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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

für den innern Frieden auf seine Armee verlassen. Aber diese soll doch auf alle
Falle die ullius ratio bleiben. Die Behörden können sehr viel dazu beitragen,
durch rechtzeitige und energische Anwendung der geschlichen Strafmittel gleich in dem
ersten Stadium dem Entstehen ernsterer Komplikationen und dem schließlichen Appell
an die bewaffnete Macht vorzubeugen. In dieses Stadium sind wir längst ein¬
getreten, zum mindesten seit dem Jenaer Parteitag, und es ist nachgerade hohe
Zeit, durch einige Exempel darzutun, daß mit dem innern Frieden der Nation und
der staatlichen Ordnung nicht ungestraft ein frevelhaftes und leichtfertiges Spiel
getrieben werden darf. Je wünschenswerter es ist, daß wir aufrührerischer Be¬
wegungen mit andern als den äußersten Mitteln Herr werden, um so dringender
ist es, diese Mittel nicht erst zu versuchen, wenn es zu spät ist, sondern durch ihre
rechtzeitige Anwendung Warnungstafeln aufzurichten, die weithin für jedermann
verständlich sind. Die Nichtanwendung dieser Mittel dient nur dazu, der Agitation
Mut zu machen und auf die Erhaltung des Rechtsbegriffs, den diese zu zerstören
bestrebt ist, seitens der Staatsgewalt zu verzichten. Das ist nicht im Sinne von
"Scharfmacherei" geschrieben, sondern um spätere unvermeidliche Schärfen zu ver¬
hüten. Artikel wie die der Sächsischen Volkszeitung, die direkt die Aufforderung
zur Revolution aussprechen, dürfen so wenig straflos bleiben wie die in demselben
Sinne gehaltnen Reden. Das ist nicht mehr eine geistige Bewegung, die am
zweckmäßigsten mit geistigen Waffen bekämpft wird, das ist der Appell an die Gewalt,
gegen den mit Ernst, Nachdruck und Konsequenz eingeschritten werden muß. Wenn
heute liberale kathedersozialistische Blätter die Arbeiter beschwören, solchen Ver¬
suchungen nicht Gehör zu schenken, so wird dieser gutgemeinte Appell leider wenig
Erfolg haben, weil solche "Bourgeoisblätter" von den Arbeitern nicht oder nur
wenig gelesen werden, und weil den Arbeitern von andrer Seite klargemacht wird,
daß das nur Angstmeierei sei.

Bebels Rede, die sich in der stenographischen Wiedergabe des amtlichen Reichs¬
tagsberichts etwas gemäßigter ausnimmt als zuvor in den Berichten der Tages¬
zeitungen, hat den verdienten Beifall der französischen Presse gefunden, die selbst¬
verständlich hocherfreut darüber ist, daß sich die deutsche Sozialdemokratie öffentlich
anheischig macht, einen Krieg gegen Frankreich zur Verteidigung deutscher Rechte,
deren Vorhandensein in Marokko Herr Bebel dabei selbst zugibt und anerkennt, zu
verhindern. Die nächste Folge dieser Bebeliade wird voraussichtlich die sein, daß
die französische Presse beginnt, gegen Deutschland einen drohenden und heraus¬
fordernden Ton anzuschlagen. Damit hätte Bebel seinen nächsten Zweck, Deutsch¬
lands internationale Stellung zu erschweren, um dadurch die "Unfähigkeit des
heutigen Klassenstaats" zu erweisen, erreicht. Jedenfalls werden die Franzosen
auf einem sehr hohen Pferde zur Konferenz kommen. Ihren Anspruch, Marokko
ohne viel Federlesens einzustecken, zu tunisifizieren, haben sie keineswegs aufgegeben,
und sie haben noch weniger Veranlassung dazu, wenn der Wortführer der deutschen
Sozialdemokratie im Reichstage versichert, seine Partei werde die Regierung ver¬
hindern, die vertragsmäßigen Ansprüche Deutschlands auf alle Konsequenzen hin zu
vertreten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Franzosen nicht zufrieden
sein werden, an der algerischen Grenze die ihnen von Deutschland zugestandne
Polizei auszuüben, sondern daß sie der von uns verlangten Internationalisier""!",
der Polizei im übrigen Marokko, der Zollerhebung, des Bankwesens nach Mög¬
lichkeit entgegen sein werden. Nun kommt es ja auf die Beschlüsse der Konferenz
an, die nur Giltigkeit haben, wenn sie einstimmig sind, und es ist bekannt, daß
die in Marokko ansässigen Engländer mit der Politik ihres Landes, die sich, was
Marokko anlangt, gänzlich desinteressiert und das Land völlig an Frankreich über¬
lassen hat, sehr wenig einverstanden sind. Bei dieser Sachlage war der Reichs¬
kanzler sicherlich völlig im Recht, wenn er im Reichstage andeutete, daß wir über
die Spannungen des letzten Sommers wohl hinweg sind, daß sie aber sehr leicht
bald an der einen, bald an der andern Stelle wieder eintreten können. Das


Grenzboten IV 1906 81
Maßgebliches und Unmaßgebliches

für den innern Frieden auf seine Armee verlassen. Aber diese soll doch auf alle
Falle die ullius ratio bleiben. Die Behörden können sehr viel dazu beitragen,
durch rechtzeitige und energische Anwendung der geschlichen Strafmittel gleich in dem
ersten Stadium dem Entstehen ernsterer Komplikationen und dem schließlichen Appell
an die bewaffnete Macht vorzubeugen. In dieses Stadium sind wir längst ein¬
getreten, zum mindesten seit dem Jenaer Parteitag, und es ist nachgerade hohe
Zeit, durch einige Exempel darzutun, daß mit dem innern Frieden der Nation und
der staatlichen Ordnung nicht ungestraft ein frevelhaftes und leichtfertiges Spiel
getrieben werden darf. Je wünschenswerter es ist, daß wir aufrührerischer Be¬
wegungen mit andern als den äußersten Mitteln Herr werden, um so dringender
ist es, diese Mittel nicht erst zu versuchen, wenn es zu spät ist, sondern durch ihre
rechtzeitige Anwendung Warnungstafeln aufzurichten, die weithin für jedermann
verständlich sind. Die Nichtanwendung dieser Mittel dient nur dazu, der Agitation
Mut zu machen und auf die Erhaltung des Rechtsbegriffs, den diese zu zerstören
bestrebt ist, seitens der Staatsgewalt zu verzichten. Das ist nicht im Sinne von
„Scharfmacherei" geschrieben, sondern um spätere unvermeidliche Schärfen zu ver¬
hüten. Artikel wie die der Sächsischen Volkszeitung, die direkt die Aufforderung
zur Revolution aussprechen, dürfen so wenig straflos bleiben wie die in demselben
Sinne gehaltnen Reden. Das ist nicht mehr eine geistige Bewegung, die am
zweckmäßigsten mit geistigen Waffen bekämpft wird, das ist der Appell an die Gewalt,
gegen den mit Ernst, Nachdruck und Konsequenz eingeschritten werden muß. Wenn
heute liberale kathedersozialistische Blätter die Arbeiter beschwören, solchen Ver¬
suchungen nicht Gehör zu schenken, so wird dieser gutgemeinte Appell leider wenig
Erfolg haben, weil solche „Bourgeoisblätter" von den Arbeitern nicht oder nur
wenig gelesen werden, und weil den Arbeitern von andrer Seite klargemacht wird,
daß das nur Angstmeierei sei.

Bebels Rede, die sich in der stenographischen Wiedergabe des amtlichen Reichs¬
tagsberichts etwas gemäßigter ausnimmt als zuvor in den Berichten der Tages¬
zeitungen, hat den verdienten Beifall der französischen Presse gefunden, die selbst¬
verständlich hocherfreut darüber ist, daß sich die deutsche Sozialdemokratie öffentlich
anheischig macht, einen Krieg gegen Frankreich zur Verteidigung deutscher Rechte,
deren Vorhandensein in Marokko Herr Bebel dabei selbst zugibt und anerkennt, zu
verhindern. Die nächste Folge dieser Bebeliade wird voraussichtlich die sein, daß
die französische Presse beginnt, gegen Deutschland einen drohenden und heraus¬
fordernden Ton anzuschlagen. Damit hätte Bebel seinen nächsten Zweck, Deutsch¬
lands internationale Stellung zu erschweren, um dadurch die „Unfähigkeit des
heutigen Klassenstaats" zu erweisen, erreicht. Jedenfalls werden die Franzosen
auf einem sehr hohen Pferde zur Konferenz kommen. Ihren Anspruch, Marokko
ohne viel Federlesens einzustecken, zu tunisifizieren, haben sie keineswegs aufgegeben,
und sie haben noch weniger Veranlassung dazu, wenn der Wortführer der deutschen
Sozialdemokratie im Reichstage versichert, seine Partei werde die Regierung ver¬
hindern, die vertragsmäßigen Ansprüche Deutschlands auf alle Konsequenzen hin zu
vertreten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Franzosen nicht zufrieden
sein werden, an der algerischen Grenze die ihnen von Deutschland zugestandne
Polizei auszuüben, sondern daß sie der von uns verlangten Internationalisier»»!«,
der Polizei im übrigen Marokko, der Zollerhebung, des Bankwesens nach Mög¬
lichkeit entgegen sein werden. Nun kommt es ja auf die Beschlüsse der Konferenz
an, die nur Giltigkeit haben, wenn sie einstimmig sind, und es ist bekannt, daß
die in Marokko ansässigen Engländer mit der Politik ihres Landes, die sich, was
Marokko anlangt, gänzlich desinteressiert und das Land völlig an Frankreich über¬
lassen hat, sehr wenig einverstanden sind. Bei dieser Sachlage war der Reichs¬
kanzler sicherlich völlig im Recht, wenn er im Reichstage andeutete, daß wir über
die Spannungen des letzten Sommers wohl hinweg sind, daß sie aber sehr leicht
bald an der einen, bald an der andern Stelle wieder eintreten können. Das


Grenzboten IV 1906 81
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[0631] Maßgebliches und Unmaßgebliches für den innern Frieden auf seine Armee verlassen. Aber diese soll doch auf alle Falle die ullius ratio bleiben. Die Behörden können sehr viel dazu beitragen, durch rechtzeitige und energische Anwendung der geschlichen Strafmittel gleich in dem ersten Stadium dem Entstehen ernsterer Komplikationen und dem schließlichen Appell an die bewaffnete Macht vorzubeugen. In dieses Stadium sind wir längst ein¬ getreten, zum mindesten seit dem Jenaer Parteitag, und es ist nachgerade hohe Zeit, durch einige Exempel darzutun, daß mit dem innern Frieden der Nation und der staatlichen Ordnung nicht ungestraft ein frevelhaftes und leichtfertiges Spiel getrieben werden darf. Je wünschenswerter es ist, daß wir aufrührerischer Be¬ wegungen mit andern als den äußersten Mitteln Herr werden, um so dringender ist es, diese Mittel nicht erst zu versuchen, wenn es zu spät ist, sondern durch ihre rechtzeitige Anwendung Warnungstafeln aufzurichten, die weithin für jedermann verständlich sind. Die Nichtanwendung dieser Mittel dient nur dazu, der Agitation Mut zu machen und auf die Erhaltung des Rechtsbegriffs, den diese zu zerstören bestrebt ist, seitens der Staatsgewalt zu verzichten. Das ist nicht im Sinne von „Scharfmacherei" geschrieben, sondern um spätere unvermeidliche Schärfen zu ver¬ hüten. Artikel wie die der Sächsischen Volkszeitung, die direkt die Aufforderung zur Revolution aussprechen, dürfen so wenig straflos bleiben wie die in demselben Sinne gehaltnen Reden. Das ist nicht mehr eine geistige Bewegung, die am zweckmäßigsten mit geistigen Waffen bekämpft wird, das ist der Appell an die Gewalt, gegen den mit Ernst, Nachdruck und Konsequenz eingeschritten werden muß. Wenn heute liberale kathedersozialistische Blätter die Arbeiter beschwören, solchen Ver¬ suchungen nicht Gehör zu schenken, so wird dieser gutgemeinte Appell leider wenig Erfolg haben, weil solche „Bourgeoisblätter" von den Arbeitern nicht oder nur wenig gelesen werden, und weil den Arbeitern von andrer Seite klargemacht wird, daß das nur Angstmeierei sei. Bebels Rede, die sich in der stenographischen Wiedergabe des amtlichen Reichs¬ tagsberichts etwas gemäßigter ausnimmt als zuvor in den Berichten der Tages¬ zeitungen, hat den verdienten Beifall der französischen Presse gefunden, die selbst¬ verständlich hocherfreut darüber ist, daß sich die deutsche Sozialdemokratie öffentlich anheischig macht, einen Krieg gegen Frankreich zur Verteidigung deutscher Rechte, deren Vorhandensein in Marokko Herr Bebel dabei selbst zugibt und anerkennt, zu verhindern. Die nächste Folge dieser Bebeliade wird voraussichtlich die sein, daß die französische Presse beginnt, gegen Deutschland einen drohenden und heraus¬ fordernden Ton anzuschlagen. Damit hätte Bebel seinen nächsten Zweck, Deutsch¬ lands internationale Stellung zu erschweren, um dadurch die „Unfähigkeit des heutigen Klassenstaats" zu erweisen, erreicht. Jedenfalls werden die Franzosen auf einem sehr hohen Pferde zur Konferenz kommen. Ihren Anspruch, Marokko ohne viel Federlesens einzustecken, zu tunisifizieren, haben sie keineswegs aufgegeben, und sie haben noch weniger Veranlassung dazu, wenn der Wortführer der deutschen Sozialdemokratie im Reichstage versichert, seine Partei werde die Regierung ver¬ hindern, die vertragsmäßigen Ansprüche Deutschlands auf alle Konsequenzen hin zu vertreten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Franzosen nicht zufrieden sein werden, an der algerischen Grenze die ihnen von Deutschland zugestandne Polizei auszuüben, sondern daß sie der von uns verlangten Internationalisier»»!«, der Polizei im übrigen Marokko, der Zollerhebung, des Bankwesens nach Mög¬ lichkeit entgegen sein werden. Nun kommt es ja auf die Beschlüsse der Konferenz an, die nur Giltigkeit haben, wenn sie einstimmig sind, und es ist bekannt, daß die in Marokko ansässigen Engländer mit der Politik ihres Landes, die sich, was Marokko anlangt, gänzlich desinteressiert und das Land völlig an Frankreich über¬ lassen hat, sehr wenig einverstanden sind. Bei dieser Sachlage war der Reichs¬ kanzler sicherlich völlig im Recht, wenn er im Reichstage andeutete, daß wir über die Spannungen des letzten Sommers wohl hinweg sind, daß sie aber sehr leicht bald an der einen, bald an der andern Stelle wieder eintreten können. Das Grenzboten IV 1906 81

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/631>, abgerufen am 15.01.2025.