Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen sonders Preiswürdiges halten, so müssen wir wenigstens anerkennen, daß sie Zwei andre ineinander eingreifende Beweggründe zur Askese haben nähere von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen sonders Preiswürdiges halten, so müssen wir wenigstens anerkennen, daß sie Zwei andre ineinander eingreifende Beweggründe zur Askese haben nähere <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296445"/> <fw type="header" place="top"> von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2366" prev="#ID_2365"> sonders Preiswürdiges halten, so müssen wir wenigstens anerkennen, daß sie<lb/> individuell berechtigt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2367" next="#ID_2368"> Zwei andre ineinander eingreifende Beweggründe zur Askese haben nähere<lb/> Beziehung auf den geistlichen Stand. Man kann auf Genüsse und auf Vor¬<lb/> teile, die an sich erlaubt sind, verzichten, weil sie der Erstrebung eiues höhern<lb/> Zwecks, der Ausübung eines höhern Berufs, den mau gewählt hat, im Wege<lb/> stehn, oder aus Nächstenliebe. Diese ist selbst ein solcher höherer Zweck, es<lb/> kommt bei ihr aber noch der Umstand hinzu, daß sie Entbehrungen fordern<lb/> kann, nicht bloß um die Mittel zum Wohltun zu erübrigen, sondern auch weil<lb/> es ihr widerstrebt, zu genießen, solange sie andre entbehren sieht. Das be¬<lb/> rühmteste Beispiel der freierwühlten Ehelosigkeit um des höhern Berufs willen<lb/> und aus Nächstenliebe ist der Apostel Paulus, und unzählige sind ihm darin<lb/> nachgefolgt. Es ist aber wohl zu beachten, daß einerseits Ehelosigkeit aus<lb/> diesen Motiven niemals auf den Stand der christlichen Geistlichen beschränkt<lb/> gewesen ist, andrerseits, daß diese Motive die Ehelosigkeit beim christlichen Geist¬<lb/> lichen nicht überall und immer fordern. Abgesehen von den griechischen Wander¬<lb/> philosophen der Heidenzeit, die ledig geblieben sind, hat es in der Christenheit<lb/> immer Männer gegeben, die um ihres Berufs, zum Beispiel des Forscherberufs<lb/> willen, oder aus Nächstenliebe auf die Ehe verzichtet haben. Das zweite Motiv<lb/> hat bei vielen menschenfreundlichen Männern und Frauen aller Konfessionen<lb/> gewirkt und einen Stand freiwilliger Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen<lb/> geschaffen. Gute Söhne bleiben oft lange über das heiratsfähige Alter hinaus<lb/> ledig, um eine Mutter und Geschwister versorgen zu können, und versäumen<lb/> darüber das Heiraten ganz, und der Soldatenstand legt in seiner heutigen Ver¬<lb/> fassung Entbehrungen auf, die ein zeitweiliger Zölibat genannt werden können.<lb/> Andrerseits gilt für den durchschnittlichen Pfarrer heutiger Zeit nicht, was für<lb/> den Apostel gegolten hat, und was in besondern Fällen auch heute noch für<lb/> Geistliche gelten kann. Der durchschnittliche Dorfpfarrer hat so wenig zu tun,<lb/> daß eine Familie, weit entfernt davon, ihn in der Ausübung seiner Verufs-<lb/> pflichteu zu hindern, vielmehr einiges dazu beitragen würde, ihn vom Zwange<lb/> zu einem seines Standes unwürdigen Müßiggange zu befreien; und eine tüchtige<lb/> und edle Gattin würde ihm bei der Organisation einer rationellen Armenpflege<lb/> eine weit bessere Hilfe sein als die Haushälterin, die ja nieist nicht des Pfarrers<lb/> Mutter oder Schwester ist; an der Organisation aber liegt mehr als an der<lb/> Zahl der Groschen oder Taler, die er selbst auf Wohltun verwendet. Also<lb/> diese Motive können den Verzicht auf die Ehe unter Umstünden erwünscht oder<lb/> notwendig machen, und darum gehört eine Gesinnung, die bereit ist, dieses<lb/> Opfer zu bringen, falls es die Umstünde fordern, zum geistlichen Berufe; aber<lb/> den allgemeinen Zwang haben mehrere andre durchaus verwerfliche Motive zur<lb/> Askese bewirkt in Wechselwirkung mit einem nur historisch berechtigten Grunde.<lb/> Die verwerflichen Motive entspringen der manichäischen Ansicht von dem Ur¬<lb/> sprung der Materie aus dem bösen Prinzip, dem heidnisch-jüdischen Begriff der<lb/> rituellen Reinheit, dann dem Glauben, daß man durch Selbstpeinigungen sich<lb/> und andre vor der Hölle schützen oder aus dem Fegefeuer erlösen könne, endlich<lb/> dem ebenfalls heidnisch-jüdischen Glauben an Weihungen, die einen Gegenstand</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0434]
von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen
sonders Preiswürdiges halten, so müssen wir wenigstens anerkennen, daß sie
individuell berechtigt ist.
Zwei andre ineinander eingreifende Beweggründe zur Askese haben nähere
Beziehung auf den geistlichen Stand. Man kann auf Genüsse und auf Vor¬
teile, die an sich erlaubt sind, verzichten, weil sie der Erstrebung eiues höhern
Zwecks, der Ausübung eines höhern Berufs, den mau gewählt hat, im Wege
stehn, oder aus Nächstenliebe. Diese ist selbst ein solcher höherer Zweck, es
kommt bei ihr aber noch der Umstand hinzu, daß sie Entbehrungen fordern
kann, nicht bloß um die Mittel zum Wohltun zu erübrigen, sondern auch weil
es ihr widerstrebt, zu genießen, solange sie andre entbehren sieht. Das be¬
rühmteste Beispiel der freierwühlten Ehelosigkeit um des höhern Berufs willen
und aus Nächstenliebe ist der Apostel Paulus, und unzählige sind ihm darin
nachgefolgt. Es ist aber wohl zu beachten, daß einerseits Ehelosigkeit aus
diesen Motiven niemals auf den Stand der christlichen Geistlichen beschränkt
gewesen ist, andrerseits, daß diese Motive die Ehelosigkeit beim christlichen Geist¬
lichen nicht überall und immer fordern. Abgesehen von den griechischen Wander¬
philosophen der Heidenzeit, die ledig geblieben sind, hat es in der Christenheit
immer Männer gegeben, die um ihres Berufs, zum Beispiel des Forscherberufs
willen, oder aus Nächstenliebe auf die Ehe verzichtet haben. Das zweite Motiv
hat bei vielen menschenfreundlichen Männern und Frauen aller Konfessionen
gewirkt und einen Stand freiwilliger Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen
geschaffen. Gute Söhne bleiben oft lange über das heiratsfähige Alter hinaus
ledig, um eine Mutter und Geschwister versorgen zu können, und versäumen
darüber das Heiraten ganz, und der Soldatenstand legt in seiner heutigen Ver¬
fassung Entbehrungen auf, die ein zeitweiliger Zölibat genannt werden können.
Andrerseits gilt für den durchschnittlichen Pfarrer heutiger Zeit nicht, was für
den Apostel gegolten hat, und was in besondern Fällen auch heute noch für
Geistliche gelten kann. Der durchschnittliche Dorfpfarrer hat so wenig zu tun,
daß eine Familie, weit entfernt davon, ihn in der Ausübung seiner Verufs-
pflichteu zu hindern, vielmehr einiges dazu beitragen würde, ihn vom Zwange
zu einem seines Standes unwürdigen Müßiggange zu befreien; und eine tüchtige
und edle Gattin würde ihm bei der Organisation einer rationellen Armenpflege
eine weit bessere Hilfe sein als die Haushälterin, die ja nieist nicht des Pfarrers
Mutter oder Schwester ist; an der Organisation aber liegt mehr als an der
Zahl der Groschen oder Taler, die er selbst auf Wohltun verwendet. Also
diese Motive können den Verzicht auf die Ehe unter Umstünden erwünscht oder
notwendig machen, und darum gehört eine Gesinnung, die bereit ist, dieses
Opfer zu bringen, falls es die Umstünde fordern, zum geistlichen Berufe; aber
den allgemeinen Zwang haben mehrere andre durchaus verwerfliche Motive zur
Askese bewirkt in Wechselwirkung mit einem nur historisch berechtigten Grunde.
Die verwerflichen Motive entspringen der manichäischen Ansicht von dem Ur¬
sprung der Materie aus dem bösen Prinzip, dem heidnisch-jüdischen Begriff der
rituellen Reinheit, dann dem Glauben, daß man durch Selbstpeinigungen sich
und andre vor der Hölle schützen oder aus dem Fegefeuer erlösen könne, endlich
dem ebenfalls heidnisch-jüdischen Glauben an Weihungen, die einen Gegenstand
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |