Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Im Lande des Kondors den Cerro Baron zum Beispiel zieht ein besserer Fremder wohl schwerlich. Gleichwie eine Feuersbrunst gewissermaßen ein allgemeines öffentliches Im Lande des Kondors den Cerro Baron zum Beispiel zieht ein besserer Fremder wohl schwerlich. Gleichwie eine Feuersbrunst gewissermaßen ein allgemeines öffentliches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0608" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296619"/> <fw type="header" place="top"> Im Lande des Kondors</fw><lb/> <p xml:id="ID_3074" prev="#ID_3073"> den Cerro Baron zum Beispiel zieht ein besserer Fremder wohl schwerlich.<lb/> Dort allerdings sind Häuschen billigst zu haben; aber der Ruf dieses mit Ein-<lb/> gebornen dicht bevölkerten Hügels ist so, daß er auch den Mutigsten abhalten<lb/> wird, seiue Familie den vielen Gefahren eines solchen Wohnorts auszusetzen.<lb/> Dasselbe gilt auch für andre Cerros. Überhaupt sind die Sicherheitsverhält-<lb/> nisse der Stadt Valparaiso höchst ungünstig. Tausende ihrer Bewohner leben<lb/> tatsächlich von Raub und Diebstahl. Auch die Häuser in den besser bewachten<lb/> und leichter zugänglichen Quartieren müssen, besonders bei Nacht, festungsartig<lb/> geschlossen werden. Daß die Diebe Leitern mitbringen, mit deren Hilfe sie<lb/> in die obern Stockwerke der Häuser einsteigen, wenn ihnen das Aufbrechen der<lb/> Türen uicht gelingt, kommt so oft vor, daß man sich darüber gar nicht mehr<lb/> aufhält. Ja man gewöhnt sich im Laufe der Zeit an die nun einmal zu den<lb/> täglichen Erscheinungen gehörenden Berichte über Diebstahl, Einbruch, Beraubung<lb/> ebenso wie an die unverhältnismäßig große Zahl von Brandfällen, es hat ja<lb/> der Mensch glücklicherweise ein sehr großes Anpassungsvermögen. „Was nach<lb/> neun Uhr Abends in Valparaiso brennt, ist absichtlich angezündet worden," er¬<lb/> klärte mir gleich anfangs ein befreundeter Herr. Für die Mehrzahl der Feuers¬<lb/> brünste, deren Häufigkeit mich in der ersten Zeit meines Aufenthalts geradezu<lb/> erschreckte, stimmt dieser Ausspruch sicherlich. Aber viel Brandunglück entsteht<lb/> auch durch die unglaubliche Liederlichkeit, mit der das Volk dort im allgemeinen<lb/> mit Feuer und Licht umgeht. In dieser Richtung gibt es in Chile eine merk¬<lb/> würdige Gesetzesbestimmung. Bricht in einem Hause Feuer aus, so wird der<lb/> augenblickliche Hausinhaber, der Mieter und oft auch die Mieterin, zunächst ins<lb/> Gefängnis abgeführt, dort ohne jede Rücksicht auf soziale Stellung mit Ver-<lb/> brechergesindel zusammengesteckt und so lange zurückgehalten, bis es dem ^luW<lb/> nisi orimsu, dem Untersuchungsrichter, gefällig ist, die Sache zu prüfen und die<lb/> Verhafteten freizugeben. Auf die Willkürakte, die sich dadurch bei der korrum¬<lb/> pierten Justiz abspielen, werde ich später noch zu sprechen kommen. Brennt<lb/> es in Valparaiso, so ist dies ein freudiges Ereignis für den lieben Plebs, der<lb/> in Masse, wie aus dem Boden gewachsen, plötzlich am Brandorte erscheint. Die<lb/> gute Gelegenheit, im großen stehlen zu können, läßt sich der Pöbel hier nie<lb/> entgehn. Etwas gutes kommt aber bei der drakonischen Maßregel der polizei¬<lb/> lichen Abführung doch heraus: die Brandstiftungen sind etwas zurückgegangen,<lb/> doch sind sie immerhin noch zahlreich genug. Die vielen Versicherungsgesell¬<lb/> schaften in Valparaiso können sich auch uur durch abnorm hohe Prämiensätze<lb/> halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3075" next="#ID_3076"> Gleichwie eine Feuersbrunst gewissermaßen ein allgemeines öffentliches<lb/> Schauspiel und Vergnügen für die Bevölkerung ist, so wird auch das Feuer¬<lb/> löschwesen als eine Art von Sport betrieben. Eine städtische oder staatlich<lb/> organisierte Feuerwehr gibt es weder in Valparaiso noch in Santiago. Es<lb/> sind freiwillige Vereinigungen, CompaNias de Bomberos, die, numeriert und<lb/> teilweise sehr phantastisch uniformiert, die sogenannte Feuerwehr bilden. Außer<lb/> einigen chilenischen Compamas de Bomberos gibt es nach den verschiednen dort<lb/> ansässigen Fremdenkolonien eine deutsche, eine englische, eine französische und<lb/> eine italienische Gesellschaft, also schon äußerlich, in der Uniform, buntfarbig,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0608]
Im Lande des Kondors
den Cerro Baron zum Beispiel zieht ein besserer Fremder wohl schwerlich.
Dort allerdings sind Häuschen billigst zu haben; aber der Ruf dieses mit Ein-
gebornen dicht bevölkerten Hügels ist so, daß er auch den Mutigsten abhalten
wird, seiue Familie den vielen Gefahren eines solchen Wohnorts auszusetzen.
Dasselbe gilt auch für andre Cerros. Überhaupt sind die Sicherheitsverhält-
nisse der Stadt Valparaiso höchst ungünstig. Tausende ihrer Bewohner leben
tatsächlich von Raub und Diebstahl. Auch die Häuser in den besser bewachten
und leichter zugänglichen Quartieren müssen, besonders bei Nacht, festungsartig
geschlossen werden. Daß die Diebe Leitern mitbringen, mit deren Hilfe sie
in die obern Stockwerke der Häuser einsteigen, wenn ihnen das Aufbrechen der
Türen uicht gelingt, kommt so oft vor, daß man sich darüber gar nicht mehr
aufhält. Ja man gewöhnt sich im Laufe der Zeit an die nun einmal zu den
täglichen Erscheinungen gehörenden Berichte über Diebstahl, Einbruch, Beraubung
ebenso wie an die unverhältnismäßig große Zahl von Brandfällen, es hat ja
der Mensch glücklicherweise ein sehr großes Anpassungsvermögen. „Was nach
neun Uhr Abends in Valparaiso brennt, ist absichtlich angezündet worden," er¬
klärte mir gleich anfangs ein befreundeter Herr. Für die Mehrzahl der Feuers¬
brünste, deren Häufigkeit mich in der ersten Zeit meines Aufenthalts geradezu
erschreckte, stimmt dieser Ausspruch sicherlich. Aber viel Brandunglück entsteht
auch durch die unglaubliche Liederlichkeit, mit der das Volk dort im allgemeinen
mit Feuer und Licht umgeht. In dieser Richtung gibt es in Chile eine merk¬
würdige Gesetzesbestimmung. Bricht in einem Hause Feuer aus, so wird der
augenblickliche Hausinhaber, der Mieter und oft auch die Mieterin, zunächst ins
Gefängnis abgeführt, dort ohne jede Rücksicht auf soziale Stellung mit Ver-
brechergesindel zusammengesteckt und so lange zurückgehalten, bis es dem ^luW
nisi orimsu, dem Untersuchungsrichter, gefällig ist, die Sache zu prüfen und die
Verhafteten freizugeben. Auf die Willkürakte, die sich dadurch bei der korrum¬
pierten Justiz abspielen, werde ich später noch zu sprechen kommen. Brennt
es in Valparaiso, so ist dies ein freudiges Ereignis für den lieben Plebs, der
in Masse, wie aus dem Boden gewachsen, plötzlich am Brandorte erscheint. Die
gute Gelegenheit, im großen stehlen zu können, läßt sich der Pöbel hier nie
entgehn. Etwas gutes kommt aber bei der drakonischen Maßregel der polizei¬
lichen Abführung doch heraus: die Brandstiftungen sind etwas zurückgegangen,
doch sind sie immerhin noch zahlreich genug. Die vielen Versicherungsgesell¬
schaften in Valparaiso können sich auch uur durch abnorm hohe Prämiensätze
halten.
Gleichwie eine Feuersbrunst gewissermaßen ein allgemeines öffentliches
Schauspiel und Vergnügen für die Bevölkerung ist, so wird auch das Feuer¬
löschwesen als eine Art von Sport betrieben. Eine städtische oder staatlich
organisierte Feuerwehr gibt es weder in Valparaiso noch in Santiago. Es
sind freiwillige Vereinigungen, CompaNias de Bomberos, die, numeriert und
teilweise sehr phantastisch uniformiert, die sogenannte Feuerwehr bilden. Außer
einigen chilenischen Compamas de Bomberos gibt es nach den verschiednen dort
ansässigen Fremdenkolonien eine deutsche, eine englische, eine französische und
eine italienische Gesellschaft, also schon äußerlich, in der Uniform, buntfarbig,
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