Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen Würden sie sich um sie schließen, würden sie sie ein sich ziehn, ihr das Leben Jetzt legte der Dampfer bei einer kleinen Stadt an. Der Kapitän erzählte, hier sei Anders Fryxell, der Dichter und Historiker, der Ja, hier mußte man dichten, träumen und -- sterben können! Hier mußte Und jetzt glitt das Schiff nach dem andern Ufer hinüber. Hier war geliebt und geträumt, gelitten und gelebt, geschwärmt und gehandelt, Jetzt fuhr man in einen größern See. Höhere Berge mit unendlichen Wäldern Helene sog mit Augen und Ohren alles um sich her ein. Sie wollte so gern Sie war ja fröhlich! Denn sie hatte allen Grund dazu. Wer hatte wie sie Großmütter pflegten Märchen zu erzählen; aber diese Großmutter dichtete sie Wäre sie jetzt hier gewesen -- und die kleine Anna! Nie hatte es Helene Jütland hatte sie enttäuscht! Sie hatte gedacht, dort lägen goldne Berge für Sollte sie, was sie gesucht hatte, hier finden? Würden ihr die Wälder Värm¬ Sie selber mußte das Gold gewinnen, das für sie schimmern sollte. In dem Arbeit stand ihr bevor -- aber was für welche? Das schmutzige Wasser hatte sie ausgeschüttet. Wo aber war der reine, Eins nahm sie sich fest vor. sie wollte nicht nach Dänemark zurückkehren, ehe Sie war das freieste Mädchen auf der Welt. Ja, das war sie! Die Ärmsten, die sich wegen der Launen der Männer abmühten! Sie wollte Und mit diesem kräftigen Entschluß, den sie während der letzten Monate so Da sagte der Kapitän: Jetzt können wir den Ort sehen! Und er zeigte ihr Junge Herzen Würden sie sich um sie schließen, würden sie sie ein sich ziehn, ihr das Leben Jetzt legte der Dampfer bei einer kleinen Stadt an. Der Kapitän erzählte, hier sei Anders Fryxell, der Dichter und Historiker, der Ja, hier mußte man dichten, träumen und — sterben können! Hier mußte Und jetzt glitt das Schiff nach dem andern Ufer hinüber. Hier war geliebt und geträumt, gelitten und gelebt, geschwärmt und gehandelt, Jetzt fuhr man in einen größern See. Höhere Berge mit unendlichen Wäldern Helene sog mit Augen und Ohren alles um sich her ein. Sie wollte so gern Sie war ja fröhlich! Denn sie hatte allen Grund dazu. Wer hatte wie sie Großmütter pflegten Märchen zu erzählen; aber diese Großmutter dichtete sie Wäre sie jetzt hier gewesen — und die kleine Anna! Nie hatte es Helene Jütland hatte sie enttäuscht! Sie hatte gedacht, dort lägen goldne Berge für Sollte sie, was sie gesucht hatte, hier finden? Würden ihr die Wälder Värm¬ Sie selber mußte das Gold gewinnen, das für sie schimmern sollte. In dem Arbeit stand ihr bevor — aber was für welche? Das schmutzige Wasser hatte sie ausgeschüttet. Wo aber war der reine, Eins nahm sie sich fest vor. sie wollte nicht nach Dänemark zurückkehren, ehe Sie war das freieste Mädchen auf der Welt. Ja, das war sie! Die Ärmsten, die sich wegen der Launen der Männer abmühten! Sie wollte Und mit diesem kräftigen Entschluß, den sie während der letzten Monate so Da sagte der Kapitän: Jetzt können wir den Ort sehen! Und er zeigte ihr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296237"/> <fw type="header" place="top"> Junge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1333"> Würden sie sich um sie schließen, würden sie sie ein sich ziehn, ihr das Leben<lb/> nehmen? ... Und doch waren sie es ja, nach denen sie sich eben noch gesehnt<lb/> hatte. Und eben in den großen Wäldern Värmlcmds wohnte ja die Freundin, die<lb/> sie gerufen hatte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1334"> Jetzt legte der Dampfer bei einer kleinen Stadt an.</p><lb/> <p xml:id="ID_1335"> Der Kapitän erzählte, hier sei Anders Fryxell, der Dichter und Historiker, der<lb/> das Lied: „Varnland, du Schöne!" gedichtet habe, als Pfarrer gestorben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1336"> Ja, hier mußte man dichten, träumen und — sterben können! Hier mußte<lb/> Friede sein, hier zwischen den Weißen Birken, die wie glitzernde silberne Säulen<lb/> in der großen Kirche der Natur schimmerten!</p><lb/> <p xml:id="ID_1337"> Und jetzt glitt das Schiff nach dem andern Ufer hinüber.</p><lb/> <p xml:id="ID_1338"> Hier war geliebt und geträumt, gelitten und gelebt, geschwärmt und gehandelt,<lb/> gejubelt und gesungen worden, sodaß es in den großen Wäldern der Dichtung<lb/> widerhallte. Von dem Weißen Schloß dort oben waren die Lieder wie große,<lb/> stolze Vögel über Land und Meer geflogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1339"> Jetzt fuhr man in einen größern See. Höhere Berge mit unendlichen Wäldern<lb/> zu beiden Seiten. Die Felder wurden seltner, und die Häuser lagen vereinzelter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1340"> Helene sog mit Augen und Ohren alles um sich her ein. Sie wollte so gern<lb/> fröhlich sein. In, sie mußte fröhlich sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1341"> Sie war ja fröhlich! Denn sie hatte allen Grund dazu. Wer hatte wie sie<lb/> eine Großmutter, die einen aus der naßkalten Nebelwelt der Wirklichkeit in die<lb/> sonnenbeschienenen Lande des Märchens hinaussandte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1342"> Großmütter pflegten Märchen zu erzählen; aber diese Großmutter dichtete sie<lb/> selbst, ja noch mehr, sie verwirklichte sie vor unsern eignen Augen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1343"> Wäre sie jetzt hier gewesen — und die kleine Anna! Nie hatte es Helene<lb/> so empfunden, daß sie unter Fremden und in einer fremden Natur war, wie jetzt,<lb/> wo sie zwischen den mächtigen Wäldern dahinglitt. Und wenn auch die Freundin<lb/> mit offnen Armen dastand! Sie konnte ja doch nicht ihr ganzes Leben dort bleiben!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1344"> Jütland hatte sie enttäuscht! Sie hatte gedacht, dort lägen goldne Berge für<lb/> sie bereit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1345"> Sollte sie, was sie gesucht hatte, hier finden? Würden ihr die Wälder Värm¬<lb/> lcmds Glück bringen? Was bargen sie in ihrer duftenden Tiefe, wo die Wasser¬<lb/> rose auf den blanken Fluten lag, und der Gießbach Botschaft aus der Tiefe des<lb/> Elfenlandes brachte?</p><lb/> <p xml:id="ID_1346"> Sie selber mußte das Gold gewinnen, das für sie schimmern sollte. In dem<lb/> harten Felsen der Wirklichkeit mußte sie nach den goldnen Erzadern suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1347"> Arbeit stand ihr bevor — aber was für welche?</p><lb/> <p xml:id="ID_1348"> Das schmutzige Wasser hatte sie ausgeschüttet. Wo aber war der reine,<lb/> rinnende Born, wo waren die Quellen, die den goldnen Sand des Glückes ent¬<lb/> hielten? Würde sie die hier in den großen Wäldern finden, die sie ringsumher<lb/> begrüßten?</p><lb/> <p xml:id="ID_1349"> Eins nahm sie sich fest vor. sie wollte nicht nach Dänemark zurückkehren, ehe<lb/> sie sich selbst und einen Beruf gefunden hätte. Und sie war ja glücklicher als viele,<lb/> die der schimmernden, zerplatzenden Blase nachrannten, die sich Liebe nannte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1350"> Sie war das freieste Mädchen auf der Welt. Ja, das war sie!</p><lb/> <p xml:id="ID_1351"> Die Ärmsten, die sich wegen der Launen der Männer abmühten! Sie wollte<lb/> ihnen etwas andres zeigen — daß man diese völlig entbehren konnte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1352"> Und mit diesem kräftigen Entschluß, den sie während der letzten Monate so<lb/> ziemlich jeden Tag gefaßt hatte, ging sie mit kräftigen Schritten auf dem Deck auf<lb/> und nieder.</p><lb/> <p xml:id="ID_1353"> Da sagte der Kapitän: Jetzt können wir den Ort sehen! Und er zeigte ihr<lb/> in der Ferne oben auf den bewaldeten Bergen eine hochaufragende Kirche.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
Junge Herzen
Würden sie sich um sie schließen, würden sie sie ein sich ziehn, ihr das Leben
nehmen? ... Und doch waren sie es ja, nach denen sie sich eben noch gesehnt
hatte. Und eben in den großen Wäldern Värmlcmds wohnte ja die Freundin, die
sie gerufen hatte!
Jetzt legte der Dampfer bei einer kleinen Stadt an.
Der Kapitän erzählte, hier sei Anders Fryxell, der Dichter und Historiker, der
das Lied: „Varnland, du Schöne!" gedichtet habe, als Pfarrer gestorben.
Ja, hier mußte man dichten, träumen und — sterben können! Hier mußte
Friede sein, hier zwischen den Weißen Birken, die wie glitzernde silberne Säulen
in der großen Kirche der Natur schimmerten!
Und jetzt glitt das Schiff nach dem andern Ufer hinüber.
Hier war geliebt und geträumt, gelitten und gelebt, geschwärmt und gehandelt,
gejubelt und gesungen worden, sodaß es in den großen Wäldern der Dichtung
widerhallte. Von dem Weißen Schloß dort oben waren die Lieder wie große,
stolze Vögel über Land und Meer geflogen.
Jetzt fuhr man in einen größern See. Höhere Berge mit unendlichen Wäldern
zu beiden Seiten. Die Felder wurden seltner, und die Häuser lagen vereinzelter.
Helene sog mit Augen und Ohren alles um sich her ein. Sie wollte so gern
fröhlich sein. In, sie mußte fröhlich sein.
Sie war ja fröhlich! Denn sie hatte allen Grund dazu. Wer hatte wie sie
eine Großmutter, die einen aus der naßkalten Nebelwelt der Wirklichkeit in die
sonnenbeschienenen Lande des Märchens hinaussandte!
Großmütter pflegten Märchen zu erzählen; aber diese Großmutter dichtete sie
selbst, ja noch mehr, sie verwirklichte sie vor unsern eignen Augen.
Wäre sie jetzt hier gewesen — und die kleine Anna! Nie hatte es Helene
so empfunden, daß sie unter Fremden und in einer fremden Natur war, wie jetzt,
wo sie zwischen den mächtigen Wäldern dahinglitt. Und wenn auch die Freundin
mit offnen Armen dastand! Sie konnte ja doch nicht ihr ganzes Leben dort bleiben!
Jütland hatte sie enttäuscht! Sie hatte gedacht, dort lägen goldne Berge für
sie bereit.
Sollte sie, was sie gesucht hatte, hier finden? Würden ihr die Wälder Värm¬
lcmds Glück bringen? Was bargen sie in ihrer duftenden Tiefe, wo die Wasser¬
rose auf den blanken Fluten lag, und der Gießbach Botschaft aus der Tiefe des
Elfenlandes brachte?
Sie selber mußte das Gold gewinnen, das für sie schimmern sollte. In dem
harten Felsen der Wirklichkeit mußte sie nach den goldnen Erzadern suchen.
Arbeit stand ihr bevor — aber was für welche?
Das schmutzige Wasser hatte sie ausgeschüttet. Wo aber war der reine,
rinnende Born, wo waren die Quellen, die den goldnen Sand des Glückes ent¬
hielten? Würde sie die hier in den großen Wäldern finden, die sie ringsumher
begrüßten?
Eins nahm sie sich fest vor. sie wollte nicht nach Dänemark zurückkehren, ehe
sie sich selbst und einen Beruf gefunden hätte. Und sie war ja glücklicher als viele,
die der schimmernden, zerplatzenden Blase nachrannten, die sich Liebe nannte.
Sie war das freieste Mädchen auf der Welt. Ja, das war sie!
Die Ärmsten, die sich wegen der Launen der Männer abmühten! Sie wollte
ihnen etwas andres zeigen — daß man diese völlig entbehren konnte!
Und mit diesem kräftigen Entschluß, den sie während der letzten Monate so
ziemlich jeden Tag gefaßt hatte, ging sie mit kräftigen Schritten auf dem Deck auf
und nieder.
Da sagte der Kapitän: Jetzt können wir den Ort sehen! Und er zeigte ihr
in der Ferne oben auf den bewaldeten Bergen eine hochaufragende Kirche.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |