Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Betrachtungen zur Marinevorlage für ^9^6 braucht nur mit Deutschen zu sprechen, die das Ausland kennen. Alle Menschen Wo bleibt die Kampfeslust des Evangelischen Bundes, wenn es gilt, die Fremde Fachleute sind sich völlig klar, was die "Mobilmachung" der eng¬ Betrachtungen zur Marinevorlage für ^9^6 braucht nur mit Deutschen zu sprechen, die das Ausland kennen. Alle Menschen Wo bleibt die Kampfeslust des Evangelischen Bundes, wenn es gilt, die Fremde Fachleute sind sich völlig klar, was die „Mobilmachung" der eng¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296588"/> <fw type="header" place="top"> Betrachtungen zur Marinevorlage für ^9^6</fw><lb/> <p xml:id="ID_2975" prev="#ID_2974"> braucht nur mit Deutschen zu sprechen, die das Ausland kennen. Alle Menschen<lb/> sind eben nur Meuscheu und keine Engel, deshalb bleibt die Läuterung<lb/> der menschlichen Natur durch ideale Bestrebungen, wie sie die verschiednen<lb/> kirchlichen Gemeinschaften, die Ethische Kulturgesellschaft oder die Heilsarmee<lb/> und andre zu fördern suchen, immer nur Stückwerk, meist sogar grane Theorie.<lb/> Trotz des zur Hauptsache gemeinsamen evangelisch-protestantischen Glaubens<lb/> hat das deutsche Volk keinen gefährlichern und ihm feindlicher gesinnten Neben¬<lb/> buhler im Kampf ums Dasein, um die irdischen Güter als das englische; es<lb/> ist traurig, aber wahr: die materiellen Interessen überwiegen im Leben der<lb/> Völker heutzutage noch die geistigen und die sittlichen. Das Christentum im<lb/> Sinne Christi ist auf dieser unvollkommnen Welt, wenigstens wie die Menschen<lb/> bisher noch geartet sind, einfach undenkbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_2976"> Wo bleibt die Kampfeslust des Evangelischen Bundes, wenn es gilt, die<lb/> Genreinschaft der Glaubensgenossen herzustellen, die evangelisch-protestantischen<lb/> Engländer an ihre Christenpflichten zu erinnern? Zwietracht im eignen Vater¬<lb/> lande zu schüren ist leicht, aber Eintracht zu stiften im Sinne Christi, im<lb/> Sinne Luthers wenigstens unter den Genossen eines und desselben Christen¬<lb/> glaubens — dazu scheint weder die anglikanische Kirche noch der sich im Wind-<lb/> mühlenkampf gegen Rom verpulvernde Evangelische Bund den Beruf und die<lb/> Kraft in sich zu fühlen. Die Kirche versagt eben immer, wo es gilt, den<lb/> „Frieden auf Erden" zu fördern. Damit muß man rechnen, und insonderheit<lb/> auch mit der sehr verbreiteten menschlichen Schwäche, daß der Übermächtige<lb/> leicht dazu neigt, seine Macht zu mißbrauchen. Gegen rohe Gewalt gilt aber<lb/> auch heute uur das Faustrecht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2977" next="#ID_2978"> Fremde Fachleute sind sich völlig klar, was die „Mobilmachung" der eng¬<lb/> lischen Flotte zu bedeuten hat; ein Franzose schrieb kürzlich in der vorzüglichen<lb/> Fachzeitschrift 1,3, mMno ?rs,neM8« (Ur. 164) darüber: Kor dut sse auMirä'Juli<lb/> ig, viotoirs irmrMiats äiws les 6MX as ig. wer ein Roral, 1'vczrWßiuent as la<lb/> üotte. allknnmäö äiws uns on äsux rsnoontrss. . . . Das ist freilich mit den<lb/> Augen eines Nachbarn gesehen, dem die Vernichtung der deutschen Flotte auch<lb/> im eignen Interesse erwünscht wäre, doch liegt ein dickes Korn von Wahrheit<lb/> in der Übertreibung. Besser im moralischen Sinne ist seit dem 2. September<lb/> 1307 weder die gesamte Menschheit noch ihr einflußreichster, mächtigster Teil, zu<lb/> dem in erster Reihe die beinahe allmächtigen englischen Staatsmänner zählen,<lb/> geworden. Zwar hat sich das menschliche Gewissen in der kurzen Zeitspanne<lb/> des verflossenen Jahrhunderts allerwärts ein wenig verfeinert, aber dieser<lb/> geistige Fortschritt ist noch viel zu gering und vor allem zu unsicher und un¬<lb/> zuverlässig, als daß das Glück und Gedeihen eines großen Volkes von dem<lb/> Gerechtigkeitssinn seiner neidischen Nachbarn abhängig gemacht werden dürfte.<lb/> So wenig in den gesittetsten Ländern heute noch der Schutzmann zu entbehren<lb/> ist zur Verhütung von Mißbräuchen, so wenig ist eine deutsche Flotte zu ent¬<lb/> behren, die stark genug wäre, allein durch ihr Dasein fremde Realpolitiker<lb/> davon abzuhalten, die deutschen Seeinteressen zu schädigen. Hätte Deutschland<lb/> keine überseeischen Geschäftsbeziehungen, keinen Seehandel, keine Handelsflotte,<lb/> dann freilich wäre die Kriegsflotte nur ein Machtmittel, über dessen Not-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0577]
Betrachtungen zur Marinevorlage für ^9^6
braucht nur mit Deutschen zu sprechen, die das Ausland kennen. Alle Menschen
sind eben nur Meuscheu und keine Engel, deshalb bleibt die Läuterung
der menschlichen Natur durch ideale Bestrebungen, wie sie die verschiednen
kirchlichen Gemeinschaften, die Ethische Kulturgesellschaft oder die Heilsarmee
und andre zu fördern suchen, immer nur Stückwerk, meist sogar grane Theorie.
Trotz des zur Hauptsache gemeinsamen evangelisch-protestantischen Glaubens
hat das deutsche Volk keinen gefährlichern und ihm feindlicher gesinnten Neben¬
buhler im Kampf ums Dasein, um die irdischen Güter als das englische; es
ist traurig, aber wahr: die materiellen Interessen überwiegen im Leben der
Völker heutzutage noch die geistigen und die sittlichen. Das Christentum im
Sinne Christi ist auf dieser unvollkommnen Welt, wenigstens wie die Menschen
bisher noch geartet sind, einfach undenkbar.
Wo bleibt die Kampfeslust des Evangelischen Bundes, wenn es gilt, die
Genreinschaft der Glaubensgenossen herzustellen, die evangelisch-protestantischen
Engländer an ihre Christenpflichten zu erinnern? Zwietracht im eignen Vater¬
lande zu schüren ist leicht, aber Eintracht zu stiften im Sinne Christi, im
Sinne Luthers wenigstens unter den Genossen eines und desselben Christen¬
glaubens — dazu scheint weder die anglikanische Kirche noch der sich im Wind-
mühlenkampf gegen Rom verpulvernde Evangelische Bund den Beruf und die
Kraft in sich zu fühlen. Die Kirche versagt eben immer, wo es gilt, den
„Frieden auf Erden" zu fördern. Damit muß man rechnen, und insonderheit
auch mit der sehr verbreiteten menschlichen Schwäche, daß der Übermächtige
leicht dazu neigt, seine Macht zu mißbrauchen. Gegen rohe Gewalt gilt aber
auch heute uur das Faustrecht.
Fremde Fachleute sind sich völlig klar, was die „Mobilmachung" der eng¬
lischen Flotte zu bedeuten hat; ein Franzose schrieb kürzlich in der vorzüglichen
Fachzeitschrift 1,3, mMno ?rs,neM8« (Ur. 164) darüber: Kor dut sse auMirä'Juli
ig, viotoirs irmrMiats äiws les 6MX as ig. wer ein Roral, 1'vczrWßiuent as la
üotte. allknnmäö äiws uns on äsux rsnoontrss. . . . Das ist freilich mit den
Augen eines Nachbarn gesehen, dem die Vernichtung der deutschen Flotte auch
im eignen Interesse erwünscht wäre, doch liegt ein dickes Korn von Wahrheit
in der Übertreibung. Besser im moralischen Sinne ist seit dem 2. September
1307 weder die gesamte Menschheit noch ihr einflußreichster, mächtigster Teil, zu
dem in erster Reihe die beinahe allmächtigen englischen Staatsmänner zählen,
geworden. Zwar hat sich das menschliche Gewissen in der kurzen Zeitspanne
des verflossenen Jahrhunderts allerwärts ein wenig verfeinert, aber dieser
geistige Fortschritt ist noch viel zu gering und vor allem zu unsicher und un¬
zuverlässig, als daß das Glück und Gedeihen eines großen Volkes von dem
Gerechtigkeitssinn seiner neidischen Nachbarn abhängig gemacht werden dürfte.
So wenig in den gesittetsten Ländern heute noch der Schutzmann zu entbehren
ist zur Verhütung von Mißbräuchen, so wenig ist eine deutsche Flotte zu ent¬
behren, die stark genug wäre, allein durch ihr Dasein fremde Realpolitiker
davon abzuhalten, die deutschen Seeinteressen zu schädigen. Hätte Deutschland
keine überseeischen Geschäftsbeziehungen, keinen Seehandel, keine Handelsflotte,
dann freilich wäre die Kriegsflotte nur ein Machtmittel, über dessen Not-
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