Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.H. L. Andersen als Rückhalt, konnte Pfarrer und Bischof werden, wenn es sein sollte; und Und so kam er denn nach Kopenhagen, wo das Glück und der Ruhm Ungefähr ein halbes Jahrhundert früher war Johannes Ewald in einer Das Theater war ihm also vorläufig verschlossen, das fühlte er; konnte In den Zeitungen hatte er von einem Italiener gelesen -- Siboni hieß H. L. Andersen als Rückhalt, konnte Pfarrer und Bischof werden, wenn es sein sollte; und Und so kam er denn nach Kopenhagen, wo das Glück und der Ruhm Ungefähr ein halbes Jahrhundert früher war Johannes Ewald in einer Das Theater war ihm also vorläufig verschlossen, das fühlte er; konnte In den Zeitungen hatte er von einem Italiener gelesen — Siboni hieß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296046"/> <fw type="header" place="top"> H. L. Andersen</fw><lb/> <p xml:id="ID_92" prev="#ID_91"> als Rückhalt, konnte Pfarrer und Bischof werden, wenn es sein sollte; und<lb/> Ewald hatte doch sein Abiturium und seine Familie. Andersen aber hatte nichts,<lb/> absolut nichts als Rückhalt, er mußte vorwärts. Und es war wohl anch der<lb/> Gedanke hieran — vielleicht in Verbindung mit dem leichtern fünischcn Tempera¬<lb/> ment —, der ihm nicht nur die ungeheure Kühnheit, sondern auch die erstaun¬<lb/> liche Energie verlieh. Er hatte ja nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_93"> Und so kam er denn nach Kopenhagen, wo das Glück und der Ruhm<lb/> harrten, und wo das königliche Theater seine grauen Mauern erhob. Er sah<lb/> den Musentempel von außen, sah ihn mit heiliger Ehrfurcht und ging am<lb/> Tage nach seiner Ankunft zu der berühmten Tänzerin Madame Schall, der er<lb/> eine Szene aus „Cendrillon" vorspielte, Solotanz wie Gesang, wozu er seinen<lb/> Hut als Tamburin benutzte! Sie aber glaubte, was man ihr eigentlich nicht<lb/> verdenken konnte, daß der Junge verrückt sei, und suchte ihn so schnell wie<lb/> möglich zur Tür hinaus zu expedieren. Da mußte er denn also weiter, ging<lb/> zu dem Theaterintendanten, dem Kammerherrn Holstein, selber und bat ihn um<lb/> Anstellung; aber der Kammerherr fand ihn „zu mager fürs Theater." Das<lb/> nahm ihm jedoch keineswegs den Mut, im Gegenteil, resolut antwortete er:<lb/> „Ach, wenn ich nur mit hundert Reichstaler Gage angestellt werde, will ich<lb/> schon fett werden!" Damit war die Audienz bei dem Theaterintendanten<lb/> zu Ende.</p><lb/> <p xml:id="ID_94"> Ungefähr ein halbes Jahrhundert früher war Johannes Ewald in einer<lb/> ganz ähnlichen Lage gewesen. Er war von zuhause weggelaufen und stand in<lb/> Hamburg vor dem preußischen Ministerresidenten, den er bat, Soldat werden<lb/> zu dürfen. Der Minister wandte ein, daß Ewald — fast noch ein Kind und<lb/> fein von Gliedern wie eine Jungfer — zu klein sei, Krieger zu werden; Ewald<lb/> aber entgegnete unverzagt: „Ich kann wachsen, und solange bin ich weniger Ge¬<lb/> fahren ausgesetzt als der größte Grenadier: die Kugeln, die ihn treffen, werden<lb/> über meinen Kopf weggehn." — Die Szenerie ist verschieden, aber die Ant¬<lb/> worten, die die beiden angehenden Dichter den mächtigen Männern geben, sind<lb/> in ihrer ganzen Mischung von Galgenhumor und jugendlicher UnVerzagtheit<lb/> eine wie die andre.</p><lb/> <p xml:id="ID_95"> Das Theater war ihm also vorläufig verschlossen, das fühlte er; konnte<lb/> er aber nicht auf dem zuerst eingeschlagnen Wege in den Tempel des Glücks<lb/> hineingelangen, so mußte er es ans einem andern versuchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_96" next="#ID_97"> In den Zeitungen hatte er von einem Italiener gelesen — Siboni hieß<lb/> er —, der der Direktor des königlichen Musikkonservatoriums war; daheim, in<lb/> Odense, hatten ja alle Menschen seine Stimme gelobt, vielleicht nahm sich<lb/> Siboni seiner an. Siboni hatte Mittagsgesellschaft, aber der arme, sonderbare<lb/> Knabe erzählte der Haushälterin so umständlich und eindringlich von seiner<lb/> Vergangenheit und seinen Zuknnftshoffnungen, daß sie ihn trotzdem einließ.<lb/> Vor der ganzen Gesellschaft — Wehse und Baggesen waren unter den Gästen —<lb/> sang und deklamierte er ohne Lampenfieber, aber ganz hingerissen von sich selbst<lb/> und von der Situation, und Baggesen prophezeite laut und deutlich, daß aus<lb/> dem Knaben etwas werden würde. Es war dies das zweitemal, daß Baggesen<lb/> einem jungen Dichter prophezeite: das erstemal war es Johann Ludwig Heiberg</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
H. L. Andersen
als Rückhalt, konnte Pfarrer und Bischof werden, wenn es sein sollte; und
Ewald hatte doch sein Abiturium und seine Familie. Andersen aber hatte nichts,
absolut nichts als Rückhalt, er mußte vorwärts. Und es war wohl anch der
Gedanke hieran — vielleicht in Verbindung mit dem leichtern fünischcn Tempera¬
ment —, der ihm nicht nur die ungeheure Kühnheit, sondern auch die erstaun¬
liche Energie verlieh. Er hatte ja nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.
Und so kam er denn nach Kopenhagen, wo das Glück und der Ruhm
harrten, und wo das königliche Theater seine grauen Mauern erhob. Er sah
den Musentempel von außen, sah ihn mit heiliger Ehrfurcht und ging am
Tage nach seiner Ankunft zu der berühmten Tänzerin Madame Schall, der er
eine Szene aus „Cendrillon" vorspielte, Solotanz wie Gesang, wozu er seinen
Hut als Tamburin benutzte! Sie aber glaubte, was man ihr eigentlich nicht
verdenken konnte, daß der Junge verrückt sei, und suchte ihn so schnell wie
möglich zur Tür hinaus zu expedieren. Da mußte er denn also weiter, ging
zu dem Theaterintendanten, dem Kammerherrn Holstein, selber und bat ihn um
Anstellung; aber der Kammerherr fand ihn „zu mager fürs Theater." Das
nahm ihm jedoch keineswegs den Mut, im Gegenteil, resolut antwortete er:
„Ach, wenn ich nur mit hundert Reichstaler Gage angestellt werde, will ich
schon fett werden!" Damit war die Audienz bei dem Theaterintendanten
zu Ende.
Ungefähr ein halbes Jahrhundert früher war Johannes Ewald in einer
ganz ähnlichen Lage gewesen. Er war von zuhause weggelaufen und stand in
Hamburg vor dem preußischen Ministerresidenten, den er bat, Soldat werden
zu dürfen. Der Minister wandte ein, daß Ewald — fast noch ein Kind und
fein von Gliedern wie eine Jungfer — zu klein sei, Krieger zu werden; Ewald
aber entgegnete unverzagt: „Ich kann wachsen, und solange bin ich weniger Ge¬
fahren ausgesetzt als der größte Grenadier: die Kugeln, die ihn treffen, werden
über meinen Kopf weggehn." — Die Szenerie ist verschieden, aber die Ant¬
worten, die die beiden angehenden Dichter den mächtigen Männern geben, sind
in ihrer ganzen Mischung von Galgenhumor und jugendlicher UnVerzagtheit
eine wie die andre.
Das Theater war ihm also vorläufig verschlossen, das fühlte er; konnte
er aber nicht auf dem zuerst eingeschlagnen Wege in den Tempel des Glücks
hineingelangen, so mußte er es ans einem andern versuchen.
In den Zeitungen hatte er von einem Italiener gelesen — Siboni hieß
er —, der der Direktor des königlichen Musikkonservatoriums war; daheim, in
Odense, hatten ja alle Menschen seine Stimme gelobt, vielleicht nahm sich
Siboni seiner an. Siboni hatte Mittagsgesellschaft, aber der arme, sonderbare
Knabe erzählte der Haushälterin so umständlich und eindringlich von seiner
Vergangenheit und seinen Zuknnftshoffnungen, daß sie ihn trotzdem einließ.
Vor der ganzen Gesellschaft — Wehse und Baggesen waren unter den Gästen —
sang und deklamierte er ohne Lampenfieber, aber ganz hingerissen von sich selbst
und von der Situation, und Baggesen prophezeite laut und deutlich, daß aus
dem Knaben etwas werden würde. Es war dies das zweitemal, daß Baggesen
einem jungen Dichter prophezeite: das erstemal war es Johann Ludwig Heiberg
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