Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Rußlands Kritiker Folgen einer solchen finanziellen Anspannung werden aber getragen werden Der hoffnungslose Pessimismus, mit dem manche Kritiker die russischen Rußlands Kritiker Folgen einer solchen finanziellen Anspannung werden aber getragen werden Der hoffnungslose Pessimismus, mit dem manche Kritiker die russischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296201"/> <fw type="header" place="top"> Rußlands Kritiker</fw><lb/> <p xml:id="ID_1126" prev="#ID_1125"> Folgen einer solchen finanziellen Anspannung werden aber getragen werden<lb/> müssen, denn andernfalls steht für das russische Reich nicht weniger als — alles<lb/> auf dem Spiel. Vor allem würde das Eingeständnis des Zahlungsnnvermögens<lb/> die Großmachtstellung Rußlands auf das ernsteste gefährden. Professor Delbrück<lb/> versichert zwar, daß der Staatsbankrott oder eine willkürliche Zwcmgsreduktiou<lb/> der Zinsverpflichtungen dem politischen Ansehen Rußlands nach außen keinen<lb/> Abbruch tun würde, doch das ist grundfalsch. Sobald die russische Finanz¬<lb/> verwaltung Miene machte, sich ihren Zahlungsverbindlichkeiten auch nur teil¬<lb/> weise zu entzieh«, müßte ein unaufhaltsames Herandrängen der in? Auslande<lb/> untergebrachten Milliarden russischer Papiere zur Einlösung gegen Metall ein¬<lb/> treten. Rußland wäre gar nicht in der Lage, die Papierattacke abzuwehren,<lb/> ohne seine Goldwährung preiszugeben Damit stünden wir aber vor einer Kata¬<lb/> strophe, deren Tragweite über die Folgen einer erzwuugnen Zinsverlürznug weit<lb/> hinausreichte. Jeder Volkswirtschaftsknndige könnte Auskunft geben, eine wie<lb/> unabsehbare Zerrüttung das gesamte Wirtschaftsleben bedroht, wenn ein Land<lb/> auf die Papierwährung zurückzugreifen genötigt ist, nachdem es mit unendlicher<lb/> Mühe die papiernen Geldrepräsentanten endlich abgetan und seiner Währung<lb/> ein festes Metallfundament untergelegt hat. Es läßt sich getrost behaupten,<lb/> daß ein Großstaat wie Rußland gegenwärtig mit entwertetem Papiergeld<lb/> einen europäischen Krieg nicht mehr führen kann. Daß aber die Nötigung<lb/> zum Friedenhalten unter Umständen auch eine große Einbuße an weltpoli¬<lb/> tischer Geltung bedeutet, liegt auf der Hand. Der Staatsbankrott würde<lb/> hiernach den Länderkoloß in unserm Osten mit einem Zusammenbrach nicht<lb/> nur auf finanziellem Gebiet bedrohen. Die russische Regierung wird, indem<lb/> sie sich das alles in entscheidenden Stunde» vorhält, vor Maßnahmen von<lb/> verhängnisvollen Folgen gewiß zurückschrecken, solange noch irgendeine Möglich¬<lb/> keit vorhanden ist, der Finanznot mit andern Mitteln abzuhelfen. In den<lb/> Erwägungen der leitenden Staatsmänner wird immer wieder die Hoffnung<lb/> auf ein langsames Gesunden von den finanziellen Gebresten den Sieg davon¬<lb/> tragen über die Einflüsterungen schlechter und leichtfertiger Ratgeber, kurzen<lb/> Prozeß zu macheu und den niederdrückenden Höcker der auswärtigen Schuld<lb/> einfach operativ zu beseitigen. Die deutschen Gläubiger Rußlands, denen wir<lb/> im übrigen hier keine Ratschläge in Sachen ihrer Knpitalintcressen zu erteilen<lb/> haben, mögen sich auf Grund der hier vorgetragnen Auffassung selbst ihr<lb/> Urteil bilden, ob zu dem von Martin-Delbrück beliebten Bangemachen vor dem<lb/> russischen Staatsbankrott ausreichende Veranlassung vorliegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1127" next="#ID_1128"> Der hoffnungslose Pessimismus, mit dem manche Kritiker die russischen<lb/> Finanzaussichten beurteilen, dürfte nach meinem Dafürhalten schon in einigen<lb/> Jahren in der öffentlichen Meinung ein „überwnndner Standpunkt" sein. Die<lb/> Martin-Delbrücksche Schwarzmalerei wird man späterhin nicht höher einschätzen<lb/> als die derselben Richtung entsprungnen Verkündungen ihres Vordermannes<lb/> Rohrbach, der vor ein paar Jahren das „System" des damaligen Finanz¬<lb/> ministers Witte als den Gipfel einer verkehrten und zerrüttenden Wirtschafts¬<lb/> politik zu brandmarken unternahm. Wir können übrigens in der deutschen wie<lb/> in der russischen Literatur die Prophezeiungen vom Herannahen einer finanziellen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
Rußlands Kritiker
Folgen einer solchen finanziellen Anspannung werden aber getragen werden
müssen, denn andernfalls steht für das russische Reich nicht weniger als — alles
auf dem Spiel. Vor allem würde das Eingeständnis des Zahlungsnnvermögens
die Großmachtstellung Rußlands auf das ernsteste gefährden. Professor Delbrück
versichert zwar, daß der Staatsbankrott oder eine willkürliche Zwcmgsreduktiou
der Zinsverpflichtungen dem politischen Ansehen Rußlands nach außen keinen
Abbruch tun würde, doch das ist grundfalsch. Sobald die russische Finanz¬
verwaltung Miene machte, sich ihren Zahlungsverbindlichkeiten auch nur teil¬
weise zu entzieh«, müßte ein unaufhaltsames Herandrängen der in? Auslande
untergebrachten Milliarden russischer Papiere zur Einlösung gegen Metall ein¬
treten. Rußland wäre gar nicht in der Lage, die Papierattacke abzuwehren,
ohne seine Goldwährung preiszugeben Damit stünden wir aber vor einer Kata¬
strophe, deren Tragweite über die Folgen einer erzwuugnen Zinsverlürznug weit
hinausreichte. Jeder Volkswirtschaftsknndige könnte Auskunft geben, eine wie
unabsehbare Zerrüttung das gesamte Wirtschaftsleben bedroht, wenn ein Land
auf die Papierwährung zurückzugreifen genötigt ist, nachdem es mit unendlicher
Mühe die papiernen Geldrepräsentanten endlich abgetan und seiner Währung
ein festes Metallfundament untergelegt hat. Es läßt sich getrost behaupten,
daß ein Großstaat wie Rußland gegenwärtig mit entwertetem Papiergeld
einen europäischen Krieg nicht mehr führen kann. Daß aber die Nötigung
zum Friedenhalten unter Umständen auch eine große Einbuße an weltpoli¬
tischer Geltung bedeutet, liegt auf der Hand. Der Staatsbankrott würde
hiernach den Länderkoloß in unserm Osten mit einem Zusammenbrach nicht
nur auf finanziellem Gebiet bedrohen. Die russische Regierung wird, indem
sie sich das alles in entscheidenden Stunde» vorhält, vor Maßnahmen von
verhängnisvollen Folgen gewiß zurückschrecken, solange noch irgendeine Möglich¬
keit vorhanden ist, der Finanznot mit andern Mitteln abzuhelfen. In den
Erwägungen der leitenden Staatsmänner wird immer wieder die Hoffnung
auf ein langsames Gesunden von den finanziellen Gebresten den Sieg davon¬
tragen über die Einflüsterungen schlechter und leichtfertiger Ratgeber, kurzen
Prozeß zu macheu und den niederdrückenden Höcker der auswärtigen Schuld
einfach operativ zu beseitigen. Die deutschen Gläubiger Rußlands, denen wir
im übrigen hier keine Ratschläge in Sachen ihrer Knpitalintcressen zu erteilen
haben, mögen sich auf Grund der hier vorgetragnen Auffassung selbst ihr
Urteil bilden, ob zu dem von Martin-Delbrück beliebten Bangemachen vor dem
russischen Staatsbankrott ausreichende Veranlassung vorliegt.
Der hoffnungslose Pessimismus, mit dem manche Kritiker die russischen
Finanzaussichten beurteilen, dürfte nach meinem Dafürhalten schon in einigen
Jahren in der öffentlichen Meinung ein „überwnndner Standpunkt" sein. Die
Martin-Delbrücksche Schwarzmalerei wird man späterhin nicht höher einschätzen
als die derselben Richtung entsprungnen Verkündungen ihres Vordermannes
Rohrbach, der vor ein paar Jahren das „System" des damaligen Finanz¬
ministers Witte als den Gipfel einer verkehrten und zerrüttenden Wirtschafts¬
politik zu brandmarken unternahm. Wir können übrigens in der deutschen wie
in der russischen Literatur die Prophezeiungen vom Herannahen einer finanziellen
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