Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.mehr und mehr den Proviantämtern geopfert werden mußten, kam eigentlich Es dürfte hier, wo von dem zweierlei Maßstabe die Rede ist, der an die Auf das bißchen Leben darf es dem richtigen Soldaten freilich nicht an¬ mehr und mehr den Proviantämtern geopfert werden mußten, kam eigentlich Es dürfte hier, wo von dem zweierlei Maßstabe die Rede ist, der an die Auf das bißchen Leben darf es dem richtigen Soldaten freilich nicht an¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296390"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2170" prev="#ID_2169"> mehr und mehr den Proviantämtern geopfert werden mußten, kam eigentlich<lb/> nur für Rekognoszierungsritte und Ordonnanzenstellung in Betracht. Die<lb/> aus 124 Batterien verschiedenster Art bestehende Artillerie dagegen (darunter<lb/> 16 Marine- und 15 Mobilgardenbatterien) war in ihren Leistungen überraschend<lb/> gut, und wenn man sich vergegenwärtigt, daß alle diese Batterien, mit Aus¬<lb/> nahme von sieben, die man vorfand, hatten neu formiert werden müssen, so<lb/> kann man den auf diesem Felde erreichten Erfolg nur aufrichtig bewundern.</p><lb/> <p xml:id="ID_2171"> Es dürfte hier, wo von dem zweierlei Maßstabe die Rede ist, der an die<lb/> Leistungs- und Widerstandsfähigkeit einer Truppe gelegt werden kann, am<lb/> Platze sein, über den allgemein gebrauchten Ausdruck der „Bravour" einer<lb/> Truppe ein paar Worte zu sagen. Bravour kann man zwar eigentlich nicht<lb/> ohne weiteres jeder Truppe nachrühmen, die nicht wie Schasleder ausreißt,<lb/> wenn es an den Feind geht, aber da Freund und Feind dasselbe Interesse<lb/> hat, von Berufsgenossen das beste zu denken und zu sagen, so wird oft schon<lb/> einem Minimum von pflichttreuen Draufgehn und Aushalten der Lorbeer dieses<lb/> köstlichsten Lobes zuteil. Durchaus billigerweise, wenn man sich darüber ver¬<lb/> ständigt, daß es Bravour und Bravour, oder mit andern Worten verschiedne<lb/> Grade und Arten von Mut, kaltem Blut und Kampfesfreude gibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2172" next="#ID_2173"> Auf das bißchen Leben darf es dem richtigen Soldaten freilich nicht an¬<lb/> kommen, und wem die Freude am Draufgehn und Drcinhauen nicht im Blute<lb/> liegt, wer, sobald er dem Feinde gegenübersteht, irgendeinen andern Gedanken<lb/> haben kann, als ihn „Herre zu werden" und ihn, wenn der Patronenvorrat ver¬<lb/> schossen und das Seitengewehr ein unbrauchbarer Stummel geworden ist, lieber<lb/> mit unbewaffneter Hand zu erdrosseln als sich zu ergeben, muß sich für die<lb/> ihm fehlende angeborne Kampflust irgendein Surrogat suchen. Das, was man<lb/> »noble Sentiments" nennt, Vaterlandsliebe, Aufopferung, Subordination,<lb/> Gefechtsdisziplin, Tatenneid, regster Anteil am Ruhme der Fahne und des<lb/> Truppenteils, dem man angehört, wird an maßgebender Stelle als solches<lb/> Surrogat empfohlen, und es ist mit diesem künstlichen Ersatz für das im<lb/> Blute fehlende in der Tat Rühmliches geleistet worden. Der eigentliche<lb/> moralische Held ist sogar der, dem das Zuhauen keine Freude macht, der aber<lb/> desungeachtet aus Prinzip draufgeht und mit einer Art von militärischem<lb/> Fanatismus, ohne Freude an der Sache zu finden, seines Amtes waltet.<lb/> Natürlich erfüllt mich die Leistung des Mannes mit der größten eiskalten<lb/> Bewunderung, aber der stramme Bauernbengel, der mit Hilfe von ein paar<lb/> Freunden schon mehr als einen Tanzsaal „geräumt" hat, und dem die Freude<lb/> wu Radau aus den Augen lacht, sowie es etwas aufzuspießen oder umzurennen<lb/> gibt, steht meinem Herzen doch näher. So einen behütet man, wenn man<lb/> ehr im Zuge hat, wie die Bärin einen zu unternehmenden jungen Herrn<lb/> Braun, man erinnert ihn daran, daß er nicht wie eine Fregatte gepanzert ist,<lb/> und daß er deshalb guttut, Deckungen nicht zu verachten, wenn sie ihn nicht<lb/> hindern, hinter ihnen von seinem Schießprügel weisen, wenn auch nicht allzu<lb/> verschwenderischen Gebrauch zu machen, und man hat mit ihm das begeisternde<lb/> Gefühl, das — wie ich mir denke — den Lokomotivführer beseligt, daß man<lb/> nicht anzutreiben, sondern nur in Schranken zu halten hat, und daß die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0379]
mehr und mehr den Proviantämtern geopfert werden mußten, kam eigentlich
nur für Rekognoszierungsritte und Ordonnanzenstellung in Betracht. Die
aus 124 Batterien verschiedenster Art bestehende Artillerie dagegen (darunter
16 Marine- und 15 Mobilgardenbatterien) war in ihren Leistungen überraschend
gut, und wenn man sich vergegenwärtigt, daß alle diese Batterien, mit Aus¬
nahme von sieben, die man vorfand, hatten neu formiert werden müssen, so
kann man den auf diesem Felde erreichten Erfolg nur aufrichtig bewundern.
Es dürfte hier, wo von dem zweierlei Maßstabe die Rede ist, der an die
Leistungs- und Widerstandsfähigkeit einer Truppe gelegt werden kann, am
Platze sein, über den allgemein gebrauchten Ausdruck der „Bravour" einer
Truppe ein paar Worte zu sagen. Bravour kann man zwar eigentlich nicht
ohne weiteres jeder Truppe nachrühmen, die nicht wie Schasleder ausreißt,
wenn es an den Feind geht, aber da Freund und Feind dasselbe Interesse
hat, von Berufsgenossen das beste zu denken und zu sagen, so wird oft schon
einem Minimum von pflichttreuen Draufgehn und Aushalten der Lorbeer dieses
köstlichsten Lobes zuteil. Durchaus billigerweise, wenn man sich darüber ver¬
ständigt, daß es Bravour und Bravour, oder mit andern Worten verschiedne
Grade und Arten von Mut, kaltem Blut und Kampfesfreude gibt.
Auf das bißchen Leben darf es dem richtigen Soldaten freilich nicht an¬
kommen, und wem die Freude am Draufgehn und Drcinhauen nicht im Blute
liegt, wer, sobald er dem Feinde gegenübersteht, irgendeinen andern Gedanken
haben kann, als ihn „Herre zu werden" und ihn, wenn der Patronenvorrat ver¬
schossen und das Seitengewehr ein unbrauchbarer Stummel geworden ist, lieber
mit unbewaffneter Hand zu erdrosseln als sich zu ergeben, muß sich für die
ihm fehlende angeborne Kampflust irgendein Surrogat suchen. Das, was man
»noble Sentiments" nennt, Vaterlandsliebe, Aufopferung, Subordination,
Gefechtsdisziplin, Tatenneid, regster Anteil am Ruhme der Fahne und des
Truppenteils, dem man angehört, wird an maßgebender Stelle als solches
Surrogat empfohlen, und es ist mit diesem künstlichen Ersatz für das im
Blute fehlende in der Tat Rühmliches geleistet worden. Der eigentliche
moralische Held ist sogar der, dem das Zuhauen keine Freude macht, der aber
desungeachtet aus Prinzip draufgeht und mit einer Art von militärischem
Fanatismus, ohne Freude an der Sache zu finden, seines Amtes waltet.
Natürlich erfüllt mich die Leistung des Mannes mit der größten eiskalten
Bewunderung, aber der stramme Bauernbengel, der mit Hilfe von ein paar
Freunden schon mehr als einen Tanzsaal „geräumt" hat, und dem die Freude
wu Radau aus den Augen lacht, sowie es etwas aufzuspießen oder umzurennen
gibt, steht meinem Herzen doch näher. So einen behütet man, wenn man
ehr im Zuge hat, wie die Bärin einen zu unternehmenden jungen Herrn
Braun, man erinnert ihn daran, daß er nicht wie eine Fregatte gepanzert ist,
und daß er deshalb guttut, Deckungen nicht zu verachten, wenn sie ihn nicht
hindern, hinter ihnen von seinem Schießprügel weisen, wenn auch nicht allzu
verschwenderischen Gebrauch zu machen, und man hat mit ihm das begeisternde
Gefühl, das — wie ich mir denke — den Lokomotivführer beseligt, daß man
nicht anzutreiben, sondern nur in Schranken zu halten hat, und daß die
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