Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Nach der Hühnerhunde Ihnen Vergnügen macht, ab und zu einmal auf einen braven Hirsch zu pürschen, Das war nett und menschenfreundlich gesprochen und hätte mich sogar mit Er erwiderte, daß er augenblicklich in der Tat nicht klagen könne; seit wir Der Wagen war inzwischen in den Hof gefahren, wo sich Martin sogleich Als ich in den Gesellschaftsraum zurückkehrte, waren an allen Tischen die Skat- Wir zogen uns also zurück und machten es uns auf den beiden behaglichen So kam ich ans die Wiese links vom Galgenberg, berichtete der Professor eifrig, Dreihundert Gänge? fragte ich, um ihm zu beweisen, daß ich ganz bei der Es können auch dreihundertundzehn gewesen sein, erklärte der gewissenhafte Fünf Minuten? Ja, fünf Minuten, vielleicht auch sechs -- Nach der Hühnerhunde Ihnen Vergnügen macht, ab und zu einmal auf einen braven Hirsch zu pürschen, Das war nett und menschenfreundlich gesprochen und hätte mich sogar mit Er erwiderte, daß er augenblicklich in der Tat nicht klagen könne; seit wir Der Wagen war inzwischen in den Hof gefahren, wo sich Martin sogleich Als ich in den Gesellschaftsraum zurückkehrte, waren an allen Tischen die Skat- Wir zogen uns also zurück und machten es uns auf den beiden behaglichen So kam ich ans die Wiese links vom Galgenberg, berichtete der Professor eifrig, Dreihundert Gänge? fragte ich, um ihm zu beweisen, daß ich ganz bei der Es können auch dreihundertundzehn gewesen sein, erklärte der gewissenhafte Fünf Minuten? Ja, fünf Minuten, vielleicht auch sechs — <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0556" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296567"/> <fw type="header" place="top"> Nach der Hühnerhunde</fw><lb/> <p xml:id="ID_2864" prev="#ID_2863"> Ihnen Vergnügen macht, ab und zu einmal auf einen braven Hirsch zu pürschen,<lb/> so kommen Sie getrost nach Hellental; wir werden Sie immer mit offnen Armen<lb/> empfangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2865"> Das war nett und menschenfreundlich gesprochen und hätte mich sogar mit<lb/> dem unheimlichen Wesen des Schloßherrn aussöhnen können, wenn dieser nur die<lb/> fatale Redensart: „sicher sind Sie mir ja auf jeden Fall" unterdrückt hätte. Aber<lb/> ich hielt es nun doch für meine Pflicht, auch meinerseits dem Baron etwas an¬<lb/> genehmes zu sagen, und gab deshalb meiner Freude darüber Ausdruck, daß sich<lb/> sein Befinden im Laufe des Nachmittags allem Anscheine nach so merklich ge¬<lb/> bessert habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2866"> Er erwiderte, daß er augenblicklich in der Tat nicht klagen könne; seit wir<lb/> andern Wind hätten, sei der Schmerz im Beine verschwunden, und er fühle sich<lb/> wohler als seit langer Zeit. Dabei sah er nach dem klaren, im letzten, kalten<lb/> Abendscheine strahlenden Himmel auf und sog begierig die scharfe Luft ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2867"> Der Wagen war inzwischen in den Hof gefahren, wo sich Martin sogleich<lb/> daran machte, den Hirsch aufzubrechen. Die Herren zogen sich in das Gesellschafts¬<lb/> zimmer zurück und ließen sich an den Spieltischen nieder, sogar Sparr schien einem<lb/> Jeuchen nicht abgeneigt zu sein. Ich erbat mir die Erlaubnis, dem Jäger bei<lb/> seiner Arbeit zusehen zu dürfen, da mir daran lag, festzustellen, welche Teile des<lb/> Geräusches durchschossen waren. Martin entledigte sich seiner Aufgabe mit einer<lb/> Gewandtheit, die eine ungewöhnliche Übung verriet. Das Geweih wollte er jedoch<lb/> erst am andern Morgen ausschlagen, da ihm das allerdings etwas spärliche Licht<lb/> der Stalllaterne, wie er sagte, nicht erlaubte, diese Arbeit mit der nötigen Sorg¬<lb/> falt zu verrichten. Das war mir nun freilich bitter, ich hätte die herrliche Trophäe<lb/> am liebsten gleich mit in mein Zimmer genommen, aber darauf mußte ich nun<lb/> verzichten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2868"> Als ich in den Gesellschaftsraum zurückkehrte, waren an allen Tischen die Skat-<lb/> und die Whistpartien im vollen Gange. Nur der kleine Professor hatte, wie es<lb/> schien, keine Partner gefunden oder sich dem Spiel mit Absicht entzogen. Jeden¬<lb/> falls war er aufs höchste erfreut, als ich ihn bat, mit mir in das Btbliothekzimmer<lb/> zu gehn und mir dort die Geschichte von seinem Hirsch so ausführlich wie möglich<lb/> zu erzählen. Der Arme! Er ahnte nicht, daß ich gesonnen war, das Vertrauen,<lb/> das er mir schenkte, in der gröblichsten Weise zu mißbrauchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2869"> Wir zogen uns also zurück und machten es uns auf den beiden behaglichen<lb/> Ledersesseln am Tische bequem. Aber Eberhard blieb nicht lange sitzen. Der Gegen¬<lb/> stand seiner Erzählung nahm ihn so in Anspruch, daß er bald wieder aufsprang<lb/> und seine Schilderung der Art und Weise, wie er sich damals angepürscht habe,<lb/> durch ein höchst dramatisches Spiel illustrierte. Sein Feuer steckte mich an, auch<lb/> ich erhob mich, verfolgte seine Bewegungen mit gut gebenedeiten Interesse, näherte<lb/> mich dabei aber langsam dem Glasschränke, der die Lederbände der geheimnisvollen<lb/> Autographensammlung enthielt, und dessen Tür, wie ich mit Befriedigung wahrnahm,<lb/> nur angelehnt war.</p><lb/> <p xml:id="ID_2870"> So kam ich ans die Wiese links vom Galgenberg, berichtete der Professor eifrig,<lb/> und nun hatte ich ihn etwa dreihundert Gänge vor mir.</p><lb/> <p xml:id="ID_2871"> Dreihundert Gänge? fragte ich, um ihm zu beweisen, daß ich ganz bei der<lb/> Sache war.</p><lb/> <p xml:id="ID_2872"> Es können auch dreihundertundzehn gewesen sein, erklärte der gewissenhafte<lb/> kleine Herr. Er stand bis an den Bauch im hohen Waldgras und sicherte nach<lb/> mir herüber. Vernommen konnte er mich kaum haben und gewittert noch weniger,<lb/> denn ich war mit gutem Winde gekommen. Aber, wie gesagt, er sicherte, und da<lb/> blieb mir nichts andres übrig, als mich langsam auf die Erde zu strecken und das<lb/> Gesicht ins Gras zu pressen. So lag ich mindestens fünf Minuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2873"> Fünf Minuten?</p><lb/> <p xml:id="ID_2874"> Ja, fünf Minuten, vielleicht auch sechs —</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0556]
Nach der Hühnerhunde
Ihnen Vergnügen macht, ab und zu einmal auf einen braven Hirsch zu pürschen,
so kommen Sie getrost nach Hellental; wir werden Sie immer mit offnen Armen
empfangen.
Das war nett und menschenfreundlich gesprochen und hätte mich sogar mit
dem unheimlichen Wesen des Schloßherrn aussöhnen können, wenn dieser nur die
fatale Redensart: „sicher sind Sie mir ja auf jeden Fall" unterdrückt hätte. Aber
ich hielt es nun doch für meine Pflicht, auch meinerseits dem Baron etwas an¬
genehmes zu sagen, und gab deshalb meiner Freude darüber Ausdruck, daß sich
sein Befinden im Laufe des Nachmittags allem Anscheine nach so merklich ge¬
bessert habe.
Er erwiderte, daß er augenblicklich in der Tat nicht klagen könne; seit wir
andern Wind hätten, sei der Schmerz im Beine verschwunden, und er fühle sich
wohler als seit langer Zeit. Dabei sah er nach dem klaren, im letzten, kalten
Abendscheine strahlenden Himmel auf und sog begierig die scharfe Luft ein.
Der Wagen war inzwischen in den Hof gefahren, wo sich Martin sogleich
daran machte, den Hirsch aufzubrechen. Die Herren zogen sich in das Gesellschafts¬
zimmer zurück und ließen sich an den Spieltischen nieder, sogar Sparr schien einem
Jeuchen nicht abgeneigt zu sein. Ich erbat mir die Erlaubnis, dem Jäger bei
seiner Arbeit zusehen zu dürfen, da mir daran lag, festzustellen, welche Teile des
Geräusches durchschossen waren. Martin entledigte sich seiner Aufgabe mit einer
Gewandtheit, die eine ungewöhnliche Übung verriet. Das Geweih wollte er jedoch
erst am andern Morgen ausschlagen, da ihm das allerdings etwas spärliche Licht
der Stalllaterne, wie er sagte, nicht erlaubte, diese Arbeit mit der nötigen Sorg¬
falt zu verrichten. Das war mir nun freilich bitter, ich hätte die herrliche Trophäe
am liebsten gleich mit in mein Zimmer genommen, aber darauf mußte ich nun
verzichten.
Als ich in den Gesellschaftsraum zurückkehrte, waren an allen Tischen die Skat-
und die Whistpartien im vollen Gange. Nur der kleine Professor hatte, wie es
schien, keine Partner gefunden oder sich dem Spiel mit Absicht entzogen. Jeden¬
falls war er aufs höchste erfreut, als ich ihn bat, mit mir in das Btbliothekzimmer
zu gehn und mir dort die Geschichte von seinem Hirsch so ausführlich wie möglich
zu erzählen. Der Arme! Er ahnte nicht, daß ich gesonnen war, das Vertrauen,
das er mir schenkte, in der gröblichsten Weise zu mißbrauchen.
Wir zogen uns also zurück und machten es uns auf den beiden behaglichen
Ledersesseln am Tische bequem. Aber Eberhard blieb nicht lange sitzen. Der Gegen¬
stand seiner Erzählung nahm ihn so in Anspruch, daß er bald wieder aufsprang
und seine Schilderung der Art und Weise, wie er sich damals angepürscht habe,
durch ein höchst dramatisches Spiel illustrierte. Sein Feuer steckte mich an, auch
ich erhob mich, verfolgte seine Bewegungen mit gut gebenedeiten Interesse, näherte
mich dabei aber langsam dem Glasschränke, der die Lederbände der geheimnisvollen
Autographensammlung enthielt, und dessen Tür, wie ich mit Befriedigung wahrnahm,
nur angelehnt war.
So kam ich ans die Wiese links vom Galgenberg, berichtete der Professor eifrig,
und nun hatte ich ihn etwa dreihundert Gänge vor mir.
Dreihundert Gänge? fragte ich, um ihm zu beweisen, daß ich ganz bei der
Sache war.
Es können auch dreihundertundzehn gewesen sein, erklärte der gewissenhafte
kleine Herr. Er stand bis an den Bauch im hohen Waldgras und sicherte nach
mir herüber. Vernommen konnte er mich kaum haben und gewittert noch weniger,
denn ich war mit gutem Winde gekommen. Aber, wie gesagt, er sicherte, und da
blieb mir nichts andres übrig, als mich langsam auf die Erde zu strecken und das
Gesicht ins Gras zu pressen. So lag ich mindestens fünf Minuten.
Fünf Minuten?
Ja, fünf Minuten, vielleicht auch sechs —
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |