. Andersen gegönnt, als der berühmte Dichter Es heißt ja allgemein, daß wer sich selbst ein Vermögen erworben hat, <L. Andersen überhaupt gelesen wird, so ist er doch in Gefühl und Humor, in der Wahl Und die Geschichten: „Unterm Weiterbauen" und „Des Pförtners Sohn," Viele, viele Jahre war es H. C. Andersen gegönnt, als der berühmte Dichter Es heißt ja allgemein, daß wer sich selbst ein Vermögen erworben hat, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296103"/> <fw type="header" place="top"> <L. Andersen</fw><lb/> <p xml:id="ID_475" prev="#ID_474"> überhaupt gelesen wird, so ist er doch in Gefühl und Humor, in der Wahl<lb/> seiner Themata und der Szenerie, ja sogar in seiner Phantasie so dänisch wie<lb/> nur einer, und ihn vollständig genießen und verstehn, das können wohl nur<lb/> seine Landsleute. Wirken nicht auf uns alle schon allein die bekannten Titel<lb/> der Märchen wie eine festliche Musik! „Süumelinchen" und „Die Galoschen<lb/> des Glücks," „Die Schneekönigin" und „Das alte Haus," „Der fliegende<lb/> Koffer" und „Die Glocke" — die Glocke, deren Klang wohl die hellste Romantik<lb/> ist, die durch dänische Dichtung geklungen ist —, man säugt an, sich einige<lb/> einzelne aufzuzählen, und dann wirbeln da in einem Augenblick Hunderte in<lb/> unsern Gedanken auf!</p><lb/> <p xml:id="ID_476"> Und die Geschichten: „Unterm Weiterbauen" und „Des Pförtners Sohn,"<lb/> „Schön" und „Ib und die kleine Christine"! War Andersen in seinen großen<lb/> Erzählungen breit und oft formlos, so hat er hier bis zur Vollendung die<lb/> Kunst der Beschränkung und des Stils gelernt: in vielen von den „Geschichten"<lb/> ist ein ganzer Roman auf ein paar Seiten gegeben, man hört den Wind durch<lb/> „Waldemar Daa und seine Töchter" sausen, und niemand vergißt aus dem<lb/> „Bischof von Börglum und seine Sippe" einen Durakkord wie den: „Es ist<lb/> Laubfallszeit, Strandungszeit; jetzt kommt der eisige Winter."</p><lb/> <p xml:id="ID_477"> Viele, viele Jahre war es H. C. Andersen gegönnt, als der berühmte Dichter<lb/> zu leben, und wie nur wenige schwelgte er in seinem eignen Ruhm. Man hat<lb/> ihm das zum Vorwurf gemacht, hat jedenfalls darüber gelächelt. Hat man<lb/> aber eigentlich ein Recht dazu gehabt?</p><lb/> <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Es heißt ja allgemein, daß wer sich selbst ein Vermögen erworben hat,<lb/> fester daran hält als jemand, der auf leichtere Weise zu seinem Wohlstand ge¬<lb/> langt ist — ganz einfach, weil der, der sein Vermögen selber von Grund auf<lb/> hat aufbauen müssen, weiß, was es wert ist, weiß, was es gekostet hat. Andersen<lb/> wußte, was die Berühmtheit ihn gekostet hatte, er dachte daran, wie er sich<lb/> Schritt für Schritt auf dem „Dornenwege der Ehre" hatte vorwärts kämpfen<lb/> müssen; deshalb war er ängstlicher, als dies nötig war, um seinen Ruhm be¬<lb/> sorgt — deswegen hatte er aber auch mehr als andre die Berechtigung dazu.<lb/> Das Glück und der Ruhm machten ihn demütig und dankbar, aber er demütigte<lb/> sich nie vor Menschen, er wußte, was er selbst wert war, und verlangte, respektiert<lb/> zu werden. Jetzt begnügte er sich nicht mehr damit, auf der Odenser An zwischen<lb/> den Gärten „mit Guldbergs und des Bischofs Familien" im Boot zu fahren,<lb/> nein, auf dem Frederiksborger Schloßsee und zwischen den Bergen auf dem<lb/> Starnberger See fährt er, und er liest seine Dichtung Königen vor, aber kraft<lb/> der Gnadengabe des Genies sitzt er als ihr Ebenbürtiger da: er ist ja Dichter<lb/> „von Gottes Gnaden," wie sie Könige sind, er fühlt sich als Lehnsmann des<lb/> lieben Gottes im Reiche der Poesie. Und so wenig er es vergißt, von der<lb/> Stellung zu sprechen, die er jetzt erreicht hat, so wenig verheimlicht er seine<lb/> Vergangenheit: immer und immer wieder kommt er darauf zurück, erwähnt sie<lb/> voller Stolz und führt sie als sein Adelszeichen. Er schreibt von Prinzen und<lb/> Prinzessinnen, und er schildert die Großen dieser Welt mit Verständnis und<lb/> Sympathie, früh und spät aber beweist er durch seine Dichtung, daß es auf<lb/> den Adel des Geistes ankommt, beweist stolz und selbstbewußt, daß es für den,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
<L. Andersen
überhaupt gelesen wird, so ist er doch in Gefühl und Humor, in der Wahl
seiner Themata und der Szenerie, ja sogar in seiner Phantasie so dänisch wie
nur einer, und ihn vollständig genießen und verstehn, das können wohl nur
seine Landsleute. Wirken nicht auf uns alle schon allein die bekannten Titel
der Märchen wie eine festliche Musik! „Süumelinchen" und „Die Galoschen
des Glücks," „Die Schneekönigin" und „Das alte Haus," „Der fliegende
Koffer" und „Die Glocke" — die Glocke, deren Klang wohl die hellste Romantik
ist, die durch dänische Dichtung geklungen ist —, man säugt an, sich einige
einzelne aufzuzählen, und dann wirbeln da in einem Augenblick Hunderte in
unsern Gedanken auf!
Und die Geschichten: „Unterm Weiterbauen" und „Des Pförtners Sohn,"
„Schön" und „Ib und die kleine Christine"! War Andersen in seinen großen
Erzählungen breit und oft formlos, so hat er hier bis zur Vollendung die
Kunst der Beschränkung und des Stils gelernt: in vielen von den „Geschichten"
ist ein ganzer Roman auf ein paar Seiten gegeben, man hört den Wind durch
„Waldemar Daa und seine Töchter" sausen, und niemand vergißt aus dem
„Bischof von Börglum und seine Sippe" einen Durakkord wie den: „Es ist
Laubfallszeit, Strandungszeit; jetzt kommt der eisige Winter."
Viele, viele Jahre war es H. C. Andersen gegönnt, als der berühmte Dichter
zu leben, und wie nur wenige schwelgte er in seinem eignen Ruhm. Man hat
ihm das zum Vorwurf gemacht, hat jedenfalls darüber gelächelt. Hat man
aber eigentlich ein Recht dazu gehabt?
Es heißt ja allgemein, daß wer sich selbst ein Vermögen erworben hat,
fester daran hält als jemand, der auf leichtere Weise zu seinem Wohlstand ge¬
langt ist — ganz einfach, weil der, der sein Vermögen selber von Grund auf
hat aufbauen müssen, weiß, was es wert ist, weiß, was es gekostet hat. Andersen
wußte, was die Berühmtheit ihn gekostet hatte, er dachte daran, wie er sich
Schritt für Schritt auf dem „Dornenwege der Ehre" hatte vorwärts kämpfen
müssen; deshalb war er ängstlicher, als dies nötig war, um seinen Ruhm be¬
sorgt — deswegen hatte er aber auch mehr als andre die Berechtigung dazu.
Das Glück und der Ruhm machten ihn demütig und dankbar, aber er demütigte
sich nie vor Menschen, er wußte, was er selbst wert war, und verlangte, respektiert
zu werden. Jetzt begnügte er sich nicht mehr damit, auf der Odenser An zwischen
den Gärten „mit Guldbergs und des Bischofs Familien" im Boot zu fahren,
nein, auf dem Frederiksborger Schloßsee und zwischen den Bergen auf dem
Starnberger See fährt er, und er liest seine Dichtung Königen vor, aber kraft
der Gnadengabe des Genies sitzt er als ihr Ebenbürtiger da: er ist ja Dichter
„von Gottes Gnaden," wie sie Könige sind, er fühlt sich als Lehnsmann des
lieben Gottes im Reiche der Poesie. Und so wenig er es vergißt, von der
Stellung zu sprechen, die er jetzt erreicht hat, so wenig verheimlicht er seine
Vergangenheit: immer und immer wieder kommt er darauf zurück, erwähnt sie
voller Stolz und führt sie als sein Adelszeichen. Er schreibt von Prinzen und
Prinzessinnen, und er schildert die Großen dieser Welt mit Verständnis und
Sympathie, früh und spät aber beweist er durch seine Dichtung, daß es auf
den Adel des Geistes ankommt, beweist stolz und selbstbewußt, daß es für den,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |