Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.vom Agälschen Meere mählich unsern Augen. Man machte es sich auf dem Holze bequem, so gut es Wir kreuzten vor einer kleinen gegen Westwind völlig ungeschützten Reede, Es ist etwas außerordentlich schönes um dieses Sichhineinfinden in ein vom Agälschen Meere mählich unsern Augen. Man machte es sich auf dem Holze bequem, so gut es Wir kreuzten vor einer kleinen gegen Westwind völlig ungeschützten Reede, Es ist etwas außerordentlich schönes um dieses Sichhineinfinden in ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296332"/> <fw type="header" place="top"> vom Agälschen Meere</fw><lb/> <p xml:id="ID_1870" prev="#ID_1869"> mählich unsern Augen. Man machte es sich auf dem Holze bequem, so gut es<lb/> ging, schwatzte, rauchte und schlief auch in einer Kabine, die gerade einen Menschen<lb/> faßte, als es dunkel und das Wetter ungemütlich wurde. Gegen zehn Uhr<lb/> Abends fand man sich vor dem ersehnten Eiland wieder — vor ihm, aber<lb/> nicht auf ihm.</p><lb/> <p xml:id="ID_1871"> Wir kreuzten vor einer kleinen gegen Westwind völlig ungeschützten Reede,<lb/> die im Osten, soviel sich erkennen ließ, von einem flachen Strande, im Süden<lb/> und im Norden von niedrigen Höhen begrenzt wurde; auf der nördlichen ließen<lb/> undeutliche Umrisse, spärliche Lichter und Hundegebell eine Ansiedlung vermuten.<lb/> Eine Anlegestelle für größere Segelboote gab es auf dieser Insel natürlich nicht,<lb/> wie ja die Quais für Dampfschiffe in der ganzen Levante schnell aufzuzählen<lb/> sind. Unser Boot war aus Maugel an Platz in Lemnos geblieben. Auf der<lb/> Insel wußte niemand von unserm Kommen. Es war dunkle Nacht geworden,<lb/> und die See ging besonders hier nahe an der Küste hoch. Schreien und ein<lb/> Schuß machten endlich die Leute aufmerksam, aber es verging eine Stunde, bis<lb/> sich jemand zu uns herauswagte. Die Erklärung ergab sich später: die Leute<lb/> hatten uns für — Seeräuber wäre ein zu stolzer Name — Diebe gehalten,<lb/> die von Zeit zu Zeit von den griechischen Sporaden oder der thrakischen Küste<lb/> her kommen, Schafe stehlen und wieder verschwinden. In dieser Form lebt die<lb/> in diesem Jnselmeere uralte Seeräuberei fort, da die Türkei die Seewacht schlecht<lb/> versieht. So lebt vor allem die Furcht vor dem Seeräuber fort, die freilich<lb/> den Menschen dort nach allem angeboren sein muß. Man hatte sogar den<lb/> Schuß erwidert; jetzt war natürlich die Freude groß. Mit Mühe gelangten wir<lb/> alle in die Boote, wenn sie ein Wellenberg zur Höhe der Bordwand hob, und<lb/> an Land. Wie im Traume spielten sich diese und die nächsten Vorgänge in der<lb/> Dunkelheit ab: Landung an ein paar Felsen am Ufer, Menschen, zwei bis drei<lb/> schwachleuchtende Laternen, Begrüßungen, ein längerer Weg über Fels und durch<lb/> Sand an der Seite des Erzbischofs, umdrängt von den Bewohnern; Eintritt<lb/> in ein Häuschen, wieder Begrüßungen, Warten, Essen — endlich allein in einem<lb/> Gemache, das für eine Lagerstätte auf dem Boden gerade Platz bot; Sehnsucht<lb/> nach Ruhe und grausame Enttäuschung, da ältere Bewohner verschiedenster Art<lb/> ältere Rechte sehr bemerkbar geltend machten; unruhiger Schlaf gegen Morgen<lb/> und jähes Erwachen. Die morschen Fensterladen fliegen auf, und Hagiostrati<lb/> ^egt da im Sonnenschein, und das Meer erglänzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1872" next="#ID_1873"> Es ist etwas außerordentlich schönes um dieses Sichhineinfinden in ein<lb/> fremdes, zumal unerforschtes Land, um dieses Tappen, bis der Schritt sicher<lb/> wird, um dieses Fügen von Strich zu Strich, bis das Bild des Landes, wie<lb/> es ist, und wie es war, dasteht. Die dreieckige, mit der Spitze nach Nordosten<lb/> gerichtete Insel ist, wie die von mir gesammelten Gesteinsproben erweisen, ans<lb/> jungvulkanischem Gestein gebildet, wie es sich auf den Nachbarinseln im Norden<lb/> und in Kleinasien findet. An den Rändern kommen jungtertiäre Bildungen vor.<lb/> Die Höhen, deren höchste nach der englischen Seekarte 296 Meter mißt, sind<lb/> flach gewölbt und ringsherum vom gefräßigen Meere stark benagt. Zwischen diesen<lb/> Steilhängen öffnen sich auf der Ost- und der Westseite immer wieder kleine Buchten,<lb/> von denen drei als Landeplätze für kleine Fahrzeuge brauchbar sind. Die größte</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0321]
vom Agälschen Meere
mählich unsern Augen. Man machte es sich auf dem Holze bequem, so gut es
ging, schwatzte, rauchte und schlief auch in einer Kabine, die gerade einen Menschen
faßte, als es dunkel und das Wetter ungemütlich wurde. Gegen zehn Uhr
Abends fand man sich vor dem ersehnten Eiland wieder — vor ihm, aber
nicht auf ihm.
Wir kreuzten vor einer kleinen gegen Westwind völlig ungeschützten Reede,
die im Osten, soviel sich erkennen ließ, von einem flachen Strande, im Süden
und im Norden von niedrigen Höhen begrenzt wurde; auf der nördlichen ließen
undeutliche Umrisse, spärliche Lichter und Hundegebell eine Ansiedlung vermuten.
Eine Anlegestelle für größere Segelboote gab es auf dieser Insel natürlich nicht,
wie ja die Quais für Dampfschiffe in der ganzen Levante schnell aufzuzählen
sind. Unser Boot war aus Maugel an Platz in Lemnos geblieben. Auf der
Insel wußte niemand von unserm Kommen. Es war dunkle Nacht geworden,
und die See ging besonders hier nahe an der Küste hoch. Schreien und ein
Schuß machten endlich die Leute aufmerksam, aber es verging eine Stunde, bis
sich jemand zu uns herauswagte. Die Erklärung ergab sich später: die Leute
hatten uns für — Seeräuber wäre ein zu stolzer Name — Diebe gehalten,
die von Zeit zu Zeit von den griechischen Sporaden oder der thrakischen Küste
her kommen, Schafe stehlen und wieder verschwinden. In dieser Form lebt die
in diesem Jnselmeere uralte Seeräuberei fort, da die Türkei die Seewacht schlecht
versieht. So lebt vor allem die Furcht vor dem Seeräuber fort, die freilich
den Menschen dort nach allem angeboren sein muß. Man hatte sogar den
Schuß erwidert; jetzt war natürlich die Freude groß. Mit Mühe gelangten wir
alle in die Boote, wenn sie ein Wellenberg zur Höhe der Bordwand hob, und
an Land. Wie im Traume spielten sich diese und die nächsten Vorgänge in der
Dunkelheit ab: Landung an ein paar Felsen am Ufer, Menschen, zwei bis drei
schwachleuchtende Laternen, Begrüßungen, ein längerer Weg über Fels und durch
Sand an der Seite des Erzbischofs, umdrängt von den Bewohnern; Eintritt
in ein Häuschen, wieder Begrüßungen, Warten, Essen — endlich allein in einem
Gemache, das für eine Lagerstätte auf dem Boden gerade Platz bot; Sehnsucht
nach Ruhe und grausame Enttäuschung, da ältere Bewohner verschiedenster Art
ältere Rechte sehr bemerkbar geltend machten; unruhiger Schlaf gegen Morgen
und jähes Erwachen. Die morschen Fensterladen fliegen auf, und Hagiostrati
^egt da im Sonnenschein, und das Meer erglänzt.
Es ist etwas außerordentlich schönes um dieses Sichhineinfinden in ein
fremdes, zumal unerforschtes Land, um dieses Tappen, bis der Schritt sicher
wird, um dieses Fügen von Strich zu Strich, bis das Bild des Landes, wie
es ist, und wie es war, dasteht. Die dreieckige, mit der Spitze nach Nordosten
gerichtete Insel ist, wie die von mir gesammelten Gesteinsproben erweisen, ans
jungvulkanischem Gestein gebildet, wie es sich auf den Nachbarinseln im Norden
und in Kleinasien findet. An den Rändern kommen jungtertiäre Bildungen vor.
Die Höhen, deren höchste nach der englischen Seekarte 296 Meter mißt, sind
flach gewölbt und ringsherum vom gefräßigen Meere stark benagt. Zwischen diesen
Steilhängen öffnen sich auf der Ost- und der Westseite immer wieder kleine Buchten,
von denen drei als Landeplätze für kleine Fahrzeuge brauchbar sind. Die größte
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