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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Frankreich schlitzten die Staatsmänner in Österreich den Wert der Briefspionage für
die Politik. Schon Karl der Fünfte hatte es verstanden, mit Hilfe der schwarzen
Magie hinter die Geheimnisse andrer Höfe zu kommen und insbesondre die Ver¬
abredungen der protestantischen Stande zu erspähen. Von der Zeit des Schmal-
kaldischen Bundes bis in die Ära Metternichs ist die Verletzung des Briefgeheimnisses
ein wesentliches Hilfsmittel der Habsburgischen Politik gewesen. Das Schwarze
Kabinett in Wien war eine Stätte der List und der Kunst; die Geschicklichkeit der
Hand, Chemie und Mechanik leisteten großartiges, das Vertrauen der Korrespon¬
denten in die Ehrlichkeit der Post zu täuschen. Die Künstler hießen Logisten; sie
öffneten die Briefe, schrieben sie ab oder schoben gefälschte, irreführende Schreiben
unter, in denen Handschrift, Schreibweise und Unterschrift der Absender täuschend
nachgeahmt waren. Nach diesem Werke der List wurden die ihres Geheimnisses
beraubten Briefe mit derselben Kunstfertigkeit wieder verschlossen. Bekanntlich standen
die Posten des österreichischen Staates unter der Leitung des Hauses Paar, während
das Postmonopol im Reiche der Familie von Thurn und Taxis verliehen war.
Diese, dem Hause Habsburg unbedingt ergeben, besorgte auch die für die Wiener
Politik nötige Briesspionage. In den Mittelpunkten des Verkehrs, an den wichtigsten
Punkten der deutschen Poststraßen, wie in Frankfurt am Main, Regensburg, Augs¬
burg, Nürnberg usw., in den Hansestädte" und in den Residenzen der geistlichen
Fürsten wirkten deshalb auch die geheimnisvollen Anstalten, die man Brieflogen
nannte, und mit dem Schwarzen Kabinett in Wien enge Verbindung unterhielten.
Hier trieben die Logisten mit großer Verschmitzheit ihr lichtscheues Werk. Sie
waren für die Wiener Regierung so wichtig, daß einige von ihnen nobilitiert wurden,
ohne Würdigkeit zwar aber doch nicht ohne Verdienst, denn die Arbeiten der
Logisten verlangten eine so große Anspannung des Geistes, soviel Sorgfalt und Ge¬
schwindigkeit, daß mehrere von ihnen dabei den Verstand verloren. Das in einem
Flügel der Wiener Hofburg, der sogenannten Stallburg, untergebrachte Schwarze
Kabinett hatte einen sehr weitverbreiteten Ruf erlangt, sodaß während der Besetzung
Wiens durch die Franzosen dem Fürsten Talleyrand diese geheimnisvolle Werkstntte
als die erste Merkwürdigkeit der Stadt erschien, die er zu sehen begehrte.

Die im Interesse des Hauses Habsburg betriebne Briefspionage war für die
deutschen Fürsten sehr gefährlich, und da sie dagegen nicht viel ausrichten konnten,
taten sie das klügste, was sie in ihrer Lage tun konnten, sie folgten dem hohen
Beispiel, indem sie nun ebenfalls auf fremde Briefe Jagd machen ließen, um da¬
durch gewissermaßen das diplomatische Gleichgewicht wiederherzustellen. Bald war
ein Wetteifer an Unehrlichkeit in ganz Deutschland. Die Postbeamten waren mehr
Diplomaten als Berkehrsbeamte. Diese Zeit, die wie ein böser Druck auf dem
Verkehrsleben lag, brachte sogar ein Buch hervor: "Wie sichert man sich vor Brief-
erbrcchung und deren Fälschung?" Aber alle Gegenmittel, die es anpries, konnten
gegen das geheimnisvolle Dunkel, das die Arbeit der Briefinquisitoren umhüllte,
nichts ausrichten. Auch Friedrich der Große, dem die österreichischen Logisten arg
mitspielten -- Fürst Kaunitz erfuhr den Inhalt seiner Briefe und Depeschen immer
früher als Preußens Gesandter in Wien --, war machtlos dagegen. Aber wenn
er gelegentlich seine Widersacher auch hinters Licht zu führen verstand, so hat er,
soviel nur bekannt ist, seine politischen Manöver doch oh^e das verwerfliche Mittel
der Briefspionage geführt. Freilich hat später auch Preußen seinen postalischen
Schild nicht fleckenlos erhalten. Nagler war ein zu gelehriger Bewunderer
Metternichs, als daß er nicht auch in die dunkeln Schliche des geheimen postalischen
Polizeiwesens hätte geraten sollen. Die Grundanschauung dieser Zeit war, daß
die Post mehr Anstalt des Staates als eine den, Gemeinwohl untergeordnete Ver¬
kehrseinrichtung sei. So wenig ahnte man die große völkerverbindende Aufgabe der
Post, daß man sie 1808 in die Zwangsjacke der polizeilichen Aufsicht steckte.

Jede Zeit hat ja wohl ihre eigentümlichen politischen Krankheitsformen --
die laxe Auffassung des Briefgeheimnisses war eine. Heute ist das Gefühl dafür
so rege, daß es kaum noch einen Staat gibt, der das Briefgeheimnis nicht Straf-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Frankreich schlitzten die Staatsmänner in Österreich den Wert der Briefspionage für
die Politik. Schon Karl der Fünfte hatte es verstanden, mit Hilfe der schwarzen
Magie hinter die Geheimnisse andrer Höfe zu kommen und insbesondre die Ver¬
abredungen der protestantischen Stande zu erspähen. Von der Zeit des Schmal-
kaldischen Bundes bis in die Ära Metternichs ist die Verletzung des Briefgeheimnisses
ein wesentliches Hilfsmittel der Habsburgischen Politik gewesen. Das Schwarze
Kabinett in Wien war eine Stätte der List und der Kunst; die Geschicklichkeit der
Hand, Chemie und Mechanik leisteten großartiges, das Vertrauen der Korrespon¬
denten in die Ehrlichkeit der Post zu täuschen. Die Künstler hießen Logisten; sie
öffneten die Briefe, schrieben sie ab oder schoben gefälschte, irreführende Schreiben
unter, in denen Handschrift, Schreibweise und Unterschrift der Absender täuschend
nachgeahmt waren. Nach diesem Werke der List wurden die ihres Geheimnisses
beraubten Briefe mit derselben Kunstfertigkeit wieder verschlossen. Bekanntlich standen
die Posten des österreichischen Staates unter der Leitung des Hauses Paar, während
das Postmonopol im Reiche der Familie von Thurn und Taxis verliehen war.
Diese, dem Hause Habsburg unbedingt ergeben, besorgte auch die für die Wiener
Politik nötige Briesspionage. In den Mittelpunkten des Verkehrs, an den wichtigsten
Punkten der deutschen Poststraßen, wie in Frankfurt am Main, Regensburg, Augs¬
burg, Nürnberg usw., in den Hansestädte» und in den Residenzen der geistlichen
Fürsten wirkten deshalb auch die geheimnisvollen Anstalten, die man Brieflogen
nannte, und mit dem Schwarzen Kabinett in Wien enge Verbindung unterhielten.
Hier trieben die Logisten mit großer Verschmitzheit ihr lichtscheues Werk. Sie
waren für die Wiener Regierung so wichtig, daß einige von ihnen nobilitiert wurden,
ohne Würdigkeit zwar aber doch nicht ohne Verdienst, denn die Arbeiten der
Logisten verlangten eine so große Anspannung des Geistes, soviel Sorgfalt und Ge¬
schwindigkeit, daß mehrere von ihnen dabei den Verstand verloren. Das in einem
Flügel der Wiener Hofburg, der sogenannten Stallburg, untergebrachte Schwarze
Kabinett hatte einen sehr weitverbreiteten Ruf erlangt, sodaß während der Besetzung
Wiens durch die Franzosen dem Fürsten Talleyrand diese geheimnisvolle Werkstntte
als die erste Merkwürdigkeit der Stadt erschien, die er zu sehen begehrte.

Die im Interesse des Hauses Habsburg betriebne Briefspionage war für die
deutschen Fürsten sehr gefährlich, und da sie dagegen nicht viel ausrichten konnten,
taten sie das klügste, was sie in ihrer Lage tun konnten, sie folgten dem hohen
Beispiel, indem sie nun ebenfalls auf fremde Briefe Jagd machen ließen, um da¬
durch gewissermaßen das diplomatische Gleichgewicht wiederherzustellen. Bald war
ein Wetteifer an Unehrlichkeit in ganz Deutschland. Die Postbeamten waren mehr
Diplomaten als Berkehrsbeamte. Diese Zeit, die wie ein böser Druck auf dem
Verkehrsleben lag, brachte sogar ein Buch hervor: „Wie sichert man sich vor Brief-
erbrcchung und deren Fälschung?" Aber alle Gegenmittel, die es anpries, konnten
gegen das geheimnisvolle Dunkel, das die Arbeit der Briefinquisitoren umhüllte,
nichts ausrichten. Auch Friedrich der Große, dem die österreichischen Logisten arg
mitspielten — Fürst Kaunitz erfuhr den Inhalt seiner Briefe und Depeschen immer
früher als Preußens Gesandter in Wien —, war machtlos dagegen. Aber wenn
er gelegentlich seine Widersacher auch hinters Licht zu führen verstand, so hat er,
soviel nur bekannt ist, seine politischen Manöver doch oh^e das verwerfliche Mittel
der Briefspionage geführt. Freilich hat später auch Preußen seinen postalischen
Schild nicht fleckenlos erhalten. Nagler war ein zu gelehriger Bewunderer
Metternichs, als daß er nicht auch in die dunkeln Schliche des geheimen postalischen
Polizeiwesens hätte geraten sollen. Die Grundanschauung dieser Zeit war, daß
die Post mehr Anstalt des Staates als eine den, Gemeinwohl untergeordnete Ver¬
kehrseinrichtung sei. So wenig ahnte man die große völkerverbindende Aufgabe der
Post, daß man sie 1808 in die Zwangsjacke der polizeilichen Aufsicht steckte.

Jede Zeit hat ja wohl ihre eigentümlichen politischen Krankheitsformen —
die laxe Auffassung des Briefgeheimnisses war eine. Heute ist das Gefühl dafür
so rege, daß es kaum noch einen Staat gibt, der das Briefgeheimnis nicht Straf-


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[0568] Maßgebliches und Unmaßgebliches Frankreich schlitzten die Staatsmänner in Österreich den Wert der Briefspionage für die Politik. Schon Karl der Fünfte hatte es verstanden, mit Hilfe der schwarzen Magie hinter die Geheimnisse andrer Höfe zu kommen und insbesondre die Ver¬ abredungen der protestantischen Stande zu erspähen. Von der Zeit des Schmal- kaldischen Bundes bis in die Ära Metternichs ist die Verletzung des Briefgeheimnisses ein wesentliches Hilfsmittel der Habsburgischen Politik gewesen. Das Schwarze Kabinett in Wien war eine Stätte der List und der Kunst; die Geschicklichkeit der Hand, Chemie und Mechanik leisteten großartiges, das Vertrauen der Korrespon¬ denten in die Ehrlichkeit der Post zu täuschen. Die Künstler hießen Logisten; sie öffneten die Briefe, schrieben sie ab oder schoben gefälschte, irreführende Schreiben unter, in denen Handschrift, Schreibweise und Unterschrift der Absender täuschend nachgeahmt waren. Nach diesem Werke der List wurden die ihres Geheimnisses beraubten Briefe mit derselben Kunstfertigkeit wieder verschlossen. Bekanntlich standen die Posten des österreichischen Staates unter der Leitung des Hauses Paar, während das Postmonopol im Reiche der Familie von Thurn und Taxis verliehen war. Diese, dem Hause Habsburg unbedingt ergeben, besorgte auch die für die Wiener Politik nötige Briesspionage. In den Mittelpunkten des Verkehrs, an den wichtigsten Punkten der deutschen Poststraßen, wie in Frankfurt am Main, Regensburg, Augs¬ burg, Nürnberg usw., in den Hansestädte» und in den Residenzen der geistlichen Fürsten wirkten deshalb auch die geheimnisvollen Anstalten, die man Brieflogen nannte, und mit dem Schwarzen Kabinett in Wien enge Verbindung unterhielten. Hier trieben die Logisten mit großer Verschmitzheit ihr lichtscheues Werk. Sie waren für die Wiener Regierung so wichtig, daß einige von ihnen nobilitiert wurden, ohne Würdigkeit zwar aber doch nicht ohne Verdienst, denn die Arbeiten der Logisten verlangten eine so große Anspannung des Geistes, soviel Sorgfalt und Ge¬ schwindigkeit, daß mehrere von ihnen dabei den Verstand verloren. Das in einem Flügel der Wiener Hofburg, der sogenannten Stallburg, untergebrachte Schwarze Kabinett hatte einen sehr weitverbreiteten Ruf erlangt, sodaß während der Besetzung Wiens durch die Franzosen dem Fürsten Talleyrand diese geheimnisvolle Werkstntte als die erste Merkwürdigkeit der Stadt erschien, die er zu sehen begehrte. Die im Interesse des Hauses Habsburg betriebne Briefspionage war für die deutschen Fürsten sehr gefährlich, und da sie dagegen nicht viel ausrichten konnten, taten sie das klügste, was sie in ihrer Lage tun konnten, sie folgten dem hohen Beispiel, indem sie nun ebenfalls auf fremde Briefe Jagd machen ließen, um da¬ durch gewissermaßen das diplomatische Gleichgewicht wiederherzustellen. Bald war ein Wetteifer an Unehrlichkeit in ganz Deutschland. Die Postbeamten waren mehr Diplomaten als Berkehrsbeamte. Diese Zeit, die wie ein böser Druck auf dem Verkehrsleben lag, brachte sogar ein Buch hervor: „Wie sichert man sich vor Brief- erbrcchung und deren Fälschung?" Aber alle Gegenmittel, die es anpries, konnten gegen das geheimnisvolle Dunkel, das die Arbeit der Briefinquisitoren umhüllte, nichts ausrichten. Auch Friedrich der Große, dem die österreichischen Logisten arg mitspielten — Fürst Kaunitz erfuhr den Inhalt seiner Briefe und Depeschen immer früher als Preußens Gesandter in Wien —, war machtlos dagegen. Aber wenn er gelegentlich seine Widersacher auch hinters Licht zu führen verstand, so hat er, soviel nur bekannt ist, seine politischen Manöver doch oh^e das verwerfliche Mittel der Briefspionage geführt. Freilich hat später auch Preußen seinen postalischen Schild nicht fleckenlos erhalten. Nagler war ein zu gelehriger Bewunderer Metternichs, als daß er nicht auch in die dunkeln Schliche des geheimen postalischen Polizeiwesens hätte geraten sollen. Die Grundanschauung dieser Zeit war, daß die Post mehr Anstalt des Staates als eine den, Gemeinwohl untergeordnete Ver¬ kehrseinrichtung sei. So wenig ahnte man die große völkerverbindende Aufgabe der Post, daß man sie 1808 in die Zwangsjacke der polizeilichen Aufsicht steckte. Jede Zeit hat ja wohl ihre eigentümlichen politischen Krankheitsformen — die laxe Auffassung des Briefgeheimnisses war eine. Heute ist das Gefühl dafür so rege, daß es kaum noch einen Staat gibt, der das Briefgeheimnis nicht Straf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/568>, abgerufen am 15.01.2025.