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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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den Gedanken zu finden vermag, der wenn auch nicht dein Wesen der Wissen¬
schaft, so doch dem der Kunst entspricht, daß der Dichter berechtigt ist, sich
geschichtlicher Charaktere zu bemächtigen und ihnen Schicksale beizulegen, die sie
zwar nicht gehabt haben, deren Vorführung aber dein Effekt und der Abrundung
des Ganzen zustatten kommt, wird sich an Schillers Jungfrau ungeteilten
Herzens erfreuen können. Das schließt nicht aus -- as ZuMbus von 68t
clisxutMcwm, wie der Spätlateiner sagt --, daß ein andrer das Verfahren
Shakespeares vorzieht und es lieber sieht, wenn die geschichtlichen Tatsachen in
der Hauptsache festgehalten und, wenn auch in loserer Weise, in den Nahmen
eines Bildes gefaßt werden, das trotz aller bewunderungswürdigen Schilderung
der Charaktere seine Wirkung oft mehr dein uns vorgehaltnen Zeitspiegel als
dem dramatischen Aufbau und den künstlerisch herbeigeführten tragischen Höhe¬
punkten verdankt. Wer unparteiisch urteilt, wird sich bewundernden Staunens
nicht erwehren können, wenn er sieht, wie sich der Dichter der Jungfrau, insoweit
er der Geschichte folgen zu können glaubt, keinen Zug entgehn' läßt, der für
das von ihm entwor'fue Bild brauchbar und wirksam sein kaun; ja Schiller geht
in seinein Wunsche, uns für seine Heldin durch die von ihr erreichten großartigen
Erfolge zu begeistern, so weit, daß er die Versöhnung Philipps des Guten von
Burgund mit dem Könige zu ihrem Werke macht, während sie tatsächlich erst
vier Jahre nach ihrem Tode stattgefunden hat. Daß Schiller seine Johanna
für Lionel -- wie sie sich ausdrückt, in irdischer Liebe -- entbrennen läßt und
ihr Einsetzen über das Erwachen der ebenso zärtlichen als für eine durch einen
Eid gebundne Heldin unstatthaften Gefühle zum Angelpunkt der Katastrophe
macht, obwohl die Geschichte bezeugt, daß ihr diese Gefühle merkwürdigerweise
auch während ihres Hirtenlebens fremd geblieben sind, darf man ihm nicht
verargen: er ging nun einmal von der Ansicht aus, daß eine Heldin, die nicht
an- L?ehe leide und nicht für oder gegen ihre Liebe zu kämpfen habe, auf der
Bühne eine Unmöglichkeit sei; und wenn, wie behauptet wird, der vom Dichter
fingierte Pfeilschuß -- die Franzosen bezeichnen einen solchen bei der ersten Be¬
gegnung ins Herz dringenden und da zündenden Strahl als ooux "!v toucll-e --
ein Mißgriff war, so verzeihen wir ihm diesen gern, schon um des entzückenden
Monologs willen: "Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen"; wir
wären, wenn Johannas Herz nicht menschlich zu fühlen gelernt hätte, um das:
Wehe! weh mir! Welche Töne! gekommen, und auch sonst wird die in geistreicher
Weise erfundne Seelenkntastrvphe in dem zur Krönung überleitenden Monologe
mit einer so unnachahmlichen Vollendung auch der lyrischen Form vorgeführt,
daß mau sich gern dem augenblicklichen Genuß zuliebe über die der geschicht¬
lichen Tatsache cmgetane Vergewaltigung hinwegsetzt. Das Gelöbnis, jeden von
ihr im Kampfe überwundnen Engländer zu töten, das die Heldin abgelegt haben
soll, und durch das ihr vom Dichter eine Art von Fanatismus zugeschrieben
wird, der ihr völlig fremd war, ist eine der Bedingungen, deren er zur Herbei¬
führung der von ihm beabsichtigten Katastrophe nicht entbehren konnte, da der
Zuschauer erst durch die verschiedne Behandlung, die sie Montgomery und Lionel
zuteil werden läßt, über ihre Gefühle für diesen zu rechtem Bewußtsein kommt.

Da sich weiterhin, wo wir uns mit Tatsachen beschäftigen wollen, keine
Gelegenheit finden wird, des anmutigen Schäkers zu gedenken, dessen Pueelle
so vielen Staub aufgewirbelt hat, fo mag ihm hier 'ein lustiger Kranz aus
Bvhnenblütcn etwas schief auf den klugen Spötterkvpf gesetzt werden. Eine
Jungfrau, der sei" Vaterland soviel verdankte, zur Heldin eines Epos zu machen,
in dem neben wenig erbaulichen Mönchen, Baeealanreen und Pagen ein unter¬
nehmender Maultiertreiber und ein sehr unheiliger -- Esel Hauptrollen spielen,
ist, das muß man freilich zugeben, kein Beweis von feinem Takt und patriotischem
Gefühl, aber dem mit unnachahmlicher Freiheit und Leichtigkeit dahingleitenden
Verse und dem immer wieder zum Lachen verführenden Witz muß man schon


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den Gedanken zu finden vermag, der wenn auch nicht dein Wesen der Wissen¬
schaft, so doch dem der Kunst entspricht, daß der Dichter berechtigt ist, sich
geschichtlicher Charaktere zu bemächtigen und ihnen Schicksale beizulegen, die sie
zwar nicht gehabt haben, deren Vorführung aber dein Effekt und der Abrundung
des Ganzen zustatten kommt, wird sich an Schillers Jungfrau ungeteilten
Herzens erfreuen können. Das schließt nicht aus — as ZuMbus von 68t
clisxutMcwm, wie der Spätlateiner sagt —, daß ein andrer das Verfahren
Shakespeares vorzieht und es lieber sieht, wenn die geschichtlichen Tatsachen in
der Hauptsache festgehalten und, wenn auch in loserer Weise, in den Nahmen
eines Bildes gefaßt werden, das trotz aller bewunderungswürdigen Schilderung
der Charaktere seine Wirkung oft mehr dein uns vorgehaltnen Zeitspiegel als
dem dramatischen Aufbau und den künstlerisch herbeigeführten tragischen Höhe¬
punkten verdankt. Wer unparteiisch urteilt, wird sich bewundernden Staunens
nicht erwehren können, wenn er sieht, wie sich der Dichter der Jungfrau, insoweit
er der Geschichte folgen zu können glaubt, keinen Zug entgehn' läßt, der für
das von ihm entwor'fue Bild brauchbar und wirksam sein kaun; ja Schiller geht
in seinein Wunsche, uns für seine Heldin durch die von ihr erreichten großartigen
Erfolge zu begeistern, so weit, daß er die Versöhnung Philipps des Guten von
Burgund mit dem Könige zu ihrem Werke macht, während sie tatsächlich erst
vier Jahre nach ihrem Tode stattgefunden hat. Daß Schiller seine Johanna
für Lionel — wie sie sich ausdrückt, in irdischer Liebe — entbrennen läßt und
ihr Einsetzen über das Erwachen der ebenso zärtlichen als für eine durch einen
Eid gebundne Heldin unstatthaften Gefühle zum Angelpunkt der Katastrophe
macht, obwohl die Geschichte bezeugt, daß ihr diese Gefühle merkwürdigerweise
auch während ihres Hirtenlebens fremd geblieben sind, darf man ihm nicht
verargen: er ging nun einmal von der Ansicht aus, daß eine Heldin, die nicht
an- L?ehe leide und nicht für oder gegen ihre Liebe zu kämpfen habe, auf der
Bühne eine Unmöglichkeit sei; und wenn, wie behauptet wird, der vom Dichter
fingierte Pfeilschuß — die Franzosen bezeichnen einen solchen bei der ersten Be¬
gegnung ins Herz dringenden und da zündenden Strahl als ooux «!v toucll-e —
ein Mißgriff war, so verzeihen wir ihm diesen gern, schon um des entzückenden
Monologs willen: „Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen"; wir
wären, wenn Johannas Herz nicht menschlich zu fühlen gelernt hätte, um das:
Wehe! weh mir! Welche Töne! gekommen, und auch sonst wird die in geistreicher
Weise erfundne Seelenkntastrvphe in dem zur Krönung überleitenden Monologe
mit einer so unnachahmlichen Vollendung auch der lyrischen Form vorgeführt,
daß mau sich gern dem augenblicklichen Genuß zuliebe über die der geschicht¬
lichen Tatsache cmgetane Vergewaltigung hinwegsetzt. Das Gelöbnis, jeden von
ihr im Kampfe überwundnen Engländer zu töten, das die Heldin abgelegt haben
soll, und durch das ihr vom Dichter eine Art von Fanatismus zugeschrieben
wird, der ihr völlig fremd war, ist eine der Bedingungen, deren er zur Herbei¬
führung der von ihm beabsichtigten Katastrophe nicht entbehren konnte, da der
Zuschauer erst durch die verschiedne Behandlung, die sie Montgomery und Lionel
zuteil werden läßt, über ihre Gefühle für diesen zu rechtem Bewußtsein kommt.

Da sich weiterhin, wo wir uns mit Tatsachen beschäftigen wollen, keine
Gelegenheit finden wird, des anmutigen Schäkers zu gedenken, dessen Pueelle
so vielen Staub aufgewirbelt hat, fo mag ihm hier 'ein lustiger Kranz aus
Bvhnenblütcn etwas schief auf den klugen Spötterkvpf gesetzt werden. Eine
Jungfrau, der sei» Vaterland soviel verdankte, zur Heldin eines Epos zu machen,
in dem neben wenig erbaulichen Mönchen, Baeealanreen und Pagen ein unter¬
nehmender Maultiertreiber und ein sehr unheiliger — Esel Hauptrollen spielen,
ist, das muß man freilich zugeben, kein Beweis von feinem Takt und patriotischem
Gefühl, aber dem mit unnachahmlicher Freiheit und Leichtigkeit dahingleitenden
Verse und dem immer wieder zum Lachen verführenden Witz muß man schon


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[0269] Historisch - dramatisches Ligur'nkcibiilM den Gedanken zu finden vermag, der wenn auch nicht dein Wesen der Wissen¬ schaft, so doch dem der Kunst entspricht, daß der Dichter berechtigt ist, sich geschichtlicher Charaktere zu bemächtigen und ihnen Schicksale beizulegen, die sie zwar nicht gehabt haben, deren Vorführung aber dein Effekt und der Abrundung des Ganzen zustatten kommt, wird sich an Schillers Jungfrau ungeteilten Herzens erfreuen können. Das schließt nicht aus — as ZuMbus von 68t clisxutMcwm, wie der Spätlateiner sagt —, daß ein andrer das Verfahren Shakespeares vorzieht und es lieber sieht, wenn die geschichtlichen Tatsachen in der Hauptsache festgehalten und, wenn auch in loserer Weise, in den Nahmen eines Bildes gefaßt werden, das trotz aller bewunderungswürdigen Schilderung der Charaktere seine Wirkung oft mehr dein uns vorgehaltnen Zeitspiegel als dem dramatischen Aufbau und den künstlerisch herbeigeführten tragischen Höhe¬ punkten verdankt. Wer unparteiisch urteilt, wird sich bewundernden Staunens nicht erwehren können, wenn er sieht, wie sich der Dichter der Jungfrau, insoweit er der Geschichte folgen zu können glaubt, keinen Zug entgehn' läßt, der für das von ihm entwor'fue Bild brauchbar und wirksam sein kaun; ja Schiller geht in seinein Wunsche, uns für seine Heldin durch die von ihr erreichten großartigen Erfolge zu begeistern, so weit, daß er die Versöhnung Philipps des Guten von Burgund mit dem Könige zu ihrem Werke macht, während sie tatsächlich erst vier Jahre nach ihrem Tode stattgefunden hat. Daß Schiller seine Johanna für Lionel — wie sie sich ausdrückt, in irdischer Liebe — entbrennen läßt und ihr Einsetzen über das Erwachen der ebenso zärtlichen als für eine durch einen Eid gebundne Heldin unstatthaften Gefühle zum Angelpunkt der Katastrophe macht, obwohl die Geschichte bezeugt, daß ihr diese Gefühle merkwürdigerweise auch während ihres Hirtenlebens fremd geblieben sind, darf man ihm nicht verargen: er ging nun einmal von der Ansicht aus, daß eine Heldin, die nicht an- L?ehe leide und nicht für oder gegen ihre Liebe zu kämpfen habe, auf der Bühne eine Unmöglichkeit sei; und wenn, wie behauptet wird, der vom Dichter fingierte Pfeilschuß — die Franzosen bezeichnen einen solchen bei der ersten Be¬ gegnung ins Herz dringenden und da zündenden Strahl als ooux «!v toucll-e — ein Mißgriff war, so verzeihen wir ihm diesen gern, schon um des entzückenden Monologs willen: „Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen"; wir wären, wenn Johannas Herz nicht menschlich zu fühlen gelernt hätte, um das: Wehe! weh mir! Welche Töne! gekommen, und auch sonst wird die in geistreicher Weise erfundne Seelenkntastrvphe in dem zur Krönung überleitenden Monologe mit einer so unnachahmlichen Vollendung auch der lyrischen Form vorgeführt, daß mau sich gern dem augenblicklichen Genuß zuliebe über die der geschicht¬ lichen Tatsache cmgetane Vergewaltigung hinwegsetzt. Das Gelöbnis, jeden von ihr im Kampfe überwundnen Engländer zu töten, das die Heldin abgelegt haben soll, und durch das ihr vom Dichter eine Art von Fanatismus zugeschrieben wird, der ihr völlig fremd war, ist eine der Bedingungen, deren er zur Herbei¬ führung der von ihm beabsichtigten Katastrophe nicht entbehren konnte, da der Zuschauer erst durch die verschiedne Behandlung, die sie Montgomery und Lionel zuteil werden läßt, über ihre Gefühle für diesen zu rechtem Bewußtsein kommt. Da sich weiterhin, wo wir uns mit Tatsachen beschäftigen wollen, keine Gelegenheit finden wird, des anmutigen Schäkers zu gedenken, dessen Pueelle so vielen Staub aufgewirbelt hat, fo mag ihm hier 'ein lustiger Kranz aus Bvhnenblütcn etwas schief auf den klugen Spötterkvpf gesetzt werden. Eine Jungfrau, der sei» Vaterland soviel verdankte, zur Heldin eines Epos zu machen, in dem neben wenig erbaulichen Mönchen, Baeealanreen und Pagen ein unter¬ nehmender Maultiertreiber und ein sehr unheiliger — Esel Hauptrollen spielen, ist, das muß man freilich zugeben, kein Beweis von feinem Takt und patriotischem Gefühl, aber dem mit unnachahmlicher Freiheit und Leichtigkeit dahingleitenden Verse und dem immer wieder zum Lachen verführenden Witz muß man schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/269>, abgerufen am 15.01.2025.