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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die Tage von Lhamxigny und villiers

mauern der Weingärten zurück, wo dieselbe von frischen Truppen aufgenommen
wurde. An dem nun wieder beginnenden, für die Sachsen verlustreichen Feuer¬
gefechte beteiligten sich auf dem rechten Flügel zwei Kompagnien des von
Noisy vorgegangncn dritten Bataillons Regiments Nummer 107, während sich
die beiden andern gegen die Ostseite von Bry gewendet hatten. Deu vom
Feinde hart bedrängten linken Flügel unterstützte das zweite Bataillon des
Schützenregiments und die sich ihm anschließende vierte Kompagnie Jäger¬
bataillons Nummer 13 (sowie Teile des ersten württembergischen Infanterie¬
regiments). Ferner wurden von den bei Coenilly stehenden Batterien zwei
nach der Südseite von Villiers herangezogen, und zwei schwere der Korps¬
artillerie XII. Armeekorps nördlich dieses Dorfes in Stellung gebracht, hinter
welchem inzwischen anch das dritte Bataillon Regiments Nummer 100 von La
Grenouillere eingetroffen war.

Nach kurzer Gefechtspause steigerte sich gegen Mittag das Feuer des
Feindes wieder zu auffallender Heftigkeit. Als demnächst starke französische
Infanteriemassen auf der Höhe östlich von Bry gegen die Stellungen der
Sachsen vorbrachcn, trat der Kommandeur des Schützenregimeuts, Oberst Frei¬
herr von Hause", in Anbetracht der Übermacht des Gegners und der schon
erlittnen Verluste (beide Bataillone wurden bereits von Premierlentnants ge¬
führt), aber unter Mitnahme von etwa dreihundert Gefangnen, den Rückzug
nach Villiers an, wo inzwischen das dritte Bataillon Regiments Nummer 100,
die württembergische Besatzung des Parkes und das dritte Bataillon des
Schützenregiments die Gefechtslinie nördlich derselben verstärkt hatte. Das
Feuer dieser Truppen, wirksam unterstützt durch die auf der Südseite des
Dorfes haltenden Batterien, tat der Verfolgung des Feindes Einhalt."

Obwohl mit dieser Darstellung allen für die eigentliche Kriegsgeschichte
in Betracht kommenden Tatsachen Rechnung getragen ist, so ist der Vorgang,
der leider dahin gekennzeichnet werden muß, daß die in Frage kommenden
elf Kompagnien den erhaltnen Auftrag, deu Höhenrand zu säubern, trotz
redlichem Bemühen und großen Verlusten nicht hatten ausführen können,
durch allerhand Sonderbarkeiten für alle, die daran teilgenommen haben, be¬
sonders merkwürdig geworden. Nicht bloß den Oberbefehlshaber General
Ducrot sah man sich auf einen: Schimmel in den vordersten feindlichen Schützen¬
linien tummeln, anch der Gouverneur beehrte seine kämpfenden Landsleute
einige Zeit laug durch seine Gegenwart und feuerte ihren Mut durch beredte
Ansprachen an. Wie sich der Wahn, der Gegner sei bereit, die Waffen zu
strecken, beider kämpfenden Parteien hat bemächtigen können, ist ein bis auf
den heutigen Tag ungelöstes Rätsel. Die Chargen und die Mannschaften des
Schützenregiments versicherten, so oft sie befragt wurden, in treuherzigster
Weise, die Rothoseu Hütten mit den Taschentüchern "gewunken" -- eine andre
Form des Partizipiums der Vergangenheit von winken bekam man nicht zu
hören -- und seien offenbar willens gewesen, klein beizugeben. Dagegen
wird in mehreren Tagebüchern französischer Regimenter behauptet, es sei wieder¬
holt "nicht feuern" geblasen worden, die Deutschen hätten als Zeichen, daß
sie bereit seien, sich zu ergeben, die Gewehre so in die Hand genommen, daß


Die Tage von Lhamxigny und villiers

mauern der Weingärten zurück, wo dieselbe von frischen Truppen aufgenommen
wurde. An dem nun wieder beginnenden, für die Sachsen verlustreichen Feuer¬
gefechte beteiligten sich auf dem rechten Flügel zwei Kompagnien des von
Noisy vorgegangncn dritten Bataillons Regiments Nummer 107, während sich
die beiden andern gegen die Ostseite von Bry gewendet hatten. Deu vom
Feinde hart bedrängten linken Flügel unterstützte das zweite Bataillon des
Schützenregiments und die sich ihm anschließende vierte Kompagnie Jäger¬
bataillons Nummer 13 (sowie Teile des ersten württembergischen Infanterie¬
regiments). Ferner wurden von den bei Coenilly stehenden Batterien zwei
nach der Südseite von Villiers herangezogen, und zwei schwere der Korps¬
artillerie XII. Armeekorps nördlich dieses Dorfes in Stellung gebracht, hinter
welchem inzwischen anch das dritte Bataillon Regiments Nummer 100 von La
Grenouillere eingetroffen war.

Nach kurzer Gefechtspause steigerte sich gegen Mittag das Feuer des
Feindes wieder zu auffallender Heftigkeit. Als demnächst starke französische
Infanteriemassen auf der Höhe östlich von Bry gegen die Stellungen der
Sachsen vorbrachcn, trat der Kommandeur des Schützenregimeuts, Oberst Frei¬
herr von Hause», in Anbetracht der Übermacht des Gegners und der schon
erlittnen Verluste (beide Bataillone wurden bereits von Premierlentnants ge¬
führt), aber unter Mitnahme von etwa dreihundert Gefangnen, den Rückzug
nach Villiers an, wo inzwischen das dritte Bataillon Regiments Nummer 100,
die württembergische Besatzung des Parkes und das dritte Bataillon des
Schützenregiments die Gefechtslinie nördlich derselben verstärkt hatte. Das
Feuer dieser Truppen, wirksam unterstützt durch die auf der Südseite des
Dorfes haltenden Batterien, tat der Verfolgung des Feindes Einhalt."

Obwohl mit dieser Darstellung allen für die eigentliche Kriegsgeschichte
in Betracht kommenden Tatsachen Rechnung getragen ist, so ist der Vorgang,
der leider dahin gekennzeichnet werden muß, daß die in Frage kommenden
elf Kompagnien den erhaltnen Auftrag, deu Höhenrand zu säubern, trotz
redlichem Bemühen und großen Verlusten nicht hatten ausführen können,
durch allerhand Sonderbarkeiten für alle, die daran teilgenommen haben, be¬
sonders merkwürdig geworden. Nicht bloß den Oberbefehlshaber General
Ducrot sah man sich auf einen: Schimmel in den vordersten feindlichen Schützen¬
linien tummeln, anch der Gouverneur beehrte seine kämpfenden Landsleute
einige Zeit laug durch seine Gegenwart und feuerte ihren Mut durch beredte
Ansprachen an. Wie sich der Wahn, der Gegner sei bereit, die Waffen zu
strecken, beider kämpfenden Parteien hat bemächtigen können, ist ein bis auf
den heutigen Tag ungelöstes Rätsel. Die Chargen und die Mannschaften des
Schützenregiments versicherten, so oft sie befragt wurden, in treuherzigster
Weise, die Rothoseu Hütten mit den Taschentüchern „gewunken" — eine andre
Form des Partizipiums der Vergangenheit von winken bekam man nicht zu
hören — und seien offenbar willens gewesen, klein beizugeben. Dagegen
wird in mehreren Tagebüchern französischer Regimenter behauptet, es sei wieder¬
holt „nicht feuern" geblasen worden, die Deutschen hätten als Zeichen, daß
sie bereit seien, sich zu ergeben, die Gewehre so in die Hand genommen, daß


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[0534] Die Tage von Lhamxigny und villiers mauern der Weingärten zurück, wo dieselbe von frischen Truppen aufgenommen wurde. An dem nun wieder beginnenden, für die Sachsen verlustreichen Feuer¬ gefechte beteiligten sich auf dem rechten Flügel zwei Kompagnien des von Noisy vorgegangncn dritten Bataillons Regiments Nummer 107, während sich die beiden andern gegen die Ostseite von Bry gewendet hatten. Deu vom Feinde hart bedrängten linken Flügel unterstützte das zweite Bataillon des Schützenregiments und die sich ihm anschließende vierte Kompagnie Jäger¬ bataillons Nummer 13 (sowie Teile des ersten württembergischen Infanterie¬ regiments). Ferner wurden von den bei Coenilly stehenden Batterien zwei nach der Südseite von Villiers herangezogen, und zwei schwere der Korps¬ artillerie XII. Armeekorps nördlich dieses Dorfes in Stellung gebracht, hinter welchem inzwischen anch das dritte Bataillon Regiments Nummer 100 von La Grenouillere eingetroffen war. Nach kurzer Gefechtspause steigerte sich gegen Mittag das Feuer des Feindes wieder zu auffallender Heftigkeit. Als demnächst starke französische Infanteriemassen auf der Höhe östlich von Bry gegen die Stellungen der Sachsen vorbrachcn, trat der Kommandeur des Schützenregimeuts, Oberst Frei¬ herr von Hause», in Anbetracht der Übermacht des Gegners und der schon erlittnen Verluste (beide Bataillone wurden bereits von Premierlentnants ge¬ führt), aber unter Mitnahme von etwa dreihundert Gefangnen, den Rückzug nach Villiers an, wo inzwischen das dritte Bataillon Regiments Nummer 100, die württembergische Besatzung des Parkes und das dritte Bataillon des Schützenregiments die Gefechtslinie nördlich derselben verstärkt hatte. Das Feuer dieser Truppen, wirksam unterstützt durch die auf der Südseite des Dorfes haltenden Batterien, tat der Verfolgung des Feindes Einhalt." Obwohl mit dieser Darstellung allen für die eigentliche Kriegsgeschichte in Betracht kommenden Tatsachen Rechnung getragen ist, so ist der Vorgang, der leider dahin gekennzeichnet werden muß, daß die in Frage kommenden elf Kompagnien den erhaltnen Auftrag, deu Höhenrand zu säubern, trotz redlichem Bemühen und großen Verlusten nicht hatten ausführen können, durch allerhand Sonderbarkeiten für alle, die daran teilgenommen haben, be¬ sonders merkwürdig geworden. Nicht bloß den Oberbefehlshaber General Ducrot sah man sich auf einen: Schimmel in den vordersten feindlichen Schützen¬ linien tummeln, anch der Gouverneur beehrte seine kämpfenden Landsleute einige Zeit laug durch seine Gegenwart und feuerte ihren Mut durch beredte Ansprachen an. Wie sich der Wahn, der Gegner sei bereit, die Waffen zu strecken, beider kämpfenden Parteien hat bemächtigen können, ist ein bis auf den heutigen Tag ungelöstes Rätsel. Die Chargen und die Mannschaften des Schützenregiments versicherten, so oft sie befragt wurden, in treuherzigster Weise, die Rothoseu Hütten mit den Taschentüchern „gewunken" — eine andre Form des Partizipiums der Vergangenheit von winken bekam man nicht zu hören — und seien offenbar willens gewesen, klein beizugeben. Dagegen wird in mehreren Tagebüchern französischer Regimenter behauptet, es sei wieder¬ holt „nicht feuern" geblasen worden, die Deutschen hätten als Zeichen, daß sie bereit seien, sich zu ergeben, die Gewehre so in die Hand genommen, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/534>, abgerufen am 16.01.2025.