Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die richterliche Unabhängigkeit keit. Sind sie selber nun auch zu Hütern des Grals bestellt? oder sollen Es wirft sich nun allerdings die Frage auf, durch welche Mittel man für Der Richter soll, nach Jhering, gewissermaßen nichts sein als das lebendig Die richterliche Unabhängigkeit keit. Sind sie selber nun auch zu Hütern des Grals bestellt? oder sollen Es wirft sich nun allerdings die Frage auf, durch welche Mittel man für Der Richter soll, nach Jhering, gewissermaßen nichts sein als das lebendig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296090"/> <fw type="header" place="top"> Die richterliche Unabhängigkeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_431" prev="#ID_430"> keit. Sind sie selber nun auch zu Hütern des Grals bestellt? oder sollen<lb/> sie den Schutz des Prinzips andern überlassen? Es ist im einzelnen Falle<lb/> für den Richter gewiß nicht leicht, sich zu entscheiden, ob er eine dienstliche An¬<lb/> weisung der Justizverwaltung befolgen soll oder nicht. Gewiß werden meist<lb/> Bequemlichkeit, Konsliktscheu oder Strebertum ihn zu bestimmen suchen, unter<lb/> Hintansetzung doktrinärer Bedenken das zu tun, was man von ihm wünscht.<lb/> Und doch ist die Zahl derer bei uns nicht gering, die in solchen heikeln Lagen<lb/> Charakter und Gesetzestreue zeigen, weil sie in ihrer Unabhängigkeit ein Gut<lb/> der Gesamtheit sehen, über das zu disponieren ihnen nicht freisteht. Solche<lb/> Taten bleiben freilich im Verborgnen, vom Dienstgeheimnis verhüllt, und müssen<lb/> ihren Lohn in sich selber finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_432"> Es wirft sich nun allerdings die Frage auf, durch welche Mittel man für<lb/> die etwa wegfallende Dienstaufsicht Ersatz schaffen könnte, wobei die Gefahr<lb/> vorliegt, sich in utopische Nefvrmvorschlüge zu verlieren. Vorerst wäre für eine<lb/> genauere Sichtung der für das Richteramt geeigneten Personen zu sorgen, vor<lb/> allem durch kollegiale Wahl der Berufsgenossen, die sich ja im deutschen Offizier¬<lb/> korps so vorzüglich bewährt hat. Hiermit würde auch der leidige Grundsatz<lb/> fallen, daß ein jeder, der durch Bestehen der Assessorenprüfung seine wissen¬<lb/> schaftliche Reife bewiesen hat, ohne weiteres Anspruch auf ein Amt hat. Keine<lb/> andre Laufbahn steht jedem geprüften Anwärter offen. Mit unserm Prinzip,<lb/> das man hier anruft, hat die Frage gar nichts zu schaffen. Kein vernünftiges<lb/> Interesse der Gesamtheit erheischt, daß möglichst jeder Anwärter Richter werde,<lb/> sondern nur, daß der einmal ernannte möglichst unbeeinflußt der Gerechtigkeit<lb/> dienen könne. Wo der eigentliche Erisapfel in dieser Streitfrage zu suchen ist,<lb/> braucht hier nicht dargelegt zu werden. Strengere Auswahl verträgt sich uicht<lb/> mit Masfeubedarf. Darum müßte dnrch gesetzliche Maßnahmen dafür gesorgt<lb/> werden, daß die Justiz mit weniger Richtern auskäme; wir brauchen ihrer zu<lb/> viele, weil wir ihnen Geschäfte übertragen, die gerade so gut durch andre Beamte,<lb/> auch subalterne, verrichtet werden können. Dazu rechne ich weite Gebiete der<lb/> freiwilligen Gerichtsbarkeit; besonders die Vormundschaften könnten Gemeinde¬<lb/> behörden übertragen werden, ebenso die Führung der Grundbücher. Entlaste<lb/> man hiervon sowie von vielem überflüssigem Schreibwerk die Richter und gebe<lb/> sie ihrem eigensten Gebiet, der streitigen Gerichtsbarkeit, zurück. Das Gemein¬<lb/> wohl wird dabei nur gewinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_433"> Der Richter soll, nach Jhering, gewissermaßen nichts sein als das lebendig<lb/> gewordne, in seiner Person der Sprache teilhaftig gewordne Gesetz. Dies kann<lb/> er nur sein bei möglichster Unabhängigkeit, und jedes Mittel, das dazu förder¬<lb/> lich sein kann, ist der Beachtung wert.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
Die richterliche Unabhängigkeit
keit. Sind sie selber nun auch zu Hütern des Grals bestellt? oder sollen
sie den Schutz des Prinzips andern überlassen? Es ist im einzelnen Falle
für den Richter gewiß nicht leicht, sich zu entscheiden, ob er eine dienstliche An¬
weisung der Justizverwaltung befolgen soll oder nicht. Gewiß werden meist
Bequemlichkeit, Konsliktscheu oder Strebertum ihn zu bestimmen suchen, unter
Hintansetzung doktrinärer Bedenken das zu tun, was man von ihm wünscht.
Und doch ist die Zahl derer bei uns nicht gering, die in solchen heikeln Lagen
Charakter und Gesetzestreue zeigen, weil sie in ihrer Unabhängigkeit ein Gut
der Gesamtheit sehen, über das zu disponieren ihnen nicht freisteht. Solche
Taten bleiben freilich im Verborgnen, vom Dienstgeheimnis verhüllt, und müssen
ihren Lohn in sich selber finden.
Es wirft sich nun allerdings die Frage auf, durch welche Mittel man für
die etwa wegfallende Dienstaufsicht Ersatz schaffen könnte, wobei die Gefahr
vorliegt, sich in utopische Nefvrmvorschlüge zu verlieren. Vorerst wäre für eine
genauere Sichtung der für das Richteramt geeigneten Personen zu sorgen, vor
allem durch kollegiale Wahl der Berufsgenossen, die sich ja im deutschen Offizier¬
korps so vorzüglich bewährt hat. Hiermit würde auch der leidige Grundsatz
fallen, daß ein jeder, der durch Bestehen der Assessorenprüfung seine wissen¬
schaftliche Reife bewiesen hat, ohne weiteres Anspruch auf ein Amt hat. Keine
andre Laufbahn steht jedem geprüften Anwärter offen. Mit unserm Prinzip,
das man hier anruft, hat die Frage gar nichts zu schaffen. Kein vernünftiges
Interesse der Gesamtheit erheischt, daß möglichst jeder Anwärter Richter werde,
sondern nur, daß der einmal ernannte möglichst unbeeinflußt der Gerechtigkeit
dienen könne. Wo der eigentliche Erisapfel in dieser Streitfrage zu suchen ist,
braucht hier nicht dargelegt zu werden. Strengere Auswahl verträgt sich uicht
mit Masfeubedarf. Darum müßte dnrch gesetzliche Maßnahmen dafür gesorgt
werden, daß die Justiz mit weniger Richtern auskäme; wir brauchen ihrer zu
viele, weil wir ihnen Geschäfte übertragen, die gerade so gut durch andre Beamte,
auch subalterne, verrichtet werden können. Dazu rechne ich weite Gebiete der
freiwilligen Gerichtsbarkeit; besonders die Vormundschaften könnten Gemeinde¬
behörden übertragen werden, ebenso die Führung der Grundbücher. Entlaste
man hiervon sowie von vielem überflüssigem Schreibwerk die Richter und gebe
sie ihrem eigensten Gebiet, der streitigen Gerichtsbarkeit, zurück. Das Gemein¬
wohl wird dabei nur gewinnen.
Der Richter soll, nach Jhering, gewissermaßen nichts sein als das lebendig
gewordne, in seiner Person der Sprache teilhaftig gewordne Gesetz. Dies kann
er nur sein bei möglichster Unabhängigkeit, und jedes Mittel, das dazu förder¬
lich sein kann, ist der Beachtung wert.
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