Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Von der Beichte gewährt, keinen Gebrauch machen, so bleibe seine Sünde ungesühnt und werde Anzustreben ist demnach die Aufhebung des Beichtzwanges und die Bei¬ Von der Beichte gewährt, keinen Gebrauch machen, so bleibe seine Sünde ungesühnt und werde Anzustreben ist demnach die Aufhebung des Beichtzwanges und die Bei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0663" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296674"/> <fw type="header" place="top"> Von der Beichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_3365" prev="#ID_3364"> gewährt, keinen Gebrauch machen, so bleibe seine Sünde ungesühnt und werde<lb/> zu seiner Beschämung im jüngsten Gericht aller Welt offenbar gemacht werden.<lb/> Die meisten Erwachsnen — bei den Kindern verhält sichs umgekehrt — erscheinen<lb/> im Beichtstuhl viel, viel besser, als sie sind, und ihre Familien, ihre Haus¬<lb/> genossen, manchmal ein weiter Bekanntenkreis kennen ihren wirklichen häßlichen<lb/> Charakter viel besser als der Beichtvater, der, in der Beichte wenigstens, gar<lb/> keine Ahnung davon bekommt. In einzelnen Fällen allerdings trifft die Be¬<lb/> gründung zu, so oft sich nämlich ein Mensch, der noch Gewissen hat, also<lb/> kein durchaus schlechter Charakter ist, eine schwere Verschuldung zuzieht, die<lb/> verborgen bleibt, und die meist mehr Wirkung einer unglücklichen Verkettung<lb/> als seiner eignen Charakterfehler ist. In solchen Füllen fühlt der Mensch<lb/> den Drang, durch ein Bekenntnis seiner Schuld, sei es auch nur vor einem<lb/> einzigen Menschen, jener Forderung der Gerechtigkeit Genüge zu leisten. Dieses<lb/> ist eine der Ursachen, die in den evangelischen Kirchen immer wieder dazu<lb/> treiben, es mit einer Wiederherstellung des Beichtiustituts zu versuchen, und<lb/> die in der katholischen Kirche nicht die Abschaffung sondern die Reform<lb/> empfehlen. Ein zweiter Grund wiegt leichter: die Angst vor der Hölle, die<lb/> nur durch Absolution einigermaßen beschwichtigt werden kann. Solche Angst<lb/> ist meist durch einen falschen Religionsunterricht erzeugt worden und kann<lb/> durch vernünftige Unterweisung beseitigt werden. Wollen sich krankhafte Ge¬<lb/> müter durchaus nicht ohne eine Formel oder Zeremonie beruhigen lassen, so<lb/> mag sie ihnen gewährt werden. Einen dritten Grund geben die wirklich<lb/> schwierigen Gewissensfälle ab, in denen ein Mensch von regem Gewissen des<lb/> Beraters bedarf. Für eine solche Beratung mag die Beichte den Ausgangs¬<lb/> und Anknüpfungspunkt darbieten, aber mit Nutzen fortgeführt und vollendet<lb/> werden kann sie nur in Unterhaltungen außerhalb des dafür ungeeigneten<lb/> Möbels. Fälle, wo die Restitntionspflicht eintritt, gehören nicht zu den<lb/> schwierigen Gewissensfällen; diese Pflicht kennt jeder Christ, der einen guten<lb/> Religionsunterricht genossen hat. Der Geistliche ist da nur als Vermittler<lb/> notwendig (tatsächlich kommt die Restitution unterschlagner Gelder durch den<lb/> Beichtvater häufig vor), und die Beichte als Gelegenheit zur Abwicklung des<lb/> Geschäfts deswegen erwünscht, weil der Beichtvater durch das Beichtsiegel zur<lb/> Diskretion verpflichtet ist; allein diese Pflicht kann ihm, ebenso wie dem Arzte<lb/> und vielen Beamten in Beziehung auf ihre Amtsverrichtungen, auch ohne das<lb/> Zeremoniell des Bußsakraments auferlegt werden. Was endlich die Hindurch-<lb/> stmerung der jungen Leute durch die Klippen der Pubertät betrifft, so kann<lb/> das, was eine verstündige Erziehung, Leitung, Beaufsichtigung und stufen¬<lb/> weise Aufklärung im Elternhause und in der Schule zu leisten haben, durch<lb/> den Beichtstuhl nicht ersetzt werden. So lange es freilich an diesen Leistungen<lb/> im großen und ganzen noch fehlt, mag mancher erfahrne Seelsorger im Beicht¬<lb/> stuhl einigen Nutzen stiften.</p><lb/> <p xml:id="ID_3366" next="#ID_3367"> Anzustreben ist demnach die Aufhebung des Beichtzwanges und die Bei¬<lb/> behaltung der fakultativen Beichte, für die als Regel aufzustellen wäre, daß<lb/> der Geistliche nicht zu fragen, sondern sich mit dem zu begnügen habe, was<lb/> der Pönitent zu bekennen sich gedrungen fühlt, und daß jener diesem Gelegen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0663]
Von der Beichte
gewährt, keinen Gebrauch machen, so bleibe seine Sünde ungesühnt und werde
zu seiner Beschämung im jüngsten Gericht aller Welt offenbar gemacht werden.
Die meisten Erwachsnen — bei den Kindern verhält sichs umgekehrt — erscheinen
im Beichtstuhl viel, viel besser, als sie sind, und ihre Familien, ihre Haus¬
genossen, manchmal ein weiter Bekanntenkreis kennen ihren wirklichen häßlichen
Charakter viel besser als der Beichtvater, der, in der Beichte wenigstens, gar
keine Ahnung davon bekommt. In einzelnen Fällen allerdings trifft die Be¬
gründung zu, so oft sich nämlich ein Mensch, der noch Gewissen hat, also
kein durchaus schlechter Charakter ist, eine schwere Verschuldung zuzieht, die
verborgen bleibt, und die meist mehr Wirkung einer unglücklichen Verkettung
als seiner eignen Charakterfehler ist. In solchen Füllen fühlt der Mensch
den Drang, durch ein Bekenntnis seiner Schuld, sei es auch nur vor einem
einzigen Menschen, jener Forderung der Gerechtigkeit Genüge zu leisten. Dieses
ist eine der Ursachen, die in den evangelischen Kirchen immer wieder dazu
treiben, es mit einer Wiederherstellung des Beichtiustituts zu versuchen, und
die in der katholischen Kirche nicht die Abschaffung sondern die Reform
empfehlen. Ein zweiter Grund wiegt leichter: die Angst vor der Hölle, die
nur durch Absolution einigermaßen beschwichtigt werden kann. Solche Angst
ist meist durch einen falschen Religionsunterricht erzeugt worden und kann
durch vernünftige Unterweisung beseitigt werden. Wollen sich krankhafte Ge¬
müter durchaus nicht ohne eine Formel oder Zeremonie beruhigen lassen, so
mag sie ihnen gewährt werden. Einen dritten Grund geben die wirklich
schwierigen Gewissensfälle ab, in denen ein Mensch von regem Gewissen des
Beraters bedarf. Für eine solche Beratung mag die Beichte den Ausgangs¬
und Anknüpfungspunkt darbieten, aber mit Nutzen fortgeführt und vollendet
werden kann sie nur in Unterhaltungen außerhalb des dafür ungeeigneten
Möbels. Fälle, wo die Restitntionspflicht eintritt, gehören nicht zu den
schwierigen Gewissensfällen; diese Pflicht kennt jeder Christ, der einen guten
Religionsunterricht genossen hat. Der Geistliche ist da nur als Vermittler
notwendig (tatsächlich kommt die Restitution unterschlagner Gelder durch den
Beichtvater häufig vor), und die Beichte als Gelegenheit zur Abwicklung des
Geschäfts deswegen erwünscht, weil der Beichtvater durch das Beichtsiegel zur
Diskretion verpflichtet ist; allein diese Pflicht kann ihm, ebenso wie dem Arzte
und vielen Beamten in Beziehung auf ihre Amtsverrichtungen, auch ohne das
Zeremoniell des Bußsakraments auferlegt werden. Was endlich die Hindurch-
stmerung der jungen Leute durch die Klippen der Pubertät betrifft, so kann
das, was eine verstündige Erziehung, Leitung, Beaufsichtigung und stufen¬
weise Aufklärung im Elternhause und in der Schule zu leisten haben, durch
den Beichtstuhl nicht ersetzt werden. So lange es freilich an diesen Leistungen
im großen und ganzen noch fehlt, mag mancher erfahrne Seelsorger im Beicht¬
stuhl einigen Nutzen stiften.
Anzustreben ist demnach die Aufhebung des Beichtzwanges und die Bei¬
behaltung der fakultativen Beichte, für die als Regel aufzustellen wäre, daß
der Geistliche nicht zu fragen, sondern sich mit dem zu begnügen habe, was
der Pönitent zu bekennen sich gedrungen fühlt, und daß jener diesem Gelegen-
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