Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.vom Äzälschen Meere der Zolleinnehmer. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich sind sogar hier Grenzboten IV 190S 41
vom Äzälschen Meere der Zolleinnehmer. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich sind sogar hier Grenzboten IV 190S 41
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vom Äzälschen Meere
der Zolleinnehmer. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich sind sogar hier
stark, aber reich ist auf einer solchen Insel schon, wer überhaupt besitzt. Die
Höhen sind so kahl, daß Ziegen und Schafe nur in geringer Zahl Nahrung
finden, und was in den Tälern, auf der Sohle und in mühsam geschaffnen
Terrassen oder in Gurten gebaut wird, gedeiht auch nur, wenn im Frühjahr
reichlich Regen füllt. Als ich hinkam, hatte es seit Monaten nicht geregnet;
alle Bittgänge um die Felder, alle Nachtwachen in den Kirchen hatten nichts
geholfen; man sah trübe in die Zukunft. Und trotzdem zahlt man bei einer
jährlichen Einnahme von etwa 2000 türkischen Pfund 700 bis 800 Pfund
Abgaben (das Pfund — 18,50 Mark); so rechneten mir vertrauenswürdige
Personen im einzelnen vor; der Zehnte und die Soldatensteuer für nicht zu
leistenden Kriegsdienst sind die Hauptposten. Die Wohlhabenden besitzen in
kleinen Stücken das Fruchtland zwischen dem alten Stadtberg und dem Strande.
Niedrige, ans Steinbrocken aufgeschichtete und mit Gestrüpp überdeckte Mauern
scheiden die Parzellen, und auf ihnen gedeihen bei reichlicheren Wasser Frucht¬
bäume, Gemüse, Blumen und die wohlriechenden Kräuter, an denen der Süden
so reich ist. Feigen-, Nuß-, Mandel- und Maulbeerbüume stehn dort und Zi-
tronenbäumchen, deren Früchte auf den Nachbarinseln geschützt sind, aber Orangen
fehlen völlig, und Ölbüume sind selten. Auch Wein wächst nur auf einer Flur
im Nordosten, die „Halonisi" genannt wird. Der Besitzer eines solchen Gartens
hatte uns eines Abends hineingenötigt und an Früchten und Blumen das Beste
gebracht, was er hatte. Vlütenbeschwert war der Rosenstrauch, unter dem wir
lagen; wuchtig zogen daneben riesige Zitronen die Zweige herunter; die Luft war
gesättigt mit Duft; kein Blatt regte sich; paradiesisch schön und friedlich still war es,
nur aus der Ferne vernahm man eintönige Musik und Gesang. Sicherlich mußte
wenig Wochen später alles verdorrt sein, und die Stürme von Norden her
brausen. Wir gingen den Tönen nach und fanden ein malerisches Bild. Es
war ein Festtag, der Tag des heiligen Georgios. Auf einem kleinen freien
Platze im Dorfe saßen auf der einen Seite die Männer bei Wein und Raki,
auf der andern hockten auf der Erde die Weiber in ihren weißen Kopftüchern
mit den Kindern. Dazwischen aber tanzten unermüdlich nicht ohne Grazie einige
Männer den „Sirto" im Kreise, und einer spielte auf einer selbstgefertigten
Primitiven Mandoline eine monotone Melodie. Verständige Leute sehen die
volkswirtschaftliche Schädlichkeit der zahllosen Festtage ein, aber man feiert sie
weiter, klagt über seine Misere und sucht sie zu vergessen. Man hatte schon
vorher den beiden Priestern und andern Georgen zum Namenstage Glück ge¬
wünscht und dabei Kaffee getrunken, Süßigkeiten und veritabeln Schürzknchen
gegessen, der nur süßer und fetter war als bei uus. Überhaupt aß ich
als Tischgenosse des behäbigen Kirchenfürsten nicht schlecht. Hier ein Menü:
Suppe, Salat, gekochtes Fleisch, Sardellen, Pilaw, gekochte Saubohnen, Käse
und dazu Waffer und Brot. Gekochte oder gebratne Fische, Langusten, Eier,
dicke Milch stände,: sonst noch auf den, Küchenzettel. Davon waren Fleisch
und Eier etwas besondres. Fische und Saubohne,, sind die gewöhnliche
Nahrung. Das eigne Korn deckt nicht den Bedarf, während Gemüse auch aus¬
geführt wird.
Grenzboten IV 190S 41
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