Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Nach der Mhnersuche und eine Stunde lang zu pürschen. Wenn Sie dann noch von der Verächtlichkeit Ja, warf der Landgerichtsrat ein, so kann man durch einen Hirsch um Amt Nach der Mhnersuche und eine Stunde lang zu pürschen. Wenn Sie dann noch von der Verächtlichkeit Ja, warf der Landgerichtsrat ein, so kann man durch einen Hirsch um Amt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296465"/> <fw type="header" place="top"> Nach der Mhnersuche</fw><lb/> <p xml:id="ID_2456" prev="#ID_2455"> und eine Stunde lang zu pürschen. Wenn Sie dann noch von der Verächtlichkeit<lb/> der Jagdpassion reden, lieber Herr Pastor, sagte er, so will ich mich bekehren und<lb/> fortan jeden Sonntag der erste in der Predigt sein. Ich war meiner Sache sicher<lb/> und bildete mir ein, auf wohlfeile Art eine Seele retten zu können. Ach, hätte<lb/> ich damals gewußt, wie es mit Sparrs Seele bestellt war! Genug, ich ließ mir<lb/> die Handhabung der Büchse erklären, gab draußen im Hof einen Schuß auf einen<lb/> schwarzen Kater ab, der gerade über den First des Scheunendachs spazierte und<lb/> nun mausetot herunterpurzelte, und wurde vom Baron selbst an den Hirsch gebracht.<lb/> Ich wollte ihm schon zeigen, daß ich kalt bis ans Herz hinan blieb! Als wir an<lb/> die Dickung kamen, worin der Hirsch nach Aussage des Jägers, der uns begleitete,<lb/> stecken sollte, wurde es mir doch ganz seltsam zumute. Wir spürten die Visiere<lb/> ab. Zwischen dem Walde und dem Kartoffelacker, wohin der Hirsch auf Äsung zu<lb/> ziehn Pflegte, liegt eine feuchte Wiese. Dort zeigte mir der Bnron die Fährte<lb/> und erklärte mir den Beitritt, den Einschlag und das hohe Jnsiegel. Wir pürschten<lb/> uns auf dem Wechsel an. Ich mußte mich schußfertig machen und erhielt die<lb/> Weisung, allein weiter zu gehn. Nach etwa fünfhundert Gängen hatte ich den<lb/> Hirsch vor mir. Er stand mitten in der Dickung, sodaß er nur zum Teil zwischen<lb/> den Stangen sichtbar war. Da ich guten Wind hatte, konnte er mich weder wittern<lb/> noch vernehmen. Ich hatte also zum Schießen Zeit genug und konnte warten, bis<lb/> er auf einer kleinen Lichtung stand, auf die er gemächlich loszog. Und — ich will<lb/> es nicht leugnen — als ich das herrliche Geschöpf so ahnungslos vor mir sah, da<lb/> begannen mir doch die Kniee und die Arme zu zittern. Aber dann packte mich ein<lb/> heiliger Zorn. Um so einer Kreatur willen sollte ein Mensch um seiner Seele<lb/> Seligkeit kommen! Ich riß das Gewehr an die Backe, zielte eine halbe Sekunde<lb/> und drückte los. Als sich der Rauch verzog, lag der Hirsch auf der Lichtung, mit<lb/> dein Geweih zwischen zwei Kiefernstämmen eingeklemmt, sodaß ich die brechenden<lb/> Lichter von meinem Standort aus deutlich sehen konnte. Ich eilte hinzu, kniete<lb/> neben meiner Beute nieder und beobachtete, wie der warme Schweiß in dunkeln<lb/> Tropfen über die rote Decke sickerte. Da stand plötzlich der Baron hinter mir,<lb/> legte die Hand auf meine Schulter und sagte: Nun, Herr Pastor, was meinen<lb/> Sie, ist die Passion wirklich so verächtlich? Ich konnte nichts darauf erwidern,<lb/> aber von dieser Stunde an habe ich nur noch die Kanzeln bestiegen, die hier auf<lb/> dem Revier an Kiefern und an Eichen angebracht sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_2457" next="#ID_2458"> Ja, warf der Landgerichtsrat ein, so kann man durch einen Hirsch um Amt<lb/> und Würden kommen, und weiß selbst nicht wie. Denken Sie nur — bei diesen<lb/> Worten wandte er sich an mich —, wie es mir ergangen ist. Ich sollte hier in<lb/> der Nähe in einer Wilddiebereisache als Untersuchungsrichter an Ort und Stelle<lb/> den Tatbestand aufnehmen. Ich war von Torgau zu Fuß herausgekommen und<lb/> hatte mich bet dem Versuch, einen kürzern Weg zu suchen, hier im Walde ver¬<lb/> laufen. Eine Viertelstunde nach der andern verging, die beiden Sachverständigen,<lb/> der Referendar und der Gerichtsschreiber mußten längst am Platze sein, und ich<lb/> rannte noch immer wie ein Narr in den Kieferbeständen herum, daß mir der<lb/> Schweiß von der Stirn lief. Um meinem Ärger Luft zu machen, begann ich<lb/> kräftig zu fluchen. Hol der Teufel den ganzen Wald und alle Wilddiebe und<lb/> mich dazu! rief ich. Da stand, wie aus der Erde emporgetaucht, ein Jäger vor<lb/> mir, der mich lächelnd fragte, ob er mir etwa gefällig sein könnte. Sie kommen<lb/> mir wie gerufen, antwortete ich in meiner Herzensfreude, der Himmel muß Sie<lb/> gesandt haben. Das doch wohl nicht, meinte der Fremde und sah mich dabei ganz<lb/> sonderbar an, ich war nur zufällig in der Nähe und vernahm Ihre Stimme.<lb/> Womit kann ich Ihnen dienen? Ich nannte dem Herrn meinen Namen, erfuhr<lb/> von ihm, daß er Baron von Sparr heiße, und bat ihn, mir den nächsten Weg<lb/> nach dem Mühlengrunde zu zeigen, wo ein paar Tage zuvor ein Waldwärter von<lb/> Wilderern erschossen worden sei. Der Baron erklärte sich bereit, mich zu führen,<lb/> und wir kamen bald in ein lebhaftes Gespräch, das sich natürlich um die Mord¬<lb/> affäre drehte. Zu meiner Verwunderung nahm der Baron die Wilderer in Schutz</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Nach der Mhnersuche
und eine Stunde lang zu pürschen. Wenn Sie dann noch von der Verächtlichkeit
der Jagdpassion reden, lieber Herr Pastor, sagte er, so will ich mich bekehren und
fortan jeden Sonntag der erste in der Predigt sein. Ich war meiner Sache sicher
und bildete mir ein, auf wohlfeile Art eine Seele retten zu können. Ach, hätte
ich damals gewußt, wie es mit Sparrs Seele bestellt war! Genug, ich ließ mir
die Handhabung der Büchse erklären, gab draußen im Hof einen Schuß auf einen
schwarzen Kater ab, der gerade über den First des Scheunendachs spazierte und
nun mausetot herunterpurzelte, und wurde vom Baron selbst an den Hirsch gebracht.
Ich wollte ihm schon zeigen, daß ich kalt bis ans Herz hinan blieb! Als wir an
die Dickung kamen, worin der Hirsch nach Aussage des Jägers, der uns begleitete,
stecken sollte, wurde es mir doch ganz seltsam zumute. Wir spürten die Visiere
ab. Zwischen dem Walde und dem Kartoffelacker, wohin der Hirsch auf Äsung zu
ziehn Pflegte, liegt eine feuchte Wiese. Dort zeigte mir der Bnron die Fährte
und erklärte mir den Beitritt, den Einschlag und das hohe Jnsiegel. Wir pürschten
uns auf dem Wechsel an. Ich mußte mich schußfertig machen und erhielt die
Weisung, allein weiter zu gehn. Nach etwa fünfhundert Gängen hatte ich den
Hirsch vor mir. Er stand mitten in der Dickung, sodaß er nur zum Teil zwischen
den Stangen sichtbar war. Da ich guten Wind hatte, konnte er mich weder wittern
noch vernehmen. Ich hatte also zum Schießen Zeit genug und konnte warten, bis
er auf einer kleinen Lichtung stand, auf die er gemächlich loszog. Und — ich will
es nicht leugnen — als ich das herrliche Geschöpf so ahnungslos vor mir sah, da
begannen mir doch die Kniee und die Arme zu zittern. Aber dann packte mich ein
heiliger Zorn. Um so einer Kreatur willen sollte ein Mensch um seiner Seele
Seligkeit kommen! Ich riß das Gewehr an die Backe, zielte eine halbe Sekunde
und drückte los. Als sich der Rauch verzog, lag der Hirsch auf der Lichtung, mit
dein Geweih zwischen zwei Kiefernstämmen eingeklemmt, sodaß ich die brechenden
Lichter von meinem Standort aus deutlich sehen konnte. Ich eilte hinzu, kniete
neben meiner Beute nieder und beobachtete, wie der warme Schweiß in dunkeln
Tropfen über die rote Decke sickerte. Da stand plötzlich der Baron hinter mir,
legte die Hand auf meine Schulter und sagte: Nun, Herr Pastor, was meinen
Sie, ist die Passion wirklich so verächtlich? Ich konnte nichts darauf erwidern,
aber von dieser Stunde an habe ich nur noch die Kanzeln bestiegen, die hier auf
dem Revier an Kiefern und an Eichen angebracht sind.
Ja, warf der Landgerichtsrat ein, so kann man durch einen Hirsch um Amt
und Würden kommen, und weiß selbst nicht wie. Denken Sie nur — bei diesen
Worten wandte er sich an mich —, wie es mir ergangen ist. Ich sollte hier in
der Nähe in einer Wilddiebereisache als Untersuchungsrichter an Ort und Stelle
den Tatbestand aufnehmen. Ich war von Torgau zu Fuß herausgekommen und
hatte mich bet dem Versuch, einen kürzern Weg zu suchen, hier im Walde ver¬
laufen. Eine Viertelstunde nach der andern verging, die beiden Sachverständigen,
der Referendar und der Gerichtsschreiber mußten längst am Platze sein, und ich
rannte noch immer wie ein Narr in den Kieferbeständen herum, daß mir der
Schweiß von der Stirn lief. Um meinem Ärger Luft zu machen, begann ich
kräftig zu fluchen. Hol der Teufel den ganzen Wald und alle Wilddiebe und
mich dazu! rief ich. Da stand, wie aus der Erde emporgetaucht, ein Jäger vor
mir, der mich lächelnd fragte, ob er mir etwa gefällig sein könnte. Sie kommen
mir wie gerufen, antwortete ich in meiner Herzensfreude, der Himmel muß Sie
gesandt haben. Das doch wohl nicht, meinte der Fremde und sah mich dabei ganz
sonderbar an, ich war nur zufällig in der Nähe und vernahm Ihre Stimme.
Womit kann ich Ihnen dienen? Ich nannte dem Herrn meinen Namen, erfuhr
von ihm, daß er Baron von Sparr heiße, und bat ihn, mir den nächsten Weg
nach dem Mühlengrunde zu zeigen, wo ein paar Tage zuvor ein Waldwärter von
Wilderern erschossen worden sei. Der Baron erklärte sich bereit, mich zu führen,
und wir kamen bald in ein lebhaftes Gespräch, das sich natürlich um die Mord¬
affäre drehte. Zu meiner Verwunderung nahm der Baron die Wilderer in Schutz
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