Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen Jetzt kamen auch die Kinder in den Garten. Helene hörte, daß sie sich zankten; es fing schon an, in Handgreiflichkeiten Was habt ihr denn? fragte sie. Brita hatte Knut gepackt, ließ ihn aber wieder los, worauf er sagte: Brita Helene mußte Wider Willen über diesen mißverstandnen Eifer lächeln. Am Nachmittag saß sie auf ihrem Balkon und sah auf die Wälder hinaus. Jetzt kam der Dampfer. Helene verfiel in Sinnen. Sie dachte daran, daß der Dampfer das einzige Sie sprang auf. Heute Abend, nach diesen tagelangem Regengüssen, mußte Als sie ihre Sachen aus dem Schrank nehmen wollte, fiel ihr die alte rote In welchen Hexenkessel sie hinabsah! Ohrenbetäubend kochten die Wasser, Die Schleusen waren geöffnet, damit die Brücke nicht gesprengt würde. Was bedeutete hier ein Menschenleben? Nichts konnte dieser Naturkraft wider¬ Dann ging sie am Elf hin, wo die Holzstämme gestürzt kamen und das selt¬ Sie ging hinauf und näherte sich jetzt dem "Lillberge. Dort mußte sie Jetzt war sie oben. Es war Geröllboden, sie mußte achtgeben. Aber hin mußte sie und in den Und als sie beinahe dort war, auf dem höchsten Punkt, sah sie dort unter Und im Lichte des Sonnenuntergangs stand bor ihr der, den sie am meisten Ihr Elfe des Hochgebirges! Wenn ihr die Wasser des Himmels getrunken Die starken Ströme, die in der Menschenseele brausen, können wohl auch aus Junge Herzen Jetzt kamen auch die Kinder in den Garten. Helene hörte, daß sie sich zankten; es fing schon an, in Handgreiflichkeiten Was habt ihr denn? fragte sie. Brita hatte Knut gepackt, ließ ihn aber wieder los, worauf er sagte: Brita Helene mußte Wider Willen über diesen mißverstandnen Eifer lächeln. Am Nachmittag saß sie auf ihrem Balkon und sah auf die Wälder hinaus. Jetzt kam der Dampfer. Helene verfiel in Sinnen. Sie dachte daran, daß der Dampfer das einzige Sie sprang auf. Heute Abend, nach diesen tagelangem Regengüssen, mußte Als sie ihre Sachen aus dem Schrank nehmen wollte, fiel ihr die alte rote In welchen Hexenkessel sie hinabsah! Ohrenbetäubend kochten die Wasser, Die Schleusen waren geöffnet, damit die Brücke nicht gesprengt würde. Was bedeutete hier ein Menschenleben? Nichts konnte dieser Naturkraft wider¬ Dann ging sie am Elf hin, wo die Holzstämme gestürzt kamen und das selt¬ Sie ging hinauf und näherte sich jetzt dem „Lillberge. Dort mußte sie Jetzt war sie oben. Es war Geröllboden, sie mußte achtgeben. Aber hin mußte sie und in den Und als sie beinahe dort war, auf dem höchsten Punkt, sah sie dort unter Und im Lichte des Sonnenuntergangs stand bor ihr der, den sie am meisten Ihr Elfe des Hochgebirges! Wenn ihr die Wasser des Himmels getrunken Die starken Ströme, die in der Menschenseele brausen, können wohl auch aus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296352"/> <fw type="header" place="top"> Junge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2027"> Jetzt kamen auch die Kinder in den Garten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2028"> Helene hörte, daß sie sich zankten; es fing schon an, in Handgreiflichkeiten<lb/> überzugehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2029"> Was habt ihr denn? fragte sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_2030"> Brita hatte Knut gepackt, ließ ihn aber wieder los, worauf er sagte: Brita<lb/> will immer die stärkste Frau auf der Welt sein, aber das nächstemal, wenn sie es<lb/> wieder ist, kriegt sie Prügel von mir.</p><lb/> <p xml:id="ID_2031"> Helene mußte Wider Willen über diesen mißverstandnen Eifer lächeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_2032"> Am Nachmittag saß sie auf ihrem Balkon und sah auf die Wälder hinaus.<lb/> Da vernahm sie ein durchdringendes Pfeifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2033"> Jetzt kam der Dampfer.</p><lb/> <p xml:id="ID_2034"> Helene verfiel in Sinnen. Sie dachte daran, daß der Dampfer das einzige<lb/> war, was eine Botschaft in diese einsamen Gegenden brachte. Und wenn sie hier<lb/> oben in Varnland blieb, würde er sie vielleicht einmal von hier weg fahren, wenn sie<lb/> als alte, weißhaarige Frau nach Dänemark heimkehrte, wo sie niemand mehr kannte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2035"> Sie sprang auf. Heute Abend, nach diesen tagelangem Regengüssen, mußte<lb/> sie den Gießbach sehen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2036"> Als sie ihre Sachen aus dem Schrank nehmen wollte, fiel ihr die alte rote<lb/> Mütze entgegen. Sie hatte sie in Varnland noch nicht getragen. El was! sagte<lb/> sie und setzte sie auf. Dann ging sie zu der Brücke hinab, die über den Wasser¬<lb/> fall führt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2037"> In welchen Hexenkessel sie hinabsah! Ohrenbetäubend kochten die Wasser,<lb/> dampfend und spritzend, kochend und siedend!</p><lb/> <p xml:id="ID_2038"> Die Schleusen waren geöffnet, damit die Brücke nicht gesprengt würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2039"> Was bedeutete hier ein Menschenleben? Nichts konnte dieser Naturkraft wider¬<lb/> stehn. Menschenworte und Menschengedanken, Menschenpläne und Menschenträumc<lb/> wurden übertäubt von dieser schäumenden, brüllenden Tiefe, aus der die Dämpfe<lb/> wie aus wallendem, kochendem Wasser aufstiegen. Mit einem jubelnden Gefühl sah<lb/> sie, wie die schäumenden Ströme im Fall gleichsam gezähmt und gezügelt wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2040"> Dann ging sie am Elf hin, wo die Holzstämme gestürzt kamen und das selt¬<lb/> samste Spiel im Wasser ausführten, wie springende Fische, die in die Höhe hüpfen;<lb/> sie kämpften miteinander, scharten sich, trennten sich wieder."</p><lb/> <p xml:id="ID_2041"> Sie ging hinauf und näherte sich jetzt dem „Lillberge. Dort mußte sie<lb/> heute Abend hinauf und auf die brausenden Wasser und die strahlenden Farben<lb/> hinabsehen. Und zwischen die Tannen, Birken und Föhren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2042"> Jetzt war sie oben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2043"> Es war Geröllboden, sie mußte achtgeben. Aber hin mußte sie und in den<lb/> Elf hinabsehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2044"> Und als sie beinahe dort war, auf dem höchsten Punkt, sah sie dort unter<lb/> einer mächtigen Eberesche mit leuchtenden Beeren eine Gestalt stehn.<lb/> Und diese Gestalt wandte sich um.</p><lb/> <p xml:id="ID_2045"> Und im Lichte des Sonnenuntergangs stand bor ihr der, den sie am meisten<lb/> ""s der ganzen Welt fürchtete, der Mann, den sie zum erstenmal in dem flammenden<lb/> scheine des Walpurgisfeuers gesehen hatte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_2046"> Ihr Elfe des Hochgebirges! Wenn ihr die Wasser des Himmels getrunken<lb/> und euch in den strömenden Regenfluten berauscht habt, dann stürzt ihr dahin,<lb/> vrullend und tosend wie trunkne Riesen! Und ihr sprengt Schutzbrett und Schleusen,<lb/> d'e euch ehemals gezähmt und gezügelt haben!</p><lb/> <p xml:id="ID_2047"> Die starken Ströme, die in der Menschenseele brausen, können wohl auch aus<lb/> Engere oder kürzere Zeit zurückgehalten werden. Man kann sie eindämmen. Aber<lb/> ^ gibt Ströme, die so stark, Elfe, die so brausend sind, daß ihnen kein Damm zu<lb/> widerstehn vermag.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0341]
Junge Herzen
Jetzt kamen auch die Kinder in den Garten.
Helene hörte, daß sie sich zankten; es fing schon an, in Handgreiflichkeiten
überzugehn.
Was habt ihr denn? fragte sie.
Brita hatte Knut gepackt, ließ ihn aber wieder los, worauf er sagte: Brita
will immer die stärkste Frau auf der Welt sein, aber das nächstemal, wenn sie es
wieder ist, kriegt sie Prügel von mir.
Helene mußte Wider Willen über diesen mißverstandnen Eifer lächeln.
Am Nachmittag saß sie auf ihrem Balkon und sah auf die Wälder hinaus.
Da vernahm sie ein durchdringendes Pfeifen.
Jetzt kam der Dampfer.
Helene verfiel in Sinnen. Sie dachte daran, daß der Dampfer das einzige
war, was eine Botschaft in diese einsamen Gegenden brachte. Und wenn sie hier
oben in Varnland blieb, würde er sie vielleicht einmal von hier weg fahren, wenn sie
als alte, weißhaarige Frau nach Dänemark heimkehrte, wo sie niemand mehr kannte.
Sie sprang auf. Heute Abend, nach diesen tagelangem Regengüssen, mußte
sie den Gießbach sehen!
Als sie ihre Sachen aus dem Schrank nehmen wollte, fiel ihr die alte rote
Mütze entgegen. Sie hatte sie in Varnland noch nicht getragen. El was! sagte
sie und setzte sie auf. Dann ging sie zu der Brücke hinab, die über den Wasser¬
fall führt.
In welchen Hexenkessel sie hinabsah! Ohrenbetäubend kochten die Wasser,
dampfend und spritzend, kochend und siedend!
Die Schleusen waren geöffnet, damit die Brücke nicht gesprengt würde.
Was bedeutete hier ein Menschenleben? Nichts konnte dieser Naturkraft wider¬
stehn. Menschenworte und Menschengedanken, Menschenpläne und Menschenträumc
wurden übertäubt von dieser schäumenden, brüllenden Tiefe, aus der die Dämpfe
wie aus wallendem, kochendem Wasser aufstiegen. Mit einem jubelnden Gefühl sah
sie, wie die schäumenden Ströme im Fall gleichsam gezähmt und gezügelt wurden.
Dann ging sie am Elf hin, wo die Holzstämme gestürzt kamen und das selt¬
samste Spiel im Wasser ausführten, wie springende Fische, die in die Höhe hüpfen;
sie kämpften miteinander, scharten sich, trennten sich wieder."
Sie ging hinauf und näherte sich jetzt dem „Lillberge. Dort mußte sie
heute Abend hinauf und auf die brausenden Wasser und die strahlenden Farben
hinabsehen. Und zwischen die Tannen, Birken und Föhren.
Jetzt war sie oben.
Es war Geröllboden, sie mußte achtgeben. Aber hin mußte sie und in den
Elf hinabsehen.
Und als sie beinahe dort war, auf dem höchsten Punkt, sah sie dort unter
einer mächtigen Eberesche mit leuchtenden Beeren eine Gestalt stehn.
Und diese Gestalt wandte sich um.
Und im Lichte des Sonnenuntergangs stand bor ihr der, den sie am meisten
""s der ganzen Welt fürchtete, der Mann, den sie zum erstenmal in dem flammenden
scheine des Walpurgisfeuers gesehen hatte.
Ihr Elfe des Hochgebirges! Wenn ihr die Wasser des Himmels getrunken
und euch in den strömenden Regenfluten berauscht habt, dann stürzt ihr dahin,
vrullend und tosend wie trunkne Riesen! Und ihr sprengt Schutzbrett und Schleusen,
d'e euch ehemals gezähmt und gezügelt haben!
Die starken Ströme, die in der Menschenseele brausen, können wohl auch aus
Engere oder kürzere Zeit zurückgehalten werden. Man kann sie eindämmen. Aber
^ gibt Ströme, die so stark, Elfe, die so brausend sind, daß ihnen kein Damm zu
widerstehn vermag.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |