Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.von der Beichte geht; die Weiber, hat dem Verfasser des Pamphlets: "Der Esel als Sieger" Das individuelle und das Gemeindebedürfnis haben diese Entwicklung in von der Beichte geht; die Weiber, hat dem Verfasser des Pamphlets: „Der Esel als Sieger" Das individuelle und das Gemeindebedürfnis haben diese Entwicklung in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0656" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296667"/> <fw type="header" place="top"> von der Beichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_3350" prev="#ID_3349"> geht; die Weiber, hat dem Verfasser des Pamphlets: „Der Esel als Sieger"<lb/> ein Kenner Frankreichs gesagt, treibe bloß noch das „Zweikindersystem" in<lb/> den Beichtstuhl. Wenn nun in dem xsr omillöntmin katholischen Lande eine<lb/> Institution, die der Kirchenglaube für notwendig zur Seligkeit erklärt, außer<lb/> Gebrauch kommt, und wenn es wahrscheinlich ist, daß diese Institution zu den<lb/> Dingen gehört, die die Entkirchlichung des Landes verschuldet haben, so scheint<lb/> doch damit für die Kirchenobern nicht minder ein zwingender Grund zu Re¬<lb/> formen gegeben zu sein, wie die oben erwähnten Mißbräuche die Protestanten<lb/> und die nicht bigotten katholischen Laien Deutschlands berechtigen, solche<lb/> Reformen zu fordern. Jede ernsthafte Reform ums; auf die Prinzipien zurück¬<lb/> gehn. Diese klar zu machen, wäre freilich eine ausführliche Geschichte der<lb/> kirchlichen Bußanstalt nötig, wie sie nur in einem theologischen Organ ge¬<lb/> geben werden könnte; hier kann nur an die Hauptpunkte ihrer Entwicklung<lb/> erinnert werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3351" next="#ID_3352"> Das individuelle und das Gemeindebedürfnis haben diese Entwicklung in<lb/> Gang gebracht. Das zweite hat sich zuerst geltend gemacht. Die Urgemeindc<lb/> hielt sich für eine Gemeinde der Heiligen und ihre Mitglieder für Erlöste, die<lb/> der Gefahr schwerer sittlicher Verfehlungen überhoben seien. Doch schon Paulus<lb/> erlebte Enttäuschungen. Er sah sich genötigt, einen korinthischen Mann wegen<lb/> Jnzestes „dem Satan zu übergeben," nahm ihn aber, da er lebhafte Reue<lb/> zeigte, in die Kirchengemeinschaft wieder auf. Und er stellte bei der Gelegen¬<lb/> heit die Regel auf, daß der Christ mit Unzüchtigen, Geizigen, Räubern und<lb/> Götzendienern nicht verkehren dürfe. Aus dieser Regel entwickelte sich die<lb/> Praxis, daß Menschen, die grobe Tatsünden begangen hatten, aus der Kirchen¬<lb/> gemeinschaft ausgeschlossen und erst wieder aufgenommen, zur Kommunion<lb/> zugelassen wurden, nachdem sie durch öffentliche Buße ihre innere Buß-<lb/> gesinnung, ihre Sinnesänderung bewährt hatten. Die Festsetzung der Bußart und<lb/> der Bnßdauer für die verschiednen Sünden machte ans dem Vorstcherkollegium<lb/> einen Gerichtshof, und die Ausgestaltung dieses geistlichen Gerichtshofs ging<lb/> unter fortwährenden heftigen Streitigkeiten vor sich, die sich u. a. darum<lb/> drehte», ob nach der Taufe überhaupt noch eine Sündenvergebung möglich,<lb/> und ob nicht bloß einmalige, sondern mehrmalige Buße und Versöhnung zu¬<lb/> lässig sei. Die Wiederaufnahme des Ausgeschlossenen in die Gemeinde wurde<lb/> nämlich zugleich als Wiederaussöhnung mit Gott, als Sündenvergebung auf¬<lb/> gefaßt. Im Karolingerreich verschmolz die Bußanstalt mit dem Sendgericht.<lb/> Der Sendgraf und der Bischof versammelten auf ihren Visitationsreisen die<lb/> Gemeinde in der Kirche, wo auf einem Tische neben dem Kruzifix eine Schere<lb/> und Nutenbündel bereitlagen. Man machte kurzen Prozeß mit den Sündern.<lb/> Sie wurden vorgeführt, die unfreien mit einer Tracht Prügel gestraft, die<lb/> freien geschoren und zur Verbüßuug einer Strafhaft in ein Kloster geschickt.<lb/> Das war das erste der Stadien, in denen die äußerliche Jurisdiktion der<lb/> Kirche an den christlich-germanischen Staat überging, der ihr nicht wie der<lb/> römische fremd gegenüberstand, sondern, ihr innig befreundet, von ihr durch¬<lb/> drungen wurde und sie durchdrang. Das meiste von dem, was sie für straf¬<lb/> würdig hielt, strafte auch er; blieb etwas übrig, was sie allein gestraft wissen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0656]
von der Beichte
geht; die Weiber, hat dem Verfasser des Pamphlets: „Der Esel als Sieger"
ein Kenner Frankreichs gesagt, treibe bloß noch das „Zweikindersystem" in
den Beichtstuhl. Wenn nun in dem xsr omillöntmin katholischen Lande eine
Institution, die der Kirchenglaube für notwendig zur Seligkeit erklärt, außer
Gebrauch kommt, und wenn es wahrscheinlich ist, daß diese Institution zu den
Dingen gehört, die die Entkirchlichung des Landes verschuldet haben, so scheint
doch damit für die Kirchenobern nicht minder ein zwingender Grund zu Re¬
formen gegeben zu sein, wie die oben erwähnten Mißbräuche die Protestanten
und die nicht bigotten katholischen Laien Deutschlands berechtigen, solche
Reformen zu fordern. Jede ernsthafte Reform ums; auf die Prinzipien zurück¬
gehn. Diese klar zu machen, wäre freilich eine ausführliche Geschichte der
kirchlichen Bußanstalt nötig, wie sie nur in einem theologischen Organ ge¬
geben werden könnte; hier kann nur an die Hauptpunkte ihrer Entwicklung
erinnert werden.
Das individuelle und das Gemeindebedürfnis haben diese Entwicklung in
Gang gebracht. Das zweite hat sich zuerst geltend gemacht. Die Urgemeindc
hielt sich für eine Gemeinde der Heiligen und ihre Mitglieder für Erlöste, die
der Gefahr schwerer sittlicher Verfehlungen überhoben seien. Doch schon Paulus
erlebte Enttäuschungen. Er sah sich genötigt, einen korinthischen Mann wegen
Jnzestes „dem Satan zu übergeben," nahm ihn aber, da er lebhafte Reue
zeigte, in die Kirchengemeinschaft wieder auf. Und er stellte bei der Gelegen¬
heit die Regel auf, daß der Christ mit Unzüchtigen, Geizigen, Räubern und
Götzendienern nicht verkehren dürfe. Aus dieser Regel entwickelte sich die
Praxis, daß Menschen, die grobe Tatsünden begangen hatten, aus der Kirchen¬
gemeinschaft ausgeschlossen und erst wieder aufgenommen, zur Kommunion
zugelassen wurden, nachdem sie durch öffentliche Buße ihre innere Buß-
gesinnung, ihre Sinnesänderung bewährt hatten. Die Festsetzung der Bußart und
der Bnßdauer für die verschiednen Sünden machte ans dem Vorstcherkollegium
einen Gerichtshof, und die Ausgestaltung dieses geistlichen Gerichtshofs ging
unter fortwährenden heftigen Streitigkeiten vor sich, die sich u. a. darum
drehte», ob nach der Taufe überhaupt noch eine Sündenvergebung möglich,
und ob nicht bloß einmalige, sondern mehrmalige Buße und Versöhnung zu¬
lässig sei. Die Wiederaufnahme des Ausgeschlossenen in die Gemeinde wurde
nämlich zugleich als Wiederaussöhnung mit Gott, als Sündenvergebung auf¬
gefaßt. Im Karolingerreich verschmolz die Bußanstalt mit dem Sendgericht.
Der Sendgraf und der Bischof versammelten auf ihren Visitationsreisen die
Gemeinde in der Kirche, wo auf einem Tische neben dem Kruzifix eine Schere
und Nutenbündel bereitlagen. Man machte kurzen Prozeß mit den Sündern.
Sie wurden vorgeführt, die unfreien mit einer Tracht Prügel gestraft, die
freien geschoren und zur Verbüßuug einer Strafhaft in ein Kloster geschickt.
Das war das erste der Stadien, in denen die äußerliche Jurisdiktion der
Kirche an den christlich-germanischen Staat überging, der ihr nicht wie der
römische fremd gegenüberstand, sondern, ihr innig befreundet, von ihr durch¬
drungen wurde und sie durchdrang. Das meiste von dem, was sie für straf¬
würdig hielt, strafte auch er; blieb etwas übrig, was sie allein gestraft wissen
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