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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche und Magyaren

magyarische Unabhängigkeitsbewegung gar nicht demokratischer sondern oli-
garchischer Natur ist; in Deutschland wiederum hat man den ganz begreiflichen
Wunsch, die innere Ordnung in der verbündeten Monarchie so bald wie möglich
wiederhergestellt zu sehen, und hält deshalb das weitestgehende Entgegen¬
kommen gegenüber den magyarischen Forderungen für zweckmüßig, und zwar
um so mehr, als man von der Überzeugung durchdrungen ist, daß die un¬
bedingte Herrschaft des Magyarentums in Ungarn als Barre gegen den
slawischen Druck von Osten notwendig sei. Die Magyaren seien -- so
räsoniert man weiter -- in diesem Punkte die natürlichen Bundesgenossen der
Deutschen in Österreich. Die Verteidigung gegen das Slawentum sei für beide
ein gemeinsames Interesse, die dualistische Verfassung vom Jahre 1867 habe
die geeignete Form für die Beendigung dieser Bundesgenossenschaft geschaffen,
und es zeuge von großer politischer Einsichtslosigkeit der Deutschen, wenn
sie sich den magyarischen Ansprüchen widersetzen, statt im Bunde mit den
Magyaren deren Herrschaft in Ungarn und damit ihre eigne in Österreich
zu sichern.

Ein bittrer Vorwurf, der lebhaft an das Bismarckische Wort von den
Herbstzeitlosen erinnert, aber nicht so begründet wie dieses. Die Politik der
Deutschen in Österreich seit 1859 ist sicher nicht immer richtig gewesen; viele und
schwere Fehler sind begangen worden, daß aber die Deutschen mit den Magyaren
nicht in Frieden leben wollten, dafür küßt sich kein Nachweis erbringen.
Gerade in diesem Punkte sind sie bis an die Grenze des Möglichen gegangen,
und es lohnt sich, diese Tatsache historisch zu belegen, nicht so sehr um die
Deutschen in Österreich gegen einen ungerechten Vorwurf zu verteidigen, als
vielmehr um eine irrtümliche Auffassung in den reichsdeutschen Kreisen zu be¬
richtigen, deren Meinung und Stellung für die weitere Entwicklung der öster¬
reichisch-ungarischen Krise möglicherweise von Belang sein kann.

Der Gedanke einer wechselseitigen politischen Versicherung zwischen Deutschen
und Magyaren ist nicht neu, sondern reicht in die sechziger Jahre zurück, wo
die Auseinandersetzung mit Preußen das Habsburgerreich von seiner alten
Basis loslöste und das Deutschtum in Österreich vor die Notwendigkeit stellte,
sich aus eigner Kraft die führende Stelle im Staate zu sichern, die ihm bis dahin
wegen der organischen Verbindung der Erbländer mit Deutschland zugefallen
war. Die Magyaren hatten den Kampf um die staatsrechtliche Selbständig¬
keit Ungarns mit erneuter Kraft aufgenommen. Wohl stand der Hof noch
auf dem alten zentralistischen Standpunkt, und auch ein großer Teil der
Deutschen hing an der Schmerlingschen Februarverfassuug, die in ihrem er¬
weiterten Reichsrat ein zentrales Parlament für Reichsangelegenheiten schaffen
wollte, bei dem Widerstande der Magyaren mehrte sich jedoch zusehends
die Zahl der deutschen Politiker, die einem staatsrechtlichen Ausgleiche mit
Ungarn auf Grund einer dualistischen Verfassung das Wort redeten. Sie
nannten sich im Gegensatze zu den Großösterreichern und den Unionisten
(Herbst) "Autonomsten," und an ihrer Spitze stand vielleicht die sym¬
pathischste Erscheinung aus der ganzen parlamentarischen Geschichte Öster¬
reichs, Moritz Kaiserfeld. Ein unantastbarer Charakter, erfüllt von Hingebung


Deutsche und Magyaren

magyarische Unabhängigkeitsbewegung gar nicht demokratischer sondern oli-
garchischer Natur ist; in Deutschland wiederum hat man den ganz begreiflichen
Wunsch, die innere Ordnung in der verbündeten Monarchie so bald wie möglich
wiederhergestellt zu sehen, und hält deshalb das weitestgehende Entgegen¬
kommen gegenüber den magyarischen Forderungen für zweckmüßig, und zwar
um so mehr, als man von der Überzeugung durchdrungen ist, daß die un¬
bedingte Herrschaft des Magyarentums in Ungarn als Barre gegen den
slawischen Druck von Osten notwendig sei. Die Magyaren seien — so
räsoniert man weiter — in diesem Punkte die natürlichen Bundesgenossen der
Deutschen in Österreich. Die Verteidigung gegen das Slawentum sei für beide
ein gemeinsames Interesse, die dualistische Verfassung vom Jahre 1867 habe
die geeignete Form für die Beendigung dieser Bundesgenossenschaft geschaffen,
und es zeuge von großer politischer Einsichtslosigkeit der Deutschen, wenn
sie sich den magyarischen Ansprüchen widersetzen, statt im Bunde mit den
Magyaren deren Herrschaft in Ungarn und damit ihre eigne in Österreich
zu sichern.

Ein bittrer Vorwurf, der lebhaft an das Bismarckische Wort von den
Herbstzeitlosen erinnert, aber nicht so begründet wie dieses. Die Politik der
Deutschen in Österreich seit 1859 ist sicher nicht immer richtig gewesen; viele und
schwere Fehler sind begangen worden, daß aber die Deutschen mit den Magyaren
nicht in Frieden leben wollten, dafür küßt sich kein Nachweis erbringen.
Gerade in diesem Punkte sind sie bis an die Grenze des Möglichen gegangen,
und es lohnt sich, diese Tatsache historisch zu belegen, nicht so sehr um die
Deutschen in Österreich gegen einen ungerechten Vorwurf zu verteidigen, als
vielmehr um eine irrtümliche Auffassung in den reichsdeutschen Kreisen zu be¬
richtigen, deren Meinung und Stellung für die weitere Entwicklung der öster¬
reichisch-ungarischen Krise möglicherweise von Belang sein kann.

Der Gedanke einer wechselseitigen politischen Versicherung zwischen Deutschen
und Magyaren ist nicht neu, sondern reicht in die sechziger Jahre zurück, wo
die Auseinandersetzung mit Preußen das Habsburgerreich von seiner alten
Basis loslöste und das Deutschtum in Österreich vor die Notwendigkeit stellte,
sich aus eigner Kraft die führende Stelle im Staate zu sichern, die ihm bis dahin
wegen der organischen Verbindung der Erbländer mit Deutschland zugefallen
war. Die Magyaren hatten den Kampf um die staatsrechtliche Selbständig¬
keit Ungarns mit erneuter Kraft aufgenommen. Wohl stand der Hof noch
auf dem alten zentralistischen Standpunkt, und auch ein großer Teil der
Deutschen hing an der Schmerlingschen Februarverfassuug, die in ihrem er¬
weiterten Reichsrat ein zentrales Parlament für Reichsangelegenheiten schaffen
wollte, bei dem Widerstande der Magyaren mehrte sich jedoch zusehends
die Zahl der deutschen Politiker, die einem staatsrechtlichen Ausgleiche mit
Ungarn auf Grund einer dualistischen Verfassung das Wort redeten. Sie
nannten sich im Gegensatze zu den Großösterreichern und den Unionisten
(Herbst) „Autonomsten," und an ihrer Spitze stand vielleicht die sym¬
pathischste Erscheinung aus der ganzen parlamentarischen Geschichte Öster¬
reichs, Moritz Kaiserfeld. Ein unantastbarer Charakter, erfüllt von Hingebung


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[0292] Deutsche und Magyaren magyarische Unabhängigkeitsbewegung gar nicht demokratischer sondern oli- garchischer Natur ist; in Deutschland wiederum hat man den ganz begreiflichen Wunsch, die innere Ordnung in der verbündeten Monarchie so bald wie möglich wiederhergestellt zu sehen, und hält deshalb das weitestgehende Entgegen¬ kommen gegenüber den magyarischen Forderungen für zweckmüßig, und zwar um so mehr, als man von der Überzeugung durchdrungen ist, daß die un¬ bedingte Herrschaft des Magyarentums in Ungarn als Barre gegen den slawischen Druck von Osten notwendig sei. Die Magyaren seien — so räsoniert man weiter — in diesem Punkte die natürlichen Bundesgenossen der Deutschen in Österreich. Die Verteidigung gegen das Slawentum sei für beide ein gemeinsames Interesse, die dualistische Verfassung vom Jahre 1867 habe die geeignete Form für die Beendigung dieser Bundesgenossenschaft geschaffen, und es zeuge von großer politischer Einsichtslosigkeit der Deutschen, wenn sie sich den magyarischen Ansprüchen widersetzen, statt im Bunde mit den Magyaren deren Herrschaft in Ungarn und damit ihre eigne in Österreich zu sichern. Ein bittrer Vorwurf, der lebhaft an das Bismarckische Wort von den Herbstzeitlosen erinnert, aber nicht so begründet wie dieses. Die Politik der Deutschen in Österreich seit 1859 ist sicher nicht immer richtig gewesen; viele und schwere Fehler sind begangen worden, daß aber die Deutschen mit den Magyaren nicht in Frieden leben wollten, dafür küßt sich kein Nachweis erbringen. Gerade in diesem Punkte sind sie bis an die Grenze des Möglichen gegangen, und es lohnt sich, diese Tatsache historisch zu belegen, nicht so sehr um die Deutschen in Österreich gegen einen ungerechten Vorwurf zu verteidigen, als vielmehr um eine irrtümliche Auffassung in den reichsdeutschen Kreisen zu be¬ richtigen, deren Meinung und Stellung für die weitere Entwicklung der öster¬ reichisch-ungarischen Krise möglicherweise von Belang sein kann. Der Gedanke einer wechselseitigen politischen Versicherung zwischen Deutschen und Magyaren ist nicht neu, sondern reicht in die sechziger Jahre zurück, wo die Auseinandersetzung mit Preußen das Habsburgerreich von seiner alten Basis loslöste und das Deutschtum in Österreich vor die Notwendigkeit stellte, sich aus eigner Kraft die führende Stelle im Staate zu sichern, die ihm bis dahin wegen der organischen Verbindung der Erbländer mit Deutschland zugefallen war. Die Magyaren hatten den Kampf um die staatsrechtliche Selbständig¬ keit Ungarns mit erneuter Kraft aufgenommen. Wohl stand der Hof noch auf dem alten zentralistischen Standpunkt, und auch ein großer Teil der Deutschen hing an der Schmerlingschen Februarverfassuug, die in ihrem er¬ weiterten Reichsrat ein zentrales Parlament für Reichsangelegenheiten schaffen wollte, bei dem Widerstande der Magyaren mehrte sich jedoch zusehends die Zahl der deutschen Politiker, die einem staatsrechtlichen Ausgleiche mit Ungarn auf Grund einer dualistischen Verfassung das Wort redeten. Sie nannten sich im Gegensatze zu den Großösterreichern und den Unionisten (Herbst) „Autonomsten," und an ihrer Spitze stand vielleicht die sym¬ pathischste Erscheinung aus der ganzen parlamentarischen Geschichte Öster¬ reichs, Moritz Kaiserfeld. Ein unantastbarer Charakter, erfüllt von Hingebung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/292>, abgerufen am 15.01.2025.