Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Geschichte einer Sammlung Diese Gleichgiltigkeit muß man sich vorstellen, wenn man begreifen will, daß Ich möchte Wohl wissen, ob die große Umwälzung der öffentlichen Verhältnisse Eine ganze Anzahl von meines Vaters schönsten Geschichten stammen aus der Einmal, während der unruhigen Zeit, hatte sich mein Vater verspätet und kam Es wäre doch wohl nicht ernstlich seine Absicht, noch heute nach Rocca hinauf- Doch allerdings. Er wüßte doch wohl, daß keine gute" Zeiten wären; es triebe sich mancherlei Das möchte wohl sein, aber fürchten täte er sich nicht. Er würde oben von Sie wollten ihn aber dringend gebeten haben, das zu unterlassen. Das erkenne er mit vollem Dank an, aber das wäre sicher, daß er gehn würde. Dann möchte er ihnen aber das Zeugnis hier vor den Herren aussprechen, Als mein Vater aufbrach, zu Fuß, denn ein Reittier hatte er richtig nicht Geschichte einer Sammlung Diese Gleichgiltigkeit muß man sich vorstellen, wenn man begreifen will, daß Ich möchte Wohl wissen, ob die große Umwälzung der öffentlichen Verhältnisse Eine ganze Anzahl von meines Vaters schönsten Geschichten stammen aus der Einmal, während der unruhigen Zeit, hatte sich mein Vater verspätet und kam Es wäre doch wohl nicht ernstlich seine Absicht, noch heute nach Rocca hinauf- Doch allerdings. Er wüßte doch wohl, daß keine gute» Zeiten wären; es triebe sich mancherlei Das möchte wohl sein, aber fürchten täte er sich nicht. Er würde oben von Sie wollten ihn aber dringend gebeten haben, das zu unterlassen. Das erkenne er mit vollem Dank an, aber das wäre sicher, daß er gehn würde. Dann möchte er ihnen aber das Zeugnis hier vor den Herren aussprechen, Als mein Vater aufbrach, zu Fuß, denn ein Reittier hatte er richtig nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296627"/> <fw type="header" place="top"> Geschichte einer Sammlung</fw><lb/> <p xml:id="ID_3120"> Diese Gleichgiltigkeit muß man sich vorstellen, wenn man begreifen will, daß<lb/> ein Mann mit begrenztem Vermögen, der mein Vater war, sich Sachen kaufen konnte,<lb/> zu denen eigentlich ein mehr als fürstlicher Besitz nötig wäre.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_3121"> Ich möchte Wohl wissen, ob die große Umwälzung der öffentlichen Verhältnisse<lb/> das bewirkt hat, daß damals solche Dinge zum Verkauf kamen? Meine Eltern<lb/> waren gerade zum letzten Jahre der päpstlichen Herrschaft nach Rom gekommen, 1869.<lb/> Im Sommer 1870 hatten sie von Rocca ti Papa aus, wo sie für die heißen<lb/> Monate waren, mit Fernrohren zugesehen, wie Rom beschossen wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_3122"> Eine ganze Anzahl von meines Vaters schönsten Geschichten stammen aus der<lb/> Zeit. Mein Vater ritt, so lange der Juni dauerte, und noch Deutsche in Rom<lb/> waren, jeden Samstag von den Bergen hinunter, über Frascati uach Rom, um den<lb/> Gottesdienst in der Kapelle auf dem Kapital zu halten. Am Sonntag Abend kam<lb/> er zurück, dann gingen wir Kinder mit der Mutter ihm entgegen bis zu deu<lb/> Schluchten im Kastanienwald, wo es duftete und rosenrote Alpenveilchen und Ginster<lb/> blühten. Dann hörten wir meinen Vater von ferne rufen. Er war ein Riese<lb/> von Gestalt und hatte unter dem mächtigen Brustgewölbe einen Tenor von großem<lb/> Klang und großer Biegsamkeit. Sei» „Hoho," auf zwei Töne gerufen, schwang<lb/> sich haltend über die Schlucht und wurde von Felsen und Stämmen zurückgeworfen.<lb/> Meine schöne zarte Mutter gab Antwort. Ich kenne genau den Geruch des Laubes<lb/> und den vom Ginster und von der „Puzzolana"-Erde. Ich war sehr klein, aber<lb/> heute noch, wenn beim Einschlafen oder Erwachen ein Eindruck des Entzückens durch<lb/> meine Vorstellung schwebt, stammt er vielleicht aus jenen Bergen, wo wir Kinder<lb/> damals standen und lauschten, bis mein Vater zwischen den Bäumen auftauchte.<lb/> Auf dem Heimweg bis nach Rocca, das in der Farbe des Felsens an den Felsen<lb/> gebant und angeklammert hängt, durften wir im Sattel sitzen, während die Eltern<lb/> nebeneinander gingen, und mein Vater das Pferd führte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3123"> Einmal, während der unruhigen Zeit, hatte sich mein Vater verspätet und kam<lb/> erst gegen Ave Maria nach Frascati. Er suchte ein Tier zu bekommen, um nach<lb/> Rocca ti Papa hinaufzureiten, aber es war um diese Zeit keins zu haben. Während<lb/> des Wartens hatte er sich auf den Marktplatz gesetzt, wo der Prcifekt und die An¬<lb/> gesehenen von Frascati vor dem Kaffeehaus saßen. Mit der Zeit bemerkte er an<lb/> den Gebärden, daß von ihm die Rede war, und nicht lange danach erhoben sich<lb/> einige der Signori und kamen auf ihn zu:</p><lb/> <p xml:id="ID_3124"> Es wäre doch wohl nicht ernstlich seine Absicht, noch heute nach Rocca hinauf-<lb/> zureiten?</p><lb/> <p xml:id="ID_3125"> Doch allerdings.</p><lb/> <p xml:id="ID_3126"> Er wüßte doch wohl, daß keine gute» Zeiten wären; es triebe sich mancherlei<lb/> Gesindel herum!</p><lb/> <p xml:id="ID_3127"> Das möchte wohl sein, aber fürchten täte er sich nicht. Er würde oben von<lb/> seiner Frau erwartet und würde hinausgehn, mit dem Pferd, und falls er keins<lb/> bekommen sollte, zu Fuß.</p><lb/> <p xml:id="ID_3128"> Sie wollten ihn aber dringend gebeten haben, das zu unterlassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3129"> Das erkenne er mit vollem Dank an, aber das wäre sicher, daß er gehn würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_3130"> Dann möchte er ihnen aber das Zeugnis hier vor den Herren aussprechen,<lb/> daß sie ihn nicht ungewarnt hätten gehn lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3131" next="#ID_3132"> Als mein Vater aufbrach, zu Fuß, denn ein Reittier hatte er richtig nicht<lb/> bekommen, war der Sonnenuntergang vorbei, und es wurde dunkel. Aber es war<lb/> eine Mondnacht. Er ging so, wie man geht, wenn rings herum die Schönheit<lb/> der Erde ausgebreitet liegt wie ein schlafendes Eigentum, und er ging ruhig, in<lb/> der Sicherheit seines Kraftgefühls. Er war als heranwachsender Mensch ein großer<lb/> Turner gewesen; auf den jetzigen Betrieb der Schulturnerei unter Anleitung und<lb/> Kommando eiues Lehrers sah er als auf eine jämmerliche Ammenwirtschaft hinunter,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0616]
Geschichte einer Sammlung
Diese Gleichgiltigkeit muß man sich vorstellen, wenn man begreifen will, daß
ein Mann mit begrenztem Vermögen, der mein Vater war, sich Sachen kaufen konnte,
zu denen eigentlich ein mehr als fürstlicher Besitz nötig wäre.
Ich möchte Wohl wissen, ob die große Umwälzung der öffentlichen Verhältnisse
das bewirkt hat, daß damals solche Dinge zum Verkauf kamen? Meine Eltern
waren gerade zum letzten Jahre der päpstlichen Herrschaft nach Rom gekommen, 1869.
Im Sommer 1870 hatten sie von Rocca ti Papa aus, wo sie für die heißen
Monate waren, mit Fernrohren zugesehen, wie Rom beschossen wurde.
Eine ganze Anzahl von meines Vaters schönsten Geschichten stammen aus der
Zeit. Mein Vater ritt, so lange der Juni dauerte, und noch Deutsche in Rom
waren, jeden Samstag von den Bergen hinunter, über Frascati uach Rom, um den
Gottesdienst in der Kapelle auf dem Kapital zu halten. Am Sonntag Abend kam
er zurück, dann gingen wir Kinder mit der Mutter ihm entgegen bis zu deu
Schluchten im Kastanienwald, wo es duftete und rosenrote Alpenveilchen und Ginster
blühten. Dann hörten wir meinen Vater von ferne rufen. Er war ein Riese
von Gestalt und hatte unter dem mächtigen Brustgewölbe einen Tenor von großem
Klang und großer Biegsamkeit. Sei» „Hoho," auf zwei Töne gerufen, schwang
sich haltend über die Schlucht und wurde von Felsen und Stämmen zurückgeworfen.
Meine schöne zarte Mutter gab Antwort. Ich kenne genau den Geruch des Laubes
und den vom Ginster und von der „Puzzolana"-Erde. Ich war sehr klein, aber
heute noch, wenn beim Einschlafen oder Erwachen ein Eindruck des Entzückens durch
meine Vorstellung schwebt, stammt er vielleicht aus jenen Bergen, wo wir Kinder
damals standen und lauschten, bis mein Vater zwischen den Bäumen auftauchte.
Auf dem Heimweg bis nach Rocca, das in der Farbe des Felsens an den Felsen
gebant und angeklammert hängt, durften wir im Sattel sitzen, während die Eltern
nebeneinander gingen, und mein Vater das Pferd führte.
Einmal, während der unruhigen Zeit, hatte sich mein Vater verspätet und kam
erst gegen Ave Maria nach Frascati. Er suchte ein Tier zu bekommen, um nach
Rocca ti Papa hinaufzureiten, aber es war um diese Zeit keins zu haben. Während
des Wartens hatte er sich auf den Marktplatz gesetzt, wo der Prcifekt und die An¬
gesehenen von Frascati vor dem Kaffeehaus saßen. Mit der Zeit bemerkte er an
den Gebärden, daß von ihm die Rede war, und nicht lange danach erhoben sich
einige der Signori und kamen auf ihn zu:
Es wäre doch wohl nicht ernstlich seine Absicht, noch heute nach Rocca hinauf-
zureiten?
Doch allerdings.
Er wüßte doch wohl, daß keine gute» Zeiten wären; es triebe sich mancherlei
Gesindel herum!
Das möchte wohl sein, aber fürchten täte er sich nicht. Er würde oben von
seiner Frau erwartet und würde hinausgehn, mit dem Pferd, und falls er keins
bekommen sollte, zu Fuß.
Sie wollten ihn aber dringend gebeten haben, das zu unterlassen.
Das erkenne er mit vollem Dank an, aber das wäre sicher, daß er gehn würde.
Dann möchte er ihnen aber das Zeugnis hier vor den Herren aussprechen,
daß sie ihn nicht ungewarnt hätten gehn lassen.
Als mein Vater aufbrach, zu Fuß, denn ein Reittier hatte er richtig nicht
bekommen, war der Sonnenuntergang vorbei, und es wurde dunkel. Aber es war
eine Mondnacht. Er ging so, wie man geht, wenn rings herum die Schönheit
der Erde ausgebreitet liegt wie ein schlafendes Eigentum, und er ging ruhig, in
der Sicherheit seines Kraftgefühls. Er war als heranwachsender Mensch ein großer
Turner gewesen; auf den jetzigen Betrieb der Schulturnerei unter Anleitung und
Kommando eiues Lehrers sah er als auf eine jämmerliche Ammenwirtschaft hinunter,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |