Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die richterliche Unabhängigkeit Die angeblichen Errungenschaften Bayerns bezeichnete Frehdorf als un¬ Eine so deutliche Sprache hatte schon lauge kein französischer Gesandter Die richterliche Unabhängigkeit le Unabhängigkeit der richterlichen Tätigkeit ist eine Forderung Die richterliche Unabhängigkeit Die angeblichen Errungenschaften Bayerns bezeichnete Frehdorf als un¬ Eine so deutliche Sprache hatte schon lauge kein französischer Gesandter Die richterliche Unabhängigkeit le Unabhängigkeit der richterlichen Tätigkeit ist eine Forderung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296088"/> <fw type="header" place="top"> Die richterliche Unabhängigkeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_425"> Die angeblichen Errungenschaften Bayerns bezeichnete Frehdorf als un¬<lb/> bedeutend und als vertragsmäßige Feststellung von Sätzen, über die man all¬<lb/> seitig schon zuvor einverstanden gewesen sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_426"> Eine so deutliche Sprache hatte schon lauge kein französischer Gesandter<lb/> in Süddeutschland gehört.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Die richterliche Unabhängigkeit</head><lb/> <p xml:id="ID_427" next="#ID_428"> le Unabhängigkeit der richterlichen Tätigkeit ist eine Forderung<lb/> und Errungenschaft der Neuzeit. Sie kann erst da in Frage<lb/> kommen, wo die Rechtspflege von staatlichen als Beamte ange¬<lb/> stellten und besoldeten (Berufs-) Richtern ausgeübt wird. Der<lb/> ätherische oder der römische Bürger, der als Heliast, .suclsx,<lb/> rvonvMÄtor oder lirbitör Prozesse zu entscheiden hatte, der Gaugenvsse oder<lb/> Schöffe des Mittelalters, der als freier Mann das Recht fand, war als Richter<lb/> gerade so frei und unbeeinflußt, wie er es als Mensch und Bürger war; ihm<lb/> seine Unabhängigkeit verfassungsmäßig zu gewährleisten, hatte so wenig Zweck<lb/> wie beim heutigen Schöffen oder Geschwornen. Erst nach dem Aufkommen<lb/> des amtlichen, gelehrten Richtertums konnte die Forderung der Unabhängigkeit<lb/> gestellt werden. Freiwillig ist sie durch die Herrscher niemals gewährt worden.<lb/> Noch der große König Friedrich der Zweite sprang mit seinem Kammergericht<lb/> übel um, als er auf Grund des Berichts eines von ihm beauftragten Offiziers<lb/> zu der, allerdings irrigen, Ansicht gelangt war, sein höchster Gerichtshof habe<lb/> das Recht gebeugt. Die Unabhängigkeit der Richter hat den Fürsten wie andre<lb/> Politische Zugeständnisse in den Kämpfen und den Staatsumwälzungen der neusten<lb/> Zeit abgerungen werden müssen. Wie die Preßfreiheit, die Gleichheit vor dem<lb/> Gesetz und andre grundlegende Prinzipien ist die Unabhängigkeit der Richter<lb/> eine immer wiederkehrende Programmnummer der Verfassungsmacher. Auf der<lb/> einen Seite mußte man nachgeben und gab man das Verlangte widerwillig;<lb/> auf der andern Seite nahm man, aber ohne Befriedigung und rechtes Vertrauen;<lb/> darum der nebenher ertönende Ruf nach Geschwornen. Mit diesem Mißtrauen<lb/> hatte man Recht; keine Regierung wird willig darauf eingehn, die von ihr ange¬<lb/> stellten und besoldeten Justizbeamten frei und ohne Aufsicht schalten zu lassen,<lb/> anstatt sie wie alle andern Beamten scharf im Zaum zu halten. Daher kamen<lb/> die immer wieder aufgenommnen Versuche, in das Prinzip Bresche zu legen.<lb/> Will das Reichsgesetz (Paragraph 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes) die Richter<lb/> in völliger Unabhängigkeit ihres Amts walten sehen, so wissen die Landesgesetze<lb/> Hintertürchen zu öffnen, die der Justizverwaltung doch wieder den Zugang zu<lb/> dem verbotnen Raum der Gerichtssäle zu eröffnen ermöglichen; so neulich in<lb/> Preußen, wo der Justizminister die Vorwürfe, die von liberaler Seite wegen<lb/> Rüffelung des Kammergerichts gegen ihn erhoben worden waren, durch Berufung<lb/> auf ein preußisches Ausführungsgesetz zu parieren suchte. Dieses anmutige Spiel</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
Die richterliche Unabhängigkeit
Die angeblichen Errungenschaften Bayerns bezeichnete Frehdorf als un¬
bedeutend und als vertragsmäßige Feststellung von Sätzen, über die man all¬
seitig schon zuvor einverstanden gewesen sei.
Eine so deutliche Sprache hatte schon lauge kein französischer Gesandter
in Süddeutschland gehört.
Die richterliche Unabhängigkeit
le Unabhängigkeit der richterlichen Tätigkeit ist eine Forderung
und Errungenschaft der Neuzeit. Sie kann erst da in Frage
kommen, wo die Rechtspflege von staatlichen als Beamte ange¬
stellten und besoldeten (Berufs-) Richtern ausgeübt wird. Der
ätherische oder der römische Bürger, der als Heliast, .suclsx,
rvonvMÄtor oder lirbitör Prozesse zu entscheiden hatte, der Gaugenvsse oder
Schöffe des Mittelalters, der als freier Mann das Recht fand, war als Richter
gerade so frei und unbeeinflußt, wie er es als Mensch und Bürger war; ihm
seine Unabhängigkeit verfassungsmäßig zu gewährleisten, hatte so wenig Zweck
wie beim heutigen Schöffen oder Geschwornen. Erst nach dem Aufkommen
des amtlichen, gelehrten Richtertums konnte die Forderung der Unabhängigkeit
gestellt werden. Freiwillig ist sie durch die Herrscher niemals gewährt worden.
Noch der große König Friedrich der Zweite sprang mit seinem Kammergericht
übel um, als er auf Grund des Berichts eines von ihm beauftragten Offiziers
zu der, allerdings irrigen, Ansicht gelangt war, sein höchster Gerichtshof habe
das Recht gebeugt. Die Unabhängigkeit der Richter hat den Fürsten wie andre
Politische Zugeständnisse in den Kämpfen und den Staatsumwälzungen der neusten
Zeit abgerungen werden müssen. Wie die Preßfreiheit, die Gleichheit vor dem
Gesetz und andre grundlegende Prinzipien ist die Unabhängigkeit der Richter
eine immer wiederkehrende Programmnummer der Verfassungsmacher. Auf der
einen Seite mußte man nachgeben und gab man das Verlangte widerwillig;
auf der andern Seite nahm man, aber ohne Befriedigung und rechtes Vertrauen;
darum der nebenher ertönende Ruf nach Geschwornen. Mit diesem Mißtrauen
hatte man Recht; keine Regierung wird willig darauf eingehn, die von ihr ange¬
stellten und besoldeten Justizbeamten frei und ohne Aufsicht schalten zu lassen,
anstatt sie wie alle andern Beamten scharf im Zaum zu halten. Daher kamen
die immer wieder aufgenommnen Versuche, in das Prinzip Bresche zu legen.
Will das Reichsgesetz (Paragraph 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes) die Richter
in völliger Unabhängigkeit ihres Amts walten sehen, so wissen die Landesgesetze
Hintertürchen zu öffnen, die der Justizverwaltung doch wieder den Zugang zu
dem verbotnen Raum der Gerichtssäle zu eröffnen ermöglichen; so neulich in
Preußen, wo der Justizminister die Vorwürfe, die von liberaler Seite wegen
Rüffelung des Kammergerichts gegen ihn erhoben worden waren, durch Berufung
auf ein preußisches Ausführungsgesetz zu parieren suchte. Dieses anmutige Spiel
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