Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Im Lande des Kondors nahe Land ab. Es ist gebirgig, massig und zerrissen und erinnert mich, ver¬ Eine mäßig hohe Steilküste säumt den Wasserlauf. Näher und näher Am Ende dieser ersten Enge liegt das Wrack eines englischen Dampfers, Punta Arenas ist die südlichste Stadt der Südhemisphäre (53 Grad 10 Mi¬ Im Lande des Kondors nahe Land ab. Es ist gebirgig, massig und zerrissen und erinnert mich, ver¬ Eine mäßig hohe Steilküste säumt den Wasserlauf. Näher und näher Am Ende dieser ersten Enge liegt das Wrack eines englischen Dampfers, Punta Arenas ist die südlichste Stadt der Südhemisphäre (53 Grad 10 Mi¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296395"/> <fw type="header" place="top"> Im Lande des Kondors</fw><lb/> <p xml:id="ID_2185" prev="#ID_2184"> nahe Land ab. Es ist gebirgig, massig und zerrissen und erinnert mich, ver¬<lb/> bunden mit dem wunderbar sattblauen Kolorit seiner Höhenzüge, an Norwegens<lb/> blaue Fjorde. Das Meer verengt sich, einem Trichter gleich. Glitzernd im<lb/> Strahle der Morgensonne heben und senken sich seine grünen, schaumgekrönten<lb/> Wogen. Bald liegt Cabo de la Virgines hinter uns, und nun umgibt uns<lb/> rechts und links chilenisches Gebiet. Chilenisches Wasser ist es, das der Kiel<lb/> unsers Schiffs durchfurcht. Eine erhabne Nuhe und Stille umfängt uus und<lb/> macht den Augenblick meines Eingangs in das Land des Guanacos und des<lb/> Kondors gewissermaßen zu einem feierlichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2186"> Eine mäßig hohe Steilküste säumt den Wasserlauf. Näher und näher<lb/> treten die Ufer, und die Straße nimmt mehr den Charakter eines Kanals an.<lb/> Sie erinnert mich etwas an den Suezkanal. Hier wie dort Sand, ödes, steiles<lb/> Uferland. Doch als Bild der belebten Schöpfung folgen uns hier eine Menge<lb/> Möwen, Kaptauben und Albatrosse, deren Brutplütze in dieser Enge zu liegen<lb/> scheinen. Elegant und leicht ist ihr Flug. Sie scheinen sich in der bewegten<lb/> Luft mehr zu wiegen als zu fliegen. Es ist ein überraschender Anblick, die<lb/> schwimmenden Wälder von Seetang zu sehen, noch überraschender aber ist ihr<lb/> reiches animalisches Leben. Ich fischte mir eine relativ kleine Menge dieses<lb/> Kelps, und als ich ihn ans Deck ausschüttelte, fielen eine Masse von kleinen<lb/> Fischen, Seesternen, Muscheln, Holothurien, Krabben und andern Seebewohnern<lb/> heraus. Wie groß mag wohl die Zahl lebendiger Geschöpfe sein, deren Existenz<lb/> so innig mit dem Seetang verbunden ist? Diese schwer zu beantwortende Frage<lb/> drängte sich mir auf, als ich diese Überfülle von Leben auf dem kleinsten Raum<lb/> zusammengedrängt sah.</p><lb/> <p xml:id="ID_2187"> Am Ende dieser ersten Enge liegt das Wrack eines englischen Dampfers,<lb/> ein Zeichen für die Gefährlichkeit der Passage.- Am südlichen Ufer sieht das<lb/> Auge die Esperanzabai auf Feuerland. Aber auch hier kein Baun?, kein Strauch,<lb/> Sterilität überall, und dazu die Stille des Grabes, nnr zeitweise unterbrochen<lb/> durch das heisere Geschrei der Möwen. Weiterhin öffnet sich die Straße wieder,<lb/> und nach einer zweiten Enge zeigt sich die Durchfahrt nach Süden. Diese er¬<lb/> weitert sich bald zu einem breiten Meeresarm. Mächtig entwickelte Fukoideen,<lb/> die der unserm Schiffe entgegengesetzte Strom in die Straße hereingetrieben<lb/> hat, schwimmen auf dem Wasser. Mehr und mehr tauchen rechts Schneeberge<lb/> von 3000 bis 4000 Fuß Höhe auf; langsam nähern wir uns Punta Arenas<lb/> — der „sandigen Landspitze" , das in der Ferne auftaucht. Ein langer<lb/> hoher Bergrücken, oben mit Schnee, an seinen Abhängen mit immergrünen<lb/> Waldungen bedeckt, bildet den Hintergrund der von weitem freundlich aus¬<lb/> sehenden Stadt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2188" next="#ID_2189"> Punta Arenas ist die südlichste Stadt der Südhemisphäre (53 Grad 10 Mi¬<lb/> nuten), die ihren Namen von der sandigen Beschaffenheit des umliegenden Bodens<lb/> hat. Es ist der einzige Freihafen der chilenischen Republik. Aber einen wirk¬<lb/> lichen Hafen hat Punta Arenas nicht; es ist eine Art offner Reede, die keinen<lb/> Schutz gegen die hier sehr rasch wechselnden Launen des Meeres gewährt. Die<lb/> See geht hoch, und das kleine Segelboot, das uns ans Land bringt, liegt<lb/> bedenklich auf der Seite. Aller Augenblicke kommen wahre Sturzbäche von</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0384]
Im Lande des Kondors
nahe Land ab. Es ist gebirgig, massig und zerrissen und erinnert mich, ver¬
bunden mit dem wunderbar sattblauen Kolorit seiner Höhenzüge, an Norwegens
blaue Fjorde. Das Meer verengt sich, einem Trichter gleich. Glitzernd im
Strahle der Morgensonne heben und senken sich seine grünen, schaumgekrönten
Wogen. Bald liegt Cabo de la Virgines hinter uns, und nun umgibt uns
rechts und links chilenisches Gebiet. Chilenisches Wasser ist es, das der Kiel
unsers Schiffs durchfurcht. Eine erhabne Nuhe und Stille umfängt uus und
macht den Augenblick meines Eingangs in das Land des Guanacos und des
Kondors gewissermaßen zu einem feierlichen.
Eine mäßig hohe Steilküste säumt den Wasserlauf. Näher und näher
treten die Ufer, und die Straße nimmt mehr den Charakter eines Kanals an.
Sie erinnert mich etwas an den Suezkanal. Hier wie dort Sand, ödes, steiles
Uferland. Doch als Bild der belebten Schöpfung folgen uns hier eine Menge
Möwen, Kaptauben und Albatrosse, deren Brutplütze in dieser Enge zu liegen
scheinen. Elegant und leicht ist ihr Flug. Sie scheinen sich in der bewegten
Luft mehr zu wiegen als zu fliegen. Es ist ein überraschender Anblick, die
schwimmenden Wälder von Seetang zu sehen, noch überraschender aber ist ihr
reiches animalisches Leben. Ich fischte mir eine relativ kleine Menge dieses
Kelps, und als ich ihn ans Deck ausschüttelte, fielen eine Masse von kleinen
Fischen, Seesternen, Muscheln, Holothurien, Krabben und andern Seebewohnern
heraus. Wie groß mag wohl die Zahl lebendiger Geschöpfe sein, deren Existenz
so innig mit dem Seetang verbunden ist? Diese schwer zu beantwortende Frage
drängte sich mir auf, als ich diese Überfülle von Leben auf dem kleinsten Raum
zusammengedrängt sah.
Am Ende dieser ersten Enge liegt das Wrack eines englischen Dampfers,
ein Zeichen für die Gefährlichkeit der Passage.- Am südlichen Ufer sieht das
Auge die Esperanzabai auf Feuerland. Aber auch hier kein Baun?, kein Strauch,
Sterilität überall, und dazu die Stille des Grabes, nnr zeitweise unterbrochen
durch das heisere Geschrei der Möwen. Weiterhin öffnet sich die Straße wieder,
und nach einer zweiten Enge zeigt sich die Durchfahrt nach Süden. Diese er¬
weitert sich bald zu einem breiten Meeresarm. Mächtig entwickelte Fukoideen,
die der unserm Schiffe entgegengesetzte Strom in die Straße hereingetrieben
hat, schwimmen auf dem Wasser. Mehr und mehr tauchen rechts Schneeberge
von 3000 bis 4000 Fuß Höhe auf; langsam nähern wir uns Punta Arenas
— der „sandigen Landspitze" , das in der Ferne auftaucht. Ein langer
hoher Bergrücken, oben mit Schnee, an seinen Abhängen mit immergrünen
Waldungen bedeckt, bildet den Hintergrund der von weitem freundlich aus¬
sehenden Stadt.
Punta Arenas ist die südlichste Stadt der Südhemisphäre (53 Grad 10 Mi¬
nuten), die ihren Namen von der sandigen Beschaffenheit des umliegenden Bodens
hat. Es ist der einzige Freihafen der chilenischen Republik. Aber einen wirk¬
lichen Hafen hat Punta Arenas nicht; es ist eine Art offner Reede, die keinen
Schutz gegen die hier sehr rasch wechselnden Launen des Meeres gewährt. Die
See geht hoch, und das kleine Segelboot, das uns ans Land bringt, liegt
bedenklich auf der Seite. Aller Augenblicke kommen wahre Sturzbäche von
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