Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Zunge Herzen Nie hatte sie daran gedacht oder davon geträumt, daß man sich so aus den Und weshalb war sie das? Weil sie ganz in ihrer Arbeit aufging, ohne Es war an einem der ersten Tage des Septembers. Die ganze Nacht lang Als sie nach dem Krankenhaus hinüberging, war der Nebel so dicht wie eine Schweigend gingen sie nebeneinander her. Da warf sich Helene plötzlich So? Bist du ganz glücklich? Freilich! antwortete Helene mit einer so eigentümlichen Betonung, daß Frederikke Und nun bleibe ich den ganzen Winter bei euch -- wenn ihr mich haben Oder ob da jemand ist, der dich nach Dänemark zieht, sagte Frederikke lächelnd. Glühend rot antwortete Helene rasch: Das könnten doch nur Großmutter und Ja natürlich -- wer denn sonst? entgegnete Frederikke sehr ironisch. Da zog Helene ihren Arm aus dem Frederikkens und sagte mit einer drollig Ja, sagte Frederikke sehr ernsthaft, ich sehe dich schon in der Dienstkleidung, Helene sah zu ihr auf, konnte aber nichts entdecken. Sie schob den Arm Da hörte Helene einen wunderlichen glucksenden Laut. Sie wandte sich um und sah, daß Frederikke dunkelrot im Gesicht war. Helene Die Freundin hielt sie aber fest und sagte unter lautem Lachen: Pflegemutter, Helene wurde leichenblaß. Da fragte Frederikke ernsthaft: Glaubst du wirklich, Langsam und bestimmt, die Hand aufs Herz legend, antwortete Helene: Ja! -- Aber -- Dämme können bersten! sagte Frederikke, indem sie Helene umarmte Plötzlich brach die Sonne durch. Es klärte sich mehr und mehr auf und verhieß Der Nebel zog jetzt wie fliehende Wolken über die Wälder dahin und ver¬ Zunge Herzen Nie hatte sie daran gedacht oder davon geträumt, daß man sich so aus den Und weshalb war sie das? Weil sie ganz in ihrer Arbeit aufging, ohne Es war an einem der ersten Tage des Septembers. Die ganze Nacht lang Als sie nach dem Krankenhaus hinüberging, war der Nebel so dicht wie eine Schweigend gingen sie nebeneinander her. Da warf sich Helene plötzlich So? Bist du ganz glücklich? Freilich! antwortete Helene mit einer so eigentümlichen Betonung, daß Frederikke Und nun bleibe ich den ganzen Winter bei euch — wenn ihr mich haben Oder ob da jemand ist, der dich nach Dänemark zieht, sagte Frederikke lächelnd. Glühend rot antwortete Helene rasch: Das könnten doch nur Großmutter und Ja natürlich — wer denn sonst? entgegnete Frederikke sehr ironisch. Da zog Helene ihren Arm aus dem Frederikkens und sagte mit einer drollig Ja, sagte Frederikke sehr ernsthaft, ich sehe dich schon in der Dienstkleidung, Helene sah zu ihr auf, konnte aber nichts entdecken. Sie schob den Arm Da hörte Helene einen wunderlichen glucksenden Laut. Sie wandte sich um und sah, daß Frederikke dunkelrot im Gesicht war. Helene Die Freundin hielt sie aber fest und sagte unter lautem Lachen: Pflegemutter, Helene wurde leichenblaß. Da fragte Frederikke ernsthaft: Glaubst du wirklich, Langsam und bestimmt, die Hand aufs Herz legend, antwortete Helene: Ja! — Aber — Dämme können bersten! sagte Frederikke, indem sie Helene umarmte Plötzlich brach die Sonne durch. Es klärte sich mehr und mehr auf und verhieß Der Nebel zog jetzt wie fliehende Wolken über die Wälder dahin und ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296351"/> <fw type="header" place="top"> Zunge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2005"> Nie hatte sie daran gedacht oder davon geträumt, daß man sich so aus den<lb/> großen einsamen Wäldern seines Kummers auf die wetten Ebnen des Glücks und<lb/> der Freude herausarbeiten könnte. Sie war jetzt stark und frei wie nie zuvor!</p><lb/> <p xml:id="ID_2006"> Und weshalb war sie das? Weil sie ganz in ihrer Arbeit aufging, ohne<lb/> Nebengedanken, ohne kleinliche Rücksichten. Sie ging den breiten Weg der Arbeit,<lb/> ohne sich auf Seitenwege locken zu lassen, die vom Ziel abführen und in die Irre<lb/> leiten konnten</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_2007"> Es war an einem der ersten Tage des Septembers. Die ganze Nacht lang<lb/> hatte es geregnet. Als Helene um sechs Uhr aufstand, hatte der Regen aufgehört.<lb/> Sie trat auf den Balkon hinaus, aber ein kalter, nasser Nebel trieb sie wieder zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_2008"> Als sie nach dem Krankenhaus hinüberging, war der Nebel so dicht wie eine<lb/> Mauer. Später zerteilte er sich jedoch so weit, daß sich die Freundinnen nach<lb/> dem Frühstück in den Garten hinauswagten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2009"> Schweigend gingen sie nebeneinander her. Da warf sich Helene plötzlich<lb/> Frederikken an den Hals und sagte: Wie glücklich habt ihr mich gemacht!</p><lb/> <p xml:id="ID_2010"> So? Bist du ganz glücklich?</p><lb/> <p xml:id="ID_2011"> Freilich! antwortete Helene mit einer so eigentümlichen Betonung, daß Frederikke<lb/> lachen mußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2012"> Und nun bleibe ich den ganzen Winter bei euch — wenn ihr mich haben<lb/> wollt —, und dann müssen wir sehen, ob ich hier Wurzel fasse, oder ob —</p><lb/> <p xml:id="ID_2013"> Oder ob da jemand ist, der dich nach Dänemark zieht, sagte Frederikke lächelnd.</p><lb/> <p xml:id="ID_2014"> Glühend rot antwortete Helene rasch: Das könnten doch nur Großmutter und<lb/> die Meinen sein!</p><lb/> <p xml:id="ID_2015"> Ja natürlich — wer denn sonst? entgegnete Frederikke sehr ironisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_2016"> Da zog Helene ihren Arm aus dem Frederikkens und sagte mit einer drollig<lb/> beleidigten Stimme: Ja, es ist wirklich mein Ernst. Ich habe neulich in einem<lb/> dänischen Blatte gelesen, daß zum ersten November in einer der Provinzstädte ein<lb/> Platz als Pflegemutter im städtischen Krankenhause frei würde. Vierhundert Kronen,<lb/> freier Ausenthalt und Dienstkleidung. Wenn ich mit den Jahren nur eine ähn¬<lb/> liche Stellung erlangen könnte! Dann wäre ich imstande, mich selbst zu ernähren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2017"> Ja, sagte Frederikke sehr ernsthaft, ich sehe dich schon in der Dienstkleidung,<lb/> die wird dir vorzüglich stehn!</p><lb/> <p xml:id="ID_2018"> Helene sah zu ihr auf, konnte aber nichts entdecken. Sie schob den Arm<lb/> wieder unter den der Freundin, und sie gingen weiter durch den Garten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2019"> Da hörte Helene einen wunderlichen glucksenden Laut.</p><lb/> <p xml:id="ID_2020"> Sie wandte sich um und sah, daß Frederikke dunkelrot im Gesicht war. 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Zunge Herzen
Nie hatte sie daran gedacht oder davon geträumt, daß man sich so aus den
großen einsamen Wäldern seines Kummers auf die wetten Ebnen des Glücks und
der Freude herausarbeiten könnte. Sie war jetzt stark und frei wie nie zuvor!
Und weshalb war sie das? Weil sie ganz in ihrer Arbeit aufging, ohne
Nebengedanken, ohne kleinliche Rücksichten. Sie ging den breiten Weg der Arbeit,
ohne sich auf Seitenwege locken zu lassen, die vom Ziel abführen und in die Irre
leiten konnten
Es war an einem der ersten Tage des Septembers. Die ganze Nacht lang
hatte es geregnet. Als Helene um sechs Uhr aufstand, hatte der Regen aufgehört.
Sie trat auf den Balkon hinaus, aber ein kalter, nasser Nebel trieb sie wieder zurück.
Als sie nach dem Krankenhaus hinüberging, war der Nebel so dicht wie eine
Mauer. Später zerteilte er sich jedoch so weit, daß sich die Freundinnen nach
dem Frühstück in den Garten hinauswagten.
Schweigend gingen sie nebeneinander her. Da warf sich Helene plötzlich
Frederikken an den Hals und sagte: Wie glücklich habt ihr mich gemacht!
So? Bist du ganz glücklich?
Freilich! antwortete Helene mit einer so eigentümlichen Betonung, daß Frederikke
lachen mußte.
Und nun bleibe ich den ganzen Winter bei euch — wenn ihr mich haben
wollt —, und dann müssen wir sehen, ob ich hier Wurzel fasse, oder ob —
Oder ob da jemand ist, der dich nach Dänemark zieht, sagte Frederikke lächelnd.
Glühend rot antwortete Helene rasch: Das könnten doch nur Großmutter und
die Meinen sein!
Ja natürlich — wer denn sonst? entgegnete Frederikke sehr ironisch.
Da zog Helene ihren Arm aus dem Frederikkens und sagte mit einer drollig
beleidigten Stimme: Ja, es ist wirklich mein Ernst. Ich habe neulich in einem
dänischen Blatte gelesen, daß zum ersten November in einer der Provinzstädte ein
Platz als Pflegemutter im städtischen Krankenhause frei würde. Vierhundert Kronen,
freier Ausenthalt und Dienstkleidung. Wenn ich mit den Jahren nur eine ähn¬
liche Stellung erlangen könnte! Dann wäre ich imstande, mich selbst zu ernähren.
Ja, sagte Frederikke sehr ernsthaft, ich sehe dich schon in der Dienstkleidung,
die wird dir vorzüglich stehn!
Helene sah zu ihr auf, konnte aber nichts entdecken. Sie schob den Arm
wieder unter den der Freundin, und sie gingen weiter durch den Garten.
Da hörte Helene einen wunderlichen glucksenden Laut.
Sie wandte sich um und sah, daß Frederikke dunkelrot im Gesicht war. Helene
entzog ihr schnell den Arm und wollte sich entfernen.
Die Freundin hielt sie aber fest und sagte unter lautem Lachen: Pflegemutter,
sagtest du, Pflegemutter! Ja, das wirst du schon werden; du wirst eine ganz vor¬
zügliche Pflegemutter werden, und ich preise den Mann glücklich, den dn in Be¬
handlung bekommst, du waldduftende, stromschaumbespritzte Pflegemutter!
Helene wurde leichenblaß. Da fragte Frederikke ernsthaft: Glaubst du wirklich,
daß du dich in dieses einsame Leben hier oben als Pflegerin wirst finden können?
Langsam und bestimmt, die Hand aufs Herz legend, antwortete Helene: Ja! —
Ich habe hier drinnen einen starken und festen Damm gegen die brausenden Ströme
meiner Jugend errichtet.
Aber — Dämme können bersten! sagte Frederikke, indem sie Helene umarmte
und dann ins Haus ging.
Plötzlich brach die Sonne durch. Es klärte sich mehr und mehr auf und verhieß
einen herrlichen Tag.
Der Nebel zog jetzt wie fliehende Wolken über die Wälder dahin und ver¬
schwand schließlich ganz. Die Sonne gewann die Herrschaft, und sie führte ein
gutes und mildes Regiment.
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