Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Ich weiß, daß der sozialistische Revolutionsgedcmkc auch unter deu Be¬ Demnach ist das Interesse der Politik für die Fragen und die Sorgen Ich weiß, daß der sozialistische Revolutionsgedcmkc auch unter deu Be¬ Demnach ist das Interesse der Politik für die Fragen und die Sorgen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296208"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1145"> Ich weiß, daß der sozialistische Revolutionsgedcmkc auch unter deu Be¬<lb/> sitzenden seine Anhänger hat, die das Lob des Mittelstandes mit hochmütigem<lb/> Lächeln als unmoderne Lehre ablehnen, „Gevatter Schneider und Handschuh¬<lb/> macher," Platte Mittelmäßigkeiten der Bürgermoral, Helden des Philistertums —<lb/> das schwebt ihnen auf der Zunge. Aber für das Leben und das Wirken der ganzen<lb/> Nation ist ein leistungsfähiger Mittelstand von der allergrößten Bedeutung.<lb/> Küßt auch der Sonne Strahl zuerst der Berge Gipfel, so wohnt doch die<lb/> eigentliche Fruchtbarkeit in den Tälern. Die Lehrmeister der Nation, die Dichter,<lb/> Philosophen, Künstler, die Pioniere der Technik, des Wissens und des Welt¬<lb/> handels entstammen durchweg dem Mittelstande, und bei der Beurteilung unsrer<lb/> wirtschaftlichen Znstnnde wolle man doch zum Beispiel nicht übersehen, daß<lb/> 1895 noch über 95 Prozent aller gewerblichen Betriebe solche mit weniger als<lb/> zehn Gehilfen waren, daß etwa 94 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe<lb/> nicht über eine Größe von fünfzig Hektar hinausgingen, daß hier also die<lb/> soziale und die wirtschaftliche ssclc-s llmtsrmö des deutschen Volkes steckt. Der<lb/> Mittelstand ist tatsächlich die nationale Energie des Landes. Wir sehen es im<lb/> Polnischen Sprachgebiete Preußens, wo das Aufkommen des polnischen Mittel¬<lb/> standes und das Zurückdrängen des deutschen von allen Kennern der Verhältnisse<lb/> als die schlimmste Sorge und Not des Deutschtums erkannt worden ist. Die<lb/> soziale Bedeutung dieser mittlern Bevölkerungsschicht ist schon genügend ge¬<lb/> priesen. Der Mittelstand verbindet Arm und Reich und verhindert durch sein<lb/> Vorhandensein, daß sich die Gegensätze des Besitzes und des Einkommens über<lb/> die Maßen verschärfen und zu Explosionen der Erbitterung und der Herrsch¬<lb/> sucht treiben. Wie wertvoll für unser Gemeindeleben, für die Selbstverwaltung,<lb/> für das Vereinsleben, für das freiwillige Bildungswesen unsers Volkes gerade<lb/> jene Volksschichten sind, hat ein nicht geringer Kenner, nämlich Miquel, oft<lb/> betont. In der Tat begegnet man im politischen Leben, in der Kommune, in<lb/> den vaterländischen Vereinen höchst selten Vertretern der obersten Schichten,<lb/> sondern immer wieder Mittelstandsvertrctern. Der Franzose sagt: „Es sind<lb/> immer dieselben Leute, die sich totschlagen lassen!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1146" next="#ID_1147"> Demnach ist das Interesse der Politik für die Fragen und die Sorgen<lb/> dieses Standes sehr berechtigt, und ich glaube nicht, daß die Parteien hierin<lb/> leicht zu viel leisten könnten. Mir scheint nur hier und da darin gefehlt zu<lb/> werden, daß man alle Not aus einem Punkte kurieren will, daß man annimmt,<lb/> man habe es bei diesen Fragen mit einem großen, einheitlichen Problem zu<lb/> tun, das man nur auf eine Formel zu bringen brauche, um es begreifen und<lb/> losen zu können. Etwa in dem Stile der Volksbeglücker, die in allen Mi߬<lb/> ständen mir die Wirkung der Entwicklung der Großbetriebe und des Gro߬<lb/> kapitals sehen und durch Bekämpfung dieser Entwicklung dem Kleingewerbe<lb/> helfen wollen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß, wie jedes soziale Problem,<lb/> auch die Mittelstandsfrage ein Komplex von Sorgen mittelständischer Existenzen<lb/> es. Eine Vielzahl von volkswirtschaftlichen und von sozialen Problemen tritt<lb/> uns hier entgegen: Bildungsprobleme, juristische Aufgaben, zoll- und steuer¬<lb/> technische Fragen, Staatshilfe und Selbsthilfe, freiwillige Genossenschaften und<lb/> Zwangsvereinigungen. Die Handwerkersorgen sind ganz andrer Art als die der<lb/> Bauern. Der Landwirt versteht das viele Gerede vom Befähigungsnachweis</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0197]
Ich weiß, daß der sozialistische Revolutionsgedcmkc auch unter deu Be¬
sitzenden seine Anhänger hat, die das Lob des Mittelstandes mit hochmütigem
Lächeln als unmoderne Lehre ablehnen, „Gevatter Schneider und Handschuh¬
macher," Platte Mittelmäßigkeiten der Bürgermoral, Helden des Philistertums —
das schwebt ihnen auf der Zunge. Aber für das Leben und das Wirken der ganzen
Nation ist ein leistungsfähiger Mittelstand von der allergrößten Bedeutung.
Küßt auch der Sonne Strahl zuerst der Berge Gipfel, so wohnt doch die
eigentliche Fruchtbarkeit in den Tälern. Die Lehrmeister der Nation, die Dichter,
Philosophen, Künstler, die Pioniere der Technik, des Wissens und des Welt¬
handels entstammen durchweg dem Mittelstande, und bei der Beurteilung unsrer
wirtschaftlichen Znstnnde wolle man doch zum Beispiel nicht übersehen, daß
1895 noch über 95 Prozent aller gewerblichen Betriebe solche mit weniger als
zehn Gehilfen waren, daß etwa 94 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe
nicht über eine Größe von fünfzig Hektar hinausgingen, daß hier also die
soziale und die wirtschaftliche ssclc-s llmtsrmö des deutschen Volkes steckt. Der
Mittelstand ist tatsächlich die nationale Energie des Landes. Wir sehen es im
Polnischen Sprachgebiete Preußens, wo das Aufkommen des polnischen Mittel¬
standes und das Zurückdrängen des deutschen von allen Kennern der Verhältnisse
als die schlimmste Sorge und Not des Deutschtums erkannt worden ist. Die
soziale Bedeutung dieser mittlern Bevölkerungsschicht ist schon genügend ge¬
priesen. Der Mittelstand verbindet Arm und Reich und verhindert durch sein
Vorhandensein, daß sich die Gegensätze des Besitzes und des Einkommens über
die Maßen verschärfen und zu Explosionen der Erbitterung und der Herrsch¬
sucht treiben. Wie wertvoll für unser Gemeindeleben, für die Selbstverwaltung,
für das Vereinsleben, für das freiwillige Bildungswesen unsers Volkes gerade
jene Volksschichten sind, hat ein nicht geringer Kenner, nämlich Miquel, oft
betont. In der Tat begegnet man im politischen Leben, in der Kommune, in
den vaterländischen Vereinen höchst selten Vertretern der obersten Schichten,
sondern immer wieder Mittelstandsvertrctern. Der Franzose sagt: „Es sind
immer dieselben Leute, die sich totschlagen lassen!"
Demnach ist das Interesse der Politik für die Fragen und die Sorgen
dieses Standes sehr berechtigt, und ich glaube nicht, daß die Parteien hierin
leicht zu viel leisten könnten. Mir scheint nur hier und da darin gefehlt zu
werden, daß man alle Not aus einem Punkte kurieren will, daß man annimmt,
man habe es bei diesen Fragen mit einem großen, einheitlichen Problem zu
tun, das man nur auf eine Formel zu bringen brauche, um es begreifen und
losen zu können. Etwa in dem Stile der Volksbeglücker, die in allen Mi߬
ständen mir die Wirkung der Entwicklung der Großbetriebe und des Gro߬
kapitals sehen und durch Bekämpfung dieser Entwicklung dem Kleingewerbe
helfen wollen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß, wie jedes soziale Problem,
auch die Mittelstandsfrage ein Komplex von Sorgen mittelständischer Existenzen
es. Eine Vielzahl von volkswirtschaftlichen und von sozialen Problemen tritt
uns hier entgegen: Bildungsprobleme, juristische Aufgaben, zoll- und steuer¬
technische Fragen, Staatshilfe und Selbsthilfe, freiwillige Genossenschaften und
Zwangsvereinigungen. Die Handwerkersorgen sind ganz andrer Art als die der
Bauern. Der Landwirt versteht das viele Gerede vom Befähigungsnachweis
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