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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungskonflikt in Ungarn

in denen es sich nur um die Niederwerfung des nationalen Gegners handelte,
wurden unter Anwendung alles Drucks der Behörden Magyaren -- aus nahe¬
liegenden Gründen die Negieruugskaudidaten -- gewählt, in den rein magya¬
rischen Wahlkreisen, wo der Regierungsdruck wieder scharf ausgeübt wurde,
siegte die magyarische Opposition.

Eine schlagendere Kritik der Herrschaft der liberalen Partei kann es gar
nicht geben. Wahlmiszbrcmch schuf und parlamentarische Korruption hielt die
Partei zusammen. Die mit dieser Wirtschaft unzufriednen Leute, die ihre
Meinung unterdrückt und keine Aussicht auf Reformen sahen, aber nichts gegen
die Gewaltherrschaft auszurichten vermochten, verfielen leicht der Beeinflussung
durch die Unabhängigkeitspartei, die die Regierung als Trägerin des Aus¬
gleichs mit Osterreich bekämpfte. Damit war der Boden für die Kultur der
"nationalen Forderungen," die üppig ius Kraut schössen, geschaffen. Koloman
Tisza, der die seiner Parteiherrschaft aus dieser Bewegung drohende Gefahr
erkannte, suchte der nationalen Seite der Opposition den Wind aus den
Segeln zu nehmen, indem er selbst einige "nationale" Ansprüche, die keines¬
wegs im Ausgleich begründet waren, gegen Österreich und die Krone durch¬
setzte. Das war aber nicht von dauernder Wirkung, und er benutzte schließlich
einen geringfügigen Anlaß, 1890 zurückzutreten. Seine schwächern Nachfolger
suchten seine Methode fortzusetzen, aber der Druck bei den Wahlen und die
Nachgiebigkeit gegenüber den nationalen Wünschen mußten immer größer werden.
Die Ministerien Szapary und Wekerlc wandten als letztes Rettungsmittel aller
liberalen Parteien auch uoch den Kulturkampf an, erreichten aber damit nur,
daß eine neue Oppositionspartei, die katholische Volkspartei, entstand. Noch
einmal setzte Bcmffh 1896 die alte Praktik der liberalen Partei ins Werk und
ließ mit der entschiedensten Rücksichtslosigkeit wählen, aber auch sein Orts¬
namengesetz half ihm dann nichts mehr, der allgemeine Unwille über den
Terrorismus der Partei war zu groß und äußerte sich am wirksamsten durch
die Obstruktion im Abgeordnetenhause, der sich bald auch Mitglieder der
liberalen Partei anschlössen. Szilagyi und Apponyi schoben den unfähigen
Szell in den Vordergrund, der angeblich zwischen Banffy und der Opposition
vermitteln sollte, aber plötzlich aus Wien als neuer Ministerpräsident zurück¬
kehrte. Damit war das definitive Ende der liberalen Partei eingeleitet, denn
Szells erster Schritt war die Verschmelzung der liberalen Partei mit der
Nationalpartei, deren Führer Graf Apponyi sich in seinen nationalen For¬
derungen nur durch Worte von den Kossuthianern unterschied. Es lag auf
der Hand, daß die systematische Erweiterung der ungarischen staatsrechtlichen
Forderungen, die nun durch Apponyi und seinen Anhang in die Regierungs¬
partei offiziell eingeführt worden waren, zur Krise führen mußte, weil jeder¬
mann, der die Verhältnisse -- nicht nach den Zeitungen, sondern durch eigne
Prüfung -- verfolgt hatte, gar nicht in Zweifel darüber sein konnte, daß
Kaiser Franz Joseph allen Ansprüchen auf eine gesonderte ungarische Armee
sein entschiednes Nein! entgegensetzen würde.

Es sind seit dem 16. September 1903, wo der Monarch den von Chlopy
datierten Armeebefehl erließ, mehr als zwei Jahre ins Land gegangen, und


Der Verfassungskonflikt in Ungarn

in denen es sich nur um die Niederwerfung des nationalen Gegners handelte,
wurden unter Anwendung alles Drucks der Behörden Magyaren — aus nahe¬
liegenden Gründen die Negieruugskaudidaten — gewählt, in den rein magya¬
rischen Wahlkreisen, wo der Regierungsdruck wieder scharf ausgeübt wurde,
siegte die magyarische Opposition.

Eine schlagendere Kritik der Herrschaft der liberalen Partei kann es gar
nicht geben. Wahlmiszbrcmch schuf und parlamentarische Korruption hielt die
Partei zusammen. Die mit dieser Wirtschaft unzufriednen Leute, die ihre
Meinung unterdrückt und keine Aussicht auf Reformen sahen, aber nichts gegen
die Gewaltherrschaft auszurichten vermochten, verfielen leicht der Beeinflussung
durch die Unabhängigkeitspartei, die die Regierung als Trägerin des Aus¬
gleichs mit Osterreich bekämpfte. Damit war der Boden für die Kultur der
„nationalen Forderungen," die üppig ius Kraut schössen, geschaffen. Koloman
Tisza, der die seiner Parteiherrschaft aus dieser Bewegung drohende Gefahr
erkannte, suchte der nationalen Seite der Opposition den Wind aus den
Segeln zu nehmen, indem er selbst einige „nationale" Ansprüche, die keines¬
wegs im Ausgleich begründet waren, gegen Österreich und die Krone durch¬
setzte. Das war aber nicht von dauernder Wirkung, und er benutzte schließlich
einen geringfügigen Anlaß, 1890 zurückzutreten. Seine schwächern Nachfolger
suchten seine Methode fortzusetzen, aber der Druck bei den Wahlen und die
Nachgiebigkeit gegenüber den nationalen Wünschen mußten immer größer werden.
Die Ministerien Szapary und Wekerlc wandten als letztes Rettungsmittel aller
liberalen Parteien auch uoch den Kulturkampf an, erreichten aber damit nur,
daß eine neue Oppositionspartei, die katholische Volkspartei, entstand. Noch
einmal setzte Bcmffh 1896 die alte Praktik der liberalen Partei ins Werk und
ließ mit der entschiedensten Rücksichtslosigkeit wählen, aber auch sein Orts¬
namengesetz half ihm dann nichts mehr, der allgemeine Unwille über den
Terrorismus der Partei war zu groß und äußerte sich am wirksamsten durch
die Obstruktion im Abgeordnetenhause, der sich bald auch Mitglieder der
liberalen Partei anschlössen. Szilagyi und Apponyi schoben den unfähigen
Szell in den Vordergrund, der angeblich zwischen Banffy und der Opposition
vermitteln sollte, aber plötzlich aus Wien als neuer Ministerpräsident zurück¬
kehrte. Damit war das definitive Ende der liberalen Partei eingeleitet, denn
Szells erster Schritt war die Verschmelzung der liberalen Partei mit der
Nationalpartei, deren Führer Graf Apponyi sich in seinen nationalen For¬
derungen nur durch Worte von den Kossuthianern unterschied. Es lag auf
der Hand, daß die systematische Erweiterung der ungarischen staatsrechtlichen
Forderungen, die nun durch Apponyi und seinen Anhang in die Regierungs¬
partei offiziell eingeführt worden waren, zur Krise führen mußte, weil jeder¬
mann, der die Verhältnisse — nicht nach den Zeitungen, sondern durch eigne
Prüfung — verfolgt hatte, gar nicht in Zweifel darüber sein konnte, daß
Kaiser Franz Joseph allen Ansprüchen auf eine gesonderte ungarische Armee
sein entschiednes Nein! entgegensetzen würde.

Es sind seit dem 16. September 1903, wo der Monarch den von Chlopy
datierten Armeebefehl erließ, mehr als zwei Jahre ins Land gegangen, und


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[0640] Der Verfassungskonflikt in Ungarn in denen es sich nur um die Niederwerfung des nationalen Gegners handelte, wurden unter Anwendung alles Drucks der Behörden Magyaren — aus nahe¬ liegenden Gründen die Negieruugskaudidaten — gewählt, in den rein magya¬ rischen Wahlkreisen, wo der Regierungsdruck wieder scharf ausgeübt wurde, siegte die magyarische Opposition. Eine schlagendere Kritik der Herrschaft der liberalen Partei kann es gar nicht geben. Wahlmiszbrcmch schuf und parlamentarische Korruption hielt die Partei zusammen. Die mit dieser Wirtschaft unzufriednen Leute, die ihre Meinung unterdrückt und keine Aussicht auf Reformen sahen, aber nichts gegen die Gewaltherrschaft auszurichten vermochten, verfielen leicht der Beeinflussung durch die Unabhängigkeitspartei, die die Regierung als Trägerin des Aus¬ gleichs mit Osterreich bekämpfte. Damit war der Boden für die Kultur der „nationalen Forderungen," die üppig ius Kraut schössen, geschaffen. Koloman Tisza, der die seiner Parteiherrschaft aus dieser Bewegung drohende Gefahr erkannte, suchte der nationalen Seite der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er selbst einige „nationale" Ansprüche, die keines¬ wegs im Ausgleich begründet waren, gegen Österreich und die Krone durch¬ setzte. Das war aber nicht von dauernder Wirkung, und er benutzte schließlich einen geringfügigen Anlaß, 1890 zurückzutreten. Seine schwächern Nachfolger suchten seine Methode fortzusetzen, aber der Druck bei den Wahlen und die Nachgiebigkeit gegenüber den nationalen Wünschen mußten immer größer werden. Die Ministerien Szapary und Wekerlc wandten als letztes Rettungsmittel aller liberalen Parteien auch uoch den Kulturkampf an, erreichten aber damit nur, daß eine neue Oppositionspartei, die katholische Volkspartei, entstand. Noch einmal setzte Bcmffh 1896 die alte Praktik der liberalen Partei ins Werk und ließ mit der entschiedensten Rücksichtslosigkeit wählen, aber auch sein Orts¬ namengesetz half ihm dann nichts mehr, der allgemeine Unwille über den Terrorismus der Partei war zu groß und äußerte sich am wirksamsten durch die Obstruktion im Abgeordnetenhause, der sich bald auch Mitglieder der liberalen Partei anschlössen. Szilagyi und Apponyi schoben den unfähigen Szell in den Vordergrund, der angeblich zwischen Banffy und der Opposition vermitteln sollte, aber plötzlich aus Wien als neuer Ministerpräsident zurück¬ kehrte. Damit war das definitive Ende der liberalen Partei eingeleitet, denn Szells erster Schritt war die Verschmelzung der liberalen Partei mit der Nationalpartei, deren Führer Graf Apponyi sich in seinen nationalen For¬ derungen nur durch Worte von den Kossuthianern unterschied. Es lag auf der Hand, daß die systematische Erweiterung der ungarischen staatsrechtlichen Forderungen, die nun durch Apponyi und seinen Anhang in die Regierungs¬ partei offiziell eingeführt worden waren, zur Krise führen mußte, weil jeder¬ mann, der die Verhältnisse — nicht nach den Zeitungen, sondern durch eigne Prüfung — verfolgt hatte, gar nicht in Zweifel darüber sein konnte, daß Kaiser Franz Joseph allen Ansprüchen auf eine gesonderte ungarische Armee sein entschiednes Nein! entgegensetzen würde. Es sind seit dem 16. September 1903, wo der Monarch den von Chlopy datierten Armeebefehl erließ, mehr als zwei Jahre ins Land gegangen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/640>, abgerufen am 15.01.2025.