Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Hi-rzen Jetzt wandten sich aller Augen der Tür zu. Und herein trat, in einen alten Mantel gehüllt, der auf dem Kopf in einer Die Kauzleirätin und Desideria sahen einander beruhigt an; Preber kicherte, Stine meldete, daß der gemietete Landauer vor der Tür halte. Und so stiegen Der Winter hatte sich eingestellt. Es war bedeckter Himmel und stilles Frost¬ Gegen acht Uhr hielt der Wagen hinter mehreren andern Fuhrwerken vor Nachdem die Gäste abgelegt hatten, stiegen sie die teppichbelegten Treppen Der Graf war im Domino, die Gräfin ebenfalls. Der Stammherr hatte die Nach und nach stellten sich alle Familien aus der Umgegend ein. Koltrup Die alte Wahrsagerin erregte allgemeines Aufsehen, und alle wollten sich Es verbreitete sich das Gerücht, daß es Großmutter sei, während Berta und Ein schwarzer Domino näherte sich Desideria, bot ihr den Arm und führte Sie nahmen Platz. Und der Unbekannte sagte mit jüdischen Accent und Sie antwortete nicht. Demaskieren Sie sich eine kleine Weile, daß ich Ihr holdes Antlitz schauen Da sprang sie auf wie von einer Tarantel gestochen und verschwand in Ein Figaro trat an Berta heran, die überraschend gut aussah. Sie hatte Er schrieb ein H in ihre Hand und bot ihr den Arm. Sie erkannte sofort Da sagte er: Sie sind heute Abend gar nicht so wie sonst. Weshalb so Keine Autwort. Da führte er sie in ein Nebenzimmer und sagte: Legen Sie Ihre Maske ab, Sie kicherte. Er zuckte zusammen und sagte: Ich habe wohl gewußt, daß Sie sehr talent¬ Junge Hi-rzen Jetzt wandten sich aller Augen der Tür zu. Und herein trat, in einen alten Mantel gehüllt, der auf dem Kopf in einer Die Kauzleirätin und Desideria sahen einander beruhigt an; Preber kicherte, Stine meldete, daß der gemietete Landauer vor der Tür halte. Und so stiegen Der Winter hatte sich eingestellt. Es war bedeckter Himmel und stilles Frost¬ Gegen acht Uhr hielt der Wagen hinter mehreren andern Fuhrwerken vor Nachdem die Gäste abgelegt hatten, stiegen sie die teppichbelegten Treppen Der Graf war im Domino, die Gräfin ebenfalls. Der Stammherr hatte die Nach und nach stellten sich alle Familien aus der Umgegend ein. Koltrup Die alte Wahrsagerin erregte allgemeines Aufsehen, und alle wollten sich Es verbreitete sich das Gerücht, daß es Großmutter sei, während Berta und Ein schwarzer Domino näherte sich Desideria, bot ihr den Arm und führte Sie nahmen Platz. Und der Unbekannte sagte mit jüdischen Accent und Sie antwortete nicht. Demaskieren Sie sich eine kleine Weile, daß ich Ihr holdes Antlitz schauen Da sprang sie auf wie von einer Tarantel gestochen und verschwand in Ein Figaro trat an Berta heran, die überraschend gut aussah. Sie hatte Er schrieb ein H in ihre Hand und bot ihr den Arm. Sie erkannte sofort Da sagte er: Sie sind heute Abend gar nicht so wie sonst. Weshalb so Keine Autwort. Da führte er sie in ein Nebenzimmer und sagte: Legen Sie Ihre Maske ab, Sie kicherte. Er zuckte zusammen und sagte: Ich habe wohl gewußt, daß Sie sehr talent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296070"/> <fw type="header" place="top"> Junge Hi-rzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_287" prev="#ID_286"> Jetzt wandten sich aller Augen der Tür zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_288"> Und herein trat, in einen alten Mantel gehüllt, der auf dem Kopf in einer<lb/> Kapuze endete, einen laugen Krückstock unterm Arm und in einer Maske mit spitzer<lb/> Nase ein altes Weib, in dessen Gestalt Helene ihre Schönheit vermummt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_289"> Die Kauzleirätin und Desideria sahen einander beruhigt an; Preber kicherte,<lb/> der Lehrling lachte, und die Mädchen bargen eiligst ihre Gesichter in den Schürzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_290"> Stine meldete, daß der gemietete Landauer vor der Tür halte. Und so stiegen<lb/> die vier vermummten Gestalten ein. Die Laternen waren angezündet, und Ricks<lb/> trieb die Pferde an.</p><lb/> <p xml:id="ID_291"> Der Winter hatte sich eingestellt. Es war bedeckter Himmel und stilles Frost¬<lb/> wetter. Einzelne Schneeflocken fielen. Und mau rollte leicht über den gefrornen<lb/> Boden hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_292"> Gegen acht Uhr hielt der Wagen hinter mehreren andern Fuhrwerken vor<lb/> dem gräflichen Schlosse, das einen Lichtschimmer in die dunkle Nacht hinausstrahlte.</p><lb/> <p xml:id="ID_293"> Nachdem die Gäste abgelegt hatten, stiegen sie die teppichbelegten Treppen<lb/> hinan und gelangten über erwärmte lichtstrcihlcnde Gänge in den Rittersaal, wo<lb/> die gräflichen Herrschaften sie am Eingang empfingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_294"> Der Graf war im Domino, die Gräfin ebenfalls. Der Stammherr hatte die<lb/> Maske des Figaro gewählt, und die Französin war Madame Pompadour.</p><lb/> <p xml:id="ID_295"> Nach und nach stellten sich alle Familien aus der Umgegend ein. Koltrup<lb/> kam als alter nordischer Barde mit Harfe und langem weißem Bart, und seine<lb/> Gattin gab ihm als altnordische Frau das Geleite. Der Medizinalrat und seine<lb/> Frau waren als Chinesen verkleidet, während Berta die Maske eines französischen<lb/> Bauernmädchens gewählt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_296"> Die alte Wahrsagerin erregte allgemeines Aufsehen, und alle wollten sich<lb/> weissagen lassen. Sie hatte muntre Prophezeiungen für alle, niemand aber wußte,<lb/> wer sie war.</p><lb/> <p xml:id="ID_297"> Es verbreitete sich das Gerücht, daß es Großmutter sei, während Berta und<lb/> Desideria, die ungefähr von derselben Größe waren wie Helene, abwechselnd für sie<lb/> gehalten wurde».</p><lb/> <p xml:id="ID_298"> Ein schwarzer Domino näherte sich Desideria, bot ihr den Arm und führte<lb/> sie ins Boudoir.</p><lb/> <p xml:id="ID_299"> Sie nahmen Platz. Und der Unbekannte sagte mit jüdischen Accent und<lb/> priesterlicher Salbung: Schöne Jungfrau, weshalb so schweigsam? Ich hörte so<lb/> gern ihre sonore Silberstiiume!</p><lb/> <p xml:id="ID_300"> Sie antwortete nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_301"> Demaskieren Sie sich eine kleine Weile, daß ich Ihr holdes Antlitz schauen<lb/> kann, hier, wo Sie keine inquisitorischen Augen verfolgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_302"> Da sprang sie auf wie von einer Tarantel gestochen und verschwand in<lb/> der Menge.</p><lb/> <p xml:id="ID_303"> Ein Figaro trat an Berta heran, die überraschend gut aussah. Sie hatte<lb/> einen schönen Hals, und die Halbmaske kleidete sie vorzüglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_304"> Er schrieb ein H in ihre Hand und bot ihr den Arm. Sie erkannte sofort<lb/> den Stammherrn und versprach sich einen Scherz.</p><lb/> <p xml:id="ID_305"> Da sagte er: Sie sind heute Abend gar nicht so wie sonst. Weshalb so<lb/> schweigsam und still?</p><lb/> <p xml:id="ID_306"> Keine Autwort.</p><lb/> <p xml:id="ID_307"> Da führte er sie in ein Nebenzimmer und sagte: Legen Sie Ihre Maske ab,<lb/> schönes Mädchen aus der Provence, und lassen Sie mich Ihr Antlitz sehen, das<lb/> ich nie mehr vergessen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_308"> Sie kicherte.</p><lb/> <p xml:id="ID_309"> Er zuckte zusammen und sagte: Ich habe wohl gewußt, daß Sie sehr talent¬<lb/> voll sind, daß sie aber auch Schauspielerin seien, ahnte ich bisher nicht. Warum<lb/> machen Sie Fräulein Naerum nach? Finden Sie sie etwa so nachahmenswert?</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
Junge Hi-rzen
Jetzt wandten sich aller Augen der Tür zu.
Und herein trat, in einen alten Mantel gehüllt, der auf dem Kopf in einer
Kapuze endete, einen laugen Krückstock unterm Arm und in einer Maske mit spitzer
Nase ein altes Weib, in dessen Gestalt Helene ihre Schönheit vermummt hatte.
Die Kauzleirätin und Desideria sahen einander beruhigt an; Preber kicherte,
der Lehrling lachte, und die Mädchen bargen eiligst ihre Gesichter in den Schürzen.
Stine meldete, daß der gemietete Landauer vor der Tür halte. Und so stiegen
die vier vermummten Gestalten ein. Die Laternen waren angezündet, und Ricks
trieb die Pferde an.
Der Winter hatte sich eingestellt. Es war bedeckter Himmel und stilles Frost¬
wetter. Einzelne Schneeflocken fielen. Und mau rollte leicht über den gefrornen
Boden hin.
Gegen acht Uhr hielt der Wagen hinter mehreren andern Fuhrwerken vor
dem gräflichen Schlosse, das einen Lichtschimmer in die dunkle Nacht hinausstrahlte.
Nachdem die Gäste abgelegt hatten, stiegen sie die teppichbelegten Treppen
hinan und gelangten über erwärmte lichtstrcihlcnde Gänge in den Rittersaal, wo
die gräflichen Herrschaften sie am Eingang empfingen.
Der Graf war im Domino, die Gräfin ebenfalls. Der Stammherr hatte die
Maske des Figaro gewählt, und die Französin war Madame Pompadour.
Nach und nach stellten sich alle Familien aus der Umgegend ein. Koltrup
kam als alter nordischer Barde mit Harfe und langem weißem Bart, und seine
Gattin gab ihm als altnordische Frau das Geleite. Der Medizinalrat und seine
Frau waren als Chinesen verkleidet, während Berta die Maske eines französischen
Bauernmädchens gewählt hatte.
Die alte Wahrsagerin erregte allgemeines Aufsehen, und alle wollten sich
weissagen lassen. Sie hatte muntre Prophezeiungen für alle, niemand aber wußte,
wer sie war.
Es verbreitete sich das Gerücht, daß es Großmutter sei, während Berta und
Desideria, die ungefähr von derselben Größe waren wie Helene, abwechselnd für sie
gehalten wurde».
Ein schwarzer Domino näherte sich Desideria, bot ihr den Arm und führte
sie ins Boudoir.
Sie nahmen Platz. Und der Unbekannte sagte mit jüdischen Accent und
priesterlicher Salbung: Schöne Jungfrau, weshalb so schweigsam? Ich hörte so
gern ihre sonore Silberstiiume!
Sie antwortete nicht.
Demaskieren Sie sich eine kleine Weile, daß ich Ihr holdes Antlitz schauen
kann, hier, wo Sie keine inquisitorischen Augen verfolgen.
Da sprang sie auf wie von einer Tarantel gestochen und verschwand in
der Menge.
Ein Figaro trat an Berta heran, die überraschend gut aussah. Sie hatte
einen schönen Hals, und die Halbmaske kleidete sie vorzüglich.
Er schrieb ein H in ihre Hand und bot ihr den Arm. Sie erkannte sofort
den Stammherrn und versprach sich einen Scherz.
Da sagte er: Sie sind heute Abend gar nicht so wie sonst. Weshalb so
schweigsam und still?
Keine Autwort.
Da führte er sie in ein Nebenzimmer und sagte: Legen Sie Ihre Maske ab,
schönes Mädchen aus der Provence, und lassen Sie mich Ihr Antlitz sehen, das
ich nie mehr vergessen kann.
Sie kicherte.
Er zuckte zusammen und sagte: Ich habe wohl gewußt, daß Sie sehr talent¬
voll sind, daß sie aber auch Schauspielerin seien, ahnte ich bisher nicht. Warum
machen Sie Fräulein Naerum nach? Finden Sie sie etwa so nachahmenswert?
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |