Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Nach der Mhnersuche gesamten Grundbesitz einzig und allein als Jagdrevier benutze und von einer Be¬ Der Herr Baron geht überhaupt wohl wenig aus? fragte ich. Bei Tage nur noch selten, antwortete Martin, aber ab und zu einmal des Diese seltsame Liebhaberei dürfte dem Herrn Baron bei seinen" Rheumatismus Da sah mich der Jäger lächelnd an, zwinkerte mir zu und sagte: Rheumatis¬ Ich wollte noch weiter fragen, aber Martin legte bedeutsam den Finger an Wenn wir dem folgen, erklärte mein Führer flüsternd, kommen wir gerade Der Wald war bei weitem nicht so tief, wie ich anfangs angenommen hatte. Wir pürschten uns noch ein gutes Stück weiter und kamen an eine Kiefer, Ist das alles? fragte ich leise meinen Begleiter. Nein, flüsterte er, der Dreißigeuder fehlt noch, der hält sich immer abseits Ich hob mein Glas und faßte den Hirsch scharf ins Auge. Alle Wetter -- Jetzt war er so dicht vor uns, daß ich sehen konnte, wie der Morgenwind Martin kniete an meiner Seite und betrachtete den Hirsch mit einer Erregung, Grenzboten IV 1W5 64
Nach der Mhnersuche gesamten Grundbesitz einzig und allein als Jagdrevier benutze und von einer Be¬ Der Herr Baron geht überhaupt wohl wenig aus? fragte ich. Bei Tage nur noch selten, antwortete Martin, aber ab und zu einmal des Diese seltsame Liebhaberei dürfte dem Herrn Baron bei seinen« Rheumatismus Da sah mich der Jäger lächelnd an, zwinkerte mir zu und sagte: Rheumatis¬ Ich wollte noch weiter fragen, aber Martin legte bedeutsam den Finger an Wenn wir dem folgen, erklärte mein Führer flüsternd, kommen wir gerade Der Wald war bei weitem nicht so tief, wie ich anfangs angenommen hatte. Wir pürschten uns noch ein gutes Stück weiter und kamen an eine Kiefer, Ist das alles? fragte ich leise meinen Begleiter. Nein, flüsterte er, der Dreißigeuder fehlt noch, der hält sich immer abseits Ich hob mein Glas und faßte den Hirsch scharf ins Auge. Alle Wetter — Jetzt war er so dicht vor uns, daß ich sehen konnte, wie der Morgenwind Martin kniete an meiner Seite und betrachtete den Hirsch mit einer Erregung, Grenzboten IV 1W5 64
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Nach der Mhnersuche
gesamten Grundbesitz einzig und allein als Jagdrevier benutze und von einer Be¬
wirtschaftung nichts wissen wolle. Auch im Walde dürfe kein Holz geschlagen werden,
und von einer Forstnutzung sei keine Rede. Drüben, hinter dem Walde, wo die
Grenze ist, können Sie wieder Äcker sehen, fügte er hinzu, aber bis dorthin ist der
gnädige Herr wohl noch nie gekommen.
Der Herr Baron geht überhaupt wohl wenig aus? fragte ich.
Bei Tage nur noch selten, antwortete Martin, aber ab und zu einmal des
Nachts. Dann müssen sie alle mit, mögen sie wollen oder nicht. Wenn der Wind
nach Nordosten umschlägt, fühlt sich der gnädige Herr am wohlsten, und dann ist
man nie sicher, obs nicht mitten in der Nacht heißt: Raus aus deu Federn!
Diese seltsame Liebhaberei dürfte dem Herrn Baron bei seinen« Rheumatismus
oder bet seiner Gicht aber nicht gerade zuträglich sein, bemerkte ich.
Da sah mich der Jäger lächelnd an, zwinkerte mir zu und sagte: Rheumatis¬
mus? Gicht? Sie meinen, weil er einen Filzstiefel trägt? Nein, lieber Herr,
da sind Sie auf dem Holzwege. Der Filzstiefel soll nur einen kleinen Schönheits¬
fehler verbergen.
Ich wollte noch weiter fragen, aber Martin legte bedeutsam den Finger an
den Mund und wies auf einen schmalen Pfad, der mehr einem Hasenpaß als einem
von Menschen begangnen Wege glich und aus der Heide in schräger Richtung auf
den Wald zuführte.
Wenn wir dem folgen, erklärte mein Führer flüsternd, kommen wir gerade
auf den Wechsel. Die Hirsche sind hier sehr vertraut, weil sie selten beunruhigt
werden. Sie ziehn deshalb auch erst eine Stunde nach Sonnenaufgang zu Holze.
Auf der andern Seite sind Wiesen und Kleestücke.
Der Wald war bei weitem nicht so tief, wie ich anfangs angenommen hatte.
Nach ein paar hundert Gängen konnte ich drüben auf der andern Seite schon
wieder lichte Stellen zwischen den braunen Kieferstämmen durchschimmern sehen, und
dahinter mußten die Äcker liegen, auf die das Rotwild nach Äsung zog.
Wir pürschten uns noch ein gutes Stück weiter und kamen an eine Kiefer,
die der Sturm der vergangnen Nacht entwurzelt hatte, und deren dichte Krone
uns genügend Deckung bot. Ich setzte mich auf meinen Rucksack, während der Jäger
stehn blieb und nach dem Waldsäume hinüberspähte. Eine gute Viertelstunde mochten
wir so gewartet haben, als Martin sich bückte und mir ein Zeichen gab, mich zu
erheben. Vorsichtig lugte ich durch die dichten Äste und sah ein Rudel geweihter
Hirsche langsam zu Holze ziehn. Es waren im ganzen fünf Stück, der einzige
kapitale darunter war ein Sechzehnender, die übrigen mußte ich als schlecht jagd¬
bare Hirsche ansprechen, wie sie in der Gegend überall vorkommen.
Ist das alles? fragte ich leise meinen Begleiter.
Nein, flüsterte er, der Dreißigeuder fehlt noch, der hält sich immer abseits
vom Rudel. Geben Sie acht, dort hinten bei der Schlehenhecke steht er.
Ich hob mein Glas und faßte den Hirsch scharf ins Auge. Alle Wetter —
das war mehr, als ich erwartet hatte! Ein Feisthirsch mit einem Geweih, wie man
es sonst nur in fürstlichen Sammlungen zu sehen bekommt: Stangen beinahe von der
Stärke eines Armes und Kronen wie die aus Geweihstücken angefertigten Papier¬
körbe, die man mitunter in den Arbeitszimmern reicher Jagdliebhaber findet!
Langsam, im richtigen „Kirchgang" wechselte der Hirsch ein, ab und zu warf er
auf, sicherte eine Weile und senkte dann wieder das gewaltige gekrönte Haupt, um
von einem Fliegenpilze oder von den jungen Trieben eines Heidelbeersträuchleins
zu naschen.
Jetzt war er so dicht vor uns, daß ich sehen konnte, wie der Morgenwind
mit dem langen schwarzen Mähnenhaar spielte. Hätte ich doch meinen Drilling bei
mir gehabt!
Martin kniete an meiner Seite und betrachtete den Hirsch mit einer Erregung,
die der meinigen nichts nachgab. Hinter ihm, auf dem Rucksack, lag sein Gewehr,
Grenzboten IV 1W5 64
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