Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen Da sprang Nielsine plötzlich auf und sagte: Ich will nicht, nein, ich will uicht! Was willst du nicht? Ich Will kein Affe sein! Jetzt lachte Helene. Aber das verlangt doch niemand von dir! Doch, Helene, Vater tut es! Jetzt soll in der Lateinschule Ball sein, und Wirklich, Nielsine! Nein, Was du sagst! Und Helene umarmte und küßte die Freundin so leidenschaftlich, daß diese Sobald sie zu Worte kommen konnte, sagte sie: Aber Kresten will es nicht, Helene rief: Schulball -- ja, das ist amüsant! Das will ich gern! Und damit war die Sache abgemacht. Sörensen war sehr zufrieden mit dieser Lösung: denn, man muß ja sagen, Frau Hansen-Bjerg machte an einem Sonntag mit ihrem Sohn Visite in der Es war das erstemal, daß sich das neugebackne Fräulein in der glänzenden Dann sagte die Kanzleirätin: Diesesmal wird sie dir nicht im Wege stehn; Eine Melodie leise vor sich hinsummend, ging sie aus dem Schlafzimmer und Der Medizinalrat wurde geholt und erklärte, sie müsse ein paar Tage liegen Die Kanzleirätin weinte vor Wut: Wasserumschläge und zu Bette liegen, wo An dem Tage, wo der Schulball sein sollte, herrschte reges Leben und Treiben Vor den verschiednen Hotels rollten Wagen vor, dicht verhüllte Gestalten aus¬ Die Gymnasiasten durchschwärmten Arm in Arm die Straßen, alle Möglich¬ Junge Herzen Da sprang Nielsine plötzlich auf und sagte: Ich will nicht, nein, ich will uicht! Was willst du nicht? Ich Will kein Affe sein! Jetzt lachte Helene. Aber das verlangt doch niemand von dir! Doch, Helene, Vater tut es! Jetzt soll in der Lateinschule Ball sein, und Wirklich, Nielsine! Nein, Was du sagst! Und Helene umarmte und küßte die Freundin so leidenschaftlich, daß diese Sobald sie zu Worte kommen konnte, sagte sie: Aber Kresten will es nicht, Helene rief: Schulball — ja, das ist amüsant! Das will ich gern! Und damit war die Sache abgemacht. Sörensen war sehr zufrieden mit dieser Lösung: denn, man muß ja sagen, Frau Hansen-Bjerg machte an einem Sonntag mit ihrem Sohn Visite in der Es war das erstemal, daß sich das neugebackne Fräulein in der glänzenden Dann sagte die Kanzleirätin: Diesesmal wird sie dir nicht im Wege stehn; Eine Melodie leise vor sich hinsummend, ging sie aus dem Schlafzimmer und Der Medizinalrat wurde geholt und erklärte, sie müsse ein paar Tage liegen Die Kanzleirätin weinte vor Wut: Wasserumschläge und zu Bette liegen, wo An dem Tage, wo der Schulball sein sollte, herrschte reges Leben und Treiben Vor den verschiednen Hotels rollten Wagen vor, dicht verhüllte Gestalten aus¬ Die Gymnasiasten durchschwärmten Arm in Arm die Straßen, alle Möglich¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296065"/> <fw type="header" place="top"> Junge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_198"> Da sprang Nielsine plötzlich auf und sagte: Ich will nicht, nein, ich will uicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_199"> Was willst du nicht?</p><lb/> <p xml:id="ID_200"> Ich Will kein Affe sein!</p><lb/> <p xml:id="ID_201"> Jetzt lachte Helene.</p><lb/> <p xml:id="ID_202"> Aber das verlangt doch niemand von dir!</p><lb/> <p xml:id="ID_203"> Doch, Helene, Vater tut es! 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Und am Tage<lb/> vor dem Ball wurde im Schlafzimmer eine Generalprobe abgehalten, in der Mutter<lb/> und Tochter vor einem bewundernden Publikum von Dienstmädchen und Schneiderinnen<lb/> — wie das bei allen Generalproben zu sei» pflegt -— großen Erfolg hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_212"> Dann sagte die Kanzleirätin: Diesesmal wird sie dir nicht im Wege stehn;<lb/> die Tänzer in der Stadt werden auch keinen Gefallen an ihrem freien Wesen finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_213"> Eine Melodie leise vor sich hinsummend, ging sie aus dem Schlafzimmer und<lb/> die Treppe hinab. Da strauchelte sie und verrenkte sich den einen Fuß. 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Junge Herzen
Da sprang Nielsine plötzlich auf und sagte: Ich will nicht, nein, ich will uicht!
Was willst du nicht?
Ich Will kein Affe sein!
Jetzt lachte Helene.
Aber das verlangt doch niemand von dir!
Doch, Helene, Vater tut es! Jetzt soll in der Lateinschule Ball sein, und
Vater will absolut, daß ich hinfahre. Aber ich will es dir nur sagen: ich bin
mit einem Bauernsohn verlobt!
Wirklich, Nielsine! Nein, Was du sagst!
Und Helene umarmte und küßte die Freundin so leidenschaftlich, daß diese
ganz verblüfft war.
Sobald sie zu Worte kommen konnte, sagte sie: Aber Kresten will es nicht,
daß ich mit den Feinen und Vornehmen zusammenkomme; und gottlob paß ich ja
auch gar nicht in diese Kreise. Aber, weißt du, mein Bruder, der Gymnasiast,
muß doch eine Dame einführen, und da wollte ich dich fragen, ob du uicht an
meiner Stelle gehn wolltest.
Helene rief: Schulball — ja, das ist amüsant! Das will ich gern!
Und damit war die Sache abgemacht.
Sörensen war sehr zufrieden mit dieser Lösung: denn, man muß ja sagen,
daß der Sohn eine prima Dame bekommt.
Frau Hansen-Bjerg machte an einem Sonntag mit ihrem Sohn Visite in der
Apotheke und lud die Kanzleirätin und Desideria zum Ball ein.
Es war das erstemal, daß sich das neugebackne Fräulein in der glänzenden
Arena des geselligen Lebens zeigen sollte. Und es wurde nichts gespart, sondern
alles wurde getan, daß Desiderias Debüt mit dem wünschenswerten Eklat statt¬
finden konnte. Frau Lönbergs Toilette war nicht weniger flott. Und am Tage
vor dem Ball wurde im Schlafzimmer eine Generalprobe abgehalten, in der Mutter
und Tochter vor einem bewundernden Publikum von Dienstmädchen und Schneiderinnen
— wie das bei allen Generalproben zu sei» pflegt -— großen Erfolg hatten.
Dann sagte die Kanzleirätin: Diesesmal wird sie dir nicht im Wege stehn;
die Tänzer in der Stadt werden auch keinen Gefallen an ihrem freien Wesen finden.
Eine Melodie leise vor sich hinsummend, ging sie aus dem Schlafzimmer und
die Treppe hinab. Da strauchelte sie und verrenkte sich den einen Fuß. Sie konnte
kaum in die Schlafstube zurückgelangen und bekam so heftige Schmerzen, daß sie
zu Bett gehn mußte.
Der Medizinalrat wurde geholt und erklärte, sie müsse ein paar Tage liegen
bleiben, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wolle, daß der Schaden chronisch
würde.
Die Kanzleirätin weinte vor Wut: Wasserumschläge und zu Bette liegen, wo
sie mit der gräflichen Familie hatte zusammensitzen und Desiderias Triumph mit
hatte ansehen wollen. Aber den Nest ihres Lebens am Stocke gehn wie Gro߬
mutter, nein, dafür dankte sie denn doch!
An dem Tage, wo der Schulball sein sollte, herrschte reges Leben und Treiben
in dem Provinzstädtchen. Das Gymnasium wurde zwei Stunden früher als sonst
geschlossen, da das Komitee, Schüler der obern Klassen, ganz von den Vorberei¬
tungen zum Ball in Anspruch genommen war.
Vor den verschiednen Hotels rollten Wagen vor, dicht verhüllte Gestalten aus¬
ladend, die sich als Töchter aus den Pfarrhöfen, Apotheken, von den Rittergütern
und Pachthöfen der Umgegend entpuppten.
Die Gymnasiasten durchschwärmten Arm in Arm die Straßen, alle Möglich¬
keiten erwägend und zu den Hotelfenstern hinausstarrend, von wo aus die angehenden
„Ballköniginnen" die angehenden Musensöhne beciugteu.
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