Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.H. <L. Andersen Die Vögel sind nun freilich seine Lieblingstiere, nicht zum mindesten der In- und auswendig kennt er Hund und Katze, die Stubenkatze und die - Von Ole Luköie heißt es, "daß er mit seiner Zauberspritze alle Möbel in Wie abwechselnd und bunt ist der Schatz, den Andersen in den Märchen Grenzboten IV 1905 12
H. <L. Andersen Die Vögel sind nun freilich seine Lieblingstiere, nicht zum mindesten der In- und auswendig kennt er Hund und Katze, die Stubenkatze und die - Von Ole Luköie heißt es, „daß er mit seiner Zauberspritze alle Möbel in Wie abwechselnd und bunt ist der Schatz, den Andersen in den Märchen Grenzboten IV 1905 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296102"/> <fw type="header" place="top"> H. <L. Andersen</fw><lb/> <p xml:id="ID_471"> Die Vögel sind nun freilich seine Lieblingstiere, nicht zum mindesten der<lb/> Storch — sein bestündiger Wechsel zwischen dem Norden und dem Süden er¬<lb/> innert ihn an seine eignen ständigen „Fliegegelüste." Den Storch benutzt er als<lb/> Räsoneur in „Schlammkönigs Tochter," die Spatzen in den „Nachbarsamilien"<lb/> und die Eulen in „Es ist ganz gewiß"; sie bilden „den Chor" — man wird<lb/> förmlich an den alten Aristophanes erinnert! Aber seine Fauna erstreckt sich<lb/> weit über die Ornithologie hinaus, „weit hinüber, jenseits des Gartens, bis in<lb/> das Feld des Pfarrers" und noch viel weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_472"> In- und auswendig kennt er Hund und Katze, die Stubenkatze und die<lb/> Kllchenkatze sind die Räsonenre in der „Eisjungfrau"; er benutzt Maulwurf<lb/> und Feldmaus, Kröte und Schnecke — wer vergäße wohl jemals die „alten<lb/> Schnecken" in der „Glücklichen Familie"!</p><lb/> <p xml:id="ID_473"> - Von Ole Luköie heißt es, „daß er mit seiner Zauberspritze alle Möbel in<lb/> der Stube berührte, und sogleich begannen sie zu reden." Entweder hat Andersen<lb/> selbst die Zauberspritze gehabt, oder er hat es ebenso gemacht wie der Kobold<lb/> beim Speckhöker, der des Nachts, wenn alle im Bett lagen, „hinging und das<lb/> Mundwerk der Madame nahm, das sie ja nicht brauchte, wenn sie schlief, und<lb/> wo auch in der Stube er es an einen beliebigen Gegenstand ansetzte, bekam<lb/> dieser Stimme und Sprache und konnte seine Gedanken und Gefühle aus-<lb/> sprechen." Denn was Andersen auch berührt, den Kreisel oder den Ball, die<lb/> Halskragen oder den Schneemann, so sprechen sie gerade die „Gedanken und<lb/> Gefühle" aus, von denen wir akkurat finden, daß sie sie haben müssen, und<lb/> handeln in Übereinstimmung mit ihnen. Man denke nur an den „standhaften<lb/> Zinnsoldaten." Er ist durch und durch der mutige Soldat, sowohl wo er unter<lb/> dem Rinnsteinbrett durchsegelt, wo die Wasserratte hinter ihm drein ist, wie<lb/> auch als er in den Kanal hinausstürzt,- ja sogar wie er schmilzt, steht er<lb/> noch standhaft mit dem Gewehr im Arm da. Hier kommt das echt Märchen¬<lb/> hafte und der trockne Humor so schlagend dadurch zum Ausdruck, daß der Er-<lb/> wachsne und das Kind die ganze Zeit über wissen, daß der Zinnsoldat aus<lb/> guten Gründen gezwungen ist, „standhaft" zu sein und das Gewehr im Arm<lb/> zu behalten; trotzdem bewundert man aber den Zinnsoldatcnmut und versteht<lb/> nur zu gut, daß Helgeseu, der Held vou Frcderikstad, dieses militärische Märchen<lb/> höher stellt als jedes andre. Oder man denke an die Hirtin und den Schornstein¬<lb/> feger! Sollen Porzcllcmfiguren — zarte, kokette Figuren aus Meißner Porzellan<lb/> aus der guten alten Nokokozeit —, sollen die reden, so müssen sie so reden,<lb/> wie sie es hier tun; die Hirtin ist verliebt aber vorsichtig, denn sie ist sich ihrer<lb/> „Zerbrechlichkeit" bewußt, und der alte Chinese, der schließlich herunterfällt und<lb/> in Stücke zerbricht, sodaß er fortan ein Niet im Rücken haben muß, der muß<lb/> räsonieren, wie er es tut, es kann gar nicht anders sein. Es sind keine Menschen,<lb/> die in Porzellanfiguren umgeformt sind, nein es sind Porzellanfiguren, die<lb/> lebendig geworden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_474" next="#ID_475"> Wie abwechselnd und bunt ist der Schatz, den Andersen in den Märchen<lb/> uns Dänen und der übrigen Welt geschenkt hat — uns freilich vor allein!<lb/> Denn auch wenn seine Dichtung über die ganze Welt geflogen, selbst wenn er<lb/> der einzige von Dänemarks Dichtern ist, den man in allen Ländern kennt, wo</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1905 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
H. <L. Andersen
Die Vögel sind nun freilich seine Lieblingstiere, nicht zum mindesten der
Storch — sein bestündiger Wechsel zwischen dem Norden und dem Süden er¬
innert ihn an seine eignen ständigen „Fliegegelüste." Den Storch benutzt er als
Räsoneur in „Schlammkönigs Tochter," die Spatzen in den „Nachbarsamilien"
und die Eulen in „Es ist ganz gewiß"; sie bilden „den Chor" — man wird
förmlich an den alten Aristophanes erinnert! Aber seine Fauna erstreckt sich
weit über die Ornithologie hinaus, „weit hinüber, jenseits des Gartens, bis in
das Feld des Pfarrers" und noch viel weiter.
In- und auswendig kennt er Hund und Katze, die Stubenkatze und die
Kllchenkatze sind die Räsonenre in der „Eisjungfrau"; er benutzt Maulwurf
und Feldmaus, Kröte und Schnecke — wer vergäße wohl jemals die „alten
Schnecken" in der „Glücklichen Familie"!
- Von Ole Luköie heißt es, „daß er mit seiner Zauberspritze alle Möbel in
der Stube berührte, und sogleich begannen sie zu reden." Entweder hat Andersen
selbst die Zauberspritze gehabt, oder er hat es ebenso gemacht wie der Kobold
beim Speckhöker, der des Nachts, wenn alle im Bett lagen, „hinging und das
Mundwerk der Madame nahm, das sie ja nicht brauchte, wenn sie schlief, und
wo auch in der Stube er es an einen beliebigen Gegenstand ansetzte, bekam
dieser Stimme und Sprache und konnte seine Gedanken und Gefühle aus-
sprechen." Denn was Andersen auch berührt, den Kreisel oder den Ball, die
Halskragen oder den Schneemann, so sprechen sie gerade die „Gedanken und
Gefühle" aus, von denen wir akkurat finden, daß sie sie haben müssen, und
handeln in Übereinstimmung mit ihnen. Man denke nur an den „standhaften
Zinnsoldaten." Er ist durch und durch der mutige Soldat, sowohl wo er unter
dem Rinnsteinbrett durchsegelt, wo die Wasserratte hinter ihm drein ist, wie
auch als er in den Kanal hinausstürzt,- ja sogar wie er schmilzt, steht er
noch standhaft mit dem Gewehr im Arm da. Hier kommt das echt Märchen¬
hafte und der trockne Humor so schlagend dadurch zum Ausdruck, daß der Er-
wachsne und das Kind die ganze Zeit über wissen, daß der Zinnsoldat aus
guten Gründen gezwungen ist, „standhaft" zu sein und das Gewehr im Arm
zu behalten; trotzdem bewundert man aber den Zinnsoldatcnmut und versteht
nur zu gut, daß Helgeseu, der Held vou Frcderikstad, dieses militärische Märchen
höher stellt als jedes andre. Oder man denke an die Hirtin und den Schornstein¬
feger! Sollen Porzcllcmfiguren — zarte, kokette Figuren aus Meißner Porzellan
aus der guten alten Nokokozeit —, sollen die reden, so müssen sie so reden,
wie sie es hier tun; die Hirtin ist verliebt aber vorsichtig, denn sie ist sich ihrer
„Zerbrechlichkeit" bewußt, und der alte Chinese, der schließlich herunterfällt und
in Stücke zerbricht, sodaß er fortan ein Niet im Rücken haben muß, der muß
räsonieren, wie er es tut, es kann gar nicht anders sein. Es sind keine Menschen,
die in Porzellanfiguren umgeformt sind, nein es sind Porzellanfiguren, die
lebendig geworden sind.
Wie abwechselnd und bunt ist der Schatz, den Andersen in den Märchen
uns Dänen und der übrigen Welt geschenkt hat — uns freilich vor allein!
Denn auch wenn seine Dichtung über die ganze Welt geflogen, selbst wenn er
der einzige von Dänemarks Dichtern ist, den man in allen Ländern kennt, wo
Grenzboten IV 1905 12
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