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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Eltern, sondern auch für die Großeltern, ja sogar für die Wiege und den Brei,
mit dem sie gefüttert werden, die sogenannte Pappe. Der Lippenlaut pflegt nämlich
bald schwächer, bald stärker artikuliert zu werden, sodaß bald ein B, bald ein P
herauskommt, ohne daß damit im Prinzip etwas geändert würde. Pappus war
der Großvater bei den alten Römern und bei den alten Griechen, Baba ist die
slawische Großmutter, die Alte, die im russischen Volksaberglauben eine besondre
Rolle spielt, und schon Nausikaa redet ihren Vater, den König der Phäaken, mit
lieber Pappel an. /7a?c?-.et ep^e, sagt sie in der Odyssee, könntest du mir nicht
einen Wagen geben? (VI, 57). Auch die Russen nennen den Vater Papa und
das Väterchen: Bätjuschka, während wir mit undeutscher, französischer Betonung
Papa sagen. Bei den Arabern und bet den Türken heißt er Baba, bei den
Italienern heißt er it Laddo. Niemand wird diese Papanamen voneinander
trennen, niemand wird mich die eigentlichen, offiziellen Vnternamen, eben das
Wort Vater oder Pater anders erklären wollen; der Vater ist kein Beschützer,
er ist auch kein Ernährer, er ist auch nicht der Herr, solche Titel passen schlecht
zu dem Verstand der Kinder; er ist nichts weiter als das personifizierte Pa, wie
noch der Amerikaner sagt, indem er, die wesentliche Silbe allein behaltend, an
seinen Vater schreibt: Liebster Pa!

Er schreibt wohl auch: Liebster Pa und Mal denn für die Mutter gilt eine
andre Artikulation, obwohl auch hier das B nicht fremd ist, wie nicht bloß die
Russen mit ihrer Baba, sondern auch die Schwarzen in Ostafrika beweisen, die
ihr Mütterchen Bibi nennen. Die Mutter charakterisiert das M, weil das Kind
M M macht, wenn es trinken will; beim M werden die Lippen wie beim B
und beim P geschlossen, aber nicht geöffnet, sondern zusammengepreßt, und dies ist
die Mundstellung, die das Kind beim Saugen unwillkürlich einnimmt. Es muß
die Lippen fest anlegen, um die Mimi in den Mund zu bekommen, darum erhält
die Mutterbrust den Namen Mamma und die Mutter selbst den Namen Mama
oder Mater. Wenn die italienischen Kinder das Getränk it Nonuno nennen
und in Frankreich die Kinder selbst Mönch heißen, so beruht das nur auf einer
andern Anwendung des Naturlauts, der alle Ammen- und Mutternamen der
Welt, bis auf die homerische in wunderbarer Übereinstimmung hervor-
getrieben hat. An eine Wurzel MA, ausmessen, austeilen, zu denken und die
Mutter zu einer Wirtschafterin, einer Zuteilerin des Unterhalts an Gesinde und
Vieh zu stempeln, zeugt von einer absoluten Unbekanntschaft mit den Vorgängen
der Natur und ist ebenso absurd wie vorhin die Etymologie von Vater. Heißt
dieser nicht gelegentlich auch Tala, Talla, Tetta, Atta, Atti und Tateleben?
War nicht der Hunnenkönig Attila so gut wie der russische Kaiser ein Väterchen?
Attilci, hochdeutsch Etzel, ist das Diminutivum Von Atta, das wie Pappa schon im
Homer vorkommt und zum Beispiel von Telemach als Anrede des Sanhirten ge¬
braucht wird (Odyssee XVI. 31). Das sind ähnliche Lallwörter mit dentaler
Artikulation, wobei wiederum, wie vorhin B mit P, so T mit D abwechselt.
Denn die Kinder machen auch Data. Wenn sie etwas Schönes sehen, so heißt
es Data oder Dodo; wenn sie etwas haben wollen, so verlangen sie das Data,
und wenn sie Klapse bekommen, so bekommen sie das Data. Und auch hier sind
wieder aus den kindlichen Lauten Worte hervorgegangen: der Hund ist der Data,
das Steckenpferd ist der Data, und das wirkliche Pferd ist der Data, daher die
Kinder in Frankreich für reiten sagen allor Z, as.äa. Uhland schreibt diese Silbe den
Gänsen zu:

aber die kleinen Kinder überdadern die Gänse noch, und ihr Gedader hallt in der
Weltgeschichte wieder, wenn sie von Attila und Atta Troll erzählt. Das ist auch
ein Beitrag zu der Schöpfung der Sprache, über die Herr Wilhelm Meyer-Rinteln


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Eltern, sondern auch für die Großeltern, ja sogar für die Wiege und den Brei,
mit dem sie gefüttert werden, die sogenannte Pappe. Der Lippenlaut pflegt nämlich
bald schwächer, bald stärker artikuliert zu werden, sodaß bald ein B, bald ein P
herauskommt, ohne daß damit im Prinzip etwas geändert würde. Pappus war
der Großvater bei den alten Römern und bei den alten Griechen, Baba ist die
slawische Großmutter, die Alte, die im russischen Volksaberglauben eine besondre
Rolle spielt, und schon Nausikaa redet ihren Vater, den König der Phäaken, mit
lieber Pappel an. /7a?c?-.et ep^e, sagt sie in der Odyssee, könntest du mir nicht
einen Wagen geben? (VI, 57). Auch die Russen nennen den Vater Papa und
das Väterchen: Bätjuschka, während wir mit undeutscher, französischer Betonung
Papa sagen. Bei den Arabern und bet den Türken heißt er Baba, bei den
Italienern heißt er it Laddo. Niemand wird diese Papanamen voneinander
trennen, niemand wird mich die eigentlichen, offiziellen Vnternamen, eben das
Wort Vater oder Pater anders erklären wollen; der Vater ist kein Beschützer,
er ist auch kein Ernährer, er ist auch nicht der Herr, solche Titel passen schlecht
zu dem Verstand der Kinder; er ist nichts weiter als das personifizierte Pa, wie
noch der Amerikaner sagt, indem er, die wesentliche Silbe allein behaltend, an
seinen Vater schreibt: Liebster Pa!

Er schreibt wohl auch: Liebster Pa und Mal denn für die Mutter gilt eine
andre Artikulation, obwohl auch hier das B nicht fremd ist, wie nicht bloß die
Russen mit ihrer Baba, sondern auch die Schwarzen in Ostafrika beweisen, die
ihr Mütterchen Bibi nennen. Die Mutter charakterisiert das M, weil das Kind
M M macht, wenn es trinken will; beim M werden die Lippen wie beim B
und beim P geschlossen, aber nicht geöffnet, sondern zusammengepreßt, und dies ist
die Mundstellung, die das Kind beim Saugen unwillkürlich einnimmt. Es muß
die Lippen fest anlegen, um die Mimi in den Mund zu bekommen, darum erhält
die Mutterbrust den Namen Mamma und die Mutter selbst den Namen Mama
oder Mater. Wenn die italienischen Kinder das Getränk it Nonuno nennen
und in Frankreich die Kinder selbst Mönch heißen, so beruht das nur auf einer
andern Anwendung des Naturlauts, der alle Ammen- und Mutternamen der
Welt, bis auf die homerische in wunderbarer Übereinstimmung hervor-
getrieben hat. An eine Wurzel MA, ausmessen, austeilen, zu denken und die
Mutter zu einer Wirtschafterin, einer Zuteilerin des Unterhalts an Gesinde und
Vieh zu stempeln, zeugt von einer absoluten Unbekanntschaft mit den Vorgängen
der Natur und ist ebenso absurd wie vorhin die Etymologie von Vater. Heißt
dieser nicht gelegentlich auch Tala, Talla, Tetta, Atta, Atti und Tateleben?
War nicht der Hunnenkönig Attila so gut wie der russische Kaiser ein Väterchen?
Attilci, hochdeutsch Etzel, ist das Diminutivum Von Atta, das wie Pappa schon im
Homer vorkommt und zum Beispiel von Telemach als Anrede des Sanhirten ge¬
braucht wird (Odyssee XVI. 31). Das sind ähnliche Lallwörter mit dentaler
Artikulation, wobei wiederum, wie vorhin B mit P, so T mit D abwechselt.
Denn die Kinder machen auch Data. Wenn sie etwas Schönes sehen, so heißt
es Data oder Dodo; wenn sie etwas haben wollen, so verlangen sie das Data,
und wenn sie Klapse bekommen, so bekommen sie das Data. Und auch hier sind
wieder aus den kindlichen Lauten Worte hervorgegangen: der Hund ist der Data,
das Steckenpferd ist der Data, und das wirkliche Pferd ist der Data, daher die
Kinder in Frankreich für reiten sagen allor Z, as.äa. Uhland schreibt diese Silbe den
Gänsen zu:

aber die kleinen Kinder überdadern die Gänse noch, und ihr Gedader hallt in der
Weltgeschichte wieder, wenn sie von Attila und Atta Troll erzählt. Das ist auch
ein Beitrag zu der Schöpfung der Sprache, über die Herr Wilhelm Meyer-Rinteln


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[0691] Maßgebliches und Unmaßgebliches Eltern, sondern auch für die Großeltern, ja sogar für die Wiege und den Brei, mit dem sie gefüttert werden, die sogenannte Pappe. Der Lippenlaut pflegt nämlich bald schwächer, bald stärker artikuliert zu werden, sodaß bald ein B, bald ein P herauskommt, ohne daß damit im Prinzip etwas geändert würde. Pappus war der Großvater bei den alten Römern und bei den alten Griechen, Baba ist die slawische Großmutter, die Alte, die im russischen Volksaberglauben eine besondre Rolle spielt, und schon Nausikaa redet ihren Vater, den König der Phäaken, mit lieber Pappel an. /7a?c?-.et ep^e, sagt sie in der Odyssee, könntest du mir nicht einen Wagen geben? (VI, 57). Auch die Russen nennen den Vater Papa und das Väterchen: Bätjuschka, während wir mit undeutscher, französischer Betonung Papa sagen. Bei den Arabern und bet den Türken heißt er Baba, bei den Italienern heißt er it Laddo. Niemand wird diese Papanamen voneinander trennen, niemand wird mich die eigentlichen, offiziellen Vnternamen, eben das Wort Vater oder Pater anders erklären wollen; der Vater ist kein Beschützer, er ist auch kein Ernährer, er ist auch nicht der Herr, solche Titel passen schlecht zu dem Verstand der Kinder; er ist nichts weiter als das personifizierte Pa, wie noch der Amerikaner sagt, indem er, die wesentliche Silbe allein behaltend, an seinen Vater schreibt: Liebster Pa! Er schreibt wohl auch: Liebster Pa und Mal denn für die Mutter gilt eine andre Artikulation, obwohl auch hier das B nicht fremd ist, wie nicht bloß die Russen mit ihrer Baba, sondern auch die Schwarzen in Ostafrika beweisen, die ihr Mütterchen Bibi nennen. Die Mutter charakterisiert das M, weil das Kind M M macht, wenn es trinken will; beim M werden die Lippen wie beim B und beim P geschlossen, aber nicht geöffnet, sondern zusammengepreßt, und dies ist die Mundstellung, die das Kind beim Saugen unwillkürlich einnimmt. Es muß die Lippen fest anlegen, um die Mimi in den Mund zu bekommen, darum erhält die Mutterbrust den Namen Mamma und die Mutter selbst den Namen Mama oder Mater. Wenn die italienischen Kinder das Getränk it Nonuno nennen und in Frankreich die Kinder selbst Mönch heißen, so beruht das nur auf einer andern Anwendung des Naturlauts, der alle Ammen- und Mutternamen der Welt, bis auf die homerische in wunderbarer Übereinstimmung hervor- getrieben hat. An eine Wurzel MA, ausmessen, austeilen, zu denken und die Mutter zu einer Wirtschafterin, einer Zuteilerin des Unterhalts an Gesinde und Vieh zu stempeln, zeugt von einer absoluten Unbekanntschaft mit den Vorgängen der Natur und ist ebenso absurd wie vorhin die Etymologie von Vater. Heißt dieser nicht gelegentlich auch Tala, Talla, Tetta, Atta, Atti und Tateleben? War nicht der Hunnenkönig Attila so gut wie der russische Kaiser ein Väterchen? Attilci, hochdeutsch Etzel, ist das Diminutivum Von Atta, das wie Pappa schon im Homer vorkommt und zum Beispiel von Telemach als Anrede des Sanhirten ge¬ braucht wird (Odyssee XVI. 31). Das sind ähnliche Lallwörter mit dentaler Artikulation, wobei wiederum, wie vorhin B mit P, so T mit D abwechselt. Denn die Kinder machen auch Data. Wenn sie etwas Schönes sehen, so heißt es Data oder Dodo; wenn sie etwas haben wollen, so verlangen sie das Data, und wenn sie Klapse bekommen, so bekommen sie das Data. Und auch hier sind wieder aus den kindlichen Lauten Worte hervorgegangen: der Hund ist der Data, das Steckenpferd ist der Data, und das wirkliche Pferd ist der Data, daher die Kinder in Frankreich für reiten sagen allor Z, as.äa. Uhland schreibt diese Silbe den Gänsen zu: aber die kleinen Kinder überdadern die Gänse noch, und ihr Gedader hallt in der Weltgeschichte wieder, wenn sie von Attila und Atta Troll erzählt. Das ist auch ein Beitrag zu der Schöpfung der Sprache, über die Herr Wilhelm Meyer-Rinteln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/691>, abgerufen am 23.01.2025.