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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Arier Kunden, Komödianten und wilden-Tieren

Aras und einige Kasten mit Affen. Die Musikkapelle wurde durch eine Drehorgel er¬
setzt. Ich reiste sogleich nach Düsseldorf zurück, holte meinen Koffer und trat meinen
Dienst an. Der Besitzer war lahm und hatte eine Frau sowie viele Kinder; einer
seiner Söhne machte die Dressur, ging aber zu meinem Entsetzen in Hemdärmeln
in den Käfig. Ich bekam zwei Wagen zugewiesen, schlief auf dem dritte" Platz
i" einem sehr primitiven Bett, erhielt mäßig zu essen und wenig Lohn. Mein
neuer Prinzipal war ein vom Schicksal verfolgter Mann. Er hatte im Jahre 1884
in Mecklenburg eine tragende Löwin auf eine ganz eigentümliche Weise verloren.
Während der Reise war dort die Deichsel eines seiner Wagen von hinten in den
Löwenwagen hineingefahren und hatte die Tür zertrümmert. Durch die Öffnung
war die Löwin entkommen, hatte sich etwa noch eine Stunde lang in der Nähe
der Menageriewagen aufgehalten und war, da sich niemand getraut hatte, sie ein-
zufangen, schließlich in einen Wald entwichen. Das Gerücht von ihrer Flucht ver¬
breitete sich mit Windeseile, und es wurde Militär requiriert, das den Wald um¬
stellte und die Löwin erschoß. Einige Jahre später, als die Menagerie in Oberhcmseu
war, und mit dem Aufbau der Bude begonnen werden sollte, hatte der Königs¬
tiger, der erst vierzehn Tage vorher angekommen war, den Boden seines Käfigs
durchgekratzt und sich in einer benachbarten Baumschule aufgehalten. Dann war
er bei Anbruch der Nacht in einen Schweinestall geschlüpft, und hier hätte er mit
Hilfe eines Umsatzknstens leicht wieder eingefangen werden können, wenn sich nicht
die Ortsbehörde ins Mittel gelegt hätte. Sie duldete nämlich nicht, daß sich die
Angestellten der Menagerie dem Stalle näherten, sondern stellte vier Gendarmen
mit geladner Gewehren vor der Stalltür auf, die das Tier, wenn es wieder
herauskäme, erschießen sollten. Als sich der Tiger zeigte, gaben die Gendarmen
Feuer, aber das Unglück wollte, daß nicht nur der Tiger, sondern auch einer der
Schützen eine tödliche Kugel erhielt, was um sich bedauerlich war, aber sür Weltalter
noch ganz besonders schlimme Folgen hatte. Die Menagerie wurde mit Beschlag
belegt, durfte Oberhnusen nicht verlassen, aber auch keine Vorstellungen geben. Der
Besitzer sowie der damalige Geschäftsführer, ein Jude, erklärten, daß sie unter
diesen Verhältnissen nicht bestehn könnten, und machten der Gemeinde den Vorschlag,
sie sollte die Menagerie übernehmen. Dazu hatte diese freilich keine Lust, und so
waren die Einwohner genötigt, die Raubtiere aus eigne Rechnung zu unterhalten,
bis die Menagerie wieder freigegeben wurde. Die Leute brachten nun täglich,
was sie an einigermaßen entbehrlichen Vieh hatten, der eine eine Ziege, der andre
ein Schaf, der dritte ein Kalb. Währenddessen stellte Weidauer den toten Tiger
auf einem Paradebett zur Schau aus und machte dabei eine glänzende Einnahme,
da die Bevölkerung aus der ganzen Umgegend herbeiströmte, um das tote Tier zu
sehen, das solches Unheil angerichtet hatte. Es entspann sich nun ein langer Prozeß
wegen der Entschädigung der Hinterbliebnen des toten Gendarmen, aber das Gericht
entschied schließlich zugunsten des Menageriebesitzers, der mit vollem Recht erklärte,
daß er ohne das Eingreifen der Behörde den Tiger wieder eingefangen haben
würde, und daß er den Schuß, der den Gendarm tötete, nicht verschuldet habe und
deshalb für die Folgen auch nicht aufkommen könne. Bei den Verhandlungen dieses
Prozesses trat der jüdische Geschäftsführer mit großem Eifer für das Interesse seines
Herrn ein, und dieser glaubte ihm uicht zum wenigsten den glücklichen Ausgang
der Sache verdanken zu müssen.

Um die Zugkraft unsrer Vorstellung noch zu erhöhen, bedienten wir uns um
letzten Sonnabend unsers Aufenthalts eines besondern Tricks. Wir engagierten
einen stadtbekannten Dienstmann und machten bekannt, daß dieser bei der Abend¬
vorstellung in Begleitung des Tierbändigers den Löwenkäfig betreten würde. Bei
der Parade stand der Held des Tages mit an der Kasse, schaute vergnügt schmunzelnd
in das Publikum und betrat, als die Vorstellung begann, die Bude. Als die Nummer
an die Reihe kam, in der er auftreten mußte, erschien ein Schutzmann, der mit dem
Explikateur einige Worte wechselte, worauf dieser ein höchst verlegnes Gesicht machte


Arier Kunden, Komödianten und wilden-Tieren

Aras und einige Kasten mit Affen. Die Musikkapelle wurde durch eine Drehorgel er¬
setzt. Ich reiste sogleich nach Düsseldorf zurück, holte meinen Koffer und trat meinen
Dienst an. Der Besitzer war lahm und hatte eine Frau sowie viele Kinder; einer
seiner Söhne machte die Dressur, ging aber zu meinem Entsetzen in Hemdärmeln
in den Käfig. Ich bekam zwei Wagen zugewiesen, schlief auf dem dritte» Platz
i» einem sehr primitiven Bett, erhielt mäßig zu essen und wenig Lohn. Mein
neuer Prinzipal war ein vom Schicksal verfolgter Mann. Er hatte im Jahre 1884
in Mecklenburg eine tragende Löwin auf eine ganz eigentümliche Weise verloren.
Während der Reise war dort die Deichsel eines seiner Wagen von hinten in den
Löwenwagen hineingefahren und hatte die Tür zertrümmert. Durch die Öffnung
war die Löwin entkommen, hatte sich etwa noch eine Stunde lang in der Nähe
der Menageriewagen aufgehalten und war, da sich niemand getraut hatte, sie ein-
zufangen, schließlich in einen Wald entwichen. Das Gerücht von ihrer Flucht ver¬
breitete sich mit Windeseile, und es wurde Militär requiriert, das den Wald um¬
stellte und die Löwin erschoß. Einige Jahre später, als die Menagerie in Oberhcmseu
war, und mit dem Aufbau der Bude begonnen werden sollte, hatte der Königs¬
tiger, der erst vierzehn Tage vorher angekommen war, den Boden seines Käfigs
durchgekratzt und sich in einer benachbarten Baumschule aufgehalten. Dann war
er bei Anbruch der Nacht in einen Schweinestall geschlüpft, und hier hätte er mit
Hilfe eines Umsatzknstens leicht wieder eingefangen werden können, wenn sich nicht
die Ortsbehörde ins Mittel gelegt hätte. Sie duldete nämlich nicht, daß sich die
Angestellten der Menagerie dem Stalle näherten, sondern stellte vier Gendarmen
mit geladner Gewehren vor der Stalltür auf, die das Tier, wenn es wieder
herauskäme, erschießen sollten. Als sich der Tiger zeigte, gaben die Gendarmen
Feuer, aber das Unglück wollte, daß nicht nur der Tiger, sondern auch einer der
Schützen eine tödliche Kugel erhielt, was um sich bedauerlich war, aber sür Weltalter
noch ganz besonders schlimme Folgen hatte. Die Menagerie wurde mit Beschlag
belegt, durfte Oberhnusen nicht verlassen, aber auch keine Vorstellungen geben. Der
Besitzer sowie der damalige Geschäftsführer, ein Jude, erklärten, daß sie unter
diesen Verhältnissen nicht bestehn könnten, und machten der Gemeinde den Vorschlag,
sie sollte die Menagerie übernehmen. Dazu hatte diese freilich keine Lust, und so
waren die Einwohner genötigt, die Raubtiere aus eigne Rechnung zu unterhalten,
bis die Menagerie wieder freigegeben wurde. Die Leute brachten nun täglich,
was sie an einigermaßen entbehrlichen Vieh hatten, der eine eine Ziege, der andre
ein Schaf, der dritte ein Kalb. Währenddessen stellte Weidauer den toten Tiger
auf einem Paradebett zur Schau aus und machte dabei eine glänzende Einnahme,
da die Bevölkerung aus der ganzen Umgegend herbeiströmte, um das tote Tier zu
sehen, das solches Unheil angerichtet hatte. Es entspann sich nun ein langer Prozeß
wegen der Entschädigung der Hinterbliebnen des toten Gendarmen, aber das Gericht
entschied schließlich zugunsten des Menageriebesitzers, der mit vollem Recht erklärte,
daß er ohne das Eingreifen der Behörde den Tiger wieder eingefangen haben
würde, und daß er den Schuß, der den Gendarm tötete, nicht verschuldet habe und
deshalb für die Folgen auch nicht aufkommen könne. Bei den Verhandlungen dieses
Prozesses trat der jüdische Geschäftsführer mit großem Eifer für das Interesse seines
Herrn ein, und dieser glaubte ihm uicht zum wenigsten den glücklichen Ausgang
der Sache verdanken zu müssen.

Um die Zugkraft unsrer Vorstellung noch zu erhöhen, bedienten wir uns um
letzten Sonnabend unsers Aufenthalts eines besondern Tricks. Wir engagierten
einen stadtbekannten Dienstmann und machten bekannt, daß dieser bei der Abend¬
vorstellung in Begleitung des Tierbändigers den Löwenkäfig betreten würde. Bei
der Parade stand der Held des Tages mit an der Kasse, schaute vergnügt schmunzelnd
in das Publikum und betrat, als die Vorstellung begann, die Bude. Als die Nummer
an die Reihe kam, in der er auftreten mußte, erschien ein Schutzmann, der mit dem
Explikateur einige Worte wechselte, worauf dieser ein höchst verlegnes Gesicht machte


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[0214] Arier Kunden, Komödianten und wilden-Tieren Aras und einige Kasten mit Affen. Die Musikkapelle wurde durch eine Drehorgel er¬ setzt. Ich reiste sogleich nach Düsseldorf zurück, holte meinen Koffer und trat meinen Dienst an. Der Besitzer war lahm und hatte eine Frau sowie viele Kinder; einer seiner Söhne machte die Dressur, ging aber zu meinem Entsetzen in Hemdärmeln in den Käfig. Ich bekam zwei Wagen zugewiesen, schlief auf dem dritte» Platz i» einem sehr primitiven Bett, erhielt mäßig zu essen und wenig Lohn. Mein neuer Prinzipal war ein vom Schicksal verfolgter Mann. Er hatte im Jahre 1884 in Mecklenburg eine tragende Löwin auf eine ganz eigentümliche Weise verloren. Während der Reise war dort die Deichsel eines seiner Wagen von hinten in den Löwenwagen hineingefahren und hatte die Tür zertrümmert. Durch die Öffnung war die Löwin entkommen, hatte sich etwa noch eine Stunde lang in der Nähe der Menageriewagen aufgehalten und war, da sich niemand getraut hatte, sie ein- zufangen, schließlich in einen Wald entwichen. Das Gerücht von ihrer Flucht ver¬ breitete sich mit Windeseile, und es wurde Militär requiriert, das den Wald um¬ stellte und die Löwin erschoß. Einige Jahre später, als die Menagerie in Oberhcmseu war, und mit dem Aufbau der Bude begonnen werden sollte, hatte der Königs¬ tiger, der erst vierzehn Tage vorher angekommen war, den Boden seines Käfigs durchgekratzt und sich in einer benachbarten Baumschule aufgehalten. Dann war er bei Anbruch der Nacht in einen Schweinestall geschlüpft, und hier hätte er mit Hilfe eines Umsatzknstens leicht wieder eingefangen werden können, wenn sich nicht die Ortsbehörde ins Mittel gelegt hätte. Sie duldete nämlich nicht, daß sich die Angestellten der Menagerie dem Stalle näherten, sondern stellte vier Gendarmen mit geladner Gewehren vor der Stalltür auf, die das Tier, wenn es wieder herauskäme, erschießen sollten. Als sich der Tiger zeigte, gaben die Gendarmen Feuer, aber das Unglück wollte, daß nicht nur der Tiger, sondern auch einer der Schützen eine tödliche Kugel erhielt, was um sich bedauerlich war, aber sür Weltalter noch ganz besonders schlimme Folgen hatte. Die Menagerie wurde mit Beschlag belegt, durfte Oberhnusen nicht verlassen, aber auch keine Vorstellungen geben. Der Besitzer sowie der damalige Geschäftsführer, ein Jude, erklärten, daß sie unter diesen Verhältnissen nicht bestehn könnten, und machten der Gemeinde den Vorschlag, sie sollte die Menagerie übernehmen. Dazu hatte diese freilich keine Lust, und so waren die Einwohner genötigt, die Raubtiere aus eigne Rechnung zu unterhalten, bis die Menagerie wieder freigegeben wurde. Die Leute brachten nun täglich, was sie an einigermaßen entbehrlichen Vieh hatten, der eine eine Ziege, der andre ein Schaf, der dritte ein Kalb. Währenddessen stellte Weidauer den toten Tiger auf einem Paradebett zur Schau aus und machte dabei eine glänzende Einnahme, da die Bevölkerung aus der ganzen Umgegend herbeiströmte, um das tote Tier zu sehen, das solches Unheil angerichtet hatte. Es entspann sich nun ein langer Prozeß wegen der Entschädigung der Hinterbliebnen des toten Gendarmen, aber das Gericht entschied schließlich zugunsten des Menageriebesitzers, der mit vollem Recht erklärte, daß er ohne das Eingreifen der Behörde den Tiger wieder eingefangen haben würde, und daß er den Schuß, der den Gendarm tötete, nicht verschuldet habe und deshalb für die Folgen auch nicht aufkommen könne. Bei den Verhandlungen dieses Prozesses trat der jüdische Geschäftsführer mit großem Eifer für das Interesse seines Herrn ein, und dieser glaubte ihm uicht zum wenigsten den glücklichen Ausgang der Sache verdanken zu müssen. Um die Zugkraft unsrer Vorstellung noch zu erhöhen, bedienten wir uns um letzten Sonnabend unsers Aufenthalts eines besondern Tricks. Wir engagierten einen stadtbekannten Dienstmann und machten bekannt, daß dieser bei der Abend¬ vorstellung in Begleitung des Tierbändigers den Löwenkäfig betreten würde. Bei der Parade stand der Held des Tages mit an der Kasse, schaute vergnügt schmunzelnd in das Publikum und betrat, als die Vorstellung begann, die Bude. Als die Nummer an die Reihe kam, in der er auftreten mußte, erschien ein Schutzmann, der mit dem Explikateur einige Worte wechselte, worauf dieser ein höchst verlegnes Gesicht machte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/214>, abgerufen am 16.01.2025.