Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches die vorherige Erledigung der Deckungsfrage als unerläßlich bezeichnen, so haben Es taucht auch bei dieser Gelegenheit -- und zwar nicht nur im Bannkreise Maßgebliches und Unmaßgebliches die vorherige Erledigung der Deckungsfrage als unerläßlich bezeichnen, so haben Es taucht auch bei dieser Gelegenheit — und zwar nicht nur im Bannkreise <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296470"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2469" prev="#ID_2468"> die vorherige Erledigung der Deckungsfrage als unerläßlich bezeichnen, so haben<lb/> wir zur Zentrumsfraktion das Vertrauen, daß sie einsichtiger, verständiger und<lb/> patriotischer in ihren Entschließungen als die Presse in ihrer befangnen Polemik<lb/> sein wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_2470" next="#ID_2471"> Es taucht auch bei dieser Gelegenheit — und zwar nicht nur im Bannkreise<lb/> des Popularitätsbedürfnisses des Zentrums — von neuem die törichte Phrase auf,<lb/> die wir schon bei den Flottengeschen bis zum Überdruß gehört haben: daß die<lb/> Kosten für die Vermehrung der Flotte nur auf die „leistungsfähigen" oder gar<lb/> auf die „leistungsfähigsten" Schultern gelegt werden dürften. Das sei Bedingung<lb/> der Zustimmung. Ist je größerer Unsinn ausgesprochen, größere Würdelosigkeit<lb/> im Namen eines großen Volkes behauptet worden? Wohin sollen wir denn kommen,<lb/> wenn wir selbst die Frage der nationalen Würde, Sicherheit und Ehre, der In¬<lb/> tegrität und Selbständigkeit nach Interessentenkreisen auflösen, um danach die Kosten<lb/> zu repartieren? Wer sind denn diese leistungsfähigen oder leistungsfähigsten<lb/> Schultern? Die paar großen Schiffsgesellschaften, oder gar die Kolonialgesellschaften,<lb/> die einstweilen kaum zu existieren vermögen? Oder der große Bankier, der ruhig<lb/> erklären würde: „Ich brauche keine Flotte," oder der Großgrundbesitz, der sich auf<lb/> denselben Standpunkt zu stellen wüßte? Es bleiben also Handel, Industrie und<lb/> die gelehrten Berufe! Will man das Gelächter und den berechtigten Spott des<lb/> Auslandes noch mehr herausfordern? Sind solchen Anschauungen gegenüber, die<lb/> tatsächlich in das Rathaus zu Schilda gehören, die Engländer und ihr König wirklich<lb/> so im Unrecht, wenn sie achselzuckend von der „deutschen Flottenspielerei" reden?<lb/> Würde es je in irgendeinem Lande der Welt erhört sein, in England oder in<lb/> Amerika, in Frankreich oder in Italien, daß ein Teil der Nation ein Präzipuum<lb/> in Anspruch nimmt, zu der Nationalverteidigung nicht beizutragen? Was will<lb/> man den Schisfahrtsinteressenten und auch den Hansestädten entgegenhalten, wenn<lb/> diese erklären sollten: Wir brauchen die Landarmee nicht, wir zahlen darum auch<lb/> ihre Kosten nicht. Oder wenn die östlichen Provinzen sagen wollten: Was gehn<lb/> uns Metz und Straßbnrg, was die Befestigungen von Köln und Mainz an, dafür<lb/> zahlen wir nichts. Oder der Westen wollte dasselbe von Königsberg und Thorn<lb/> sagen? Wir haben zunächst auf dem Gebiete der Nationalverteidigung die Einheit<lb/> erstrebt und mit Not und Mühe erlangt; wenn wir jetzt bei der Flotte die illo<lb/> w xartss zulassen, dann kommen wir unvermeidlich bei der Armee zu demselben<lb/> Standpunkt. Was schert mich die Kavallerie und die Artillerie? Die mögen die<lb/> leistungsfähigen Schultern tragen! Und wer gehört denn nicht zu den „leistungs¬<lb/> fähigen Schultern" ? Etwa die Arbeiterschaft, die zumeist vor lauter Übermut einen<lb/> Streik nach dem andern vom Zaune bricht und die Kosten auf sich nimmt? Die<lb/> durch regelmäßige Abgaben, weit höher als Staat und Reich ihr aufzuerlegen<lb/> wagen, die frivolsten Arbeitseinstellungen wochenlang durchführt und jahrein jahr¬<lb/> aus die Hetzer und Agitatoren füttert? Dieselbe Arbeiterschaft, deren rapid ge-<lb/> wachsnen Wohlstand die bewundernde Anerkennung des ganzen Auslands findet,<lb/> die die Sparkassen füllt, die freien Schulunterricht und teilweise auch volle Steuer¬<lb/> freiheit genießt, für deren Kranke, Verletzte und Invaliden jährlich unermeßliche<lb/> Millionen aufgebracht werden? Für deren Witwen und Waisen — sonst nirgend<lb/> auf der Welt — jetzt auch noch Fonds aufgesammelt werden? Diese Arbeiterschaft<lb/> soll den auf sie fallenden, für den Kopf wirklich minimalen Anteil der Flotten-<lb/> Vermehrung nicht tragen können? Die deutsche Arbeiterschaft müßte eine so würdelose<lb/> Zumutung mit Entrüstung zurückweisen. Zumal da gerade ihr die auf die Flotten-<lb/> verwandten Summen zuerst zugute kommen und zur weitaus größten Hälfte<lb/> als Arbeitslöhne in ihre Taschen fließen! Die Kosten des Schiffbaues, der Artillerie-<lb/> und Torpedoausrüstung, der nötigen Land- und Hafenbauten bestehn doch weitaus<lb/> zum größten Teil aus Arbeitslöhnen die auch bei der Materialerzeugung selbst<lb/> noch eine sehr große Rolle spielen. Von den 27 Millionen Mark, die ein Panzer¬<lb/> kreuzer nebst Armierung kostet, fällt doch mindestens die Hälfte den Arbeitern als</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0459]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
die vorherige Erledigung der Deckungsfrage als unerläßlich bezeichnen, so haben
wir zur Zentrumsfraktion das Vertrauen, daß sie einsichtiger, verständiger und
patriotischer in ihren Entschließungen als die Presse in ihrer befangnen Polemik
sein wird.
Es taucht auch bei dieser Gelegenheit — und zwar nicht nur im Bannkreise
des Popularitätsbedürfnisses des Zentrums — von neuem die törichte Phrase auf,
die wir schon bei den Flottengeschen bis zum Überdruß gehört haben: daß die
Kosten für die Vermehrung der Flotte nur auf die „leistungsfähigen" oder gar
auf die „leistungsfähigsten" Schultern gelegt werden dürften. Das sei Bedingung
der Zustimmung. Ist je größerer Unsinn ausgesprochen, größere Würdelosigkeit
im Namen eines großen Volkes behauptet worden? Wohin sollen wir denn kommen,
wenn wir selbst die Frage der nationalen Würde, Sicherheit und Ehre, der In¬
tegrität und Selbständigkeit nach Interessentenkreisen auflösen, um danach die Kosten
zu repartieren? Wer sind denn diese leistungsfähigen oder leistungsfähigsten
Schultern? Die paar großen Schiffsgesellschaften, oder gar die Kolonialgesellschaften,
die einstweilen kaum zu existieren vermögen? Oder der große Bankier, der ruhig
erklären würde: „Ich brauche keine Flotte," oder der Großgrundbesitz, der sich auf
denselben Standpunkt zu stellen wüßte? Es bleiben also Handel, Industrie und
die gelehrten Berufe! Will man das Gelächter und den berechtigten Spott des
Auslandes noch mehr herausfordern? Sind solchen Anschauungen gegenüber, die
tatsächlich in das Rathaus zu Schilda gehören, die Engländer und ihr König wirklich
so im Unrecht, wenn sie achselzuckend von der „deutschen Flottenspielerei" reden?
Würde es je in irgendeinem Lande der Welt erhört sein, in England oder in
Amerika, in Frankreich oder in Italien, daß ein Teil der Nation ein Präzipuum
in Anspruch nimmt, zu der Nationalverteidigung nicht beizutragen? Was will
man den Schisfahrtsinteressenten und auch den Hansestädten entgegenhalten, wenn
diese erklären sollten: Wir brauchen die Landarmee nicht, wir zahlen darum auch
ihre Kosten nicht. Oder wenn die östlichen Provinzen sagen wollten: Was gehn
uns Metz und Straßbnrg, was die Befestigungen von Köln und Mainz an, dafür
zahlen wir nichts. Oder der Westen wollte dasselbe von Königsberg und Thorn
sagen? Wir haben zunächst auf dem Gebiete der Nationalverteidigung die Einheit
erstrebt und mit Not und Mühe erlangt; wenn wir jetzt bei der Flotte die illo
w xartss zulassen, dann kommen wir unvermeidlich bei der Armee zu demselben
Standpunkt. Was schert mich die Kavallerie und die Artillerie? Die mögen die
leistungsfähigen Schultern tragen! Und wer gehört denn nicht zu den „leistungs¬
fähigen Schultern" ? Etwa die Arbeiterschaft, die zumeist vor lauter Übermut einen
Streik nach dem andern vom Zaune bricht und die Kosten auf sich nimmt? Die
durch regelmäßige Abgaben, weit höher als Staat und Reich ihr aufzuerlegen
wagen, die frivolsten Arbeitseinstellungen wochenlang durchführt und jahrein jahr¬
aus die Hetzer und Agitatoren füttert? Dieselbe Arbeiterschaft, deren rapid ge-
wachsnen Wohlstand die bewundernde Anerkennung des ganzen Auslands findet,
die die Sparkassen füllt, die freien Schulunterricht und teilweise auch volle Steuer¬
freiheit genießt, für deren Kranke, Verletzte und Invaliden jährlich unermeßliche
Millionen aufgebracht werden? Für deren Witwen und Waisen — sonst nirgend
auf der Welt — jetzt auch noch Fonds aufgesammelt werden? Diese Arbeiterschaft
soll den auf sie fallenden, für den Kopf wirklich minimalen Anteil der Flotten-
Vermehrung nicht tragen können? Die deutsche Arbeiterschaft müßte eine so würdelose
Zumutung mit Entrüstung zurückweisen. Zumal da gerade ihr die auf die Flotten-
verwandten Summen zuerst zugute kommen und zur weitaus größten Hälfte
als Arbeitslöhne in ihre Taschen fließen! Die Kosten des Schiffbaues, der Artillerie-
und Torpedoausrüstung, der nötigen Land- und Hafenbauten bestehn doch weitaus
zum größten Teil aus Arbeitslöhnen die auch bei der Materialerzeugung selbst
noch eine sehr große Rolle spielen. Von den 27 Millionen Mark, die ein Panzer¬
kreuzer nebst Armierung kostet, fällt doch mindestens die Hälfte den Arbeitern als
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