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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

das Reichstagspräsidium empfing, äußerte er sein Bedauern, daß er die Thronrede
nicht selbst habe verlesen können. "Ich hätte gern namentlich die Schlußworte der
Thronrede zu Ihnen gesprochen" . . . dann sich hochaufrichtend, einen Schritt zurück-
tretend und mit kräftiger Betonung: "Ich hätte Ihnen gern persönlich ge¬
sagt, daß ich den Frieden will, aber wenn ich angegriffen werde, zur
Abwehr gerüstet bin.""

In jenen Worten hat damals niemand "Pessimismus gefunden, im Gegen¬
teil, sie spiegelten für jedermann nur die ernste, gesammelte und tatbereite Ent¬
schlußkraft wider, die dann am 6. Februar in Bismarcks weltgeschichtlicher Rede
bei aller darin bekundeter Friedenszuversicht einen neuen, gewaltigen, von der
Nation mit rauschender Begeisterung aufgenommnen Ausdruck erhielt. Worin ist
denn nnn die Thronrede vom 28. vorigen Monats pessimistischer, wenn sie aus¬
spricht: "Es ist mir eine heilige Sache um den Frieden des deutschen Volkes. Aber
die Zeichen der Zeit machen es der Nation zur Pflicht, ihre Schutzwehr gegen
ungerechte Angriffe zu verstärken." Die Wendung "ungerechte Angriffe" ist
genau dieselbe wie in der Thronrede von 1387, es folgt dann noch der Hinweis:
"Um so sichrer mag es dann gelingen, die friedlichen Ziele des bewährten Bünd¬
nisses mit den Herrschern Österreich-Ungarns und Italiens auch fernerhin zu ver¬
wirklichen." Jedenfalls ist in diesem Zusammenhange der Hinweis auf die Fortdauer
des "bewährten" Dreibundes nicht ohne Bedeutung. Und ist der "Pessimismus"
wirtlich so groß in einer Thronrede, die sür die Armee keinerlei Forderung als
die Regelung des Versorgungswesens enthält und sonst das Heer überhaupt nicht
ernährt! Es kann sich für das Leipziger Blatt wohl nur darum gehandelt haben,
einen Sensationsarlikel zur Welt zu bringen, bei dem es auf den Inhalt nicht an¬
kommt, und bei dem der eingeschüchterte Leser über alle Widersprüche bereitwillig hin¬
wegsieht. Im Eingang des Artikels heißt es. "Das deutsche Voll müsse zugleich blind,
taub und gefühllos sein, wenn es nicht aus deu Sturmeszeichen, die das letzte Jahr
gebracht hat, die sichere Erkenntnis herleiten wurde, daß wir, wenn nicht von einer
Welt von Feinden, so doch von einer Flut von Mißtrauen und Mißgunst umgeben
sind." Und zum Schluß: "Ohne die Arbeit unerschrockner Vertreter des nationalen
Gedankens würde das Volt, das nur angewiesen blieb auf die Kost aus der amt¬
lichen und offiziösen Garküche durch die'eisenklirrenden (!j Wendungen der Thron¬
rede geradezu vor etwas Unbegreiflichen stehn." Zwei größere Widersprüche sind
wohl selten in einem und demselben Artikel gewesen! Danach ist das deutsche
Volk trotz alleu Sturmeszeichen "taub, blind und gefühllos," und nur einige be¬
sondre Zionswächter "des nationalen Gedankens" haben ihm die Aufklärungen ge¬
bracht, über die sich doch seit vier bis fünf Monaten alle Zeitungen des In- und
Auslandes hinreichend unterhalten haben! An einer andern Stelle heißt es: "Dann
würde auch der lächelnde Optimismus des Reichskanzlers, der tändelnd über alle
Abgründe zu hüpfen pflegt (sich, sich nicht umgewandelt haben in den schicksals¬
schweren Pessimismus des Kaisers."

Der Verfasser dieses ungewöhnlich geistreichen Satzes scheint keine Ahnung
davon zu haben, wie Thronreden zustande kommen, sonst würde er auch nicht einen
Satz fertig gebracht haben wie den: "Fürst Bülows verdammte Pflicht und Schuldig¬
keit wird es jetzt sein, uns diese Zeichen (der Zeit) zu deuten. Denn bisher hat
er ihre Existenz noch überall in Reden und Interviews und in den Artikeln seiner
Offiziösen nachdrücklich bestritten, und nur die nationale Presse(!) hat auf diese
Zeichen verwiesen." Auch nach diesem Satze scheint das deutsche Volk trotz allen
Sturmeszeichen blind, taub und gefühllos geblieben zu sein, denn nur die Erb¬
pächter der "nationalen Gesinnung" haben auf diese Zeichen gewiesen! v Meile sse,
sswain von seriberv! Aber welchem Interesse soll diese Verhetzung eigentlich dienen?
Hält ihr Verfasser die Leser der Leipziger Neuesten Nachrichten wirklich für so
"blind, taub und gefühllos." für so töricht, daß sie ihm glauben sollen, derselbe
Reichskanzler, der die Marokkvpolitik gemacht und dabei doch zur Genüge er-


Grmzboten IV 1905 72
Maßgebliches und Unmaßgebliches

das Reichstagspräsidium empfing, äußerte er sein Bedauern, daß er die Thronrede
nicht selbst habe verlesen können. „Ich hätte gern namentlich die Schlußworte der
Thronrede zu Ihnen gesprochen" . . . dann sich hochaufrichtend, einen Schritt zurück-
tretend und mit kräftiger Betonung: „Ich hätte Ihnen gern persönlich ge¬
sagt, daß ich den Frieden will, aber wenn ich angegriffen werde, zur
Abwehr gerüstet bin.""

In jenen Worten hat damals niemand „Pessimismus gefunden, im Gegen¬
teil, sie spiegelten für jedermann nur die ernste, gesammelte und tatbereite Ent¬
schlußkraft wider, die dann am 6. Februar in Bismarcks weltgeschichtlicher Rede
bei aller darin bekundeter Friedenszuversicht einen neuen, gewaltigen, von der
Nation mit rauschender Begeisterung aufgenommnen Ausdruck erhielt. Worin ist
denn nnn die Thronrede vom 28. vorigen Monats pessimistischer, wenn sie aus¬
spricht: „Es ist mir eine heilige Sache um den Frieden des deutschen Volkes. Aber
die Zeichen der Zeit machen es der Nation zur Pflicht, ihre Schutzwehr gegen
ungerechte Angriffe zu verstärken." Die Wendung „ungerechte Angriffe" ist
genau dieselbe wie in der Thronrede von 1387, es folgt dann noch der Hinweis:
„Um so sichrer mag es dann gelingen, die friedlichen Ziele des bewährten Bünd¬
nisses mit den Herrschern Österreich-Ungarns und Italiens auch fernerhin zu ver¬
wirklichen." Jedenfalls ist in diesem Zusammenhange der Hinweis auf die Fortdauer
des „bewährten" Dreibundes nicht ohne Bedeutung. Und ist der „Pessimismus"
wirtlich so groß in einer Thronrede, die sür die Armee keinerlei Forderung als
die Regelung des Versorgungswesens enthält und sonst das Heer überhaupt nicht
ernährt! Es kann sich für das Leipziger Blatt wohl nur darum gehandelt haben,
einen Sensationsarlikel zur Welt zu bringen, bei dem es auf den Inhalt nicht an¬
kommt, und bei dem der eingeschüchterte Leser über alle Widersprüche bereitwillig hin¬
wegsieht. Im Eingang des Artikels heißt es. „Das deutsche Voll müsse zugleich blind,
taub und gefühllos sein, wenn es nicht aus deu Sturmeszeichen, die das letzte Jahr
gebracht hat, die sichere Erkenntnis herleiten wurde, daß wir, wenn nicht von einer
Welt von Feinden, so doch von einer Flut von Mißtrauen und Mißgunst umgeben
sind." Und zum Schluß: „Ohne die Arbeit unerschrockner Vertreter des nationalen
Gedankens würde das Volt, das nur angewiesen blieb auf die Kost aus der amt¬
lichen und offiziösen Garküche durch die'eisenklirrenden (!j Wendungen der Thron¬
rede geradezu vor etwas Unbegreiflichen stehn." Zwei größere Widersprüche sind
wohl selten in einem und demselben Artikel gewesen! Danach ist das deutsche
Volk trotz alleu Sturmeszeichen „taub, blind und gefühllos," und nur einige be¬
sondre Zionswächter „des nationalen Gedankens" haben ihm die Aufklärungen ge¬
bracht, über die sich doch seit vier bis fünf Monaten alle Zeitungen des In- und
Auslandes hinreichend unterhalten haben! An einer andern Stelle heißt es: „Dann
würde auch der lächelnde Optimismus des Reichskanzlers, der tändelnd über alle
Abgründe zu hüpfen pflegt (sich, sich nicht umgewandelt haben in den schicksals¬
schweren Pessimismus des Kaisers."

Der Verfasser dieses ungewöhnlich geistreichen Satzes scheint keine Ahnung
davon zu haben, wie Thronreden zustande kommen, sonst würde er auch nicht einen
Satz fertig gebracht haben wie den: „Fürst Bülows verdammte Pflicht und Schuldig¬
keit wird es jetzt sein, uns diese Zeichen (der Zeit) zu deuten. Denn bisher hat
er ihre Existenz noch überall in Reden und Interviews und in den Artikeln seiner
Offiziösen nachdrücklich bestritten, und nur die nationale Presse(!) hat auf diese
Zeichen verwiesen." Auch nach diesem Satze scheint das deutsche Volk trotz allen
Sturmeszeichen blind, taub und gefühllos geblieben zu sein, denn nur die Erb¬
pächter der „nationalen Gesinnung" haben auf diese Zeichen gewiesen! v Meile sse,
sswain von seriberv! Aber welchem Interesse soll diese Verhetzung eigentlich dienen?
Hält ihr Verfasser die Leser der Leipziger Neuesten Nachrichten wirklich für so
„blind, taub und gefühllos." für so töricht, daß sie ihm glauben sollen, derselbe
Reichskanzler, der die Marokkvpolitik gemacht und dabei doch zur Genüge er-


Grmzboten IV 1905 72
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[0565] Maßgebliches und Unmaßgebliches das Reichstagspräsidium empfing, äußerte er sein Bedauern, daß er die Thronrede nicht selbst habe verlesen können. „Ich hätte gern namentlich die Schlußworte der Thronrede zu Ihnen gesprochen" . . . dann sich hochaufrichtend, einen Schritt zurück- tretend und mit kräftiger Betonung: „Ich hätte Ihnen gern persönlich ge¬ sagt, daß ich den Frieden will, aber wenn ich angegriffen werde, zur Abwehr gerüstet bin."" In jenen Worten hat damals niemand „Pessimismus gefunden, im Gegen¬ teil, sie spiegelten für jedermann nur die ernste, gesammelte und tatbereite Ent¬ schlußkraft wider, die dann am 6. Februar in Bismarcks weltgeschichtlicher Rede bei aller darin bekundeter Friedenszuversicht einen neuen, gewaltigen, von der Nation mit rauschender Begeisterung aufgenommnen Ausdruck erhielt. Worin ist denn nnn die Thronrede vom 28. vorigen Monats pessimistischer, wenn sie aus¬ spricht: „Es ist mir eine heilige Sache um den Frieden des deutschen Volkes. Aber die Zeichen der Zeit machen es der Nation zur Pflicht, ihre Schutzwehr gegen ungerechte Angriffe zu verstärken." Die Wendung „ungerechte Angriffe" ist genau dieselbe wie in der Thronrede von 1387, es folgt dann noch der Hinweis: „Um so sichrer mag es dann gelingen, die friedlichen Ziele des bewährten Bünd¬ nisses mit den Herrschern Österreich-Ungarns und Italiens auch fernerhin zu ver¬ wirklichen." Jedenfalls ist in diesem Zusammenhange der Hinweis auf die Fortdauer des „bewährten" Dreibundes nicht ohne Bedeutung. Und ist der „Pessimismus" wirtlich so groß in einer Thronrede, die sür die Armee keinerlei Forderung als die Regelung des Versorgungswesens enthält und sonst das Heer überhaupt nicht ernährt! Es kann sich für das Leipziger Blatt wohl nur darum gehandelt haben, einen Sensationsarlikel zur Welt zu bringen, bei dem es auf den Inhalt nicht an¬ kommt, und bei dem der eingeschüchterte Leser über alle Widersprüche bereitwillig hin¬ wegsieht. Im Eingang des Artikels heißt es. „Das deutsche Voll müsse zugleich blind, taub und gefühllos sein, wenn es nicht aus deu Sturmeszeichen, die das letzte Jahr gebracht hat, die sichere Erkenntnis herleiten wurde, daß wir, wenn nicht von einer Welt von Feinden, so doch von einer Flut von Mißtrauen und Mißgunst umgeben sind." Und zum Schluß: „Ohne die Arbeit unerschrockner Vertreter des nationalen Gedankens würde das Volt, das nur angewiesen blieb auf die Kost aus der amt¬ lichen und offiziösen Garküche durch die'eisenklirrenden (!j Wendungen der Thron¬ rede geradezu vor etwas Unbegreiflichen stehn." Zwei größere Widersprüche sind wohl selten in einem und demselben Artikel gewesen! Danach ist das deutsche Volk trotz alleu Sturmeszeichen „taub, blind und gefühllos," und nur einige be¬ sondre Zionswächter „des nationalen Gedankens" haben ihm die Aufklärungen ge¬ bracht, über die sich doch seit vier bis fünf Monaten alle Zeitungen des In- und Auslandes hinreichend unterhalten haben! An einer andern Stelle heißt es: „Dann würde auch der lächelnde Optimismus des Reichskanzlers, der tändelnd über alle Abgründe zu hüpfen pflegt (sich, sich nicht umgewandelt haben in den schicksals¬ schweren Pessimismus des Kaisers." Der Verfasser dieses ungewöhnlich geistreichen Satzes scheint keine Ahnung davon zu haben, wie Thronreden zustande kommen, sonst würde er auch nicht einen Satz fertig gebracht haben wie den: „Fürst Bülows verdammte Pflicht und Schuldig¬ keit wird es jetzt sein, uns diese Zeichen (der Zeit) zu deuten. Denn bisher hat er ihre Existenz noch überall in Reden und Interviews und in den Artikeln seiner Offiziösen nachdrücklich bestritten, und nur die nationale Presse(!) hat auf diese Zeichen verwiesen." Auch nach diesem Satze scheint das deutsche Volk trotz allen Sturmeszeichen blind, taub und gefühllos geblieben zu sein, denn nur die Erb¬ pächter der „nationalen Gesinnung" haben auf diese Zeichen gewiesen! v Meile sse, sswain von seriberv! Aber welchem Interesse soll diese Verhetzung eigentlich dienen? Hält ihr Verfasser die Leser der Leipziger Neuesten Nachrichten wirklich für so „blind, taub und gefühllos." für so töricht, daß sie ihm glauben sollen, derselbe Reichskanzler, der die Marokkvpolitik gemacht und dabei doch zur Genüge er- Grmzboten IV 1905 72

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/565>, abgerufen am 24.01.2025.