Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen ahnt, in welcher Gemütsverfassung sie war. Aber sie blieb stehn und sah Helene Nein! So leicht blasen Sie mir das Lebenslicht nicht aus! Aber wie sehen Helene, die schnell abgesprungen war, antwortete kurz: Das will ich gern Dann ist es ja ein Glück, daß Sie Doktor und Apotheker so nahe bei der Helene sah sie abweisend um. Ja, denn in dieser Zeit haben Sie beide wohl täglich unter demselben Dache. Helene machte sich nervös am Rad zu schaffen, begnügte sich aber mit einem Da riß Helenen die Geduld, und sie sagte mit einer Stimme, die von ver- Wie der Wind war sie auf dem Rade und davon. Fräulein Ipser stand wie vom Blitz getroffen da. Geheime Kammer; ja Helene fuhr in fliegender Eile und fast ohne um sich zu sehen durch den Auf einem schmalen Pfade gelaugte sie auf einen Hügel, von wo aus sie eine Da war eine Wiese, auf der einzelne Birken standen. Im Vordergründe Schweden, Varnland! rief es in ihr. So hatte der Vater doch Recht, und Sie zog ihr Taschenbuch hervor und beschrieb mit Bleistift ein Blatt nach In warmen Worten schilderte sie die Lage und bat um Rat. Da horte sie Schnell einen Schluß! Aber nun den Briefumschlag! Sie hatte keine Lust, auf der Station vor den Helene zog den Umschlag heraus. Jetzt hörte sie feste Schritte. Sie wußte kaum mehr, was sie tat, so nervös und aufgeregt war sie. Indem Und nun schnell auf die Station! Junge Herzen ahnt, in welcher Gemütsverfassung sie war. Aber sie blieb stehn und sah Helene Nein! So leicht blasen Sie mir das Lebenslicht nicht aus! Aber wie sehen Helene, die schnell abgesprungen war, antwortete kurz: Das will ich gern Dann ist es ja ein Glück, daß Sie Doktor und Apotheker so nahe bei der Helene sah sie abweisend um. Ja, denn in dieser Zeit haben Sie beide wohl täglich unter demselben Dache. Helene machte sich nervös am Rad zu schaffen, begnügte sich aber mit einem Da riß Helenen die Geduld, und sie sagte mit einer Stimme, die von ver- Wie der Wind war sie auf dem Rade und davon. Fräulein Ipser stand wie vom Blitz getroffen da. Geheime Kammer; ja Helene fuhr in fliegender Eile und fast ohne um sich zu sehen durch den Auf einem schmalen Pfade gelaugte sie auf einen Hügel, von wo aus sie eine Da war eine Wiese, auf der einzelne Birken standen. Im Vordergründe Schweden, Varnland! rief es in ihr. So hatte der Vater doch Recht, und Sie zog ihr Taschenbuch hervor und beschrieb mit Bleistift ein Blatt nach In warmen Worten schilderte sie die Lage und bat um Rat. Da horte sie Schnell einen Schluß! Aber nun den Briefumschlag! Sie hatte keine Lust, auf der Station vor den Helene zog den Umschlag heraus. Jetzt hörte sie feste Schritte. Sie wußte kaum mehr, was sie tat, so nervös und aufgeregt war sie. 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Wenn Sie mich noch so viel Innern und lauschen,<lb/> werden Sie doch nicht erfahren, was dort vor sich geht. Und das ist die geheime<lb/> Kanuner, die ich so wie jeder Mensch in meiner Seele trage.</p><lb/> <p xml:id="ID_915"> Wie der Wind war sie auf dem Rade und davon.</p><lb/> <p xml:id="ID_916"> Fräulein Ipser stand wie vom Blitz getroffen da. Geheime Kammer; ja<lb/> warte du mir!</p><lb/> <p xml:id="ID_917"> Helene fuhr in fliegender Eile und fast ohne um sich zu sehen durch den<lb/> Wald; da kam sie an eine Stelle, wo sie bisher noch nicht gewesen war. Der<lb/> Weg hörte auf, und sie mußte absteigen und zu Fuß weiter gehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_918"> Auf einem schmalen Pfade gelaugte sie auf einen Hügel, von wo aus sie eine<lb/> Lichtung übersah.</p><lb/> <p xml:id="ID_919"> Da war eine Wiese, auf der einzelne Birken standen. 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Junge Herzen
ahnt, in welcher Gemütsverfassung sie war. Aber sie blieb stehn und sah Helene
wütend an, die besorgt fragte, Fräulein Ipser habe hoffentlich keinen Schaden ge¬
nommen.
Nein! So leicht blasen Sie mir das Lebenslicht nicht aus! Aber wie sehen
Sie denn aus? Wahrhaftig nicht gut!
Helene, die schnell abgesprungen war, antwortete kurz: Das will ich gern
glauben I
Dann ist es ja ein Glück, daß Sie Doktor und Apotheker so nahe bei der
Hand haben.
Helene sah sie abweisend um.
Ja, denn in dieser Zeit haben Sie beide wohl täglich unter demselben Dache.
Helene machte sich nervös am Rad zu schaffen, begnügte sich aber mit einem
sehr herausfordernden Blick auf Fräulein Ipser, die schließlich mit bittersüßem Lächeln
sagte: Was für ein liebenswürdiger Mann ist doch dieser Doktor Holmsted!
Da riß Helenen die Geduld, und sie sagte mit einer Stimme, die von ver-
haltnen Zorn bebte: Sie brauchen mich wirklich nicht über ihn zu unterhalten,
denn ich interessiere mich lange nicht so warm für thu, wie Sie es zu tuu scheinen.
Da ich aber nun doch einmal mit Ihnen rede, Fräulein Ipser, so möchte ich Ihnen
gern eins sagen: Zwar sind Sie klug, und Sie haben Augen und Ohren, um die
ich Sie nicht beneide; aber es gibt doch einen Ort, in den einzudringen Sie sich
vergeblich bemühen werden. Wenn Sie mich noch so viel Innern und lauschen,
werden Sie doch nicht erfahren, was dort vor sich geht. Und das ist die geheime
Kanuner, die ich so wie jeder Mensch in meiner Seele trage.
Wie der Wind war sie auf dem Rade und davon.
Fräulein Ipser stand wie vom Blitz getroffen da. Geheime Kammer; ja
warte du mir!
Helene fuhr in fliegender Eile und fast ohne um sich zu sehen durch den
Wald; da kam sie an eine Stelle, wo sie bisher noch nicht gewesen war. Der
Weg hörte auf, und sie mußte absteigen und zu Fuß weiter gehn.
Auf einem schmalen Pfade gelaugte sie auf einen Hügel, von wo aus sie eine
Lichtung übersah.
Da war eine Wiese, auf der einzelne Birken standen. Im Vordergründe
wuchsen Ebereschen, und auf der andern Seite bildeten Tannen den Abschluß.
Schweden, Varnland! rief es in ihr. So hatte der Vater doch Recht, und
Gott hatte ihr den Weg gezeigt! Ja, an die Freundin da oben in der Heimat
der Tanne, der Birke und der Eberesche wollte sie schreiben. Und gleich hier
draußen im Walde, wo niemand sie sah.
Sie zog ihr Taschenbuch hervor und beschrieb mit Bleistift ein Blatt nach
dem andern aus ihrem armen, gequälten Herzen heraus.
In warmen Worten schilderte sie die Lage und bat um Rat. Da horte sie
etwas im Laube rascheln.
Schnell einen Schluß!
Aber nun den Briefumschlag! Sie hatte keine Lust, auf der Station vor den
Augen des Stationsvorstehers diese Blätter einzupacken — aber, o Wunder! ihr
war geholfen! In der einzigen Abteilung des Taschenbuchs steckte das Bild der
Mutter in einem Briefumschlag. So half ihr auch die!
Helene zog den Umschlag heraus.
Jetzt hörte sie feste Schritte.
Sie wußte kaum mehr, was sie tat, so nervös und aufgeregt war sie. Indem
sie bald auf den Brief, bald nach der Richtung sah, von wo das Geräusch ge¬
kommen war, riß sie schnell die Blätter ans dem Buch und steckte sie in den Um¬
schlag, den sie zuklebte und dann in das Taschenbuch steckte. Und dann führte sie
ihr Rad durch den Wald, bis sie den Weg wieder erreichte.
Und nun schnell auf die Station!
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