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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Z. ZVahl und Stellung der Volksvertreter

Im vorigen Kapitel haben wir die Kreise des russischen Volkes kennen
gelernt, aus denen der Zar beabsichtigt, Abgeordnete zur Vorbereitung von
gewissen gesetzgeberischen Arbeiten heranzuziehn. Welches sind nun einerseits
die technischen Hilfsmittel, mit denen die oberste Gewalt die Auswahl der Ab¬
geordneten vorzunehmen gedenkt, und zweitens, welche Mittel vertraut der
Zar den Mitgliedern der Reichsduma an, damit diese die ihnen zugedachten
Aufgaben erfüllen können? Den ersten Teil der Frage wird uns eine kurze
Betrachtung des Wahlgesetzes für die einzelnen Gruppen der Gesellschaft be¬
antworten; über den zweiten Teil klaren uns die innere Organisation der
Reichsduma, ihre Kompetenzen und ihr geplantes Verhältnis zur obersten
Gewalt, zum Reichsrat und zu den Ministern auf.

Die Wahl der Abgeordneten für die Reichsduma findet statt: in den
Großstädten und in den Gebieten (ovlash) und Gouvernements (Paragraph 1>.
Die Abgeordneten werden für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt.

In den Großstädten findet die Wahl in zwei Stufen statt ohne jede
Rücksicht ans Klassen-, Vermögens- oder Standesunterschiede. Der hochgebildete
Industrielle und Multimillionär hat, sofern er ohne Söhne ist, nur eine einzige
Stimme, wie der Droschkenkutscher, der an der Peripherie der Stadt ein
Häuschen im Werte von 3000 oder 1500 Rubel besitzt. Liegt hier nicht auch
ein Widerspruch zu den Prinzipien des Gesetzes? Für die erste Stufe werden
die Städte nach den vorher fertiggestellten Wahllisten in Wahlbezirke geteilt,
in denen die UrWähler eine für jeden Bezirk vorgesehene Anzahl von Wahl¬
männern wählen. Aus der Zahl der Wahlmänner gehn alsdann die städtischen
Abgeordneten hervor, ohne daß vorher eine Vermischung der großstädtischen Ur¬
Wähler oder Wnhlmünncr mit denen irgendeines andern Bevölkcrungsteils statt¬
gefunden Hütte.

Ähnlich verhält es sich mit den durch den Gemeindebesitz verbundnen
Bauern. Diese schicken von jeder Wolost zwei Bevollmächtigte zur Wahl-
"uinnerwahl in den Kreis. Erst aus der Kreisversammlung der Wolostbevoll-
mächtigten gehn die Wahlmänner hervor, die in den Gouvernementsstädten
zusammentreten. Abgesondert von allen andern Stünden wählen diese bäuer¬
lichen Wahlmänner aus ihrer Mitte zunächst einen Abgeordneten für jedes
Gouvernement. Nachdem diese Wahl vollzogen worden ist, schließen sich die
bäuerlichen Wahlmänner den Wahlmännern der übrigen Wählereinheiten des
Gouvernements an und wählen noch einmal Abgeordnete. Im Kreise führt
der Kreisadelsmarschall, im Gouvernement der Gouvernementsadelsmarschall
oder dessen Vertreter den Vorsitz.

Die Wahlen der Provinzwähler finden in zwei Stufen statt, wobei die
Urwähler eingeteilt werden in ländliche und städtische Kreiswahlbezirke. Die
städtischen und die ländlichen Wahlmänner schließen sich für die Wahl der Ab¬
geordneten im Gouvernement zusammen, wobei sie sich nunmehr mit den
bäuerlichen Wahlmännern vereinigen, sobald diese ihren besondern Abgeordneten
gewählt haben. Auf diese Weise werden die russisch-orthodoxen Bauern -- bei


Z. ZVahl und Stellung der Volksvertreter

Im vorigen Kapitel haben wir die Kreise des russischen Volkes kennen
gelernt, aus denen der Zar beabsichtigt, Abgeordnete zur Vorbereitung von
gewissen gesetzgeberischen Arbeiten heranzuziehn. Welches sind nun einerseits
die technischen Hilfsmittel, mit denen die oberste Gewalt die Auswahl der Ab¬
geordneten vorzunehmen gedenkt, und zweitens, welche Mittel vertraut der
Zar den Mitgliedern der Reichsduma an, damit diese die ihnen zugedachten
Aufgaben erfüllen können? Den ersten Teil der Frage wird uns eine kurze
Betrachtung des Wahlgesetzes für die einzelnen Gruppen der Gesellschaft be¬
antworten; über den zweiten Teil klaren uns die innere Organisation der
Reichsduma, ihre Kompetenzen und ihr geplantes Verhältnis zur obersten
Gewalt, zum Reichsrat und zu den Ministern auf.

Die Wahl der Abgeordneten für die Reichsduma findet statt: in den
Großstädten und in den Gebieten (ovlash) und Gouvernements (Paragraph 1>.
Die Abgeordneten werden für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt.

In den Großstädten findet die Wahl in zwei Stufen statt ohne jede
Rücksicht ans Klassen-, Vermögens- oder Standesunterschiede. Der hochgebildete
Industrielle und Multimillionär hat, sofern er ohne Söhne ist, nur eine einzige
Stimme, wie der Droschkenkutscher, der an der Peripherie der Stadt ein
Häuschen im Werte von 3000 oder 1500 Rubel besitzt. Liegt hier nicht auch
ein Widerspruch zu den Prinzipien des Gesetzes? Für die erste Stufe werden
die Städte nach den vorher fertiggestellten Wahllisten in Wahlbezirke geteilt,
in denen die UrWähler eine für jeden Bezirk vorgesehene Anzahl von Wahl¬
männern wählen. Aus der Zahl der Wahlmänner gehn alsdann die städtischen
Abgeordneten hervor, ohne daß vorher eine Vermischung der großstädtischen Ur¬
Wähler oder Wnhlmünncr mit denen irgendeines andern Bevölkcrungsteils statt¬
gefunden Hütte.

Ähnlich verhält es sich mit den durch den Gemeindebesitz verbundnen
Bauern. Diese schicken von jeder Wolost zwei Bevollmächtigte zur Wahl-
»uinnerwahl in den Kreis. Erst aus der Kreisversammlung der Wolostbevoll-
mächtigten gehn die Wahlmänner hervor, die in den Gouvernementsstädten
zusammentreten. Abgesondert von allen andern Stünden wählen diese bäuer¬
lichen Wahlmänner aus ihrer Mitte zunächst einen Abgeordneten für jedes
Gouvernement. Nachdem diese Wahl vollzogen worden ist, schließen sich die
bäuerlichen Wahlmänner den Wahlmännern der übrigen Wählereinheiten des
Gouvernements an und wählen noch einmal Abgeordnete. Im Kreise führt
der Kreisadelsmarschall, im Gouvernement der Gouvernementsadelsmarschall
oder dessen Vertreter den Vorsitz.

Die Wahlen der Provinzwähler finden in zwei Stufen statt, wobei die
Urwähler eingeteilt werden in ländliche und städtische Kreiswahlbezirke. Die
städtischen und die ländlichen Wahlmänner schließen sich für die Wahl der Ab¬
geordneten im Gouvernement zusammen, wobei sie sich nunmehr mit den
bäuerlichen Wahlmännern vereinigen, sobald diese ihren besondern Abgeordneten
gewählt haben. Auf diese Weise werden die russisch-orthodoxen Bauern — bei


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[0359] Z. ZVahl und Stellung der Volksvertreter Im vorigen Kapitel haben wir die Kreise des russischen Volkes kennen gelernt, aus denen der Zar beabsichtigt, Abgeordnete zur Vorbereitung von gewissen gesetzgeberischen Arbeiten heranzuziehn. Welches sind nun einerseits die technischen Hilfsmittel, mit denen die oberste Gewalt die Auswahl der Ab¬ geordneten vorzunehmen gedenkt, und zweitens, welche Mittel vertraut der Zar den Mitgliedern der Reichsduma an, damit diese die ihnen zugedachten Aufgaben erfüllen können? Den ersten Teil der Frage wird uns eine kurze Betrachtung des Wahlgesetzes für die einzelnen Gruppen der Gesellschaft be¬ antworten; über den zweiten Teil klaren uns die innere Organisation der Reichsduma, ihre Kompetenzen und ihr geplantes Verhältnis zur obersten Gewalt, zum Reichsrat und zu den Ministern auf. Die Wahl der Abgeordneten für die Reichsduma findet statt: in den Großstädten und in den Gebieten (ovlash) und Gouvernements (Paragraph 1>. Die Abgeordneten werden für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt. In den Großstädten findet die Wahl in zwei Stufen statt ohne jede Rücksicht ans Klassen-, Vermögens- oder Standesunterschiede. Der hochgebildete Industrielle und Multimillionär hat, sofern er ohne Söhne ist, nur eine einzige Stimme, wie der Droschkenkutscher, der an der Peripherie der Stadt ein Häuschen im Werte von 3000 oder 1500 Rubel besitzt. Liegt hier nicht auch ein Widerspruch zu den Prinzipien des Gesetzes? Für die erste Stufe werden die Städte nach den vorher fertiggestellten Wahllisten in Wahlbezirke geteilt, in denen die UrWähler eine für jeden Bezirk vorgesehene Anzahl von Wahl¬ männern wählen. Aus der Zahl der Wahlmänner gehn alsdann die städtischen Abgeordneten hervor, ohne daß vorher eine Vermischung der großstädtischen Ur¬ Wähler oder Wnhlmünncr mit denen irgendeines andern Bevölkcrungsteils statt¬ gefunden Hütte. Ähnlich verhält es sich mit den durch den Gemeindebesitz verbundnen Bauern. Diese schicken von jeder Wolost zwei Bevollmächtigte zur Wahl- »uinnerwahl in den Kreis. Erst aus der Kreisversammlung der Wolostbevoll- mächtigten gehn die Wahlmänner hervor, die in den Gouvernementsstädten zusammentreten. Abgesondert von allen andern Stünden wählen diese bäuer¬ lichen Wahlmänner aus ihrer Mitte zunächst einen Abgeordneten für jedes Gouvernement. Nachdem diese Wahl vollzogen worden ist, schließen sich die bäuerlichen Wahlmänner den Wahlmännern der übrigen Wählereinheiten des Gouvernements an und wählen noch einmal Abgeordnete. Im Kreise führt der Kreisadelsmarschall, im Gouvernement der Gouvernementsadelsmarschall oder dessen Vertreter den Vorsitz. Die Wahlen der Provinzwähler finden in zwei Stufen statt, wobei die Urwähler eingeteilt werden in ländliche und städtische Kreiswahlbezirke. Die städtischen und die ländlichen Wahlmänner schließen sich für die Wahl der Ab¬ geordneten im Gouvernement zusammen, wobei sie sich nunmehr mit den bäuerlichen Wahlmännern vereinigen, sobald diese ihren besondern Abgeordneten gewählt haben. Auf diese Weise werden die russisch-orthodoxen Bauern — bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/359>, abgerufen am 15.01.2025.