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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Warum?

Meyer Plutus aber war nicht zornig. Seine Linke suchte des Kleinen Hand
rasch wieder, und heimlich streichelte dieser sie mit seinem dicken Wollhandschuh.

Gern hätte er auch seine Wange gestreichelt, wenn er hätte hinanreichen können.
Sein Vater schien ihm unendlich -- unermeßlich alt, wie einer, der überhaupt
nicht sterben kann und traurig darüber ist. Durch die Jahrtausende war er ge¬
wandert -- und nun wanderte er hier!

Der Schnee fiel in immer dichtem Flocken, schon mußte der Fuß ihn beim
Ausschreiten schieben. Auf den Bäumen am Wege duldete der scharfe Wind ihn
nicht -- sie streckten kahle, ungeschmückte Zweige empor. Doch in des Hausierers
Bart setzte er sich -- seinen und des Knaben Wärme ausströmenden Mantel be¬
legte er mit einer dicken Schicht, und aus dem Wachstuch des Tragekorbes häufte
er sich.

Bloß noch zum nächsten Dorf, Moritzche -- wir kürzen die Tour ab, sagte
der Vater. Geh wieder hinter mir, so wirst du etwas Schutz haben. Es ist böses
Wetter, aber wir kommen vorwärts nun früher unter Dach, als wenn wir um¬
kehrten -- und bald sind wir im Walde.

Am Wege lag nach kurzem ein großer Findlingsfelsen, den der Dampfpflug
im Acker aufgespürt haben mochte. Er setzte seinen Packen darauf nieder, um zu
ruhn. Wenn wir Glück haben, verkaufen wir im nächsten Dorf schon alles. Es
ist ein großes Dorf -- ein reiches Dorf; Gott schenk uns viele solche Dörfer! In
einer Stunde sind wir da. Er nahm dem Knaben die Mütze vom Kopf und löste
aus ihrem Innern einen Streifen Wollzeug, der Mund und Nase schützen sollte.
Dann strich er den Schneehaufen von dem Korbe und nahm ihn wieder auf.

Sie kamen nun eine Strecke durch Tannenwald, unter dessen Baumkronen eine
Schar von Krähen mit lautem Geschrei Schutz suchte. Auch für das Vogelauge
War die Luft zu dick, als daß sie ihrer Nahrung hätten nachgehn können. Sie
schalten mißtönend über den Schnee, der ihnen Wagenspuren, Saatfelder und Dünger¬
haufen -- alles, was ihre Freude war -- verschüttete. Eine Meise schlüpfte dicht
am Wege durch das braune Laub jungen Buchenaufschlags. Moritz hatte sie für
eine Maus gehalten und schrie auf: Was macht sie da?

Es ist ein Vogel -- nu -- wie alle Vögel. Was soll er da machen? Es
ist sein Geschäft. Dort wo junge Fichtenbäumchen einander beschirmend beisammen
standen, hatte sich der Schnee ruhig auf die gespreizten Zweige gelegt und dichte
weiße Lauben gebildet, in denen ein Häschen gerade Platz gefunden hätte. Moritz
freute sich über die traulichen Gewölbe und fragte: Warum sitzen nicht Tiere darin?
Es ist wie weiße Laubhütten.

Sitzen sie nicht darin, werden sie wissen, warum. Was sorgst du dich um
die Tiere? Kannst du davon leben?

Als sie aus dem Gehölz wieder hinaustraten, empfing sie ein verstärkter Wind.
Das Schneetreiben hatte an Heftigkeit zugenommen, und als es sie recht faßte,
schauderte der Kleine zurück und suchte Deckung hinter seinem Vater. Dieser geriet
selbst ins Wanken. Sie hatten nun den Wind schräg von vorn. Ganze Massen
Schnees drängten sich zwischen seinen Rücken und die Rundung des Korbes und ver¬
mehrten das Gewicht, das er schleppen mußte. Er warf sich scharf gegenan, wobei
sich seine ohnehin engbrüstige und verbogne Gestalt noch tiefer zur Erde neigte.

Tritt in meine Spuren. Nun dauerts nicht mehr lange -- noch eine kleine
halbe Stunde. Was ist eine halbe Stunde? Kannst du nicht laufen wie ein
Huhn? Er glaubte selbst nicht, was er sagte. Er wußte, daß bei diesem Wetter
vor einer Stunde das vorderste Gehöft nicht zu erreichen war.

Junge Ebereschen bezeichneten den Weg, den selbst er sonst nicht gefunden
hätte. Man sah nicht zwanzig Schritte weit, und kein Geräusch drang vom Dorf
herüber, die Richtung angebend. Man hörte nur das Pfeifen des Windes, das
Knistern der Schneekörncr und das Knirschen des gestochenen Korbes. Plutus er¬
zählte nun nichts mehr, denn er hatte keinen Atem dazu übrig. Nur dann und
wann warf er ein ermutigendes Wort hin. So kämpften sie sich ein gutes Stück
vorwärts.


Warum?

Meyer Plutus aber war nicht zornig. Seine Linke suchte des Kleinen Hand
rasch wieder, und heimlich streichelte dieser sie mit seinem dicken Wollhandschuh.

Gern hätte er auch seine Wange gestreichelt, wenn er hätte hinanreichen können.
Sein Vater schien ihm unendlich — unermeßlich alt, wie einer, der überhaupt
nicht sterben kann und traurig darüber ist. Durch die Jahrtausende war er ge¬
wandert — und nun wanderte er hier!

Der Schnee fiel in immer dichtem Flocken, schon mußte der Fuß ihn beim
Ausschreiten schieben. Auf den Bäumen am Wege duldete der scharfe Wind ihn
nicht — sie streckten kahle, ungeschmückte Zweige empor. Doch in des Hausierers
Bart setzte er sich — seinen und des Knaben Wärme ausströmenden Mantel be¬
legte er mit einer dicken Schicht, und aus dem Wachstuch des Tragekorbes häufte
er sich.

Bloß noch zum nächsten Dorf, Moritzche — wir kürzen die Tour ab, sagte
der Vater. Geh wieder hinter mir, so wirst du etwas Schutz haben. Es ist böses
Wetter, aber wir kommen vorwärts nun früher unter Dach, als wenn wir um¬
kehrten — und bald sind wir im Walde.

Am Wege lag nach kurzem ein großer Findlingsfelsen, den der Dampfpflug
im Acker aufgespürt haben mochte. Er setzte seinen Packen darauf nieder, um zu
ruhn. Wenn wir Glück haben, verkaufen wir im nächsten Dorf schon alles. Es
ist ein großes Dorf — ein reiches Dorf; Gott schenk uns viele solche Dörfer! In
einer Stunde sind wir da. Er nahm dem Knaben die Mütze vom Kopf und löste
aus ihrem Innern einen Streifen Wollzeug, der Mund und Nase schützen sollte.
Dann strich er den Schneehaufen von dem Korbe und nahm ihn wieder auf.

Sie kamen nun eine Strecke durch Tannenwald, unter dessen Baumkronen eine
Schar von Krähen mit lautem Geschrei Schutz suchte. Auch für das Vogelauge
War die Luft zu dick, als daß sie ihrer Nahrung hätten nachgehn können. Sie
schalten mißtönend über den Schnee, der ihnen Wagenspuren, Saatfelder und Dünger¬
haufen — alles, was ihre Freude war — verschüttete. Eine Meise schlüpfte dicht
am Wege durch das braune Laub jungen Buchenaufschlags. Moritz hatte sie für
eine Maus gehalten und schrie auf: Was macht sie da?

Es ist ein Vogel — nu — wie alle Vögel. Was soll er da machen? Es
ist sein Geschäft. Dort wo junge Fichtenbäumchen einander beschirmend beisammen
standen, hatte sich der Schnee ruhig auf die gespreizten Zweige gelegt und dichte
weiße Lauben gebildet, in denen ein Häschen gerade Platz gefunden hätte. Moritz
freute sich über die traulichen Gewölbe und fragte: Warum sitzen nicht Tiere darin?
Es ist wie weiße Laubhütten.

Sitzen sie nicht darin, werden sie wissen, warum. Was sorgst du dich um
die Tiere? Kannst du davon leben?

Als sie aus dem Gehölz wieder hinaustraten, empfing sie ein verstärkter Wind.
Das Schneetreiben hatte an Heftigkeit zugenommen, und als es sie recht faßte,
schauderte der Kleine zurück und suchte Deckung hinter seinem Vater. Dieser geriet
selbst ins Wanken. Sie hatten nun den Wind schräg von vorn. Ganze Massen
Schnees drängten sich zwischen seinen Rücken und die Rundung des Korbes und ver¬
mehrten das Gewicht, das er schleppen mußte. Er warf sich scharf gegenan, wobei
sich seine ohnehin engbrüstige und verbogne Gestalt noch tiefer zur Erde neigte.

Tritt in meine Spuren. Nun dauerts nicht mehr lange — noch eine kleine
halbe Stunde. Was ist eine halbe Stunde? Kannst du nicht laufen wie ein
Huhn? Er glaubte selbst nicht, was er sagte. Er wußte, daß bei diesem Wetter
vor einer Stunde das vorderste Gehöft nicht zu erreichen war.

Junge Ebereschen bezeichneten den Weg, den selbst er sonst nicht gefunden
hätte. Man sah nicht zwanzig Schritte weit, und kein Geräusch drang vom Dorf
herüber, die Richtung angebend. Man hörte nur das Pfeifen des Windes, das
Knistern der Schneekörncr und das Knirschen des gestochenen Korbes. Plutus er¬
zählte nun nichts mehr, denn er hatte keinen Atem dazu übrig. Nur dann und
wann warf er ein ermutigendes Wort hin. So kämpften sie sich ein gutes Stück
vorwärts.


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[0626] Warum? Meyer Plutus aber war nicht zornig. Seine Linke suchte des Kleinen Hand rasch wieder, und heimlich streichelte dieser sie mit seinem dicken Wollhandschuh. Gern hätte er auch seine Wange gestreichelt, wenn er hätte hinanreichen können. Sein Vater schien ihm unendlich — unermeßlich alt, wie einer, der überhaupt nicht sterben kann und traurig darüber ist. Durch die Jahrtausende war er ge¬ wandert — und nun wanderte er hier! Der Schnee fiel in immer dichtem Flocken, schon mußte der Fuß ihn beim Ausschreiten schieben. Auf den Bäumen am Wege duldete der scharfe Wind ihn nicht — sie streckten kahle, ungeschmückte Zweige empor. Doch in des Hausierers Bart setzte er sich — seinen und des Knaben Wärme ausströmenden Mantel be¬ legte er mit einer dicken Schicht, und aus dem Wachstuch des Tragekorbes häufte er sich. Bloß noch zum nächsten Dorf, Moritzche — wir kürzen die Tour ab, sagte der Vater. Geh wieder hinter mir, so wirst du etwas Schutz haben. Es ist böses Wetter, aber wir kommen vorwärts nun früher unter Dach, als wenn wir um¬ kehrten — und bald sind wir im Walde. Am Wege lag nach kurzem ein großer Findlingsfelsen, den der Dampfpflug im Acker aufgespürt haben mochte. Er setzte seinen Packen darauf nieder, um zu ruhn. Wenn wir Glück haben, verkaufen wir im nächsten Dorf schon alles. Es ist ein großes Dorf — ein reiches Dorf; Gott schenk uns viele solche Dörfer! In einer Stunde sind wir da. Er nahm dem Knaben die Mütze vom Kopf und löste aus ihrem Innern einen Streifen Wollzeug, der Mund und Nase schützen sollte. Dann strich er den Schneehaufen von dem Korbe und nahm ihn wieder auf. Sie kamen nun eine Strecke durch Tannenwald, unter dessen Baumkronen eine Schar von Krähen mit lautem Geschrei Schutz suchte. Auch für das Vogelauge War die Luft zu dick, als daß sie ihrer Nahrung hätten nachgehn können. Sie schalten mißtönend über den Schnee, der ihnen Wagenspuren, Saatfelder und Dünger¬ haufen — alles, was ihre Freude war — verschüttete. Eine Meise schlüpfte dicht am Wege durch das braune Laub jungen Buchenaufschlags. Moritz hatte sie für eine Maus gehalten und schrie auf: Was macht sie da? Es ist ein Vogel — nu — wie alle Vögel. Was soll er da machen? Es ist sein Geschäft. Dort wo junge Fichtenbäumchen einander beschirmend beisammen standen, hatte sich der Schnee ruhig auf die gespreizten Zweige gelegt und dichte weiße Lauben gebildet, in denen ein Häschen gerade Platz gefunden hätte. Moritz freute sich über die traulichen Gewölbe und fragte: Warum sitzen nicht Tiere darin? Es ist wie weiße Laubhütten. Sitzen sie nicht darin, werden sie wissen, warum. Was sorgst du dich um die Tiere? Kannst du davon leben? Als sie aus dem Gehölz wieder hinaustraten, empfing sie ein verstärkter Wind. Das Schneetreiben hatte an Heftigkeit zugenommen, und als es sie recht faßte, schauderte der Kleine zurück und suchte Deckung hinter seinem Vater. Dieser geriet selbst ins Wanken. Sie hatten nun den Wind schräg von vorn. Ganze Massen Schnees drängten sich zwischen seinen Rücken und die Rundung des Korbes und ver¬ mehrten das Gewicht, das er schleppen mußte. Er warf sich scharf gegenan, wobei sich seine ohnehin engbrüstige und verbogne Gestalt noch tiefer zur Erde neigte. Tritt in meine Spuren. Nun dauerts nicht mehr lange — noch eine kleine halbe Stunde. Was ist eine halbe Stunde? Kannst du nicht laufen wie ein Huhn? Er glaubte selbst nicht, was er sagte. Er wußte, daß bei diesem Wetter vor einer Stunde das vorderste Gehöft nicht zu erreichen war. Junge Ebereschen bezeichneten den Weg, den selbst er sonst nicht gefunden hätte. Man sah nicht zwanzig Schritte weit, und kein Geräusch drang vom Dorf herüber, die Richtung angebend. Man hörte nur das Pfeifen des Windes, das Knistern der Schneekörncr und das Knirschen des gestochenen Korbes. Plutus er¬ zählte nun nichts mehr, denn er hatte keinen Atem dazu übrig. Nur dann und wann warf er ein ermutigendes Wort hin. So kämpften sie sich ein gutes Stück vorwärts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/626>, abgerufen am 15.01.2025.