Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.als Kulturmittel und den seiner Tauglichkeit für die Großmacht Rußland. In Kapitel 2 wurde zu zeigen versucht, welche Schichten des russischen Das gebildetste Element und zugleich das mit dem größten Idealismus an Bei der Besprechung der Provinzwühler wurde darauf hingewiesen, daß In jedem Staats- oder Gemeindewesen wird sich bei dem Nachlassen der als Kulturmittel und den seiner Tauglichkeit für die Großmacht Rußland. In Kapitel 2 wurde zu zeigen versucht, welche Schichten des russischen Das gebildetste Element und zugleich das mit dem größten Idealismus an Bei der Besprechung der Provinzwühler wurde darauf hingewiesen, daß In jedem Staats- oder Gemeindewesen wird sich bei dem Nachlassen der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296426"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2310" prev="#ID_2309"> als Kulturmittel und den seiner Tauglichkeit für die Großmacht Rußland.<lb/> Wir wollen uns des zweiten bedienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2311"> In Kapitel 2 wurde zu zeigen versucht, welche Schichten des russischen<lb/> Volks berufen seien, Männer aus ihrer Mitte zur ständigen Beratung des<lb/> Zaren zu entsenden. Es wurde nachgewiesen, daß die große Mehrheit der zu<lb/> wühlenden Abgeordneten aus der Industrie und dem Handel und aus deu<lb/> dein Handel nahestehenden Gewerben hervorgehn muß, daß sich nur ein ver¬<lb/> hältnismäßig geringer Teil aus Großgruudbesitzern und Ackerbauern rekrutieren<lb/> kann, und daß schließlich die Vertreter der höchsten Bildung, der Wissenschaft<lb/> und der freien Berufe uur ganz vereinzelt in die Neichsduma hineingeraten<lb/> können. Ferner ist festgestellt, daß gerade die Kreise, die seit einem Menschen¬<lb/> alter die größten Opfer an Gut und Blut gebracht haben: die Mehrzahl der<lb/> Intelligenz, das dritte Element und das städtische Arbeiterproletariat einerseits<lb/> und die Juden andrerseits von einer politischen Tätigkeit so gut wie ausge¬<lb/> schlossen sind. Mit einem Wort: dieselben Kreise, die bisher wegen ihrer poli¬<lb/> tischen Tätigkeit zu Staatsverbrechern gestempelt waren, behalten den Stempel<lb/> auch fernerhin bei; denn nur den Wahlberechtigten ist es erlaubt, wenn auch<lb/> in beschränkten Grenzen, Politik zu treiben. Teilen wir die Abgeordneten nach<lb/> Politischen Richtungen, so kann trotz der Berücksichtigung aller Versuche der<lb/> Demokraten, aus den Wahlen mit einer Mehrheit hervorzugehn, mit ziemlicher<lb/> Bestimmtheit angenommen werden, daß zwischen der Hälfte und drei Fünfteln<lb/> der Abgeordneten unbedingt sichre Werkzeuge der administrativen Gewalt sein,<lb/> daß etwa ein Fünftel bis ein Viertel aus bürgerlichen Demokraten und der<lb/> Nest aus Opportunisten der verschiedensten Richtungen hervorgehn wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_2312"> Das gebildetste Element und zugleich das mit dem größten Idealismus an<lb/> die politische Arbeit gehende kann meines Erachtens nur der Großgrundbesitz<lb/> >me einiger Beimischung aus den Reihen der städtischen Intelligenz stellen — das<lb/> ungebildetste der Bauern- und der Kaufmamisstaud. Das politisch am besten<lb/> geschulte wird wiederum aus der Zahl der demokratischen Großgrundbesitzer<lb/> hervorgehn. Einer nähern Ausführung dieser Annahme bedarf es wohl nicht,<lb/> da ich erst in Ur. 36/37 der Grenzboten ein Bild von den Fähigkeiten der<lb/> einzelnen politischen Gruppen der russischen Gesellschaft entworfen habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2313"> Bei der Besprechung der Provinzwühler wurde darauf hingewiesen, daß<lb/> bei ihnen die meiste Aussicht vorhanden ist, daß sie die Wünsche der Regierung<lb/> vereiteln. Aber bei ihnen finden wir auch die besten geistigen und moralischen<lb/> Kräfte, die das Land aus den furchtbaren Verhältnissen hinauszuführen ver¬<lb/> mögen. Auf diese Kreise wird darum auch ein großer Teil der Verantwortung<lb/> fallen, wenn die Institution der Duma nicht den Weg zur Wiedergeburt<lb/> des Volkes finden sollte. Für eine politische Tätigkeit genügt es jedoch nicht,<lb/> geistig und moralisch hoch zu stehn und hohe Ideale zu haben. Diese Eigen¬<lb/> schaften werden an die zweite Stelle gerückt, sie dienen nur zur Läuterung<lb/> des an erster Stelle notwendigen opportunistischen, staatsmännischen Sinnes.</p><lb/> <p xml:id="ID_2314" next="#ID_2315"> In jedem Staats- oder Gemeindewesen wird sich bei dem Nachlassen der<lb/> Zentralen Gewalt die Jdeenrichtung an die Oberfläche zu drängen suchen, die<lb/> durch die bis dahin mächtige Staatsräson unterdrückt wurde. Die Wünsche</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0415]
als Kulturmittel und den seiner Tauglichkeit für die Großmacht Rußland.
Wir wollen uns des zweiten bedienen.
In Kapitel 2 wurde zu zeigen versucht, welche Schichten des russischen
Volks berufen seien, Männer aus ihrer Mitte zur ständigen Beratung des
Zaren zu entsenden. Es wurde nachgewiesen, daß die große Mehrheit der zu
wühlenden Abgeordneten aus der Industrie und dem Handel und aus deu
dein Handel nahestehenden Gewerben hervorgehn muß, daß sich nur ein ver¬
hältnismäßig geringer Teil aus Großgruudbesitzern und Ackerbauern rekrutieren
kann, und daß schließlich die Vertreter der höchsten Bildung, der Wissenschaft
und der freien Berufe uur ganz vereinzelt in die Neichsduma hineingeraten
können. Ferner ist festgestellt, daß gerade die Kreise, die seit einem Menschen¬
alter die größten Opfer an Gut und Blut gebracht haben: die Mehrzahl der
Intelligenz, das dritte Element und das städtische Arbeiterproletariat einerseits
und die Juden andrerseits von einer politischen Tätigkeit so gut wie ausge¬
schlossen sind. Mit einem Wort: dieselben Kreise, die bisher wegen ihrer poli¬
tischen Tätigkeit zu Staatsverbrechern gestempelt waren, behalten den Stempel
auch fernerhin bei; denn nur den Wahlberechtigten ist es erlaubt, wenn auch
in beschränkten Grenzen, Politik zu treiben. Teilen wir die Abgeordneten nach
Politischen Richtungen, so kann trotz der Berücksichtigung aller Versuche der
Demokraten, aus den Wahlen mit einer Mehrheit hervorzugehn, mit ziemlicher
Bestimmtheit angenommen werden, daß zwischen der Hälfte und drei Fünfteln
der Abgeordneten unbedingt sichre Werkzeuge der administrativen Gewalt sein,
daß etwa ein Fünftel bis ein Viertel aus bürgerlichen Demokraten und der
Nest aus Opportunisten der verschiedensten Richtungen hervorgehn wird.
Das gebildetste Element und zugleich das mit dem größten Idealismus an
die politische Arbeit gehende kann meines Erachtens nur der Großgrundbesitz
>me einiger Beimischung aus den Reihen der städtischen Intelligenz stellen — das
ungebildetste der Bauern- und der Kaufmamisstaud. Das politisch am besten
geschulte wird wiederum aus der Zahl der demokratischen Großgrundbesitzer
hervorgehn. Einer nähern Ausführung dieser Annahme bedarf es wohl nicht,
da ich erst in Ur. 36/37 der Grenzboten ein Bild von den Fähigkeiten der
einzelnen politischen Gruppen der russischen Gesellschaft entworfen habe.
Bei der Besprechung der Provinzwühler wurde darauf hingewiesen, daß
bei ihnen die meiste Aussicht vorhanden ist, daß sie die Wünsche der Regierung
vereiteln. Aber bei ihnen finden wir auch die besten geistigen und moralischen
Kräfte, die das Land aus den furchtbaren Verhältnissen hinauszuführen ver¬
mögen. Auf diese Kreise wird darum auch ein großer Teil der Verantwortung
fallen, wenn die Institution der Duma nicht den Weg zur Wiedergeburt
des Volkes finden sollte. Für eine politische Tätigkeit genügt es jedoch nicht,
geistig und moralisch hoch zu stehn und hohe Ideale zu haben. Diese Eigen¬
schaften werden an die zweite Stelle gerückt, sie dienen nur zur Läuterung
des an erster Stelle notwendigen opportunistischen, staatsmännischen Sinnes.
In jedem Staats- oder Gemeindewesen wird sich bei dem Nachlassen der
Zentralen Gewalt die Jdeenrichtung an die Oberfläche zu drängen suchen, die
durch die bis dahin mächtige Staatsräson unterdrückt wurde. Die Wünsche
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