Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten Art der lebenden gelernt werden müßten, und daß die Erlernung der ältern Im Gegensatz zu seinen beiden ältern Brüdern, die sechs Jahre lang (von Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten Art der lebenden gelernt werden müßten, und daß die Erlernung der ältern Im Gegensatz zu seinen beiden ältern Brüdern, die sechs Jahre lang (von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296215"/> <fw type="header" place="top"> Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1168" prev="#ID_1167"> Art der lebenden gelernt werden müßten, und daß die Erlernung der ältern<lb/> Sprachen der der neuern vorausgehn müsse, also mit Hebräisch anzufangen,<lb/> dann Griechisch, dann Lateinisch und dann erst Französisch zu treiben sei. Im<lb/> übrigen war der tägliche Unterricht nach dem Gebrauch der damaligen Zeit<lb/> durch schriftliche Instruktionen, die von der Herzogin selbst entworfen worden<lb/> waren, auf das strengste geregelt, die Zeit des Aufstehns (im Sommer um<lb/> sechs, im Winter um sieben Uhr), des Niederlegers (um neun Uhr), die<lb/> Unterrichtsstunden, die Leibesübungen genau festgesetzt. Einen großen Raum<lb/> nahmen die Unterweisung im Glauben und die religiösen Übungen ein. Beim<lb/> Ankleiden wurde ein Gebet aus dem Avenarius vorgelesen, dann der Morgen-<lb/> segen gesprochen, an den sich eine Reihe weiterer Gebete und ein Stück aus<lb/> der Hauspostille anschloß. Die Prinzen mußten allen öffentlichen Gottesdiensten<lb/> und Andachtsstunden beiwohnen, wurden für sie besonders vorbereitet und nachher<lb/> darüber examiniert. Nachmittags wurde ein Kapitel der Bibel gelesen, ebenso<lb/> gegen Abend. Vor dem Zubettgchu mußten die Prinzen den Abendsegen, sechs<lb/> Hauptstücke des von dem Superintendenten Lang eigens für sie verfaßten<lb/> Katechismus und eine längere Reihe einzeln bestimmter Gebete aufsagen.<lb/> Großer Wert wurde auf die Aneignung des Wortlauts der Bibel, des<lb/> Katechismus, der Augsburgischen Konfession und der Konkordienformel gelegt.<lb/> In einem halben Jahre hatten die Prinzen neunzig Psalmen auswendig lernen<lb/> müssen. Im übrigen wurden sie in Latein, Französisch, Erdkunde, Geschichte,<lb/> Mathematik, Staatsrecht und Musik unterrichtet. Als Leibesübungen wurden<lb/> Reiten, Fahren, Fechten, Armbrustschießen, Tanzen und Ballspiel betrieben.<lb/> Die Erholungsstunden wurden mit zur Erlernung von Handfertigkeiten ver¬<lb/> wandt. So war Herzog Wilhelm ein sehr geschickter Drechsler, und er soll<lb/> durch diese Geschicklichkeit als Gefangner das Wohlwollen der Kaiserin und<lb/> damit eine wesentliche Erleichterung der Gefangenschaft erlangt haben. All¬<lb/> jährlich wurden zwei feierliche Prüfungen in Gegenwart der Herzogin und<lb/> einiger ihrer Räte abgehalten. Der Stundenplan war so reichhaltig, daß der<lb/> Kurfürst Christian der Zweite von Sachsen, der Vormund der Prinzen, seine<lb/> Bedenken wegen deren Überbürdung nicht zu unterdrücken vermochte, und dabei<lb/> doch wieder so starr und beengt, daß Herzog Ernst in reifern Jahren oft in<lb/> Klagen über die Hindernisse ausbrach, die seinem Streben nach Vertiefung und<lb/> selbständiger Arbeit entgegengesetzt worden wären. Und die spätere Entwicklung<lb/> des Prinzen Johann Friedrich zeigt, wie wenig der Schulzwang über die dem<lb/> Menschen angebornen Anlagen vermag, und wie eine allzu strenge Einengung<lb/> bei selbständigen oder gar widersetzlichen Naturen gerade zu dem Gegenteil des<lb/> Zieles führen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1169" next="#ID_1170"> Im Gegensatz zu seinen beiden ältern Brüdern, die sechs Jahre lang (von<lb/> 1608 bis 1614) in Jena studierten, und von denen Prinz Johann Ernst<lb/> während dieser Zeit die Ehrenstelluug des Rsotor MÄAmLogntissimus der<lb/> Landesuniversität innehatte, wurde den Prinzen Johann Friedrich und Albrecht<lb/> keine akademische Ausbildung zuteil. Wohl aber unternahmen sie, nachdem ihr<lb/> ältester Bruder nach der Volljährigkeit 1615 die Regierung angetreten hatte,<lb/> und ihre Mutter am 18. IM 1617 infolge eines Sturzes mit dem Pferde in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten
Art der lebenden gelernt werden müßten, und daß die Erlernung der ältern
Sprachen der der neuern vorausgehn müsse, also mit Hebräisch anzufangen,
dann Griechisch, dann Lateinisch und dann erst Französisch zu treiben sei. Im
übrigen war der tägliche Unterricht nach dem Gebrauch der damaligen Zeit
durch schriftliche Instruktionen, die von der Herzogin selbst entworfen worden
waren, auf das strengste geregelt, die Zeit des Aufstehns (im Sommer um
sechs, im Winter um sieben Uhr), des Niederlegers (um neun Uhr), die
Unterrichtsstunden, die Leibesübungen genau festgesetzt. Einen großen Raum
nahmen die Unterweisung im Glauben und die religiösen Übungen ein. Beim
Ankleiden wurde ein Gebet aus dem Avenarius vorgelesen, dann der Morgen-
segen gesprochen, an den sich eine Reihe weiterer Gebete und ein Stück aus
der Hauspostille anschloß. Die Prinzen mußten allen öffentlichen Gottesdiensten
und Andachtsstunden beiwohnen, wurden für sie besonders vorbereitet und nachher
darüber examiniert. Nachmittags wurde ein Kapitel der Bibel gelesen, ebenso
gegen Abend. Vor dem Zubettgchu mußten die Prinzen den Abendsegen, sechs
Hauptstücke des von dem Superintendenten Lang eigens für sie verfaßten
Katechismus und eine längere Reihe einzeln bestimmter Gebete aufsagen.
Großer Wert wurde auf die Aneignung des Wortlauts der Bibel, des
Katechismus, der Augsburgischen Konfession und der Konkordienformel gelegt.
In einem halben Jahre hatten die Prinzen neunzig Psalmen auswendig lernen
müssen. Im übrigen wurden sie in Latein, Französisch, Erdkunde, Geschichte,
Mathematik, Staatsrecht und Musik unterrichtet. Als Leibesübungen wurden
Reiten, Fahren, Fechten, Armbrustschießen, Tanzen und Ballspiel betrieben.
Die Erholungsstunden wurden mit zur Erlernung von Handfertigkeiten ver¬
wandt. So war Herzog Wilhelm ein sehr geschickter Drechsler, und er soll
durch diese Geschicklichkeit als Gefangner das Wohlwollen der Kaiserin und
damit eine wesentliche Erleichterung der Gefangenschaft erlangt haben. All¬
jährlich wurden zwei feierliche Prüfungen in Gegenwart der Herzogin und
einiger ihrer Räte abgehalten. Der Stundenplan war so reichhaltig, daß der
Kurfürst Christian der Zweite von Sachsen, der Vormund der Prinzen, seine
Bedenken wegen deren Überbürdung nicht zu unterdrücken vermochte, und dabei
doch wieder so starr und beengt, daß Herzog Ernst in reifern Jahren oft in
Klagen über die Hindernisse ausbrach, die seinem Streben nach Vertiefung und
selbständiger Arbeit entgegengesetzt worden wären. Und die spätere Entwicklung
des Prinzen Johann Friedrich zeigt, wie wenig der Schulzwang über die dem
Menschen angebornen Anlagen vermag, und wie eine allzu strenge Einengung
bei selbständigen oder gar widersetzlichen Naturen gerade zu dem Gegenteil des
Zieles führen kann.
Im Gegensatz zu seinen beiden ältern Brüdern, die sechs Jahre lang (von
1608 bis 1614) in Jena studierten, und von denen Prinz Johann Ernst
während dieser Zeit die Ehrenstelluug des Rsotor MÄAmLogntissimus der
Landesuniversität innehatte, wurde den Prinzen Johann Friedrich und Albrecht
keine akademische Ausbildung zuteil. Wohl aber unternahmen sie, nachdem ihr
ältester Bruder nach der Volljährigkeit 1615 die Regierung angetreten hatte,
und ihre Mutter am 18. IM 1617 infolge eines Sturzes mit dem Pferde in
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