Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Arinenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz lichkeit und des Parteibetriebs nicht gewachsen sind, so mußte das Gesetz die So ist es also der Anwaltszwang, auf den man die für das Gericht, Arinenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz lichkeit und des Parteibetriebs nicht gewachsen sind, so mußte das Gesetz die So ist es also der Anwaltszwang, auf den man die für das Gericht, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0526" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296537"/> <fw type="header" place="top"> Arinenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz</fw><lb/> <p xml:id="ID_2761" prev="#ID_2760"> lichkeit und des Parteibetriebs nicht gewachsen sind, so mußte das Gesetz die<lb/> Bevormundung der Parteien durch Rechtsanwälte, den Anwaltszwang ein¬<lb/> führen. Von einem solchen konnte im frühern Prozeß nicht die Rede sein;<lb/> denn früher lag dem Richter die Amtspflicht ob, die Parteien mit ihren Er¬<lb/> klärungen zu vernehmen, das heißt also sich den Streitstoff zu schaffen, und<lb/> zwar durch Aufnahme von Protokollen; denn die Annahme, das Gericht<lb/> könne einen mäßig schwierigen Sachverhalt auf Grund mündlicher Verhand¬<lb/> lung entscheiden, war als „bewußte Lüge" dem preußischen Prozeß fremd.<lb/> Und dem Verhältnis des Staatsbürgers zum Gericht entspricht es, daß dieses,<lb/> sobald der Klüger bei ihm einmal den Antrag auf Zuerkennung eines be-<lb/> strittnen Rechts gestellt hat, nunmehr von Amts wegen alle weitern zur<lb/> Durchführung des Anspruchs nötigen Schritte vornehme; darum kannte der<lb/> preußische Prozeß keinen Parteibetrieb. Gewiß ist es für die arme Partei<lb/> angenehmer und bequemer, ihre Rechte durch eine» Rechtsanwalt vertreten<lb/> zu sehen, als sie selbst wahrzunehmen; aber wie jede andre Armenpflege hat<lb/> sich auch die auf Gewährung des Rechtsschutzes gehende Armenpflege auf das<lb/> Notdürftige zu beschränken und über das Notdürftige hinaus keinerlei An¬<lb/> sprüche zu bewilligen. Darum sah der preußische Gesetzgeber, der ja sehr wohl<lb/> auch die Beiordnung eines Nechtsanwalts für die arme Partei hätte vor¬<lb/> schreiben können, hiervon ab. So wenig ein Hilfsbedürftiger in Krankheits¬<lb/> füllen Anspruch auf Behandlung gerade durch einen ihm besonders zusagenden<lb/> oder durch einen als Spezialist berühmten Arzt oder auf den Genuß ganz<lb/> besondrer Heilungsgelegenheit hat, ebenso wenig hat der des Rechtsschutzes be¬<lb/> dürftige Arme Anspruch aus die Erleichterung und die Erhöhung des Rechts¬<lb/> schutzes, die die Zuziehung eines Rechtsanwalts gewährt. Und es ist kein<lb/> Zweifel, daß die übermäßige Bequemlichkeit der Rechtsverfolgnng, die Er¬<lb/> sparnis jedes Zeitverlustes, ja sogar der Wahrnehmung eines Termins, für<lb/> die arme Partei geradezu ein Anreiz zur mißbräuchlichen Benutzung des<lb/> Armenrechts ist. Der Arme, dem durch das Prozessieren keine Auslage, keine<lb/> Mühe oder Zeitverlust verursacht wird, weil ihm sogar die Tätigkeit eines<lb/> Rechtsanwalts unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird, läßt sich hierdurch<lb/> nur zu leicht zur Erhebung völlig unbegründeter Ansprüche verleiten. Die<lb/> oben gemachten Angaben über den Prozentsatz unbegründeter Ansprüche, die<lb/> im Armenrecht durchgeführt werden, reden eine zu deutliche Sprache; und vom<lb/> sozialen Standpunkt ist es sehr bedauerlich, daß der Arme bei der Rechts¬<lb/> verfolgung so sehr bevorzugt ist gegenüber dem mäßig Bemittelten, also zum<lb/> Beispiel dem Bauern, dem Handwerksmeister und gegenüber sonst Minderbe¬<lb/> güterten, die der Rechtswohltat des Armenrechts nicht teilhaft werden können<lb/> und bei der Kostspieligkeit und Schwierigkeit der Rechtsverfolgnng oft genug<lb/> von dieser absehen, auch wo sie wirtschaftlich des Prozesses benötigt sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_2762" next="#ID_2763"> So ist es also der Anwaltszwang, auf den man die für das Gericht,<lb/> für die Rechtsanwälte und den Gegner der armen Partei gleich fühlbaren<lb/> Mißstände des Armenrechts zurückführen muß, und da dieser Anwaltszwang<lb/> durch den Bau des heutigen Prozeßverfahrens verursacht ist, so ist eine Be¬<lb/> seitigung des Mißstandes zurzeit ausgeschlossen. Erst wenn bei einer Änderung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0526]
Arinenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz
lichkeit und des Parteibetriebs nicht gewachsen sind, so mußte das Gesetz die
Bevormundung der Parteien durch Rechtsanwälte, den Anwaltszwang ein¬
führen. Von einem solchen konnte im frühern Prozeß nicht die Rede sein;
denn früher lag dem Richter die Amtspflicht ob, die Parteien mit ihren Er¬
klärungen zu vernehmen, das heißt also sich den Streitstoff zu schaffen, und
zwar durch Aufnahme von Protokollen; denn die Annahme, das Gericht
könne einen mäßig schwierigen Sachverhalt auf Grund mündlicher Verhand¬
lung entscheiden, war als „bewußte Lüge" dem preußischen Prozeß fremd.
Und dem Verhältnis des Staatsbürgers zum Gericht entspricht es, daß dieses,
sobald der Klüger bei ihm einmal den Antrag auf Zuerkennung eines be-
strittnen Rechts gestellt hat, nunmehr von Amts wegen alle weitern zur
Durchführung des Anspruchs nötigen Schritte vornehme; darum kannte der
preußische Prozeß keinen Parteibetrieb. Gewiß ist es für die arme Partei
angenehmer und bequemer, ihre Rechte durch eine» Rechtsanwalt vertreten
zu sehen, als sie selbst wahrzunehmen; aber wie jede andre Armenpflege hat
sich auch die auf Gewährung des Rechtsschutzes gehende Armenpflege auf das
Notdürftige zu beschränken und über das Notdürftige hinaus keinerlei An¬
sprüche zu bewilligen. Darum sah der preußische Gesetzgeber, der ja sehr wohl
auch die Beiordnung eines Nechtsanwalts für die arme Partei hätte vor¬
schreiben können, hiervon ab. So wenig ein Hilfsbedürftiger in Krankheits¬
füllen Anspruch auf Behandlung gerade durch einen ihm besonders zusagenden
oder durch einen als Spezialist berühmten Arzt oder auf den Genuß ganz
besondrer Heilungsgelegenheit hat, ebenso wenig hat der des Rechtsschutzes be¬
dürftige Arme Anspruch aus die Erleichterung und die Erhöhung des Rechts¬
schutzes, die die Zuziehung eines Rechtsanwalts gewährt. Und es ist kein
Zweifel, daß die übermäßige Bequemlichkeit der Rechtsverfolgnng, die Er¬
sparnis jedes Zeitverlustes, ja sogar der Wahrnehmung eines Termins, für
die arme Partei geradezu ein Anreiz zur mißbräuchlichen Benutzung des
Armenrechts ist. Der Arme, dem durch das Prozessieren keine Auslage, keine
Mühe oder Zeitverlust verursacht wird, weil ihm sogar die Tätigkeit eines
Rechtsanwalts unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird, läßt sich hierdurch
nur zu leicht zur Erhebung völlig unbegründeter Ansprüche verleiten. Die
oben gemachten Angaben über den Prozentsatz unbegründeter Ansprüche, die
im Armenrecht durchgeführt werden, reden eine zu deutliche Sprache; und vom
sozialen Standpunkt ist es sehr bedauerlich, daß der Arme bei der Rechts¬
verfolgung so sehr bevorzugt ist gegenüber dem mäßig Bemittelten, also zum
Beispiel dem Bauern, dem Handwerksmeister und gegenüber sonst Minderbe¬
güterten, die der Rechtswohltat des Armenrechts nicht teilhaft werden können
und bei der Kostspieligkeit und Schwierigkeit der Rechtsverfolgnng oft genug
von dieser absehen, auch wo sie wirtschaftlich des Prozesses benötigt sind.
So ist es also der Anwaltszwang, auf den man die für das Gericht,
für die Rechtsanwälte und den Gegner der armen Partei gleich fühlbaren
Mißstände des Armenrechts zurückführen muß, und da dieser Anwaltszwang
durch den Bau des heutigen Prozeßverfahrens verursacht ist, so ist eine Be¬
seitigung des Mißstandes zurzeit ausgeschlossen. Erst wenn bei einer Änderung
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