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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Historisch - dramatisches Figurenkabinett

Verantwortung für Mariens Tod vor der Mit- und der Nachwelt von sich
abzuschütteln.

Die unruhige Erwartung, in der Elisabeth war, nachdem sie erfahren
hatte, daß der Hinrichtungsbefehl mit dem großen Siegel versehen worden war,
und nachdem sie am Sonntag Morgen Mariens Hinrichtung erfolgte am
Mittwoch ^17. Februar 15871 früh einhalb neun Uhr) geflucht, geschworen
und zu Davison geäußert hatte, es sei eine wahre Schande für sie alle (damit
waren er und die Minister gemeint), daß "die Sache nicht schon abgetan sei,"
hat Schiller im elften und zwölften Auftritt des fünften Aktes sehr hübsch
geschildert, in Wahrheit wird sich jedoch die Sache etwas anders zugetragen
haben. Einen Pagen brauchte Elisabeth schwerlich auszuschicken, um sich nach
dem Verbleib Leieesters und Burghleys, von denen in Wirklichkeit weder der
eine noch der andre der Hinrichtung beiwohnen sollte, erkundigen zu lassen.
Sie wird durch ihre Frauen, die von allem, was am Hof und in London
geschah, immer aufs beste unterrichtet waren, rechtzeitig erfahren haben, daß
vom Sekretär Beate, der den Hinrichtungsbefehl als reitender Bote nach
Fotheringay zu befördern Auftrag hatte, schon seit Sonnabend früh "ein
Meilenzeiger nach dem andern zurückgelegt" worden sein würde; es konnte
sich für sie also mit der unruhigen Erwartung nur um die von dem Sohne
des Grafen Shrewsbury am Donnerstag früh nach Greenwich, wo sie Hof
hielt, gebrachte Meldung handeln, daß "die Sache nun wirklich abgetan" war.

Die Einzelheiten der Hinrichtung sind allgemein bekannt. Die Grafen
Kent und Shrewsbury, die in der Nachbarschaft von Fotheringay auf ihren
Gütern waren und den Auftrag erhalten hatten, in Gemeinschaft mit den
beiden Wächtern der Maria, Paulet und Drury, das nötige anzuordnen,
hatten der Königin von Schottland am Dienstag Nachmittag ihre für den
nächsten Morgen befohlne Hinrichtung angekündigt, und Maria hatte sich nach
kurzem Seelenkampf in das Unabänderliche mit einer Würde, einer Fassung,
einer wahrhaft fürstlichen Hoheit gefügt, die deutlich beweisen, was aus ihr
hätte werden können, wenn sie von frühester Jugend auf unter bessere Ein¬
flüsse gekommen wäre, als die waren, die von Katharina von Medicis, von den
Guisen und von dem sehr oberflächlichen französischen Hof ausgingen. Geist¬
reiche und sich um das Lob der Unparteilichkeit bewerbende englische Schrift¬
steller, die, wie schon erwähnt worden ist, für das Völkerrechtwidrige von
Elisabeths Verfahren keine Entrüstung empfinden können, und denen der Haß
auf alles Papistische tief im Herzen sitzt, bezeichnen die Haltung der Königin
auf dem Blutgerüst und auf dem Wege dahin als theatralisch; der vorurteils¬
freie Forscher wird dagegen nicht umhin können, den Mut, die Fassung, den
Takt, die Ergebung der als wahre Fürstin in den Tod gegangnen bewundernd
anzustaunen.

Für echt theatralische Leistungen sorgte dagegen die nun wieder einer
schweren Sorge enthobne Elisabeth; vielleicht ist die beste Entschuldigung für
ihr widerliches Gebaren, daß ihr die Rücksicht auf den durch die Vergewaltigung
Marias in neue Schwierigkeiten verwickelten Staat nicht erlaubte, ihre Freude
über den gehabten Erfolg aufrichtig an den Tag zu legen. Nachdem sie noch


Historisch - dramatisches Figurenkabinett

Verantwortung für Mariens Tod vor der Mit- und der Nachwelt von sich
abzuschütteln.

Die unruhige Erwartung, in der Elisabeth war, nachdem sie erfahren
hatte, daß der Hinrichtungsbefehl mit dem großen Siegel versehen worden war,
und nachdem sie am Sonntag Morgen Mariens Hinrichtung erfolgte am
Mittwoch ^17. Februar 15871 früh einhalb neun Uhr) geflucht, geschworen
und zu Davison geäußert hatte, es sei eine wahre Schande für sie alle (damit
waren er und die Minister gemeint), daß „die Sache nicht schon abgetan sei,"
hat Schiller im elften und zwölften Auftritt des fünften Aktes sehr hübsch
geschildert, in Wahrheit wird sich jedoch die Sache etwas anders zugetragen
haben. Einen Pagen brauchte Elisabeth schwerlich auszuschicken, um sich nach
dem Verbleib Leieesters und Burghleys, von denen in Wirklichkeit weder der
eine noch der andre der Hinrichtung beiwohnen sollte, erkundigen zu lassen.
Sie wird durch ihre Frauen, die von allem, was am Hof und in London
geschah, immer aufs beste unterrichtet waren, rechtzeitig erfahren haben, daß
vom Sekretär Beate, der den Hinrichtungsbefehl als reitender Bote nach
Fotheringay zu befördern Auftrag hatte, schon seit Sonnabend früh „ein
Meilenzeiger nach dem andern zurückgelegt" worden sein würde; es konnte
sich für sie also mit der unruhigen Erwartung nur um die von dem Sohne
des Grafen Shrewsbury am Donnerstag früh nach Greenwich, wo sie Hof
hielt, gebrachte Meldung handeln, daß „die Sache nun wirklich abgetan" war.

Die Einzelheiten der Hinrichtung sind allgemein bekannt. Die Grafen
Kent und Shrewsbury, die in der Nachbarschaft von Fotheringay auf ihren
Gütern waren und den Auftrag erhalten hatten, in Gemeinschaft mit den
beiden Wächtern der Maria, Paulet und Drury, das nötige anzuordnen,
hatten der Königin von Schottland am Dienstag Nachmittag ihre für den
nächsten Morgen befohlne Hinrichtung angekündigt, und Maria hatte sich nach
kurzem Seelenkampf in das Unabänderliche mit einer Würde, einer Fassung,
einer wahrhaft fürstlichen Hoheit gefügt, die deutlich beweisen, was aus ihr
hätte werden können, wenn sie von frühester Jugend auf unter bessere Ein¬
flüsse gekommen wäre, als die waren, die von Katharina von Medicis, von den
Guisen und von dem sehr oberflächlichen französischen Hof ausgingen. Geist¬
reiche und sich um das Lob der Unparteilichkeit bewerbende englische Schrift¬
steller, die, wie schon erwähnt worden ist, für das Völkerrechtwidrige von
Elisabeths Verfahren keine Entrüstung empfinden können, und denen der Haß
auf alles Papistische tief im Herzen sitzt, bezeichnen die Haltung der Königin
auf dem Blutgerüst und auf dem Wege dahin als theatralisch; der vorurteils¬
freie Forscher wird dagegen nicht umhin können, den Mut, die Fassung, den
Takt, die Ergebung der als wahre Fürstin in den Tod gegangnen bewundernd
anzustaunen.

Für echt theatralische Leistungen sorgte dagegen die nun wieder einer
schweren Sorge enthobne Elisabeth; vielleicht ist die beste Entschuldigung für
ihr widerliches Gebaren, daß ihr die Rücksicht auf den durch die Vergewaltigung
Marias in neue Schwierigkeiten verwickelten Staat nicht erlaubte, ihre Freude
über den gehabten Erfolg aufrichtig an den Tag zu legen. Nachdem sie noch


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[0157] Historisch - dramatisches Figurenkabinett Verantwortung für Mariens Tod vor der Mit- und der Nachwelt von sich abzuschütteln. Die unruhige Erwartung, in der Elisabeth war, nachdem sie erfahren hatte, daß der Hinrichtungsbefehl mit dem großen Siegel versehen worden war, und nachdem sie am Sonntag Morgen Mariens Hinrichtung erfolgte am Mittwoch ^17. Februar 15871 früh einhalb neun Uhr) geflucht, geschworen und zu Davison geäußert hatte, es sei eine wahre Schande für sie alle (damit waren er und die Minister gemeint), daß „die Sache nicht schon abgetan sei," hat Schiller im elften und zwölften Auftritt des fünften Aktes sehr hübsch geschildert, in Wahrheit wird sich jedoch die Sache etwas anders zugetragen haben. Einen Pagen brauchte Elisabeth schwerlich auszuschicken, um sich nach dem Verbleib Leieesters und Burghleys, von denen in Wirklichkeit weder der eine noch der andre der Hinrichtung beiwohnen sollte, erkundigen zu lassen. Sie wird durch ihre Frauen, die von allem, was am Hof und in London geschah, immer aufs beste unterrichtet waren, rechtzeitig erfahren haben, daß vom Sekretär Beate, der den Hinrichtungsbefehl als reitender Bote nach Fotheringay zu befördern Auftrag hatte, schon seit Sonnabend früh „ein Meilenzeiger nach dem andern zurückgelegt" worden sein würde; es konnte sich für sie also mit der unruhigen Erwartung nur um die von dem Sohne des Grafen Shrewsbury am Donnerstag früh nach Greenwich, wo sie Hof hielt, gebrachte Meldung handeln, daß „die Sache nun wirklich abgetan" war. Die Einzelheiten der Hinrichtung sind allgemein bekannt. Die Grafen Kent und Shrewsbury, die in der Nachbarschaft von Fotheringay auf ihren Gütern waren und den Auftrag erhalten hatten, in Gemeinschaft mit den beiden Wächtern der Maria, Paulet und Drury, das nötige anzuordnen, hatten der Königin von Schottland am Dienstag Nachmittag ihre für den nächsten Morgen befohlne Hinrichtung angekündigt, und Maria hatte sich nach kurzem Seelenkampf in das Unabänderliche mit einer Würde, einer Fassung, einer wahrhaft fürstlichen Hoheit gefügt, die deutlich beweisen, was aus ihr hätte werden können, wenn sie von frühester Jugend auf unter bessere Ein¬ flüsse gekommen wäre, als die waren, die von Katharina von Medicis, von den Guisen und von dem sehr oberflächlichen französischen Hof ausgingen. Geist¬ reiche und sich um das Lob der Unparteilichkeit bewerbende englische Schrift¬ steller, die, wie schon erwähnt worden ist, für das Völkerrechtwidrige von Elisabeths Verfahren keine Entrüstung empfinden können, und denen der Haß auf alles Papistische tief im Herzen sitzt, bezeichnen die Haltung der Königin auf dem Blutgerüst und auf dem Wege dahin als theatralisch; der vorurteils¬ freie Forscher wird dagegen nicht umhin können, den Mut, die Fassung, den Takt, die Ergebung der als wahre Fürstin in den Tod gegangnen bewundernd anzustaunen. Für echt theatralische Leistungen sorgte dagegen die nun wieder einer schweren Sorge enthobne Elisabeth; vielleicht ist die beste Entschuldigung für ihr widerliches Gebaren, daß ihr die Rücksicht auf den durch die Vergewaltigung Marias in neue Schwierigkeiten verwickelten Staat nicht erlaubte, ihre Freude über den gehabten Erfolg aufrichtig an den Tag zu legen. Nachdem sie noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/157>, abgerufen am 15.01.2025.