Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Was ist eigentlich der Mittelstand? liebe Herren Spaniens in den größten Teil des Landes. Nun ein schneller Sprung Wie sieht es in Deutschland aus? Das Einkommen der deutschen Nation Im Königreich Sachsen machten von den Einkommensteuerpflichtigen die Wir sehen keine Abnahme, sondern eine verhältnismäßig gesunde Weiter¬ Was ist eigentlich der Mittelstand? liebe Herren Spaniens in den größten Teil des Landes. Nun ein schneller Sprung Wie sieht es in Deutschland aus? Das Einkommen der deutschen Nation Im Königreich Sachsen machten von den Einkommensteuerpflichtigen die Wir sehen keine Abnahme, sondern eine verhältnismäßig gesunde Weiter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296207"/> <fw type="header" place="top"> Was ist eigentlich der Mittelstand?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1141" prev="#ID_1140"> liebe Herren Spaniens in den größten Teil des Landes. Nun ein schneller Sprung<lb/> zum Dollarlande der Gegenwart. Nach Foville besitzen etwa 17 000 Familien<lb/> die Hälfte des ganzen Vermögens der Vereinigten Staaten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1142"> Wie sieht es in Deutschland aus? Das Einkommen der deutschen Nation<lb/> wurde 1895 auf 24 bis 25 Milliarde« Mark geschützt. Davon kommen auf<lb/> die Arbeiter 10 Milliarden, auf die Beamten, mittlern und kleinen Unternehmer<lb/> ebenfalls 10 Milliarden, und auf die große» Unternehmer 4 Milliarden. An<lb/> dieser Verteilung mag viel auszusetzen sein, aber die Schreckbilder von der<lb/> absoluten Herrschaft der Plutokratie rechtfertigt sie nicht. Außerdem beobachten<lb/> wir seit Jahrzehnten nicht die Verwirklichung der sozialistischen Lehre von der<lb/> Zermahlung des Mittelstandes zwischen den Mühlsteinen des Proletariats und<lb/> der Plutokratie, sondern ein bestündiges Anwachsen der mittelständischen Ein¬<lb/> kommenzahlen, an denen die einseitigen Mittelstandsvernichter und Mittel¬<lb/> standsretter mit demselben Unwillen vorbeigehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1143"> Im Königreich Sachsen machten von den Einkommensteuerpflichtigen die<lb/> mit einem Einkommen von 800 bis 9600 Mark 1879: 23,2, 1894: 33,9 Prozent<lb/> aus, und zwar wuchs hauptsächlich der Anteil der Einkommenstufen von 800 bis<lb/> 3300 Mark. In Preußen hat von 1896 bis 1900 die Zahl der einkommen-<lb/> steuerfreien Personen bedeutend abgenommen, der Prozentsatz der Bevölkerung,<lb/> die die Einkommensteuerklassen von 900 bis 9500 Mark und in der Hauptsache<lb/> den Mittelstand in sich schließt, ist von 1896 bis 1900 von 29,12 auf 32,40<lb/> gestiegen. Einen Niederschlag findet diese Hebung der kleinen und mittlern Ein¬<lb/> kommen in den Sparkassenbüchern, und da können wir feststellen, daß sich von<lb/> 1897 bis 1901 der Bestand der Einlagen der preußischen Sparkassen um<lb/> 1,3 Milliarden gehoben hat. Richtig ist, daß viele Handwerksbetriebe eine<lb/> Betriebskonzentration durchgemacht haben, aber beachtenswert ist hier die starke<lb/> Vermehrung der Mittelbetriebe mit sechs bis zehn Personen und die Aufsaugung<lb/> zahlreicher Alleinbetriebe. In der Landwirtschaft hat sich am stärksten die Gruppe<lb/> der mittelbäuerlichen Betriebe (fünf bis zwanzig Hektar) entwickelt, und im Handel<lb/> (mit Einschluß der Verkehrs-, Gast- und Schenkwirtschaftsgewerbe) nahmen von<lb/> 1882 bis 1895 die Betriebe mit einer bis zehn Personen um mehr als 80 Prozent<lb/> zu. Es liegen hier freilich kurze Beobachtungszeiten vor, und man muß noch<lb/> nach vielen Richtungen hin über die Entwicklungsneignng gründlichere Auf¬<lb/> schlüsse verlangen. Die neue Berufs- und Gewerbezähluug von 1905 sowie<lb/> die von Preußen ausgehende Handwerkeenquete werden wohl einiges weitere<lb/> Material liefern. Soviel geht aber aus den mitgeteilten Angaben hervor, daß das<lb/> Dogma: die obersten Einkommenklassen vermehrten sich rascher als die mittlern<lb/> und die untern, in den letzten zwanzig Jahren Lügen gestraft worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1144"> Wir sehen keine Abnahme, sondern eine verhältnismäßig gesunde Weiter¬<lb/> entwicklung des Mittelstandes, und das dürfen wir für das Gesamtwohl des<lb/> Staates mit Genugtuung feststellen, denn mit dem Versinken der Mittelschichten<lb/> müßte sich in der Tat das sozialistische Staatsideal der Zukunft verwirklichen:<lb/> Anhäufung der Massen an den beiden Polen, des Besitzes an dem einen, der<lb/> proletarisierten Bevölkerung am andern mit dem weitern Erfolg der Expro¬<lb/> priierung der Expropriateure durch den omnipotenten Staat, der Zerschlagung<lb/> des individuellen Lebens, der Herrschaft der allgemeinen Gleichheitskaserne.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
Was ist eigentlich der Mittelstand?
liebe Herren Spaniens in den größten Teil des Landes. Nun ein schneller Sprung
zum Dollarlande der Gegenwart. Nach Foville besitzen etwa 17 000 Familien
die Hälfte des ganzen Vermögens der Vereinigten Staaten.
Wie sieht es in Deutschland aus? Das Einkommen der deutschen Nation
wurde 1895 auf 24 bis 25 Milliarde« Mark geschützt. Davon kommen auf
die Arbeiter 10 Milliarden, auf die Beamten, mittlern und kleinen Unternehmer
ebenfalls 10 Milliarden, und auf die große» Unternehmer 4 Milliarden. An
dieser Verteilung mag viel auszusetzen sein, aber die Schreckbilder von der
absoluten Herrschaft der Plutokratie rechtfertigt sie nicht. Außerdem beobachten
wir seit Jahrzehnten nicht die Verwirklichung der sozialistischen Lehre von der
Zermahlung des Mittelstandes zwischen den Mühlsteinen des Proletariats und
der Plutokratie, sondern ein bestündiges Anwachsen der mittelständischen Ein¬
kommenzahlen, an denen die einseitigen Mittelstandsvernichter und Mittel¬
standsretter mit demselben Unwillen vorbeigehn.
Im Königreich Sachsen machten von den Einkommensteuerpflichtigen die
mit einem Einkommen von 800 bis 9600 Mark 1879: 23,2, 1894: 33,9 Prozent
aus, und zwar wuchs hauptsächlich der Anteil der Einkommenstufen von 800 bis
3300 Mark. In Preußen hat von 1896 bis 1900 die Zahl der einkommen-
steuerfreien Personen bedeutend abgenommen, der Prozentsatz der Bevölkerung,
die die Einkommensteuerklassen von 900 bis 9500 Mark und in der Hauptsache
den Mittelstand in sich schließt, ist von 1896 bis 1900 von 29,12 auf 32,40
gestiegen. Einen Niederschlag findet diese Hebung der kleinen und mittlern Ein¬
kommen in den Sparkassenbüchern, und da können wir feststellen, daß sich von
1897 bis 1901 der Bestand der Einlagen der preußischen Sparkassen um
1,3 Milliarden gehoben hat. Richtig ist, daß viele Handwerksbetriebe eine
Betriebskonzentration durchgemacht haben, aber beachtenswert ist hier die starke
Vermehrung der Mittelbetriebe mit sechs bis zehn Personen und die Aufsaugung
zahlreicher Alleinbetriebe. In der Landwirtschaft hat sich am stärksten die Gruppe
der mittelbäuerlichen Betriebe (fünf bis zwanzig Hektar) entwickelt, und im Handel
(mit Einschluß der Verkehrs-, Gast- und Schenkwirtschaftsgewerbe) nahmen von
1882 bis 1895 die Betriebe mit einer bis zehn Personen um mehr als 80 Prozent
zu. Es liegen hier freilich kurze Beobachtungszeiten vor, und man muß noch
nach vielen Richtungen hin über die Entwicklungsneignng gründlichere Auf¬
schlüsse verlangen. Die neue Berufs- und Gewerbezähluug von 1905 sowie
die von Preußen ausgehende Handwerkeenquete werden wohl einiges weitere
Material liefern. Soviel geht aber aus den mitgeteilten Angaben hervor, daß das
Dogma: die obersten Einkommenklassen vermehrten sich rascher als die mittlern
und die untern, in den letzten zwanzig Jahren Lügen gestraft worden ist.
Wir sehen keine Abnahme, sondern eine verhältnismäßig gesunde Weiter¬
entwicklung des Mittelstandes, und das dürfen wir für das Gesamtwohl des
Staates mit Genugtuung feststellen, denn mit dem Versinken der Mittelschichten
müßte sich in der Tat das sozialistische Staatsideal der Zukunft verwirklichen:
Anhäufung der Massen an den beiden Polen, des Besitzes an dem einen, der
proletarisierten Bevölkerung am andern mit dem weitern Erfolg der Expro¬
priierung der Expropriateure durch den omnipotenten Staat, der Zerschlagung
des individuellen Lebens, der Herrschaft der allgemeinen Gleichheitskaserne.
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