Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.von der Beichte wollte, so hatte sie bald keine Macht mehr, eine äußerliche Strafe zu ver¬ Nachdem die Begeisterung der apostolischen Zeiten verflogen war, konnte Grenzboten IV 1S05 85
von der Beichte wollte, so hatte sie bald keine Macht mehr, eine äußerliche Strafe zu ver¬ Nachdem die Begeisterung der apostolischen Zeiten verflogen war, konnte Grenzboten IV 1S05 85
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296668"/> <fw type="header" place="top"> von der Beichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_3352" prev="#ID_3351"> wollte, so hatte sie bald keine Macht mehr, eine äußerliche Strafe zu ver¬<lb/> hängen; die geistlichen Strafen: Exkommunikation und Interdikt, verloren<lb/> durch Mißbrauch rasch ihre Wirksamkeit und wurden verlacht. Paulus hatte<lb/> der oben erwähnten Regel beigefügt: ich meine nur, wenn ein Bruder ein<lb/> Unzüchtiger, Götzendiener oder dergleichen ist, sollt ihr keine Gemeinschaft mit<lb/> ihm haben; von den Unzüchtigen, Geizigen und Götzendienern der Welt rede<lb/> ich nicht; denn wenn ihr die meiden solltet, müßtet ihr ans der Welt hincius-<lb/> gchn. Nachdem aber durch die zum Teil mit Feuer und Schwert vollzognen<lb/> Massenbekehrungen und durch die Kindertaufe die Welt hineingetrieben worden<lb/> war in die Kirche, machten die „Heiligen," falls es überhaupt solche gab, nur<lb/> ein winziges Häuflein aus in der zur Welt gewordnen Kirche. Viele „Heilige"<lb/> gingen nun tatsächlich aus der Welt hinaus, nämlich ins Kloster, in das<lb/> übrigens die Welt ebenfalls ihren Einzug hielt. Keinesfalls aber konnte das<lb/> Häuflein der „Heiligen" daran denken, sich als Kirche zu konstituieren und die<lb/> Masse der Getauften auszuschließen; wo das versucht wurde, da kam eine<lb/> Sekte heraus. Am allerwenigsten würde ein solches Häuflein vermocht haben,<lb/> die Mehrzahl zur Übernahme von Kirchenbußen zu zwingen. Diese wurden<lb/> also unmöglich und hörten auf. Hätte im achtzehnten Jahrhundert, dem Zeit¬<lb/> alter der Maitressen, die alte kirchliche Bußanstalt noch bestanden, dann hätten<lb/> sämtliche Monarchen Europas samt ihren Höflingen — die einzigen zwei Höfe<lb/> von Berlin und Wien ausgenommen — ins Büßerhemd gesteckt werden müssen.<lb/> Beim bloßen Gedanken an einen solchen kirchlichen Anspruch hätte die Hof¬<lb/> prediger und die fürstlichen Beichtväter jener Zeit der Schlag gerührt. Andre<lb/> Mächte mußten der Kirche zu Hilfe kommen, wenn durch das Strafgesetz oder<lb/> durch Sitte und öffentliche Meinung erzwungen werden sollte, was sie in<lb/> dieser und mancher andern Hinsicht forderte. Wie viel sie selbst durch seel¬<lb/> sorgerliche Wirksamkeit dazu beigetragen haben mag, im vorigen Jahrhundert<lb/> den Umschwung zum bessern herbeizuführen, läßt sich natürlich nicht feststellen;<lb/> sie selbst wird ja ihren Anteil hoch anschlagen und zu den Mitteln, mit denen<lb/> sie gewirkt hat, vor allem den Beichtstuhl rechnen, der im Laufe der Zeiten<lb/> allmählich an die Stelle der öffentlichen Kirchenbuße getreten ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_3353" next="#ID_3354"> Nachdem die Begeisterung der apostolischen Zeiten verflogen war, konnte<lb/> es den Christen nicht mehr verborgen bleiben, daß sie, wenn auch nicht laster¬<lb/> haft und verbrecherisch, doch auch keine sündelosen Heiligen waren. Das beun¬<lb/> ruhigte sie, sie dachten an das Wort des Jakobusbriefes: „Bekennet einander<lb/> eure Sünden," an die Mahnungen zur Buße, die in den Evangelien und den<lb/> Apostelbriefen an alle ohne Ausnahme gerichtet werden, an die Macht, zu<lb/> lösen und zu binden, Sünden nachzulassen und zu behalten, die Jesus nach<lb/> Matthäus 18,18 und Johannes 20, 23 den Aposteln verliehen hat, und es<lb/> wurde Brauch, die geheimen Sünden, die nicht zur öffentlichen Kirchenbuße<lb/> verpflichteten, christlichen Brüdern und Schwestern, am häufigsten aber den<lb/> Kirchenältesten im geheimen zu bekennen und sich die göttliche Verzeihung<lb/> versichern zu lassen. In welchen Entwicklungsstufen dieser aus dem indivi¬<lb/> duellen Bedürfnis hervorgegangue Brauch eine kirchliche Einrichtung geworden<lb/> ist, melden keine Urkunden. Sicher ist nur, daß vom achten Jahrhundert ab</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1S05 85</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0657]
von der Beichte
wollte, so hatte sie bald keine Macht mehr, eine äußerliche Strafe zu ver¬
hängen; die geistlichen Strafen: Exkommunikation und Interdikt, verloren
durch Mißbrauch rasch ihre Wirksamkeit und wurden verlacht. Paulus hatte
der oben erwähnten Regel beigefügt: ich meine nur, wenn ein Bruder ein
Unzüchtiger, Götzendiener oder dergleichen ist, sollt ihr keine Gemeinschaft mit
ihm haben; von den Unzüchtigen, Geizigen und Götzendienern der Welt rede
ich nicht; denn wenn ihr die meiden solltet, müßtet ihr ans der Welt hincius-
gchn. Nachdem aber durch die zum Teil mit Feuer und Schwert vollzognen
Massenbekehrungen und durch die Kindertaufe die Welt hineingetrieben worden
war in die Kirche, machten die „Heiligen," falls es überhaupt solche gab, nur
ein winziges Häuflein aus in der zur Welt gewordnen Kirche. Viele „Heilige"
gingen nun tatsächlich aus der Welt hinaus, nämlich ins Kloster, in das
übrigens die Welt ebenfalls ihren Einzug hielt. Keinesfalls aber konnte das
Häuflein der „Heiligen" daran denken, sich als Kirche zu konstituieren und die
Masse der Getauften auszuschließen; wo das versucht wurde, da kam eine
Sekte heraus. Am allerwenigsten würde ein solches Häuflein vermocht haben,
die Mehrzahl zur Übernahme von Kirchenbußen zu zwingen. Diese wurden
also unmöglich und hörten auf. Hätte im achtzehnten Jahrhundert, dem Zeit¬
alter der Maitressen, die alte kirchliche Bußanstalt noch bestanden, dann hätten
sämtliche Monarchen Europas samt ihren Höflingen — die einzigen zwei Höfe
von Berlin und Wien ausgenommen — ins Büßerhemd gesteckt werden müssen.
Beim bloßen Gedanken an einen solchen kirchlichen Anspruch hätte die Hof¬
prediger und die fürstlichen Beichtväter jener Zeit der Schlag gerührt. Andre
Mächte mußten der Kirche zu Hilfe kommen, wenn durch das Strafgesetz oder
durch Sitte und öffentliche Meinung erzwungen werden sollte, was sie in
dieser und mancher andern Hinsicht forderte. Wie viel sie selbst durch seel¬
sorgerliche Wirksamkeit dazu beigetragen haben mag, im vorigen Jahrhundert
den Umschwung zum bessern herbeizuführen, läßt sich natürlich nicht feststellen;
sie selbst wird ja ihren Anteil hoch anschlagen und zu den Mitteln, mit denen
sie gewirkt hat, vor allem den Beichtstuhl rechnen, der im Laufe der Zeiten
allmählich an die Stelle der öffentlichen Kirchenbuße getreten ist.
Nachdem die Begeisterung der apostolischen Zeiten verflogen war, konnte
es den Christen nicht mehr verborgen bleiben, daß sie, wenn auch nicht laster¬
haft und verbrecherisch, doch auch keine sündelosen Heiligen waren. Das beun¬
ruhigte sie, sie dachten an das Wort des Jakobusbriefes: „Bekennet einander
eure Sünden," an die Mahnungen zur Buße, die in den Evangelien und den
Apostelbriefen an alle ohne Ausnahme gerichtet werden, an die Macht, zu
lösen und zu binden, Sünden nachzulassen und zu behalten, die Jesus nach
Matthäus 18,18 und Johannes 20, 23 den Aposteln verliehen hat, und es
wurde Brauch, die geheimen Sünden, die nicht zur öffentlichen Kirchenbuße
verpflichteten, christlichen Brüdern und Schwestern, am häufigsten aber den
Kirchenältesten im geheimen zu bekennen und sich die göttliche Verzeihung
versichern zu lassen. In welchen Entwicklungsstufen dieser aus dem indivi¬
duellen Bedürfnis hervorgegangue Brauch eine kirchliche Einrichtung geworden
ist, melden keine Urkunden. Sicher ist nur, daß vom achten Jahrhundert ab
Grenzboten IV 1S05 85
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