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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Fürsorgestellen für Lungenkranke

gewesen. Schon in den ersten beiden Jahren seines Bestehns meldeten sich
868 Personen zur ersten Untersuchung, von denen 519 tuberkulös befunden und
in dauernde Fürsorge genommen wurden. Dabei war der Betrieb, obwohl man
doch Ärzte besolden und Kurkosten übernehmen mußte, keineswegs teuer zu
nennen. Die Ausgaben des mit 30000 Franken gebauten und fix und fertig ein¬
gerichteten Disvensaires setzten sich im ersten Jahre des vollen Betriebs (1902)
so zusammen:

^, Betrieb: Besoldung des Personals . . 5660,-- Franken
Diverses........1173,95
Drucksachen....... 1274,80
Heizung und Beleuchtung , , 439,66 "
Desinfektion und Wäsche, , , 1450,40
Spucknäpfe, Antiseptika usw. . 716,-- "
L. Unterstützung: Brot.........1251,30
Milch......... 3757,50
Fleisch......... 4382,50
Eier.........2143,50
Mahlzeiten in Volksküchen . . 1130,40
Bettzeug........ 84,25
Mietzins........ 287,50
Kohlen........ 775,80
Versendung in das Sanatorium
LÄnr-I'ol-sur-Ah!' .... 316,45
zusammen 24846,70 Franken

Als die Calmetteschen Ideen und deren praktische Durchführung in Deutsch¬
land bekannt wurden, erkannte man rückhaltlos ihre große Bedeutung auch für
unsre Verhältnisse und neben unsern hauptsächlich auf die Förderung des Heil¬
stättenwesens gerichteten Bestrebungen an. Schon bei den ersten Erörterungen
hierüber, zum Beispiel in der Berliner Versammlung von Heilstüttenürzten vom
1. bis zum 3. November 1903 und in den Verhandlungen der achten Generalver¬
sammlung des deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Lungenheilstätten
vom 20. Mai 1904, wurden aber gewichtige Stimmen laut, die vor kritikloser
Nachahmung der Dispensaire-Einrichtungen in Deutschland warnten, indem sie
darauf hinwiesen, daß bei uns für die Errichtung eines neuen auf Gewährung
freier ärztlicher Behandlung gerichteten Instituts im Hinblick auf unser weit¬
verzweigtes Krankenkassenwesen, die Heilfürsorge unsrer Landesversichernngs-
anstalten und das Bestehn von Polikliniken fast in allen größern Städten kein
Bedürfnis vorliege, und auch andre den Dispensaires zugewiesne Fürsorge¬
zweige in vielen Städten schon von städtischen Fürsorgestellen, gemeinnützigen
Vereinen usw. in die Hand genommen worden seien. Tatsächlich hatten sich
schon damals in einigen Orten (Halle a. S., Charlottenburg) meist im Anschluß
an die Armenverwaltung oder doch unter der persönlichen Leitung des Magistrats¬
dezernenten für das Armenwesen mit städtischer und Vereinsunterstützung "Für¬
sorgestellen für Lungenkranke" unabhängig von den französisch-belgischen Dispen¬
saires entwickelt, die aber durchweg nur einzelne der erwähnten Fürsorgezweige
und diese aus Mangel an Mitteln auch nur unvollkommen pflegten und vor
allem der Hauptstütze der Dispensaires, des ouvrier öiiauvtsnr entbehrten.


Fürsorgestellen für Lungenkranke

gewesen. Schon in den ersten beiden Jahren seines Bestehns meldeten sich
868 Personen zur ersten Untersuchung, von denen 519 tuberkulös befunden und
in dauernde Fürsorge genommen wurden. Dabei war der Betrieb, obwohl man
doch Ärzte besolden und Kurkosten übernehmen mußte, keineswegs teuer zu
nennen. Die Ausgaben des mit 30000 Franken gebauten und fix und fertig ein¬
gerichteten Disvensaires setzten sich im ersten Jahre des vollen Betriebs (1902)
so zusammen:

^, Betrieb: Besoldung des Personals . . 5660,— Franken
Diverses........1173,95
Drucksachen....... 1274,80
Heizung und Beleuchtung , , 439,66 „
Desinfektion und Wäsche, , , 1450,40
Spucknäpfe, Antiseptika usw. . 716,— „
L. Unterstützung: Brot.........1251,30
Milch......... 3757,50
Fleisch......... 4382,50
Eier.........2143,50
Mahlzeiten in Volksküchen . . 1130,40
Bettzeug........ 84,25
Mietzins........ 287,50
Kohlen........ 775,80
Versendung in das Sanatorium
LÄnr-I'ol-sur-Ah!' .... 316,45
zusammen 24846,70 Franken

Als die Calmetteschen Ideen und deren praktische Durchführung in Deutsch¬
land bekannt wurden, erkannte man rückhaltlos ihre große Bedeutung auch für
unsre Verhältnisse und neben unsern hauptsächlich auf die Förderung des Heil¬
stättenwesens gerichteten Bestrebungen an. Schon bei den ersten Erörterungen
hierüber, zum Beispiel in der Berliner Versammlung von Heilstüttenürzten vom
1. bis zum 3. November 1903 und in den Verhandlungen der achten Generalver¬
sammlung des deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Lungenheilstätten
vom 20. Mai 1904, wurden aber gewichtige Stimmen laut, die vor kritikloser
Nachahmung der Dispensaire-Einrichtungen in Deutschland warnten, indem sie
darauf hinwiesen, daß bei uns für die Errichtung eines neuen auf Gewährung
freier ärztlicher Behandlung gerichteten Instituts im Hinblick auf unser weit¬
verzweigtes Krankenkassenwesen, die Heilfürsorge unsrer Landesversichernngs-
anstalten und das Bestehn von Polikliniken fast in allen größern Städten kein
Bedürfnis vorliege, und auch andre den Dispensaires zugewiesne Fürsorge¬
zweige in vielen Städten schon von städtischen Fürsorgestellen, gemeinnützigen
Vereinen usw. in die Hand genommen worden seien. Tatsächlich hatten sich
schon damals in einigen Orten (Halle a. S., Charlottenburg) meist im Anschluß
an die Armenverwaltung oder doch unter der persönlichen Leitung des Magistrats¬
dezernenten für das Armenwesen mit städtischer und Vereinsunterstützung „Für¬
sorgestellen für Lungenkranke" unabhängig von den französisch-belgischen Dispen¬
saires entwickelt, die aber durchweg nur einzelne der erwähnten Fürsorgezweige
und diese aus Mangel an Mitteln auch nur unvollkommen pflegten und vor
allem der Hauptstütze der Dispensaires, des ouvrier öiiauvtsnr entbehrten.


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[0028] Fürsorgestellen für Lungenkranke gewesen. Schon in den ersten beiden Jahren seines Bestehns meldeten sich 868 Personen zur ersten Untersuchung, von denen 519 tuberkulös befunden und in dauernde Fürsorge genommen wurden. Dabei war der Betrieb, obwohl man doch Ärzte besolden und Kurkosten übernehmen mußte, keineswegs teuer zu nennen. Die Ausgaben des mit 30000 Franken gebauten und fix und fertig ein¬ gerichteten Disvensaires setzten sich im ersten Jahre des vollen Betriebs (1902) so zusammen: ^, Betrieb: Besoldung des Personals . . 5660,— Franken Diverses........1173,95 Drucksachen....... 1274,80 Heizung und Beleuchtung , , 439,66 „ Desinfektion und Wäsche, , , 1450,40 Spucknäpfe, Antiseptika usw. . 716,— „ L. Unterstützung: Brot.........1251,30 Milch......... 3757,50 Fleisch......... 4382,50 Eier.........2143,50 Mahlzeiten in Volksküchen . . 1130,40 Bettzeug........ 84,25 Mietzins........ 287,50 Kohlen........ 775,80 Versendung in das Sanatorium LÄnr-I'ol-sur-Ah!' .... 316,45 zusammen 24846,70 Franken Als die Calmetteschen Ideen und deren praktische Durchführung in Deutsch¬ land bekannt wurden, erkannte man rückhaltlos ihre große Bedeutung auch für unsre Verhältnisse und neben unsern hauptsächlich auf die Förderung des Heil¬ stättenwesens gerichteten Bestrebungen an. Schon bei den ersten Erörterungen hierüber, zum Beispiel in der Berliner Versammlung von Heilstüttenürzten vom 1. bis zum 3. November 1903 und in den Verhandlungen der achten Generalver¬ sammlung des deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Lungenheilstätten vom 20. Mai 1904, wurden aber gewichtige Stimmen laut, die vor kritikloser Nachahmung der Dispensaire-Einrichtungen in Deutschland warnten, indem sie darauf hinwiesen, daß bei uns für die Errichtung eines neuen auf Gewährung freier ärztlicher Behandlung gerichteten Instituts im Hinblick auf unser weit¬ verzweigtes Krankenkassenwesen, die Heilfürsorge unsrer Landesversichernngs- anstalten und das Bestehn von Polikliniken fast in allen größern Städten kein Bedürfnis vorliege, und auch andre den Dispensaires zugewiesne Fürsorge¬ zweige in vielen Städten schon von städtischen Fürsorgestellen, gemeinnützigen Vereinen usw. in die Hand genommen worden seien. Tatsächlich hatten sich schon damals in einigen Orten (Halle a. S., Charlottenburg) meist im Anschluß an die Armenverwaltung oder doch unter der persönlichen Leitung des Magistrats¬ dezernenten für das Armenwesen mit städtischer und Vereinsunterstützung „Für¬ sorgestellen für Lungenkranke" unabhängig von den französisch-belgischen Dispen¬ saires entwickelt, die aber durchweg nur einzelne der erwähnten Fürsorgezweige und diese aus Mangel an Mitteln auch nur unvollkommen pflegten und vor allem der Hauptstütze der Dispensaires, des ouvrier öiiauvtsnr entbehrten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/28>, abgerufen am 15.01.2025.